- Ein Bild aus den Frühlingstagen der Revolution — linke Literatur verträgt sich jetzt nicht mehr mit Khomeini.
Wir besuchten den iranischen Schriftsteller Nasi Khaksa in seinem Haus in der Hafenstadt Abadan, einem Zentrum der persischen Ölindustrie. Unter Pahlevi hatte Nasi Khaksa als Dorfschullehrer gearbeitet. Er schrieb Gedichte und Prosa, nach deren Bekanntwerden er von der SAVAK eingesperrt und gefoltert wurde. Erst die Revolution holte ihn aus dem Gefängnis heraus — nach sieben Jahren! Während wir unsere Fragen stellten, saßen die Frauen des Hauses dabei, die einen für orientalische Verhältnisse sehr unbefangenen und aufgeschlossenen Eindruck machten.
KHAKSA: Die Zensur ist sehr hart gewesen, direkte Kritik war völlig ausgeschlossen. Die Schriftsteller entwickelten eine symbolisch verschlüsselte Form der Kritik. Am meisten wurden Theaterstücke und Gedichte geschrieben. Die Lyrik hat bei uns eine sehr alte und sehr bedeutende Tradition. Allerdings haben auch die Zensoren von der Literatur gelernt, die staatlich unterstützten Schreiberlinge drehten die Symbole um, verwässerten sie und versuchten, die Kritik ihrer Kraft zu berauben.
Ein paar Autoren haben trotz aller Gefahren nicht symbolisch, sondern realistisch geschrieben. Sie benützten ein Pseudonym, ihre Bücher wurden entweder im Untergrund oder im Ausland gedruckt. Die SAVAK hat fast immer die Identität der Verfasser herausgefunden und sie ins Gefängnis gebracht. Viele sind dort auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Samad Behrangi war ein Schriftsteller, der sich direkt am bewaffneten Kampf beteiligt und darüber geschrieben hat. Legal gedruckte Bücher wurden von der Zensur oft so stark geändert, daß nur noch ein paar Eingeweihte den ursprünglichen Sinn erraten konnten.
Es gibt da beispielsweise die alte Erzählung von sahak und kawe. Das ist der Schlangenkönig, gegen den die unterdrückten Kreaturen kämpfen. Diese Fabel wurde umgeschrieben und mit aktuellen Hinweisen ergänzt, jeder Leser konnte den Vergleich zwischen sahak und dem Schah ziehen. Nach einiger Zeit hat die Zensur diese Tricks durchschaut, bestimmte Symbole wurden verboten. Etwa rote Blumen (für Revolution) oder Vögel (für Freiheit). Daneben gab es noch einen rein ästhetischen Symbolismus, den ich „typage“ nenne, der keinerlei politische Ziele verfolgte. Das lehne ich ab.
Es gab zwei Gruppen. Manche Schriftsteller haben sich mit Leib und Seele den Widerstandsgruppen angeschlossen und deren Ideologie übernommen. Andere Autoren haben zwar auch mit den Widerstandskämpfern zusammengearbeitet, aber trotzdem das Ziel verfolgt, eine unabhängige, nicht politisch funktionale Kultur zu entwickeln. Wir hatten Kontakte mit Pablo Neruda, die für uns sehr lehrreich waren. Aus der Ära des Schahs gibt es übrigens noch eine Menge unveröffentlichter Gedichte, Theaterstücke und Erzählungen, die jetzt erst gedruckt und verkauft werden können. Ich hoffe, daß wir aus dieser Literatur lernen werden, wie wir Gegenwart und Vergangenheit wahr darstellen können.
O doch, zum Beispiel Bertolt Brechts Theaterstück Die Mutter. Natürlich hat die Zensur auch die ausländische Literatur kontrolliert. ln Teheran wurden immer wieder Filmfestivals und Auftritte ausländischer Theatergruppen veranstaltet — oft mit durchaus sozialkritischem Inhalt. Aber solche Veranstaltungen blieben für die Oberschicht, die staatstreuen Kulturmenschen und für die ausländischen Journalisten reserviert. Das einfache Volk wurde weder eingeladen noch zugelassen. Auf diese billige Weise bewahrte sich das Regime einen liberalen Ruf, den die Weltpresse sehr willig akzeptiert und verbreitet hat.
Ich glaube, daß die Situation im zaristischen Rußland viel besser war als bei uns unter dem Schah. Im kaiserlichen Rußland konnten Bücher wie Gorkis Mutter veröffentlicht werden, unter dem Schah wäre das absolut unmöglich gewesen. Jetzt müssen die iranischen Intellektuellen unter die Bevölkerung gehen und von ihr die wirklichen Bedürfnisse des Landes erfahren. Das muß bald geschehen, solange es keine Zensur und keine staatlichen Eingriffe gibt. Über den Proletkult und die Gruppe LEF wissen wir zuwenig, wir müssen die sowjetische Kunst der zwanziger Jahre erst studieren, aber ich bin sicher, daß wir viel davon lernen können.
Zensur kann nur ausgeübt werden, wenn sich die staatliche Macht endgültig etabliert und institutionalisiert hat. Im Augenblick haben die Massen noch die Möglichkeit, sich spontan durch Flugblätter und Demonstrationen zu äußern. Rundfunk und Fernsehen werden zwar von der Regierung kontrolliert, aber im Bereich der Literatur gibt es noch keine Zensur im Stil des alten Regimes.
Die vom Schah kontrollierten Medien überschwemmten uns mit amerikanischer Kultur — oder was man dafür hält. Für den Großteil der Bevölkerung waren nur die billigsten Konsumgüter erreichbar. Die staatsloyalen Schriftsteller, Künstler und Journalisten nahmen sich ausschließiich die schlechtesten amerikanischen Bücher und Filme zum Vorbild. Ob sich das so schnell ändern wird? Ich denke nicht, weil der Kulturimperialisrnus mit der wirtschaftlichen Abhängigkeit Hand in Hand geht. Man muß den Massen klarmachen, daß ökonomische und kulturelle Abhängigkeit vom Ausland zusammengehören.
Die Moschee ist und war der Mittelpunkt unserer alten Kultur, vor noch nicht allzulanger Zeit wurde nur in den Moscheen unterrichtet und nur im Namen des Propheten. Die Religiösen um Khomeini herum suchen auch heute noch ihre Vorstellung von Freiheit in den klassischen islamischen Werten. Sie kennen gar keine anderen Möglichkeiten des Lebens, einer demokratischen Gesellschaft. Am Kulturimperialismus üben sie eine rein religiöse Kritik, sie denken nur an das Ideal einer gottgefälligen Gesellschaft und ignorieren die irdischen Verhältnisse. Die jüngeren Mullahs haben sich an theoretischen Analysen geschult, die aus der Zeit des algerischen Unabhängigkeitskrieges stammen. In dem Dorf, in dem ich gearbeitet habe, ist eine Kooperative an der Unwissenheit der Bauern gescheitert, mit deren religiöser Vorstellungswelt eine solche Initiative unvereinbar war. Die meisten Leute können mit politischer Arbeit gar nichts anfangen. Deshalb muß man heute realistisch schreiben, politische Hintergründe aufklären, einen klaren und unmißverständlichen Standpunkt einnehmen. Der Symbolismus in seiner traditionellen Form ist für den Ausdruck des Klassenkampfes kaum geeignet.
In Abadan interviewten wir außerdem noch eine Theatergruppe, die sich in der letzten Phase der Revolution formiert hat und die Kontakte mit den Volksfedaijin besitzt. Die iranische Uraufführung von Brechts „Mutter“ im April 1979 hatte den Charakter eines Agitationstheaters, die Aufführung sollte bei den Zusehern Lernprozesse auslösen. Das Interview mit den Theaterleuten fand in ihrem Probenraum statt, der auf dem Gelände der Technischen Universität von Abadan liegt.
Brecht schlägt in seinem Stück einen Weg vor, den wir akzeptieren. Daran können sich jene Leute orientieren, die bisher noch nicht politisch gearbeitet haben, aber eine Möglichkeit suchen.
Für uns ist der Inhalt am wichtigsten. Die Mutter ist ein politisches Theaterstück, es geht um die Organisierung der Arbeiter und der Bevölkerung. Die Kostüme sollen es den Zuschauern erleichtern, einen Vergleich zwischen der Handlung und ihrer eigenen Situation zu ziehen.
lm Iran gibt es zwar Schriftsteller, aber nicht so gute wie Brecht, unsere Autoren hatten bisher auch noch keine Gelegenheit, sich direkt über die politische Lage zu äußern. Wir möchten weitere Theaterstücke von Brecht in einer Übersetzung bekommen und uns auch mit anderen europäischen Schriftstellern befassen.
Wir haben zwar von der „DreigroschenOper“ gehört, aber bis jetzt kennt sie keiner von uns.
Das muß ja wirklich ein interessantes Stück sein ...
Im Iran gab es bisher nur einen einzigen Versuch, auf der Straße zu spielen. Das war noch unter dem Schah, die Schauspieler wurden sofort verhaftet. Wir werden erst einmal auf Tournee gehen und sehen, wie unsere Inszenierung in anderen Städten ankommt. Straßentheater ist sicher gut, um all jene zu erreichen, die nie auf den Gedanken kommen würden, sich ein Theaterstück anzusehen. In Abadan hat die Universität allerdings aus den Zeiten des Widerstands eine Tradition. Hier haben sich alle möglichen Schichten getroffen, auch Arbeiter, um über Politik zu diskutieren. So hoffen wir durchaus, daß wir hier Arbeiter erreichen.
Wir sind eine sehr gemischte Gruppe, Schüler, Studenten, Arbeiter, sehr viele Arbeitslose. Im Kampf gegen die Diktatur haben sich Leute aus allen Schichten kennengelernt, und daraus ist unsere Gruppe entstanden. Wir sind an der Uni, weil hier noch immer ein Zentrum politischer Diskussionen ist.