FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1968 - 1981 » Jahrgang 1971 » No. 208/I/II
Michael Springer

Urheber oder Produzenten?

Zu den Enqueten der Interessengemeinschaft österreichischer Autoren

Die Gruppe der deutschen Literaturproduzenten (Benseler, Böhlich, Walser u.a.) hat innerhalb des deutschen Schriftstellerverbandes, nach den Worten des Vorsitzenden Dieter Lattmann, die Funktion eines Bürgerschrecks: Mit den Vernünftigen reden dann die anvisierten Gesprächspartner um so bereitwilliger über Verbesserungen der sozialen Lage des Schriftstellers. Michael Springer, FORVM-Miteigentümer und Mitglied der österreichischen Arbeitsgemeinschaft der Literaturproduzenten, stellt einige radikale Erwägungen zum Selbstverständnis des Schriftstellers an, radikalere als in den beiden Enqueten, die der PEN-Club‚ federführend für die Interessengemeinschaft österreichischer Autoren, in der Concordia veranstaltet hat. Die Gesprächspartner waren in der ersten Enquete Regierungsmitglieder mit Dr. Kreisky an der Spitze, in der zweiten Verleger, Zeitungsherausgeber und der ORF. Der Forderungskatalog der Interessengemeinschaft erfaßt Änderungen der Steuergesetzgebung für die Autoren, des Urheberrechts, Einhebung eines Bibliotheksgroschens zwecks Speisung eines in eigener Regie verwalteten Sozial- und Hilfsfonds, und vor allem höhere Honorare. In Österreich liegen die Rundfunkhonorare und die Zeitungshonorare für freie Mitarbeiter bis zu 80 Prozent unter den bundesdeutschen.

I.

Die Emigration von Österreichern, die produktive kulturelle Arbeit leisten wollen, in andere Länder, andere Berufe oder zuletzt in das sprachlose Ausland des Selbstmords geschieht so häufig, daß vielleicht das Vaterland nicht ganz unschuldig ist. Freilich kann unser Staat auf einige Herren und Damen verweisen, die im Lande wirken und Schönes tun, weiters auf die ganz Jungen, die noch nicht flügge genug sind, in kulturell wärmere Länder zu ziehen und daher in Jugend- oder Nachtprogrammen, in „Arenen“ und derlei Narrenburgen auf ihre Entdeckung durch das Ausland warten. Nicht zu vergessen ist der lukrative Betrieb kultureller Reproduktion, der es einigen Erwählten gestattet, ihre Stabführung, ihre Stimmritzen und jedenfalls ihre kunstvollen Frisuren einer breiteren Öffentlichkeit vorzuführen. Nach dem Ableben der Kulturschaffenden läßt sich das Vaterland oft durch das Ausland von deren Wert überzeugen, reklamiert sie als echte Österreicher und bricht zu den Todestagen in den Ruf aus: „Er (Sie) ist unser!“

Die Bestrebungen in der Bundesrepublik, die Schriftsteller gewerkschaftlich zu organisieren, haben auch in Österreich zu Anstrengungen geführt. Der Österreichische PEN-Club, dem die Senioren der österreichischen Literatur sowie ihre Schüler angehören, hat ein Programm vorgelegt, das eine Angleichung an den in anderen Staaten und Berufsgruppen üblichen Standard in rechtlicher und steuerlicher Hinsicht anstrebt. Gleichzeitig hat sich ein „Arbeitskreis österreichischer Literaturproduzenten“ gebildet, mit dem vor allem die jüngeren und „progressiven“ Kulturschaffenden sympathisieren. Während es den „Literaturproduzenten“ um das kollektive Miteigentum an ihren Produktionsmitteln geht, zielt die Initiative des PEN in einem historisch längst überfälligen und vielleicht sogar schon überholten Nachziehverfahren auf die Eigentumssicherung des einzelnen „Urhebers“ ab, der für sein Produkt günstigere Absatzbedingungen, geregelte Eigentumsverhältnisse und höheren Entgelt verlangt.

Verstehen sich also die „Literaturproduzenten“ letztlich als Arbeiter, die eine Sozialisierung ihres Kultur-Betriebes verlangen, vor allem die Mitbestimmung im Verlagswesen und im monopolisierten Rundfunk, so sehen sich die „Urheber“ als Unternehmer, die vom Staat bessere Bedingungen zur individuellen Geldakkumulation fordern. Dieser Standpunkt mag dem derzeitigen bürgerlichen Kulturbetrieb adäquater, angenehmer und dadurch auch auf kurze Sicht auch chancenreicher sein. Es darf aber nicht wundernehmen, daß Kulturschaffende, die nicht nur in den Schönen Künsten, sondern auch gesellschaftlich kritisch und verändernd wirken möchten, dies bestenfalls als Ausgangspunkt für kurzfristige Minimalprogramme betrachten. Das schließt ein gemeinsames Vorgehen in konkreten Fällen nicht aus.

II.

Wie stehen die Schreibenden nun wirklich im Produktionsprozeß? Sind sie Unternehmer oder Arbeiter, „Urheber“ oder „Produzenten“? Allein schon die Berechtigung dieser Frage wird ein bürgerlicher Kulturträger weit von sich weisen. Das Kunstprodukt ökonomisch in die Tätigkeit des „produktiven Gesamtarbeiters“ einzuordnen, scheint einem bürgerlich-idealistischen Kunstverständnis den Sinn von Kunst gerade zu verfehlen: Kunst ist doch wertfrei, wertlos, dient geistiger Erbauung, interesselosem Wohlgefallen, ist „in dieser materialistischen Welt“ die letzte Freistatt individueller Aktivität nach Maßgabe rein „idealistischer“ Interessen.

Diese Verteidigung des positiv gewandten „Unwerts der Kunst“ beruht auf einer Verwechslung von Tauschwert und Gebrauchswert des Kunstprodukts. Zwar ist die künstlerische Produktion, sofern es um „echte“ Kunst geht, nicht von vornherein vom Gesichtspunkt ihres Marktwerts geleitet, und selbst ihre geldmäßige Quantifizierung durch den Kunstmarkt ist ihr nachträglich aufgesetzt und der Einflußnahme des Produzenten völlig entzogen: das Kunstwerk hat für seinen Produzenten keinen Tauschwert, der Produzent produziert nicht in Hinblick auf den Tauschwert des Produkts.

Einen Gebrauchswert hat das Kunstprodukt jedoch. Wer mit finanziell noch so interesselosem Wohlgefallen ein Gemälde mit seinen Augen verschlingt, wer sich zu noch so geistigem Gewinn von Musik erbauen läßt, der konsumiert oder gebraucht das Kunstprodukt — zur Kommunikation, zur Emanzipation, zur Lust. „Der Gebrauchswert verwirklicht sich nur im Gebrauch oder der Konsumation.“ [1] Die „Reinheit“ der „echten“ Kunst, ihr Unvermitteltes, das den Kunstgenuß immer zum tendenziell einsamen macht, „ist der sonderbare Umstand, daß der Gebrauchswert der Dinge sich für den Menschen ohne Austausch realisiert, also im unmittelbaren Verhältnis zwischen Ding und Mensch, ihr Wert umgekehrt nur im Austausch, d.h. in einem gesellschaftlichen Prozeß.“ [2]

Also je „reiner“ das Kunstwerk, desto säuberlicher die Trennung von Tauschwert und Gebrauchswert, von Markt und Konsum, und desto verborgener die Beimengung der ersteren Komponente. Genau diese Eigenschaft des bürgerlichen Kunstwerkes, tendenziell dem Tausch enthoben und zu reinem Gebrauch bestimmt zu sein, wie das Geschenk, hat ihm im Adorno-Marcuse-Kreis zu seiner zentralen Stellung verholfen als dem einen bürgerlichen Phänomen, an das die Hoffnung und die Utopie sich halten können: Wenigstens dem Anspruch seiner Form nach ist das Kunstwerk vom schlechten Gesellschaftszustand frei durch seine formelle Freiheit vom Tausch.

Da aber die Produktion von Gebrauchswerten, deren Tauschwerte fraglich oder gar nicht gegeben sind, erst recht eigentliche Produktion ist, darf zu Recht vom Kunstwerk als einem Produkt, vom Künstler als einem Produzenten geredet werden. Da überdies der formelle Anspruch der Kunst auf Tauschwertlosigkeit beim heutigen Stand der Bewußtseinsindustrie und des Kulturmarktes ein ideologisch-scheinhafter ist und da die Trennung von Produktions- und Tauschsphäre bzw. von Tausch- und Konsumsphäre sich verwischt (der Kulturproduzent produziert zunehmend für seinen Kulturmarkt, der Kulturkonsument genießt die Kostspieligkeit der Kultur mit), ist es berechtigt, nach dem ökonomischen Ort des Kulturproduzenten im kapitalistischen System zu fragen. Er ist heute nicht weniger als der Arbeiter mit der Realisierung von Tauschwert befaßt.

Die übergroße Trennung von Tausch- und Gebrauchswert beim Kunstprodukt hat sogar die paradoxe Folge, daß bei einem Großteil der auf dem Kunstmarkt umgeschlagenen Waren schon kein Mensch mehr sich für den Gebrauchswert interessiert: es wird gleichsam mit leeren Waschmittelpaketen gehandelt. Weder Kommunikation noch Emanzipation noch ästhetische Lust sind primäre Produktionsziele. Der formale Gag garantiert hohen Tauschwert.

III.

Der Autor als Produzent fällt aus dem materiellen Produktionsprozeß heraus. Er tritt als eine Art kleiner Warenbesitzer dem hochentwickeiten Verlagskapital gegenüber, wenn seine private und isolierte Arbeit beendet ist und sich im Manuskript vergegenständlicht hat. Er verkauft nicht seine lebendige Arbeit, sondern sein fertiges Produkt. Er kann viele Auskünfte über den intellektuellen Inhalt seiner Ware, ihren Gebrauchswert, aber keine über ihren Tauschwert geben. [3]

Den Tauschwert und das Honorar bestimmt der Verleger „nach dem Wert ..., den er selbst nach Ablauf des Produktionsprozesses im Verlag beim Verkauf des Buches zu realisieren hofft. An der Wertbildung innerhalb dieses Prozesses ist der Autor in keiner Weise beteiligt.“ [4]

Aber der herrschenden Produktionsweise entsprechend werden die auch wirklich von ihr noch nicht subsumierten Verhältnisse unter sie idealiter subsumiert. Z.B. der selfemploying labourer ist sein eigener Lohnarbeiter, seine eigenen Produktionsmittel treten ihm als Kapital in der Vorstellung gegenüber. Als sein eigener Kapitalist wendet er sich selbst als Lohnarbeiter an ... [5]

Das Spektrum der Kulturproduzenten reicht also von Milton („Milton produzierte das Paradise Lost, wie ein Seidenwurm Seide produziert, als Betätigung seiner Natur. Er verkaufte später das Produkt für 5 Pfund und wurde insofern Warenhändler.“, [6] über Bach, der gegen lächerliches Entgelt Auftragsarbeiten lieferte, deren Gebrauchswert den Auftrag so weit überschoß, daß sie Geschenkcharakter trugen, bis zu den Drehbuchschreibern Hollywoods im Zweiten Weltkrieg, die genau wie Angestellte produzierten, an Büroschreibtischen und nach der Uhr.

Der Literaturproduzent ist also entweder vom Verlags-Kapital abhängiger „selfemploying labourer“ oder einfach „Literaturproletarier“, der vorgegebene Schreibarbeiten verrichtet.

Wer angesichts dieser Fakten kein „Schein“-Produzent der Ware „Individualität“ mehr sein mag, der wird literarische Qualität mit Walter Benjamin [7] einem Fortschritt der literarischen Technik gleichsetzen, und zwar nicht nur als literarische Innovation, sondern auch als politischen Fortschritt: als Änderung zumindest einmal der schriftstellerischen Produktionsverhältnisse. „Brecht ... hat als erster an den Intellektuellen die weittragende Forderung erhoben: den Produktionsapparat nicht zu beliefern, ohne ihn zugleich, nach Maßgabe des Möglichen, im Sinne des Sozialismus zu verändern.“ [8]

Sonst bleiben sowohl der im Formalen „revolutionäre“ wie auch der im Inhaltlichen „linke“ Schreiber bloße Unterhaltungsschriftsteller. „In der Tat erschöpfte sich ihre politische Bedeutung in vielen Fällen mit der Umsetzung revolutionärer Reflexe, soweit sie im Bürgertum auftraten, in Gegenstände der Zerstreuung, des Amusements, die sich unschwer dem großstädtischen Kabarett-Betrieb einfügten.“ [9]

Und ich behaupte weiter, daß ein erheblicher Teil der sogenannten linken Literatur gar keine andere gesellschaftliche Funktion besaß, als der politischen Situation immer neue Effekte zur Unterhaltung des Publikums abzugewinnen. [10]

Es gibt nur zwei Sorten von Schreibenden: politisch effiziente Literaturproduzenten — und Unterhaltungsschriftsteller.

[1Marx, Kapital I, Berlin 1970 (Dietz), S. 50

[2a.a.O., S. 98

[3Hannelore May, Über die Produktion von Literatur, in: Benseler, May, Schwenger: Literaturproduzenten!, Voltaire Handbuch 8, S. 46

[4a.a.O., S. 45

[5Marx, Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses, Frankfurt/Main 1969, S. 68

[6Marx, a.a.O., S. 70

[7Benjamin, Der Autor als Produzent, in: Kunst & Gesellschaft, Heft 4, Tübingen 1970

[8a.a.O., S. 10

[9a.a.O., S. 13

[10a.a.O., S. 11

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Erstveröffentlichung im FORVM:
März
1971
, Seite 57
Autor/inn/en:

Michael Springer:

Jahrgang 1944, aufgewachsen in Henndorf bei Salzburg, studierte Theoretische Physik in Wien und war Redakteur des FORVM. Er lebt heute als freier Schriftsteller, Übersetzer und Redakteur in Aachen. Von ihm sind u.a. die Romane Was morgen geschah (1979) und Leonardos Dilemma (1986) erschienen. Leben Sie wohl? ist 1999 bei Zsolnay erschienen.

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