FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1968 - 1981 » Jahrgang 1979 » No. 303/304
Josef Dvorak

Der verborgene Imam

Religion und Revolution in Persien

Gottesstaat Iran?

Schah Reza Pahlewi besitzt keinerlei Rückhalt mehr im Volk. Das haben die Massendemonstrationen am Aschuratag (11. Dezember 1978), dem Märtyrer-Prozessionstag des schiitischen Islams, aller Welt deutlich vor Augen geführt. Das Regime stützt sich nur mehr auf die von den USA mit Waffen ausgerüstete und von amerikanischen „Beratern" gelenkte Armee.

Alle wichtigen politischen und religiösen Gruppen des Landes haben sich — wenn man ihren Proklamationen glauben darf — auf „Seine Heiligkeit“, den Ayatulla (= Zeichen Allahs) Komeini, als nationalen Führer geeinigt. Der verlangt die „Kapitulation“ des Schahs, seinen und seiner Familie Thronverzicht und daß der bisherige Herrscher vor Gericht gestellt wird. Nach dem Willen Komeinis soll der Iran eine Republik mit einer „islamischen Regierung“ werden.

Ein anderer Großer Ayatulla, Schariat Madawi, der in der Heiligen Stadt Kum residiert (120 km südlich von Teheran, an der Verbindungsstraße nach Isfahan gelegen), hatte sich vorher gemäßigter gezeigt: Der Iran sei weder Saudi-Arabien noch Libyen, er solle kein Gottesstaat werden. Laut Madawi genüge es, wenn ein neuer Schah die Verfassung von 1906 anerkenne und fünf islamischen Rechtsgelehrten ein Kontrollrecht über die vom Parlament beschlossenen Gesetze eingeräumt werde.

Diese einander widersprechenden Aussagen spiegeln Tendenzen wider, die heute in der gesamten islamischen Welt zu sehen sind: Komeini schwimmt dabei auf der von Dschidda und Tripoli finanziell in Bewegung gehaltenen Welle konservativer Re-Islamisierung. Sie lassen jedoch auch eine ganz spezifisch iranische = schiitische Note erkennen.

Persiens Staatsreligion ist die „Schiat Ali“, die „Partei Alis“, also eine legitimistische Richtung mit ursprünglich südarabischer Akzentuierung, von der das Wahlkalifat der Kampfgefährten Muhammads abgelehnt und die Nachfolge im politischreligiösen Prophetenamt dem engsten Familienkreis Muhammads (Adoptiv- und Schwiegersohn Ali, Tochter Fatima, Enkelkinder Hasan und Husain sowie deren Nachkommen) reserviert wird. Die Schiiten lehnen daher die Kalifen (auch die ersten drei vor Ali) ab und lassen ihre Reihe der „Imame“ mit Ali beginnen. Staatsreligion des Iran ist die sogenannte „Zwölferschia“, sie zählt zwölf lmame (andere Richtungen, wie die Ismailiten, die Alawiten, die Drusen usw., nennen andere Zahlen).

Religion der Underdogs

Historisches Pech für die Schia war es, daß ihre lmame, angefangen mit Ali, sich nie durchsetzen konnten, sondern von ihren sunnitischen Konkurrenten militärisch besiegt, verfolgt, umgebracht wurden.

Die letzte Runde steht noch bevor — Theokratie gegen Linke und bürgerliche Demokraten: Ayatulla Komeini

So bekam die Schia immer mehr oppositionellen, rebellischen, tragischen Charakter. Von Anfang an stand sie in Verbindung mit Rigoristen, die sich gleichsam demokratisch gegen das dynastische Prinzip (anderer Familien) auflehnten (die Karidischiten = Aktivisten, von denen dann Ali selbst auch umgebracht worden ist). Mit revoltierenden Angehörigen der vom (omajadischen) syrischen lslam ausgebeuteten nichtarabischen „Klienten“-Klasse („Mawali“).

Die Schia verhalf den Abbasiden (von Muhammads Onkel Abbas, ebenso wie Ali Familienangehöriger der Banu Haschim) gegen die Omajaden in Bagdad zur Macht und wurde dann von diesen ebenfalls verfolgt. Also ging sie in den Untergrund und beteiligte sich an vielen Bewegungen gegen die abbasidischen Kalifen.

Das waren zumeist sozialrevolutionäre Bewegungen der Bauern, der Arbeiter, der Negersklaven und Zigeuner. Ein Zweig der Schia (die Siebenerschia der lsmailiten) entwickelte selbst ein Konzept der revolutionären Neuordnung der Welt mittels Terrors (Assassinen), [1] nachdem es ihm vorübergehend gelungen gewesen war, mit geheimbündlerischen Mitteln in Tunesien und Ägypten (Gründung von Kairo, der „Siegreichen”), ja beinahe im gesamten darul-lslam (Haus des Islams) die höchsten Machtpositionen zu erringen: die fatimidischen Kalifen.

Die urkommunistische revolutionäre Bauernbewegung der Karmaten (um 890) war schiitisch inspiriert und stand in engem Kontakt zu den Fatimiden (Fatima = die Tochter Muhammads).

Die Staatsauffassung der Schiiten war zwar streng theokratisch-absolutistisch und zentralistisch, aber weil sich ihr Legitimitätsprinzip historisch nicht durchsetzen ließ, waren sie am Schluß die Antiautoritären, die sich ihre eigenen Chancen religionsphilosophisch verbauten.

Der 12. Imam ist futsch

Der Wendepunkt kann deutlich markiert werden: 685 fand der erste große Mawali-Aufstand gegen die Omajaden unter Führung El-Muchtars statt. Er berief sich dabei auf Muhammad, den Sohn Alis von einer Kriegsgefangenen (al-Hanafiya), sowie dessen Sohn Abu Haschim (gest. 716). 687 wurde El-Muchtar besiegt und getötet Später behaupteten die Abbasiden, Abu Haschim habe ihnen auf dem Totenbett die Legitimität in der Nachfolge Ali testamentarisch übertragen. Aber El-Muchtar hatte die These in die Welt gesetzt, der Imam wirke im Verborgenen, er wirke weiter, auch wenn man ihn für tot halte, und werde als Mehdi, als Messias, wiederkommen, um das Reich der göttlichen Gerechtigkeit aufzurichten. Seitdem berufen sich alle Richtungen der Schia auf ihre „verborgenen lmame“.

Der verborgene, also letzte Imam der Zwölferschia ist der fünfjährige Muhammad al-Muntazar, der nach der Vergiftung seines Vaters Al-Hasan al-Askari durch den Abbasidenkalifen am 24. Juli 874 aus dem Keller eines Hauses in Samarra spurlos verschwunden sein soll. Aus der „Entrückung“ leitete er die Gemeinde noch durch vier Apostel (die auch weiterhin die Kirchenbeiträge entgegennahmen) bis zum Jahr 940. Mit dem Tod des letzten Apostels endete die kleine und begann die große Ghaiba (= Verborgenheit), in der es keinerlei Kontakt mehr zum Imam gibt.

Das war für die Schia insoferne bedauerlich, als bereits 945 die iranisch-schiitische Dynastie der Bujiden Bagdad erobern konnte — und sich vom sunnitischen Abbasidenkalifen legitimieren lassen mußte (als Emir der Emire, erst nach langem Widerstand des Kalifen mit dem vorislamischen, sassanidischen Titel Schahanscha: König der Könige).

Erst um das Jahr 1500 schwingt sich ein Nachkomme des 7. lmams, des Musa al-Kazim (des „Sich-Beherrschenden“), zum Herrscher im Iran auf: der Safawidenschah Ismail. Er macht die Zwölferschia zur Staatsreligion. Die Safawiden stammen aus Erdebil in Aserbeidschan, wo sie durch fünf Generationen hindurch einen sufitischen (die Sufis sind islamische Mystiker) Ordensstaat regiert hatten („Bruderschaft des Roten Turbans“).

In der Safawidenära stand die Kirche unter dem imamitischen Staat, aber der Glaubenssatz vom verborgenen 12. lmam nahm dem Herrscherhaus etwas von der Legitimität. Zuletzt kam es zu Spannungen zwischen den Herrschern und den Mullahs, die sich scharf gegen das Sufitum wandten, und zum Krieg gegen die sunnitischen Afghanen hetzten. Wodurch das Safawidenreich zusammenbrach.

Der Schatten Gottes und die Ausländer

Als nach kurzen Zwischenspielen und lnterregnen 1794 die turanische Kadscharendynastie den Thron bestieg, stand sie als reiner Machtapparat einer kirchlich gelenkten schiitischen Gesellschaft gegenüber, deren eigentlicher Herrscher, der lmam, in allgegenwärtiger Abwesenheit glänzte, keine Audienzen gab, keine Befehle erließ, aber auch niemanden neben sich und an seiner Stelle duldete. Seinen Willen konnte man zu erfahren suchen, wenn man die gelehrten Theologen fragte, die ihrerseits wieder in Büchern nachschlugen, scholastisch disputierten und über den inneren Sinn des lslams meditierten. Sie mußten nicht immer einer Meinung sein, waren sicherlich nicht unfehlbar (das war nur der Imam selbst), aber laut Koran mußte man ihnen gehorchen und für ihren Lebensunterhalt sorgen.

Die Kadscharenschahs versuchten zwar durch allerlei Propagandatricks, sich einen Schein von Legitimität zu geben: Sie übernahmen den safawidischen Titel „Schatten Gottes“, waren in übertriebener Weise fromm (Förderung der religiösen Prozessionen), ihnen erschien der verborgene lmam im Traum, sie trugen sein Bild mit sich herum usw. Die Mullahs empfanden darob nur Verachtung. Besser gesagt der Großteil der Geistlichen. Denn eine kleine Gruppe nützte die Isolierung der Herrscher aus und hofierte sie gegen beträchtliches Bakschisch.

Mirza Hasan Schirazi, ein Korangelehrter, drückte die Beziehung zwischen Kirche und Staat so aus: „Siehst du den Geistlichen an den Türen der Könige, sind das ein schlechter Geistlicher und schlechte Könige. Wenn du die Könige vor den Türen des Geistlichen siehst, dann sind das ein guter Geistlicher und gute Könige.“

Während der Kadscharenzeit war der Iran völlig von ausländischen Mächten abhängig, und zwar von Rußland und von England.

Gemäß dem Testament Peters des Großen wollte Rußland Persien in Kriege verwickeln, den Verfall Persiens beschleunigen, bis zum Persischen Golf vordringen und dann versuchen, den alten Levantehandel über Syrien wiederherzustellen („Der Handel mit lndien ist der Handel der Welt“). Auch für England war seit Errichtung der Ostindischen Kompagnie die Bedeutung Persiens infolge seiner verkehrsgünstigen Lage (lndien!) gestiegen, außerdem betrachtete man das Land als aufnahmefähigen Markt für englische Produkte.

Von 1907 an wollten Rußland und England für den Fall eines Krieges mit Deutschland den Iran gemeinsam ruhighalten. Als Garant für ihre Pläne schien ihnen der Kadscharenschah geeignet, der wenig Unterstützung im Volk besaß, jedoch immer Geld brauchte, um seine Europareisen finanzieren zu können. Man konnte von ihm billige Monopolkonzessionen bekommen (Telegrafie, Bank, Schiffahrt, Tabak) und ihn durch Anleihen an sich binden. Für Kredite verpfändete der Schah die Steuereinnahmen ganzer Provinzen.

Die Verfassung von 1906

Bereits in den Jahren 1890 und 1891 begannen die bürgerlichen Schichten Persiens gegen das Regime zu opponieren, zunächst gegen die Tabakkonzession. Es bildete sich sofort eine Koalition zwischen den Bürgerlichen und den Mullahs. Einer von ihnen, der oben zitierte Mirza Hasan von Schiraz, propagierte 1891 ein Rauchverbot, das lückenlos befolgt wurde. Sogar die Haremsdamen des Schahs ließen damals alle Wasserpfeifen verschwinden. Schah Nasreddin mußte die Konzession rückgängig machen und zahlte den Engländern ein Pönale von 500.000 Pfund aus Steuergeldern.

Am 1. Mai 1896 starb der Herrscher unter den Schüssen eines Schülers von al-Afghani, des Verfechters der panislamischen Bewegung. Der Schah hatte, offenbar um irgendwo Anschluß zu bekommen, auf eine Zusammenarbeit mit al-Afghani gehofft und den Verbannten 1889 zur Heimkehr bewogen, ihn jedoch 1890 wieder vertrieben. Nasreddins Nachfolger konnte sich zu keinen Reformen durchringen, sondern verstrickte das Land nur noch mehr in Abhängigkeiten (belgische Zolleinnehmer, Zollerleichterungen für russische und englische Waren). Geheimgesellschaften mit revolutionären Zielsetzungen und politische Frauenvereine blühten auf.

Im Jahre 1905 griffen die Unruhen aus den Provinzstädten auf die Hauptstadt Teheran über. Grund: die Erhöhung des Zuckerpreises. Außerdem verletzten ausländische Beamte und Gesellschaften ungeniert die religiösen Gefühle des Volkes (Bau einer russischen Darlehensbank auf einem Friedhofsgelände). Die Vertreter der Basar-Kaufmannschaft verbündeten sich mit der klerikalen Partei. Von den Moscheen aus begann der Kampf für ein „Justizhaus“ (= einen obersten Gerichtshof), schließlich für eine Verfassung und ein Ständeparlament. Die zwei Geistlichen Bihbihani und Tabatabai agierten in vorderster Linie und wurden dafür mit dem Titel „Väter der Revolution“ ausgezeichnet.

Interessant ist das Verhalten der Mullahs im Kampf gegen den Herrscher: Von den Kanzeln herab wird die Dynastie der Autokratie und Tyrannei bezichtigt, einer willkürlichen Machtausübung ohne jede Berechtigung. Dann werden die Geistlichen von der Polizei verfolgt und ziehen sich in den Schutz der Wallfahrtsstätten zurück, wo die heiligen Imame begraben liegen. Sie beanspruchen für sich und ihre Anhänger „Bast”, das ist ein Sitzstreik-Asylrecht. Bricht der Staat dieses Recht, dringen Truppen in die Heiligtümer ein, ist dies wiederum nur ein Beweis dafür, wie völlig unsinnig und verachtenswert die staatliche Macht ist.

Am 7. Oktober 1906 konnte schließlich die erste Parlamentssitzung feierlich eröffnet werden, und man ging an die Ausarbeitung einer Verfassung. Am Silvestertag unterzeichneten der todkranke Schah und der Kronprinz das nach dem Vorbild der belgischen Verfassung geschaffene Grundgesetz. Aber nach dem Tod des Vaters wollte Schah Muhammad Ali (er stand massiv unter russischem Einfluß) alles wieder rückgängig machen.

Emanzipation? Reaktion? Die Frauen mit dem Schal sind gegen den Schah

Inzwischen war es über der Formulierung der Grundrechte für die Verfassungsergänzungen zu Gegensätzen zwischen zwei verschiedenen klerikalen Richtungen gekommen. Die konservativen Mullahs wollten von der Vorherrschaft des koranischen Schariatsrechts nicht lassen (Ablehnung der rechtlichen Gleichstellung aller Staatsbürger nach Religion und Geschlecht, der allgemeinen Schulpflicht und der Preßfreiheit), während die Liberalen (Bihbihani und Tabatabai) lediglich folgende Formulierung verlangten: „Im Parlament dürfen keine Beschlüsse gefaßt werden, die mit den Prinzipien des Islams in Widerspruch stehen. Zur Prüfung jedes Parlamentsbeschlusses wird eine Jury von mindestens fünf Mullahs eingesetzt, denen das Recht zur Annahme oder Ablehnung des Vorschlages vorbehalten ist.“

Mord und Gegenmord

Die konservative Richtung unter Schaich Fasl Ullah gab jedoch nicht auf, sondern intrigierte und hetzte weiter. Fasl Ullah selbst ließ sich vom Schah, der die Verfassung zu Fall bringen wollte, mit 9.000 Pfund Sterling bestechen.

Am 31. August 1907 unterzeichneten Rußland und England in St. Petersburg einen Vertrag, in dem Persien, Afghanistan und Tibet in Einflußsphären aufgeteilt werden. Am selben Tag wurde der für den Vertrag mitverantwortliche und mit Fasl Ullah paktierende Premierminister Amin u-Sultan von einem sozialdemokratischen Aktivisten, dem jungen Bankier Abbas Agha, erschossen.

Den Schaich Fasl Ullah erreichte sein Schicksal zwei Jahre später. Nach einem mißglückten und einem geglückten blutigen Staatsstreich des Schahs, dem ein Volksaufstand und die Absetzung und Exilierung des Monarchen folgten, wurde Fasl Ullah zusammen mit vier weiteren Hochverrätern hingerichtet.

Aber auch der „Vater der Konstitution“ Bihbihani mußte schließlich sein Leben lassen: 1910, auf dem Höhepunkt der parlamentarischen Auseinandersetzungen zwischen den Demokraten, den Liberalen und der kleinen Partei „Einheit und Fortschritt“, wurde der liberale Mullah von einem Unbekannten, vermutlich einem Demokraten, ermordet.

Die Führungsspitze der liberalen Partei rekrutierte sich aus den begüterten und einflußreichen Kreisen der religiösen und feudalen Oberschicht, während die führenden Demokraten Intellektuelle, Schriftsteller, Journalisten, aufgeklärte Feudalherren waren. Die Liberalen wurden von den Russen, die Demokraten von den Engländern unterstützt. Als sich vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges Rußland und England näherkamen, ließ England die demokratische Partei fallen, die daraufhin deutschfreundlich wurde. Deshalb und wegen ihrer Zusammenarbeit mit den kleinbürgerlichen Sozialisten bekamen die Demokraten die Mehrheit der Stimmen bei den dritten Parlamentswahlen.

Die wichtigsten Punkte ihres Programms waren: Völlige Trennung von Staat und Kirche, allgemeine Wehrpflicht, allgemeine Schulpflicht, indirekte Steuern, Verteilung des feudalen Großgrundbesitzes an besitzlose Bauern. Dafür wurden sie von den Liberalen, der lnteressengemeinschaft der Besitzenden, als Revolutionäre und Atheisten verdächtigt.

„Nachher gibt’s Demokratie!“

Nach 1921 versandete die demokratische Bewegung wieder. Am 21. Februar jenes Jahres hatte der Kosakenhauptmann Reza Khan (der Vater des gegenwärtigen Schahs) mit dem Segen der englischen Gesandtschaft die Macht in Teheran übernommen. Vier Tage nach diesem coup d’état fand in Moskau die Unterzeichnung eines sowjetisch-persischen Freundschattsvertrages statt.

Ein getürktes Herrschergeschlecht

Daß „Seine Heiligkeit“ Ayatulla Komeini von der Familie des Schahs als von einer fremden, ausländischen, „zugereisten” sprechen kann, die sich gefälligst bald wieder wegscheren soll, ist verständlich. Von iranisch keine Spur bei dem Pahlewi, der seinen Familiennamen selbst erfunden hat: Pahlewi ist der Name der alten persischen Schrift. Ein untauglicher Versuch der Legitimierung.

Der jetzige Schah hat ein weiteres getan, indem er sich den zarathustrischen Titel „Licht der Arier“ zulegte. Legitimierung mit Hilfe der kleinen religiösen Minderheit der Parsen? Dann die pompösen Feierlichkeiten zur Erinnerung an Kyros und die Umstellung auf den altpersischen Kalender! Das ist für die schiitische Kirche ein ebensolcher Greuel wie die dreidimensionalen Bilder des Schahs, die Statuen und Büsten, die jetzt überall im lran zerstört werden. Die Schia läßt nur zweidimensionale menschliche Porträts zu, ähnlich wie die orthodoxe christliche Kirche.

Mohammad Schah Reza Pahlewi hat versucht, die frommen Leute mit dem Hinweis zu beruhigen, er sei sehr religiös eingestellt, ja beinahe ein Mystiker. Die Beziehungen zwischen den Sufis und den koranischen Gesetzeskundigen sind jedoch nicht ungetrübt, um nicht mehr zu sagen. Die Derwische, die Mystiker mit ihrer eigenen Traditionskette zurück zu Ali und ihren eigenen inneren Erfahrungen, könnten die Mullahs überflüssig machen. Das ist eine alte Angst der Kirchenfunktionäre.

Schließlich beruft sich der Schah auf drei Erlebnisse: Im Alter von sieben Jahren sah er während einer Krankheit im Traum den ersten lmam der Schia, Muhammads Adoptivsohn Ali. Der gab ihm Medizin, und er wurde gesund. Später stürzte Reza mit dem Kopf voran vom Pferd, aber der Heilige Abbas, der neben Husain in Kerbela begraben ist, bewahrte ihn vor einem Schädelbruch. ln einer dritten Vision sah der Schah einen Mann mit einem Heiligenschein und erkannte in ihm den verborgenen Imam, der zurückkommen wird, um unsere Welt zu retten.

Das sind Elemente der Volksfrömmigkeit, die einem gebildeten schiitischen Geistlichen keinen großen Eindruck machen. Fehlte noch, daß der Schah seine Wünsche mit Tinte auf ein Blatt Papier schreibt und dieses dann so lange unter den Wasserhahn im Badezimmer hält, bis die Schrift verschwunden ist. Nach der Volksmeinung ist der Brief dann beim verborgenen lmam angekommen. Dort möchte der Schah gerne seinen Widersacher Komeini sehen und umgekehrt. Den Kontakt zurück gibt es ja nicht, außer indirekt über die Ratschläge und Rechtsgutachten der schiitischen Geistlichkeit.

Khadhafi will Theokratie

Eine weitere Besonderheit des schiitischen Glaubens wäre noch zu erwähnen: Im Gegensatz zu den streng hanbalitischen Saudis, die unerschütterlich an einem protokalvinistischen Prädestinationsglauben festhalten, betonen die Schiiten (zusammen mit der Schule der Mutazila) die absolute Gerechtigkeit Gottes, was den freien Willen des Menschen voraussetzt. .

In der Schia wird auch viel stärker als in anderen islamischen Richtungen die Wichtigkeit des Denkens betont (z.B. von Haidar Amoli, dem „Thomas von Aquin“ der Schia). Ein ungerechter und korrupter Herrscher hat also nach schiitischer Auffassung nicht nur überhaupt keinerlei religiöse Berechtigung für sein Amt und sein Tun, sondern muß auch damit rechnen, daß sein Verhalten genau unter die Lupe genommen und er für alle seine Taten ohne Ausrede zur Verantwortung gezogen wird.

Der Vergleich der heutigen Situation mit der Zeit der Verfassungskämpfe vor siebzig Jahren läßt erkennen, daß ein vom Volk noch so isolierter Herrscher nicht so leicht zu beseitigen ist, wenn ausländische Mächte ihn stützen. Heute wird der Schah „nur“ mehr vom Militär gehalten, hinter dem die USA stehen. Weit und breit ist noch kein Kosakenhauptmann — heute: Fallschirmjägeroberst — zu sehen, der da einspringen könnte.

Komeini seinerseits hofft eher auf einen iranischen General Zia al-Haqq (von den Saudis abhängiger islamistischer Diktator von Pakistan, der Ali Bhutto gestürzt hat), wenn er die Offiziere und Soldaten zur Desertion aufruft.

Ein kemalistisches Regime, wie es der Pahlewi-Klan ursprünglich aufziehen wollte, würde heute wohl ebenso wie damals an der Macht und am Einfluß der schiitischen Kirche scheitern. Auch der Geldgeber der Anti-Schah-Bewegung, Libyens Khadhafi, wäre dagegen. Er möchte ja gerade die letzten Reste des Kemalismus (= Säkularismus) im lran und in der Türkei beseitigen. ln Ankara unterstützt er Erbakans faschistische islamistische Heilspartei „Milli Selamet“.

Das Volk erobert sich Waffen und Gerät. Wie lange wird es sie behalten?

Die Linke konnte im Iran unter Reza Pahlewis überzeugenden Polizeistaatsmethoden keine ernst zu nehmende Kraft werden. Wie vor siebzig Jahren muß die Opposition die Unterstützung der Geistlichen suchen. Aber einiges hat sich da verändert: Die konservativen Mullahs sind dank einer mit Petro-Dollars finanzierten Re-lslamisierungswelle stärker als damals, und die fundamentalistischen Geistlichen des Islams scheinen heute mehr als früher geneigt, religiöse Minderheiten zu dulden, ja Zusammenarbeit zu suchen. Großes Schlagwort: Menschenrechte!

Zur größeren Ehre einer vielleicht gerade noch, wie sie hoffen, realisierbaren Utopie: Ein in Wohlstand schwimmendes darul-Islam (Haus des Islams), das vom Atlantik über den nordafrikanisch-eurasischen Landgürtel bis zum Indus, und weiter vom (saudiarabisch unterstützten) Bangladesh bis nach Indonesien reicht — mit dem Herzstück Palästina in der Mitte. Gelegen auf dem „ökumenischen Verkehrsknotenpunkt“ (Toynbee) zwischen der Sowjetunion, der abendländischen und asiatischen Welt, im Besitz der begehrten Erdöllagerstätten. Analog zum Arabien Muhammads, das sich entlang der Weihrauchstraße über Medina und Mekka im Machtvakuum zwischen byzantinischem und Perserreich befunden hat.

Auf den Iran bezogen: Stellen wir uns eine von den USA unabhängige volkstheokratische schiitische Republik vor, von deren Wohlwollen — wie zum Teil schon jetzt — die gesamte Ölversorgung Japans, die Versorgung Westeuropas, vielleicht sogar der USA abhängt! Deren Einfluß auf den Irak ausstrahlt (auch hier ist die Schia Mehrheitsreligion, und das „linke“ Baath-Regime bemüht sich schon sehr, seine islamischen Seiten hervorzukehren!) und auf die Türkei (Anatolien). Hier würde sich Macht zusammenballen. Vielleicht könnten solche Aussichten den verborgenen lmam doch dazu bewegen, wieder aufzutauchen?

Unsterbliches Licht

Inzwischen ist der Schah ins Ausland gegangen, sitzt im marokkanischen Exil und fürchtet sich vor Entführern, die ihn vor das Sondergericht Komeinis schleppen wollen.

Ayatulla Ruhulla Sayyid Musawi Komeini, auf deutsch „Wunderzeichen Gottes, Geist Gottes, Herr (= el Cid, = Nachkomme Muhammads und Alis) Musawi aus dem Ort Komein“, ist im Triumph heimgekehrt und hat die Macht übernommen. Unbestritten ist er jener „Imam des Zeitalters“, den zu kennen für den gläubigen Schiiten Vorbedingung für den Eintritt ins Paradies ist. Nach volksfrommem Glauben lebt im Imam ein Funke vom unsterblichen Licht Gottes auf Erden, was auch immer der Imam berührt, ist gesegnet. Seine Person ist geheiligt und unantastbar.

Diesem Prestige war der schlaue Premier Bachtiar nicht gewachsen. Bachtiar hatte bis zuletzt an der bürgerlichen Verfassung festgehalten, er wollte ein parlamentarisches System mit Parteien im westlichen Sinn, er propagierte das gleiche Wahlrecht. Heute ist Bachtiar in die Verborgenheit verschwunden, über den Köpfen der Generäle, auf die er sich gestützt hat, wird der Koran geschwungen (vor der Erschießung).

Kommt das große Volksgericht? Ein Savak-Agent wird abgeführt

Der Rest des Offizierskorps hat den Umsturz mitgemacht und steht nun der „lslamischen Republik“ gegen die Feinde von links, die bewaffneten „Volks-Fedajin“‚ bei, die die Revolution weitertreiben.

PLO-Chef Arafat durfte in Teheran das israelische Botschaftsgebäude sowie das Versprechen entgegennehmen, der Iran werde den Palästinensern Waffenhilfe gegen Israel gewähren. Khadafi wird der nächste Besucher sein.

Carter, Sadat und Begin sehen den Frieden in weite Ferne rücken, ein zweites Camp David soll retten, was noch zu retten ist.

Allah, hilf gegen Marx!

Durch die Vorgänge im Iran ist die Islamisierungswelle in Indonesien angeschwollen, aber auch die islamischen Feudalstaaten bekommen es mit der Angst zu tun. Unruhen und Hofintrigen werden aus Saudi-Arabien und Kuwait gemeldet. Die Saudis wollen den Persern ihre modernen amerikanischen Militärflugzeuge abkaufen und schicken Panzer in den Nordjemen — eine Frontlinie gegen die Sowjetunion wird zurückgenommen, eine andere eröffnet (gegen Südjemen). lm ägyptischen Parlament wird Sadat von schiitischen Abgeordneten attackiert, er setzt einen neuen islamischen Scheich ein, nachdem der Großimam des Al Azhar (Moschee-Universität in Kairo), Abdel Moneim al-Nimr, seinem iranischen Kollegen folgende Predigt gehalten hatte:

Im Namen Gottes, des Allgütigen, des Allgeliebten! Wir sind besorgt, daß sich hinter den Bestrebungen unserer schiitischen Brüder Ränke des Kommunismus und seine taktischen Schachzüge verbergen. Wir bitten unsere Brüder — die Ayatullas — daher, keinen Mißbrauch der heiligen Sache des Islams zu dulden. Angesichts einer religiösen Volksbewegung kennen die Kommunisten keine Hemmung, ihre Ziele in einen religiösen Tarnmantel zu hüllen. lm Gewand von Priestern versuchen sie, das gläubige Volk zu verführen. Sie spannen die islamische Unrast vor den Wagen ihrer eigenen Fernziele, bis sie diese erreicht haben. Davor müssen wir unsere geistlichen Brüder im Iran warnen. Sie haben sich mit den Kommunisten eingelassen und drohen schon jetzt die Führung der ganzen Volksbewegung zu verlieren, welche die Massen mit rein kommunistischen Parolen aufhetzen und aufputschen. Die iranischen Kommunisten haben es auf Ausbeutung und Verzerrung der islamischen Erweckungsbewegung abgesehen, um so an die Macht zu kommen. Wir wollen nur vor einer Entwicklung wie in Afghanistan warnen ... dort regiert heute der Kommunismus. Und er breitet sich weiter aus, hat Afghanistan in seine Gewalt gebracht, bedroht heute Iran, dieses wichtige islamische Land.

Der saudifreundliche Al-Azhar-Chef bringt damit auch die Angst Sadats vor seinem eigenen Fall zum Ausdruck, der in islamischen und linken Kreisen nicht für unwahrscheinlich gehalten wird. Es wird eine stolze Umsturzliste kolportiert: Ägypten, Sudan, Tunesien, Marokko.

Menschenrechte ... und US-lmperium bricht zusammen

Dem US-Präsidenten, seinem Sicherheitsberater und dem CIA wird vorgeworfen, sie hätten die wirkliche Lage im lran falsch eingeschätzt und vor allem die Rolle der Religion (der Bruderschaften) völlig mißverstanden.

Es geht jedoch um etwas anderes: Die Carter-Brzezinski-Politik ist die des „Trilateralismus“, der bestrebt ist, den brutalen US-lmperialismus durch Einbau demokratischer Elemente in den abhängigen Ländern so zu entschärfen, daß die für die USA wichtigen grundlegenden ökonomischen Verhältnisse nicht wesentlich verändert werden müssen. In diesem Sinn setzt sich Carter für „Menschenrechte“ ein und befürwortet die Liberalisierung (wie im Iran des Schahs), ja sogar die Ablösung von Militärregierungen durch zivile.

Da ist es nicht uninteressant, daß Komeinis Premier, der fromme Technokrat Basargan, Vorsitzender der Teheraner Menschenrechtsgruppe ist und daß im Grundgesetz der Islamischen Republik Iran ein Katalog von Menschenrechten Platz finden soll. Die Staatsspitze soll ein Präsident französischen Zuschnitts bilden, das Abgeordnetenhaus nur eine Kammer besitzen (bisher gab es auch den Senat, dessen Abschaffung die Demokraten seit je gefordert hatten). Erdöl und Basisindustrie sollen Staatseigentum sein. Staatsreligion ist die Schia.

Diese Konstruktion entspricht sowohl dem Islam (Muhammads Gemeinde in Medina, Alis Gemeinde in Kufa) als auch Tendenzen einer entfeudalisierten asiatischen Despotie und einer spätindustriellen plebiszitären Demokratie. Die Legitimierung der Herrschaft durch Aufmarsch, Akklamation und Gelöbnis (dschamahiriya, bai’a) ist im lran in den letzten Monaten ausgiebig durchexerziert worden. Daß dabei keine spontanen Massenphänomene auftreten, gewährleistet die „totale Religion“, der alle Lebensbereiche methodisch durchorganisierende und kontrollierende Islam.

lm Staat soll es sozial (idschtima’i) zugehen, es soll Wohlfahrt (takaful) geschaffen werden, aber nicht Sozialismus (ischtiraka). Durch „zakat“ (Freigabe) soll funktionsloses Kapital zugunsten des Sozialetats weggesteuert, „umverteilt„werden (nach dem Koran). „Riba“, das koranische Wucherverbot (das gab’s auch im christlichen Mittelalter!), garantiert zinsenlose Entwicklungskredite und verhindert das Sparen. So wird der Geldumlauf in Schwung gehalten (islamische Händler und Banken kennen jedoch den Trick „bai’bi’l wafa“ = Verkauf mit Rückkauf“ und die „Gesellschaft auf Gewinnbeteiligung“).

Arbeiter kommen

Was werden aber die iranischen Arbeiter machen? Sie haben eine lange politische Tradition — in Baku gab es um die Jahrhundertwende 40.000 iranische Erdölarbeiter, ihre „Vereinigung des einfachen Volkes“ war die erste sozialdemokratische Partei des Nahen Ostens. Sie waren maßgeblich an der Vertreibung des Schahs beteiligt und sind für die wirtschaftliche Weiterexistenz des Landes unentbehrlich. Sie haben sich dem Diktat des antisozialistischen Imams noch nicht gebeugt, sondern verlangen Mitbestimmung.

Es fehlen aber auch die bisher von den Amerikanern gestellten Erdöltechniker. Sie können nicht völlig von Palästinensern ersetzt werden.

Schon beteuern Komeini und Basargan, sie seien gar nicht gegen die USA, sondern wünschten freundliche Beziehungen. Bis jetzt kann Präsident Carter noch zufrieden sein.

22. Februar 1979

[1Assassinen = Haschisch essende Mördersekte vom Berge Alamut in Persien (arabisch werden sie Haschischim genannt)

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Erstveröffentlichung im FORVM:
März
1979
, Seite 78
Autor/inn/en:

Josef Dvorak:

Jahrgang 1934, gelernter Theologe und Tiefenpsychologe. Langjähriger Gerichtsreporter und außenpolitischer Redakteur bei Tageszeitungen, von 1973 bis 1995 Mitglied der Redaktion des FORVM. Er ist heute freier Forscher und Publizist und beschäftigt sich vor allem mit der Geschichte der Psychoanalyse, des Okkultismus und ideologischer Minderheiten.

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