FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1968 - 1981 » Jahrgang 1969 » No. 184/I
Humbert Fink

Kärntner Klagelied

Merkwürdiges ereignet sich in diesem Land, und niemand zeigt darüber Bestürzung oder doch Befremden. Denn immerhin hat eine der spektakulärsten und — wie es schien — auch heilsamsten und aufrichtigsten Auseinandersetzungen vor allem kulturpolitischer Provenienz in Österreich jetzt ein Ende gefunden, das einigen Anlaß zu melancholischen Spekulationen bietet.

Jener Günther Nenning nämlich, der noch vor wenigen Wochen sozialistische Nenning-Töter in hellen Scharen ihr Kriegshandwerk betreiben sah, dessen sozialistischer Parteichef Bruno Kreisky ihn offiziell und betrüblicherweise einen politischen „Wurstel“ nannte und der seinerseits von seinem auf so erfreuliche Weise revoltierenden Star-Intellektuellen vors Bezirksgericht zitiert werden sollte ...

jener Günther Nenning, dem eigenen Behauptungen zufolge von seinen sozialistischen Parteifeinden und -freunden materiell das Fell über die Ohren gezogen wurde, und das in einem Maße, daß der Fortbestand seiner Zeitschrift NEUES FORVM gefährdet war ...

jener Günther Nenning, für den leidenschaftlich Partei zu ergreifen beinahe schon Pflicht schien, weil an seiner Person demonstriert worden war, wie beängstigend unheimlich parteipolitische Macht und wie harmlos intellektuelle Aufrichtigkeit sein kann —:

Jener Günther Nenning ist entweder ein bis zum Aberwitz raffinierter Taktiker oder einfach einer jener Österreicher, die unter der Macht der Verhältnisse zu Kreuze gekrochen sind; oder aber, um einmal mit Nestroy zu reden: Es ist alles nicht wahr.

Jedenfalls, in der Anfang-März-Nummer seines NEUEN FORVM schreibt Nenning unter dem bezeichnenden Titel „Ende einer Affaire“ unter anderem folgendes:

Die österreichische Sozialdemokratie muß ihre gegenwärtige Chance wahrnehmen: noch nie in der Zweiten Republik gab es ein so verbreitetes, weiterhin eher anwachsendes Linksklima, nicht nur bei Studenten, sondern auch bei sonstigen Intellektuellen, insbesondere engagierten Christen. In der meinungsbildenden intellektuellen Minderheit dieses Landes gab es noch nie in der Zweiten Republik so viele, die von der ÖVP nichts mehr wissen wollen.

So weit Nenning. Nun entsinnt man sich mit einigem Unbehagen der Tatsache, daß vor wenigen Wochen noch Nennings sozialistische Parteifeinde und -freunde ihm vorgehalten haben, er nehme von ÖVP-nahen Institutionen materielle Unterstützung in Form von erklecklichen Inseratenaufträgen entgegen; muß man nun das von Nenning zitierte anwachsende Linksklima damit in Zusammenhang bringen, daß es möglicherweise demnächst sozialistische Inserate sein werden, welche die Herausgabe des NEUEN FORVM ermöglichen beziehungsweise erleichtern?

Und dann: Was heißt das, dieses Linksklima bei Studenten und sonstigen Intellektuellen und insbesondere engagierten Christen? Ist etwa ein Mann, der sich nicht unbedingt als engagierter Christ bezeichnen möchte und dem manches gegenwärtige studentische Kuriosum eher dümmlich und sogar gefährlich erscheint —: ist also ein solcher Mann untragbar für das Nenningsche Ideal vom Intellektuellen?

Aber zitieren wir aus diesem Artikel „Ende einer Affaire“ einmal weiter; es lohnt sowohl die Mühe als auch die Auseinandersetzung:

Trotz der überragenden Wichtigkeit sonstiger Probleme waren meine Freunde weiterhin in Sachen Familienstreit tätig, das heißt, nicht nur, bis sie mich überzeugten, es sei an mir, den ersten Schritt zu tun und aufzuhören, sondern auch, was ihre Fairneß beweist, nach meinem einseitigen Bombenstop. Von diesem zu einem zweiseitigen Modus vivendi und von da zu einer Restitutio in integrum —: das ist die Perspektive, die sich nach erneuten Gesprächen, darunter einem Gipfelgespräch, eröffnet.

War alles nur Schwätzerei?

Dies alles bedeutet, wenn man es mit schlichteren, banaleren Worten nacherzählt, nichts anderes, als daß zwischen Kreisky und Nenning ein Burgfriede ausgebrochen ist; und wenn man Kreiskys etwas gelangweilte und auch behutsame Gegen-Freundschafts-Erklärung zu diesem Fall im Ohr hat, so überrascht neuerlich die fromme Diktion Nennings, der mit diesen paar Sätzen alles in Frage stellt, wofür er von Pittermann bis Kreisky so vehement gekämpft hat.

Das heißt aber auch, daß ein Mann dann seine Glaubwürdigkeit verliert, wenn er in allzu kurzen Zwischenständen seine Meinung revidiert und damit alle jene enttäuscht, die in diesem Mann so etwas wie einen raren Don Quichote der gegenwärtigen österreichischen parteipolitischen Windmühlenlandschaft zu sehen glaubten. Aber hören wir weiter, was Nenning unter diesem „Ende einer Affaire“ versteht. Er schreibt:

Ich begrüße dies aus ganzem Herzen — jenem Herzen, das mit so unsinniger Liebe an der Sache dieser Partei hängt, schon an der Partei, die nicht identisch ist mit dem Sozialismus und desto mehr am Sozialismus. Es geht, darüber ist man sich einig, nicht um wechselseitig aus Felswänden zu klopfende Entschuldigungs- oder Verzeihungskaskaden, sondern um die Zukunft der Partei und des Sozialismus in Österreich. Ein Aspekt dieser Zukunft ist, daß der in dieser Partei jahrzehntelang und unausreißlich verankerte Intellektuelle in dieser Partei intellektuell leben, das heißt, reden und schreiben kann — nicht gehätschelt, vielmehr unterm ständigen Feuer der Diskussion und auch heftigster Kritik, denn die Partei ist kein Damenkränzchen; aber eben nicht behindert an jenem Reden und Schreiben, das nun einmal sein Daseinszweck ist, ein Zweck, den er gerade in einer sozialistischen Partei nützlich erfüllen muß, auch und gerade in einer Zeit kommender Wahlen.

So weit Nenning. Und wenn man diesen letzten Absatz genau studiert, dann scheint es, als werde dieser Burgfriede zwischen ihm und Kreisky genau bis zum März 1970 andauern, also bis zum Augenblick der kommenden Nationalratswahlen.

Ich aber frage mich: Was soll das alles? Ich aber gestehe, diesen neuen Günther Nenning nicht mehr zu begreifen. War denn alle an der sozialistischen Partei geübte Kritik nur haltlose Schwätzerei gewesen? Wenn ja, dann muß man Nenningsche Äußerungen künftighin vorsichtig entgegennehmen; wenn nein, dann muß von irgendeiner Seite Druck auf ihn ausgeübt worden sein; und wenn weder ja noch nein, dann bleibt wiederum nur Nestroy zurück mit seinem ur-Österreichischen „Es ist alles nicht wahr“.

Ich habe Nenning seinerzeit mit Vehemenz verteidigt, und zwar gegen Kreisky, Pittermann und Genossen, und zwar aus dem verhältnismäßig naiven Grund, weil ich an die unantastbare Moral des Intellektuellen glaube; dazu braucht es bei mir keines ständigen Feuers der parteipolitischen Auseinandersetzung. Aber was nun? Soll man jetzt Nenning gegen Nenning verteidigen?

Oder ist das, was man die Lauterkeit des Intellektuellen nennt, nicht ganz so unantastbar, wie ich dies in meiner Naivität bisher anzunehmen geneigt gewesen war?

Ob Günther Nenning eigentlich begreift, wie sehr er alle jene enttäuscht hat, die jenseits aller und zwischen allen parteipolitischen Fronten an ihn geglaubt haben ...

Merkwürdiges ereignet sich in diesem Land, und niemand zeigt darüber Bestürzung oder doch Befremden.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
April
1969
, Seite 269
Autor/inn/en:

Humbert Fink:

Humbert Fink, geboren am 13. August 1933 in Salerno, Italien, gestorben am 16. Mai 1992 in Klagenfurt, Schriftsteller, Kulturhistoriker. Schrieb anfangs Gedichte, dann Romane und wandte sich schließlich der kulturhistorischen Reisebeschreibung zu; er gestaltete zahlreiche Sendereihen im ORF, gab ab 1959 gemeinsam mit Paul Kruntorad die „Hefte für Literatur und Kritik“ heraus, entwickelte 1977 die Idee des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs und war auch als Glossist bei der „Kronen Zeitung“ tätig.

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