FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1968 - 1981 » Jahrgang 1974 » No. 241/242
Friedrich Geyrhofer

Scheiss-Kapitalismus

Ernest Borneman: Psychoanalyse des Geldes. Eine kritische Untersuchung psychoanalytischer Geldtheorien, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1973, 464 Seiten, DM 28, öS 221,20

Ausgerechnet das Geld, der Inbegriff der unpersönlichen Abstraktion, ein Gegenstand der Individualpsychologie? Ein kleiner Aufsatz Freuds über „Charakter und Analerotik“ (1908) beruft sich auf die klinische Erfahrung, daß die „habituellen Stuhlverstopfungen Nervöser“ sich psychoanalytisch kurieren lassen, „wenn man den Geldkomplex der Betreffenden berührt“. Sparsamkeit ist, zusammen mit Eigensinn und Reinlichkeit, eine unbewußte Reaktion des Erwachsenen auf das kindliche Interesse „am Unsauberen, Störenden, nicht zum Körper Gehörigen“. Damit war das Konzept des „analen Charakters“ geboren. Freud zitiert die Analogie zwischen Geld und Dreck in Mythos, Aberglauben, Neurose und Traum.

Das Buch Ernest Bornemans rekonstruiert die Geschichte der Versuche, das Geld als ein tiefenpsychologisches Phänomen zu entlarven. Borneman hat 25 Aufsätze aus den diversen Schulen der Psychoanalyse zu diesem Thema zusammengestellt (aus urheberrechtlichen Gründen fehlt Wilhelm Reich) und in seiner „Einleitung“ ausführlich kommentiert. Das „Schlußwort“ referiert die neuesten Synthesen zwischen Marxismus und Psychoanalyse.

Die von Borneman gesammelten Studien zerfallen in zwei Gruppen. Die Arbeiten der ersten Gruppe beschäftigen sich, nach dem Vorbild Freuds, mit idiosynkratischen Zügen im Umgang mit Geld: zu dieser Gruppe gehören unter anderem die Aufsätze von Ernest Jones („Haarschneiden und Geiz“), Karl Abraham („Das Geldausgeben im Angstzustand“) und Edmund Bergler („Die Psychopathologie des Gelegenheitsjägers“); der Aufsatz Berglers ist eine sozialpsychologische Studie über den Konsumenten in den großen Warenhäusern. Typisch, daß der Psychoanalytiker bloß die individuellen Verhaltensweisen des Kaufzwangs aufzählt, ohne die heimtückischen Techniken der Reklame zu erwähnen.

Die zweite Gruppe umfaßt die eigentlich kontroversen Arbeiten. Charakteristisch der Titel eines Aufsatzes von Isador H. Coriat: „Anmerkungen über anale Charakterzüge des kapitalistischen Instinkts.“ Freuds Bemerkung über die Analogie zwischen Geld und Kot wurde von Sándor Ferenczi in seinem Aufsatz „Zur Ontogenie des Geldinteresses“ in die These komprimiert, daß das „kapitalistische Interesse nicht nur im Dienst von praktisch-egoistischen Zwekken, also des Realitätsprinzips steht, sondern ... gleichzeitig auch dem Lustprinzip genügen will“.

Mit der Einführung des Lustprinzips in die Nationalökonomie bekämpften die Schüler Freuds den Rationalismus der Grenznutzenschule, die das wirtschaftliche Handeln als einen wohlüberlegten und zweckbewußten Kalkül idealisiert hatte. Doch tritt dem geschichtslosen Realitätsprinzip des homo oeconomicus lediglich das nicht minder ahistorische Lustprinzip des homo psychologicus entgegen. Psychoanalyse und Grenznutzentheorie leiten beide den Kapitalismus aus den ewigen Instinkten des Menschen ab, wobei nur die „Rationalität“ oder „Irrationalität“ dieser Instinkte zwischen den Schulen zur Diskussion steht. (Auch die Grenznutzentheoretiker haben sich als „Psychologen“ verstanden!) Die Doktoren der Psychoanalyse ignorierten genauso wie die Professoren der Grenznutzenschule die historischen und soziologischen Modelle von Geld und Kapitalismus, wie sie schon damals, im Anschluß an Marx, Max Weber mit seinem Konzept der innerweltlichen Askese und Simmel in der „Philosophie des Geldes“ bereitgestellt hatten.

Denn die gesellschaftliche Funktion des „Besitztriebs“ hängt davon ab, ob er sich auf konkrete Gebrauchsgüter oder auf den abstrakten Tauschwert, also auf das Geld, richtet. Nur Geld ist unbegrenzt vermehrbar; daher „ist bei Balzac, der alle Schattierungen des Geizes so gründlich studiert hatte, der alte Wucherer Gobseck schon verkindischt, als er anfängt, sich einen Schatz aus angehäuften Waren zu bilden“ (Marx). Der anale Charakter ist keineswegs mit dem sagenhaften „kapitalistischen Instinkt“ identisch, der ohnehin mit dem Übergang vom Konkurrenzkapitalismus der kleinen Unternehmer zum organisierten Kapitalismus der großen Konzerne ein offenkundiger Anachronismus geworden ist.

Um der Verdinglichung ihre Geheimnisse zu entreißen, regredieren die Psychoanalytiker in die graue Vorzeit. Borneman spricht von der Versuchung, „Frühgeschichte und Vorgeschichte klinisch zu deuten, als seien sie die Assoziationen eines Analysanden auf der Couch des Analytikers“. Durch die Trennung des Lustprinzips vom Realitätsprinzip wird die Geschichte „verdinglicht“, auf Natur reduziert. (Hegel nennt den Trieb „die Einheit des Ich als eines zum Dinge gemachten“.) Da die Psychoanalyse die geschichtliche Entwicklung nicht kennt, muß sie die Entstehung der sozialen Institutionen in möglichst primitiven Zuständen suchen, wo Natur und Gesellschaft noch identisch zu sein scheinen.

Die bizarren Spekulationen von William H. Desmonde („Der Ursprung des Geldes im Tieropfer“) und Géza Róheim („Die Rassenpsychologie und die Ursprünge des Kapitalismus bei den Primitiven“) verleugnen die kritische Differenz zwischen Lustprinzip und Realitätsprinzip — die Realität wird in Neurosen, die Geschichte in kollektive Projektionen aufgelöst.

Das gilt sogar für die besten Arbeiten der tiefenpsychologischen Sozialkritik. Der Aufsatz von Ian D. Suttie über „Besitz und Besitzgier“ beklagt am Kapitalismus „eine Verlagerung der Aufmerksamkeit von der Realität des Reichtums an Waren auf die Symbole von Währung und Kapital“. Diese eklatante Verletzung des Realitätsprinzips erklärt sich der Adler-Schüler Suttie aus der infantilen Suche nach Geborgenheit (also aus einer Variante des Lustprinzips).

André Amar gibt in seinem „Psychoanalytischen Versuch über das Geld“ eine plastische Charakteristik der Widersprüche im Keynesianismus: „Die Arbeit von heute bringt die Schulden nicht mehr ins Gleichgewicht: sie vermehrt sie. Der Staat wird zu demjenigen, dem man schuldet, zum höchsten Gläubiger.“ Doch zieht Amar aus seiner Feststellung „Wir stehen im wahrsten Sinn des Wortes in einer irrationalen Wirtschaft“ den Kurzschluß, das Geld habe lediglich „dazu gedient, den Mythos von der Schuld auf die politische Ebene zu heben“. So wird die Psychoanalyse das Opfer ihrer eigenen Mythologie, gerade weil sie naiv auf den Rationalismus des Realitätsprinzips vertraut: das Lustprinzip, von vornherein als eine „‚Residualkategorie“ konzipiert, spielt den Sündenbock für die „irrationalen“ Widersprüche der Realität.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Januar
1974
, Seite 50
Autor/inn/en:

Friedrich Geyrhofer:

Geboren am 03.09.1943 in Wien, gestorben am 16.07.2014 ebenda, studierte Jus an der Wiener Universität, war Schriftsteller und Publizist sowie ständiger Mitarbeiter des FORVM.

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