MOZ » Jahrgang 1989 » Nummer 41
Birge Krondorfer

Weibliches Philosophieren und Philosophie des Weiblichen

Grad und Art der Geschlechtlichkeit eines Menschen reicht bis in den letzten Gipfel seines Geistes hinauf.

Nietzsche

Nein, ein sinnenfreudiges Vergnügen bietet die IJAPH (Internationale Assoziation von Philosophinnen e.V.) nicht, soll und kann sie wohl auch nicht. Denn: mit den organisatorischen Strukturen der Gesellschaft einen gegengesellschaftlichen Ort zu begründen, kann nur heißen, im Rahmen zu verbleiben. Nun, es war immerhin ein Ereignis, als sich vor zehn Jahren die IAPH begründete, als Philosophinnen einmal mehr bemerken mußten, daß sie auf den allgemeinen Kongressen schlicht und einfach personell und inhaltlich nicht vorkamen. So hatte die Konstituierung des Vereins fast revolutionären Charakter. „Zweck des Vereins ist die Förderung der Tätigkeiten von Philosophinnen und philosophisch interessierter Frauen auf allen Gebieten der Philosophie im nationalen und internationalen Rahmen. Der Satzungszweck wird insbesondere verwirklicht durch: 1. Die Förderung von Kommunikation unter philosophisch tätigen und interessierten Frauen, insbesondere durch die Organisation von Tagungen, Veröffentlichungen und Arbeitsgruppen sowie die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen. 2. Die Förderung von Studien zur Frauenfrage im Bereich der Philosophie und Philosophiegeschichte, d.h. philosophische Frauenforschung und ihre Vermittlung in und für die Praxis. 3. Aktivitäten mit dem Ziel, die Arbeitsbedingungen von Philosophinnen zu verbessern. 4. Die Unterstützung von Aktivitäten gegen Frauendiskriminierung im Rahmen der Möglichkeiten des Vereins.“

Im Unterschied zu gängigen Kongressen ist die vor-tragende Teilnahme nicht beschränkt durch Ansehen und Status der Person, d.h. es können Studentinnen, Professorinnen und nichtprofessionelle Denkerinnen Platz haben und nehmen. Das daraus erwachsende „bunte Blumenfeld“ zeigt die Mannigfaltigkeiten des „tätigen Frauengeistes“, aber auch die Schwierigkeit, gemeinsam „Fäden zu spinnen“. Auch sind die Ansprüche an den Konnex Philosophie und Frauen derart unterschiedlich in Methode und Inhalt, daß Kritik respektive Selbstkritik nicht ausbleiben kann. So wäre also „die Revolution, die nicht stattgefunden hat“, auch in den Köpfen der Frauen zu sichten. Nur — gerade im „Fall Philosophie“, als dem Fach aller Fächer in seinem Anspruch, nicht nur die Wirklichkeit, sondern auch das Denken selber zu denken, ergibt sich für Frauen, für Philosophinnen, für das Weibliche als traditionell Ausgeschlossenes, eine mindestens dreifache Schwierigkeit in Angriff und Zugriff auf diese männliche Domäne schlechthin. Es gilt zum einen, die Historie der verschwiegenen Philosophinnen zu ent-decken, zum anderen, die (männliche) Denkgeschichte auf- und nachzuarbeiten, was auch bedeutet, praktisch in dieses Terrain einzudringen, und zum dritten geht es darum, daraus ein un/mögliches weibliches Denken zu entwerfen — unter der Prämisse, daß die Organisation des Denkens auch das Denken der Organisation beinhaltet. In diesem Prozeß — Aneignen (Aufholen), Kritisieren und Entwerfen des sogenannten „Eigenen Anderen“ — ergeben sich notwendigerweise verletzende, wie schillernde Brüche, die in Berlin zwar permanent vorhanden waren, aber als Problematik wenig bis gar nicht artikuliert wurden.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

Als vor zweihundert Jahren die Frauen in Paris auf die Straße gingen, um für die Gleichheit der Menschen zu kämpfen, meinten sie ganz selbstverständlich, daß auch sie zu diesen Gleichen gehörten. Doch, wie die Geschichte wies, ent-stellte sich diese Vorstellung als Irrtum auf ganzer Linie heraus. Mit den Menschenrechten waren sie offensichtlich nicht gemeint — und es rollten diejenigen Frauenköpfe, die die Emanzipation der Frauen hin zu Bürgerrechten einklagten. In der „Erklärung der Rechte der Frauen und Bürgerinnen“ (Olympe de Gouges, 1791) heißt es in Artikel 10: „Wegen seiner Meinung, auch wenn sie grundsätzlicher Art ist, darf niemand verfolgt werden. Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen. Sie muß gleichermaßen das Recht haben, die Tribüne zu besteigen, vorrausgesetzt, daß ihre Handlungen und Äußerungen die vom Gesetz gewahrte öffentliche Ordnung nicht stören.“ Diese Erklärung hat — leider — an Aktualität nichts verloren: „Wir, Mütter, Töchter, Schwestern, Vertreterinnen der Nation, verlangen, in die Nationalversammlung aufgenommen zu werden. In Anbetracht dessen, daß Unwissenheit, Vergeßlichkeit oder Mißachtung der Rechte der Frauen die alleinigen Ursachen öffentlichen Elends und der Korruptheit der Regierungen sind, haben wir uns entschlossen, in einer feierlichen Erklärung die natürlichen, unveräußerlichen und heiligen Rechte der Frau darzulegen, auf daß diese Erklärung allen Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft ständig vor Augen, sie unablässig an ihre Rechte und Pflichten erinnert; auf daß die Machtausübung von Frauen ebenso wie jene von Männern jederzeit am Zweck der politischen Einrichtungen gemessen und somit auch mehr geachtet werden kann; auf daß die Beschwerden der Bürgerinnen, nunmehr gestützt auf einfache und unangreifbare Grundsätze, sich immer zur Erhaltung und Verfassung der guten Sitten und zum Wohl aller auswirken mögen.“

Es blieb und bleibt festzuhalten, daß bei der Entdeckung und Erfindung des unveräußerlichen Rechts auf Menschsein, also dem Recht aufs Individuum in universaler, d.h. für alle gleichermaßen gültiger Absicht, immer schon das Recht des Mannes aufs Menschsein proklamiert wurde. Das Allgemeine des „man“ ist das Spezifische des „Mann“, das sich als einzig mögliche menschliche Daseinsform in die Welt Setzende, auch in die geistige, die er produziert.

Die offensichtlich banale Erkenntnis, nämlich daß der Mensch konkret in Form von zwei Geschlechtern vorkommt, hat auch oder gerade in der philosophischen Reflexion keine angemessene Referenz gefunden. Die Geschlechterdifferenz ist eine unter anderen Differenzen, so, als ob sie wählbar oder historisch bedingt wäre. Dagegen ist sie als unhintergehbares geschlechtliches Sosein nicht sekundär. Das sprechende Subjekt, welches ein konkretes, historisches Subjekt war und ist, hat sich aus seiner Partialität verabsolutiert, universalisiert. Damit wird der Mann zum Paradigma des Menschen schlechthin, ohne daß dieser Abstraktionsprozeß bewußt und offengelegt wäre. Die abendländische Philosophie gründet in der ungeheuerlichen Vorstellung der Vorherrschaft des „Einen“ und hat damit eine gleichursprüngliche Alterität nicht denken können. Das Weibliche ist im Begriff des Menschen nicht eingeschrieben bzw. bis zum Verschwinden ein- und weggeschrieben, weshalb die Philosophie, die Philosophen beim Versuch seiner Definition, lediglich das Paradigma der zweiten Version der Schöpfungsgeschichte, der Erschaffung der Frau nach dem Mann nachvollzogen. Das Denken erfolgt in der Sprache, und somit wird in der Sprache schon die Unterdrückung reflektiert, in den Symbolen der Männer. Es geht also auch um eine Aufdeckung der Strukturen des Logos, um das weibliche Eingeschriebene diesem zu enteignen und sich mit/in anderen Worten als Geschlechtdifferentes zu setzen.

Feministische Philosophie

„Das griechische Wort für Wahrheit — aletheia — meint nicht das Gegenteil von Lüge oder Unwahrheit. Es meint das Gegenteil von lethe, Vergessen. Wahrheit ist das, was in der Erinnerung bleibt“ (Marylin French).

... oder wieder in Erinnerung gerufen werden muß.

In der Liebe zur Weisheit lieb(t)en die Freunde der Weisheit lediglich sich selbst. So konnte die Entwicklung der Vernunft „aus sich heraus“ sich nicht um die Frauen bekümmern (von Einzelfällen einmal abgesehen). Dies kam von außen, von der Frauenbewegung her und wurde in die Denkinstitutionen hineingetragen, um von dort aus Erkenntnisse zurückzureflektieren und um von innen her den Begriff der Philosophie massiv zu hinterfragen. Das wirkt natürlich bedrohlich, sodaß feministische Philosophie sich ständig des Verdachts erwehren muß, sie sei ideologisch, ist sie doch gerade die, die die allgemeine Philosophie als ideologisch entlarvt. Ob der „Verstand kein Geschlecht hat“ und ob diese Erkenntnis eines Denkers zur Zeit der französischen Revolution eine positive Option oder eine nachteilige Fiktion ist, kann bisher nur insofern zur Frage stehen, als die Vernunft der Aufklärung noch der Aufklärung der Vernunft bedarf. Das hieße auch, die Motive der Aufklärung — wie z.B. die der selbstverschuldeten Unmündigkeiten unter feministischen Vorzeichen weiterzudenken. Ob nun alle Hoffnung sich den Vorwurf gefallen lassen muß, einem messianischen Denken nach wie vor zu huldigen, oder ob eine Gesellschaft zu denken und zu fordern wäre, in welcher gleiche Rechte und Chancen zur Entfaltung der Besonderheiten bestehen, wurde auch bei diesem Kongreß nicht gelöst — kann ja auch nicht mit fix und fertigen Antworten belegt werden, denn das würde weibliches Denken statt als dis-parasitäres, parates gleich wieder in einen Rahmen stecken, dem zu entkommen frau sich ja gerade bemüht. Es scheint darum zu gehen, diese Brüche und Ambivalenzen auszuhalten und daran, darin weiterzudenken. Noch tappen wir im Dunkeln. Doch: als auf der Schattenseite der Vernunft Gehaltene erscheint dies in sich konsistent. Der Traum der alteuropäischen Vernunftsgeschichte — „Alles ist dadurch, daß es im Licht ist, auf theoretische, widerstandslose Weise für uns“ (Hegel) — scheint ausgeträumt.

Eine mögliche Rettung läge im Herabholen der Vernunft in die Niederungen der geschlechtlichen Differenz. Als feministisches Programm für künftiges Philosophieren wäre die Rekonstruktion der klassischen Vernunftsgenese samt der Kritik am nicht gedachten Anderen auf- und einzuholen und der „Entwurf einer Aufklärung der unaufgeklärten Aufklärung des Weiblichen“ zu leisten. Dem postulierten Ende des Subjekts könnte so noch die Einbildungskraft als Schwankung zwischen Imitation und Imagination nicht entgegengesetzt, aber gegenvernommen werden.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Mai
1989
, Seite 51
Autor/inn/en:

Birge Krondorfer:

Politische Philosophin und feministische Aktivistin. „Freie“ Lehrende für Bildungs-, Kultur-, Genderwissenschaften seit 1990 an inter/nationalen Universitäten. Veröffentlichungen zur Theorie- und Praxisbildung der Geschlechterdifferenzen. Organisierung von Frauengroß- und kleinkonferenzen seit 1985. Mitgründung und ehrenamtlich tätig in der Bildungsstätte Frauenhetz/Wien und im VfW. Tätig in der Erwachsenenbildung; zertifiziert in Groupworking, Supervision, Mediation, Interkulturelles Training.

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