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Buchhandlung Herrmann

Licht im Schatten von WAZ und Springer

FORVM (Wien)

Diesen Beitrag in der Zeitschrift „Listen“ schrieb Brigitte Herrmann 1988, damals Inhaberin der gleichnamig berühmten Buchhandlung aller Wiener Linken. Seit einigen Jahren heißt sie wieder Brigitte Salanda und ist gleich unterhalb des Dokumentationszentrums des österreichischen Widerstandes (DÖW)
zu finden: in ihrer Buchhandlung „a.punkt
Wien I., Fischerstiege 1—7 - Telefon: (+43 1) 532 85 14

Welche Zeitschrift wird in Frankfurt am Philosophischen Seminar diskutiert? Wo erscheinen zuerst Günther Anders’ feurige Texte zu „Gewalt — Ja oder Nein?”, und wo seine differenzierten über „Die Irrelevanz des Menschen“ — ein philosophischer Dialog in übermütigem Ton fröhlichster Wissenschaft und im Umfang eines kleinen Taschenbuchs —, seine neuesten „Ketzereien“ und „Ultima“? Wo erfährt Frau Waldheim erstmalig, daß sie Mitglied der NSDAP war (worauf sich ihr Terminkalender schlagartig leerte, aus war’s mit den Einladungen zu Damenkränzchen im diplomatischen Corps), und wo wird Arnold Gehlens Nazi-Vergangenheit aufgerührt? Wo noch erscheinen journalistische Glossen, deren Gehalt die Ethnologen der Wiener Universität interessiert und in denen engagierte Meinung untrennbar mit Information über Burma, Bangladesh, über die Roms in der CSSR und über Vorgänge im südlichen Sudan untrennbar sich amalgamieren? Wo wird der historische Hintergrund verfolgt in seine gegenwärtige Wirksamkeit bei den Auseinandersetzungen in „serbisch“ Kosovo, in Slowenien und in Ungarn? Dazu, beispielsweise, „Der infame Mensch“ analysiert, ein „Lob der Niedertracht“ gesungen, und die „neue Liederlichkeit“ allsogleich kontrovers diskutiert, Justizherrlichkeit und Medienschweinerei dargestellt, woraus die Kritik wie von selbst sich ergibt. Altmeister Kurt Tucholsky würde sich daran freuen. Einmal hat die Zeitschrift ein Gedicht von ihm erstabgedruckt, das der Blattmacher selbst verfaßte — das diente damals dazu, Justiz- und Verteidigungsminister, das Heer und die Fahne straflos zu verunglimpfen; die Justiz hat den Autor mit einer anderen Stelle des Zusammenhangs aber doch erwischt —, entdeckt hat die Fälschung (ein Leserbrief: „... ich habe das Gedicht in meiner Tucholsky-Sammlung zwar nicht gefunden, weiß aber bestimmt, daß ich es schon gekannt habe, so daß es sich nicht um einen Erstabdruck handeln kann. Sie sollten nochmals ernstlich nachforschen, ob es nicht doch schon veröffentlicht ist“, ein bundesdeutscher Universitätsgermanist) niemand.

Leserbrief im August: „... habe ich die Perennität der satirischen Spritzigkeit wiedererkannt, die die Zeitschrift seit Jahrzehnten auszeichnet. In jedem Mammut steckt eine Wanze, aus der es sich aufgebauscht hat; es kommt darauf an, sie herauszufinden und durchzubeißen. Dies dünkt mich, seit ich das FORVM kenne, wirklich Jahrzehnte sind’s her, die Losung zu sein. Ich bin denn auch hochzufrieden, Ihre auf den Stockzähnen lachenden Entlarvungen weiterhin zu verfolgen — halbbittere fröhliche Wissenschaft aus Österreich.“ Georges Schlocker, Literaturpapst im französischen Rundfunk, Paris.

Tatsächlich erscheint Österreichs Renommierblatt für die deutschsprachige Intelligenz seit 1954 in Wien, damals von Friedrich Torberg mit dem Untertitel „Österreichische Monatshefte für kulturelle Freiheit“ und unterstützt vom „Congrés pour la Liberté de la Culture“ in Paris begründet. Auflage damals: 2.500 Exemplare. Finanzier war — der Kalte Krieg dümpelte noch, aber der drohenden Entspannung mußte wenigstens auf ideologischer Ebene begegnet werden — die CIA, zwecks Einfangung der kulturell interessierten Intelligenz in eine Kommunikationsgemeinschaft auf hohem Niveau mit rabiatem antikommunistischem Grundkonsens.

Torberg, als „Aprilscherz 1951“ aus der amerikanischen Emigration zurückgekehrt, brachte neben seinem verläßlichen Antifaschismus die Ambition mit, ein europäischer McCarthy zu werden, was ihm in Österreich entsetzlich geglückt ist — sein Intrigantentum mit Ausstrahlung in die BRD war im FORVM vergnüglich zu lesen, als rundum zu Torbergs 80. Geburtstag der tote Jubilar für seine „Redlichkeit“, kulturelle Bedeutung und Liberalität gefeiert ward. Mit dem FORVM ist ihm, obzwar contre coeur, ein großer Wurf gelungen: Gleich im allerersten Heft erschien ein „Pro & Contra“ zum Thema „Dialog mit dem Feind“, nämlich ob man mit den Kommunisten des Ostens überhaupt reden soll. Den Part dagegen schrieb Torberg selbst; für den Dialog schrieb Friedrich Heer und gewann die Schlacht der Argumente allzu offensichtlich nach Punkten. Torberg hat ihn noch jahrelang dafür gehaut, was in der Kampagne gegen Heer als Burgtheater-Dramaturg kulminierte, als er dort Brecht in den Spielplan nehmen wollte. Torbergs Streitlust brach ihm schließlich das Genick: Seine zahllosen literarischen Fehden verfeindeten ihn mit zu vielen von denen, die sein Geldgeber doch in die eigene Nähe ziehen wollte. Der „Congrés“ drängte darauf, daß Torberg einen der ihm (außer Kreisky) grundsätzlich verhaßten Sozialisten in die Redaktion aufnahm. So kam ein gewisser Günther Nenning, 1958 von Torberg geholt, der stolz war, nun einen echten Journalisten zu gewinnen. Nenning machte zunehmend das Blatt, das er 1966 — die CIA hatte zwei Jahre zuvor ihre Zahlungen eingestellt, die kulturelle Zielgruppe war ihr wohl nicht mehr so wichtig — übernahm (Torberg: „Ich habe beim Frühstück das FORVM gelesen, das ist nicht mehr mein Blatt, sondern Ihres; machen Sie es weiter“, so kolportiert’s Nenning), mit der Auflage, es nicht mehr FORVM, sondern „Neues FORVM“ zu nennen. Gedruckt wurden damals 7.500 Exemplare.

Nenning präsentierte glanzvolle Autorennamen des internationalen Marxismus wie Chomsky, Sartre, Marcuse, Bloch; er konvertierte selbst zum Katholizismus, machte aus dem Blatt das Zentralorgan des Dialogs mit Autoren wie Rahner‚ Metz, Adam Schaff, und er stieg 1968 voll in die Neue Linke ein, die sich in Österreich nicht recht entwickeln konnte, bis das Neue FORVM ein Volksbegehren zur Auflösung des österreichischen Bundesheeres auslöste: eine für die Zeitschrift zwar ziemlich selbstmörderische Aktion, die jedoch ordentlich zu Kreiskys erstem Wahlsieg beigetragen hat. Danach, Nenning hatte eine richtige Redaktion aus linken Intellektuellen aufgebaut, bis 1977 linker Dogmatismus, gebrochen durch den Umstand, daß sechs Redakteure rund ein Dutzend verschiedene Positionen erbittert verfochten.

Lange vor Karl Heinz Bohrer verschrieb sich Günther Nenning einer Wiederbelebung der Romantik und ruinierte damit sein Blatt, da er — im Wunsch nach „Resurrection der Natur“ konsequenterweise den Weg ins Grüne nehmend — seine intelligenten Leser vergraulte.

Die Grünen, so die These des jetzigen Herausgebers des FORVM, sind keine Leser, und das Interesse an grünen Themen wird von den großen Medien im allgemeinen, von den Flugblättem und Mitteilungen der Initiativen im besonderen, bedient. Im FORVM soll, generell, vor allem erscheinen, was in den übrigen Medien der Waldheimat keine Chance hat, weil tabu oder zu kompliziert für deren Vereinfachungswut. Die Abonnentenzahl, jedenfalls, war von rund 28.000 Anfang 1984 auf 1.700 (6 %) im Sommer 1986 gefallen und das FORVM konkursüberreif, als Nenning seinem langjährigen Verlagsleiter und Blattmacher Gerhard Oberschlick antrug, es fortzuführen. Nach zwei Jahren werden nun wieder 23.500 Exemplare gedruckt, 17.000 Abonnenten zahlen, 3.500 Exemplare werden verschenkt (vor allem an Leser im Knast und in Ostblockstaaten), von den zahlenden Abos gehen rund 50% in die Bundesrepublik, 40% bleiben in Österreich, der Rest wird in ungefähr 60 Länder verschickt.

Oberschlick selbst sieht das als „Wunder, oder auch nicht: die Hefte sind eher noch mehr kontroversiell, was die konservativen Sumper in ihre dumpfe Art von Erregung versetzt, wodurch sogar in Österreich eine gewisse öffentliche Aufmerksamkeit auf das Blatt gelenkt wird; die höhere Weihe, die darin besteht, daß das FORVM einen Dauerplatz in der schönen Einrichtung „Zeitschriftenschau — ZEIT, FAZ, Rundschau, Neue Zürcher — hat, hat auch kräftig gebracht; die Hauptsache war freilich die Wiedergewinnung der ehemaligen Abonnenten, denen haben wir ein halbes Jahr die Hefte zugeschickt, und die haben das FORVM offenbar ebenso freudig wieder genommen wie ich und wie die — allesamt außerhäusigen — Autoren, von denen in Wahrheit die Qualität abhängt.“ Eine gewisse Rolle spielte wohl auch die Preisgestaltung: Das Abonnement für sechs Hefte, deren jedes rund eine halbe Million Zeichen enthält, eine Textmenge, sagt Rowohlt-Lektorin Meike Wolf, die drei normalen Taschenbüchern entspricht, kostet 150 Schilling oder 26 DM, was gerade den Fortdruck und die Versandkosten deckt; Grund- und Gemeinkosten, Satz, Telefon und Heizung finanzieren die Inserate; zusätzliche Abonnenten bringen finanziell nichts, dafür verursachen sie auch fast keine Mehrarbeit und keine Kosten — der Herausgeber will „nicht Gewinn schlagen aus den Lesern, sondern diese gewinnen.“

Für Besteller von Probeheften (kostenlos, A-1070 Wien, Museumstraße 5 [Die Adresse ist wegen Abwicklung der Printredaktion obsolet und die Zeitschrift findet jetzt exklusiv hier statt. G.O.]) eine letzte Warnung: FORVM macht Leser süchtig, die Krankheit zeigt als Folgesymptom eine Belebung im Umsatz von Büchern, mit dem Endeffekt, daß wir Buchhändler uns freuen.

aus: Listen — Zeitschrift für Leserinnen und Leser Winter 88/Heft 14, Seite 26

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Dezember
1988
Autor/inn/en:

Buchhandlung Herrmann:

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