FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1982 - 1995 » Jahrgang 1983 » No. 352/353
Katharina Riese

Das Büro der Lüste

Die hier vorgestellten Texte sind Originale aus dem Reich der Magengeschwüre, wozu so bedeutende Herrenbünde wie die Wissenschaft, die Wirtschaft, die Kunst, die Politik, die Medien und nicht zuletzt die guten weißen Lippizaner gehören. Stichworte und Stichsätze in den linguistischen Musterblöcken bringen das gewisse patriarchalische Etwas komprimiert zum Schillern.

Zum Einstimmen in die düstere Problematik ein Text aus der Landwirtschaft. Sie werden mit Recht fragen, was hat das mit Büro zu tun. Nun, wie wir inzwischen alle wissen, ist das Patriarchat über die Viehzucht auf uns gekommen. Von daher kommt der fade Strick: der Kampf der Cowboys um und mit ihren Haustieren im Lichte der vaterschaftlichen Erbfolge. Die familia umfaßt, wie wir zum Erbrechen genau wissen, alle im Haus-Halt umzäunten Lebewesen. Wenn Sie die folgende Wort- und Satzkombination lesen, werden Sie sich gleich wie zuhause fühlen. Sie stammt aus einem gewichtigen patriarchalischen Streifen (Die Affaire Domenici, Frankreich 1973) mit dem großen alten Jean Gabin in der Titelrolle:

Den Schweinehund muß ich kriegen Keinen von der Sorte, die ständig widerrufen, wenn ich sie verhöre Soll ich mich noch extra dafür bedanken? Um Gottes Willen, jetzt ist alles aus Das ist ein Sessel für einen Minister Das Holzstück Ich verlange Respekt für dieses Haus Sie lügen

Das ist nicht wahr Sie machten Holz in den Bergen Vater hat’s verboten Wo ist mein Bruder? Hier im Justizpalast Wir müssen zusammenhalten, wie die Finger einer Hand Aufklärung Ich habe Schweine gezeugt in Liebe Das Wort »Mord« Ja, Messiö Die Weiber kreischten, da mußte ich sie doch zum Schweigen bringen Wir decken Sie in jeder Hinsicht, alter Freund Motiv Wo ist das Motiv Keine Spur von Sperma Ende der polizeilichen Ermittlungen Die Hosen waren trocken und sauber wie immer Das Gericht hat unendliche Geduld Ich bin nur sauunglücklich Da hat der Hund gebellt Schauen Sie ihn an, er denkt gar nicht daran, zu arbeiten und läßt seinen Weizen verderben Lieber einen strengen Vater haben, als daß sie es nachher lernen müssen Ist Ihr Vater der Mörder dieser drei Menschen? Meine Ehre und mein Gewissen lassen mir keine Ruhe Mich einzusperren wie einen Ochsen in einen Stall Das Wort hat der Vertreter der Nebenklage In der Besinnung auf sich selbst entscheiden Mein Vater hat mir gesagt Mein Bruder hat mir gesagt Der Bruder hat meinem Vater gesagt.

Das Patriarchat ist ebenso grausam wie langweilig, Die Wichtigkeit der Ereignisse wird an der Schwere der Verbrechen gemessen. Die Seriosität wird aus der Tiefe der Vertuschung geschöpft. Die Opfer haben zu schweigen, damit sie nicht reden:

Ich nehme hiermit zur Kenntnis, daß ich bei meiner Arbeit zur besonderen Verschwiegenheit verpflichtet bin und nicht berechtigt, ohne ausdrücklichen Auftrag einer Dienststelle einem Mitarbeiter oder unternehmensfremden Person Auskünfte zu erteilen. Es ist mir bekannt, daß ein Verstoß gegen diese Pflichten arbeitsrechtliche Folgen nach sich ziehen kann.

Aus der permanenten Unterschlagungsarbeit wird die Grundsubstanz des patriarchalischen Etwas gewonnen und aus ihr quillt das Leitmotiv für den patriarchalischen Vertuschton. Hören Sie dazu einen Ausschnitt aus dem ersten Akt der Arbeitsunterlage Moderne Bürotechnik:

Der gute Ton am Telefon

Viele Chefs bringen ihre Sekretärin dadurch in eine peinliche Situation, daß sie zur „Lüge“ auffordern (Sagen Sie, ich wäre für drei Monate verreist. Sagen Sie, ich wäre nicht da. Sagen Sie, ich wäre „gestorben“). Hier muß die Sekretärin wieder einmal sehr taktvolles Sprachrohr des Chefs sein. Ich bin dagegen, daß die Sekretärin im Auftrag ihres Chefs lügt. Warum auch? Jeder Chef hat schließlich das Recht, nicht gesprächsbereit zu sein. Wenn die Sekretärin dies in der entsprechenden Weise vorträgt (siehe Muster), dann wird das jeder Anrufer auch einsehen. Wenn hingegen die Sekretärin durch ihre Lüge einmal unglaubwürdig geworden ist, dann wird der Anrufer nie mehr Vertrauen zu ihr haben.

Muster

Anruf kommt morgens früh; Chef ist noch nicht in der Firma.

Richtig: „Einen Augenblick bitte, ich versuche, Herrn X. zu erreichen. (Nach einer Pause). Herr X. ist im Augenblick nicht zu erreichen. Kann ich etwas für Sie tun?“

Falsch: „Herr X. ist noch nicht da. Versuchen Sie es noch mal in einer Stunde.“

Geben Sie nie zuviel Auskunft am Telefon. Es genügt durchaus zu sagen, daß der Chef auf einer Reise ist. Wohin er gefahren ist, zu wem und warum, muß natürlich vertraulich behandelt werden, wenn es sich bei dem Anrufenden um einen Fremden handelt. Selbstverständlich spricht die Sekretärin dritten Personen gegenüber nicht von „Chef“, sondern immer von Herrn X.

Die Einhaltung der permanenten, hermetischen Gleichzeitigkeit von Verbrechen und Vertuschen (und der daraus ableitbaren Notwendigkeit der zeitlichen, räumlichen und handlungsmäßigen Koinzidenz von Schein und Scheinchen) erfordert Nervenruhe. Das ist der labile Punkt. Die weißgebügelten Schwäne, die so stolz erhobenen Hutes, nach Zedernholz oder Verbenen duftend, allvormittäglich in ihre Etagen ziehen, tragen trotz Tranquilizern und Speed unter ihren Toupets und Stützflügeln ein zartes Gleichgewicht. Im Durchschnitt benötigen sie für diesen einen Auftritt zehn Frauenhände (Ehefrau, Geliebte, Sekretärin und zwei Putzfrauen; eine im Büro und eine „daheim“). Immer an der Kippe zur Panik erschüttern sie die geringsten Lebenszeichen ihrer Umgebung bis ins Mark. Sind die Lebenszeichen beseitigt, überträgt sich ihre Panik auf die Vorboten von Lebenszeichen. Alles, was noch nicht ganz tot ist, erregt ihren Argwohn und den Verdacht, daß irgend ein unseriöser Mensch den Fortschritt ihrer Verbrechen beeinträchtigen könnte. Es ist unfaßbar, aber wahr, daß sie allein der Anblick einer Laufmasche oder eines fetten Haares völlig aus der Bahn wirft.

Ihre Verfassung hängt — worldwide — an einem Haar, dessen Glanz und Fülle minütlich von dem unaufhörlich aus den Wurzeln nachquellenden Fett bedroht wird. Diese auf makabrem Stolz erbaute Labilität umschließt und vereint alle männlichen Arbeitnehmer.

Als einziges innerbüroliches Gegenmittel hat sich die Jubelarbeit bewährt: Darum merke: Büroarbeit ist in erster Linie Jubelarbeit. Dazu ein paar Takte vorbildlichen Glorias aus einer Betriebszeitung. Bejubelt wird hier ein Betriebsratsobmann für die Organisation eines Betriebsausflugs. Schmucklose Übertreibungen kennzeichnen die naive Jubelarbeit. Bitte beachten Sie aber, trotz aller Einfachheit, die feine militärische Unterklingelung des Jubels:

Bei herrlichem Wetter stand ein Autobus [vorm Haus]. Erwartungsvolle Menschen stiegen ein und dann ging es los. Ich möchte den schon mündlich ausgesprochenen Dank für den bestens gelungenen Betriebsausflug schriftlich wiederholen. Ich war bei der Fahrt dabei, habe aber schon vorher von Kollegen, die die Fahrt schon gemacht hatten, nur lobende Worte gehört. Der Ausflug war bestens organisiert, so daß es weder eine „Hetzjagd“, noch irgendeinen „Leerlauf“ gab. Ich nehme den diesjährigen Betriebsausflug zum Anlaß, um Ihnen und Ihren Kollegen in der Personalvertretung für Ihre Bemühungen um das Zustandekommen, die vortreffliche Organisation und damit das Gelingen dieser Veranstaltung meine Anerkennung auszusprechen. Für den so gut organisierten Betriebsausflug, bei dem interessante Zielpunkte ausgewählt wurden, möchte ich mich herzlich bedanken. Dabei ist es in so „trefflicher“ Weise gelungen. Dieser Tag hätte nicht schöner sein können. Man kann sagen: „Ende gut, Alles gut“. Hoffen wir, daß es wieder einen Betriebsausflug gibt. In der Hoffnung, daß dieser Betriebsausflug nicht einmalig bleibt, sondern im nächsten Jahr seine Fortsetzung findet, verbleibe ich PS: Wann gibt’s wieder einen?

Herrscht bei der Jubelarbeit von unten nach oben, von weiblich nach männlich eine immer tiefer in Bescheidenheit abtriftende Dankbarkeit vor, so hören wir im nächsten Beispiel, einer radikal gekürzten Geburtstagsbauchpinselorgie von Boss zu Boss, das zudringliche Gurgeln des von Hausherr zu Hausherr fließenden Schmalzes. Auch hier Bescheidenheit, die in die Fettnäpfchen des Eigenlobs plumpst. Bezeichnend also für die Jubelarbeit von „Haus zu Haus“ der deftige Zweitakt: gurgel plumps.

Sehr geehrter Lieber Unser Es macht Spaß, so einen Jubilar zu feiern Die Gratulation kommt von ganzem Herzen Und nun eine angemessene Laudatio, eine Lobeshymne? Ich empfinde, wie peinlich das dem Jubilar sein muß, wie unruhig er bei diesen Worten auf dem Stuhl wird Versuchen wir es deshalb nüchterner, hölzerner, sachlicher, so wie es dem Naturell unseres Jubliars wohl eher entspricht, denn so haben wir ihn kennengelernt Vorzugsweise befaßt er sich mit Sachproblemen und hat es wohl lieber, wissenschaftlich selbst in diesen Problemen zu stecken, als — wie viele andere — sich damit zu begnügen, die Probleme zu konstatieren Hohlheit und Leere im Privaten wie im politischen Gerede ist ihm fremd, stört ihn, schafft ihm Unbehagen.
Mit sicherem Gespür erkennt er die Leere von Schlagworten Schnell entlarvt er mit der Benutzung auch den Benutzer Worthülsen stoßen ihn ab Bei einem solchen Menschen hat man es schwer als Lobredner Also lieber eine kühle Bilanz Aber auch Bilanzen ist ja bekanntlich nicht zu trauen Zahlengläubigkeit ist fehl am Platz Aber besser nach ihren Prämissen nachvollziehbare Bilanzen als Lobreden Wenn wir also seine Leistungen als Output und die Anerkennung und die kritische Resonanz der Welt als Entgelt betrachten, kann der Betrieb selbst, die Zukunft und der Staat mit dem Jubilar mehr als zufrieden sein.

Als letztes Beispiel patriarchalischer Jubelarbeit noch eine mannmännliche Laudatio von hochoben zum Gipfel. Die Stichworte wurden bei zwei Fernsehübertragungen gesammelt, einer Papstreise sowie des Treffens Carter-Breschnjew in Wien, Frühjahr 1979. In diesen Höhen der Jubelarbeit wird die Luft zum Atmen schon knapp. Der Climax ist in greifbarer Nähe. Es entsteht eine Art Jubeljapsen.

Ein Mann am Ort der Pflicht Ein Mann Ein einziger Mann Wir haben erlebt, wie dieser Mann Dank dieses Mediums Pontifex Maximus Elektronische Herzlichkeit Die Männer warten in einem violett ausgeschlagenen Holzgang am Flughafen Dank allen, die mich hier so herzlich empfangen Und nun zu Ludwig van Beethoven So europäisch umspannt So europäisch enttäuscht Und hat sich doch so europäisch durchgesetzt Fast wie ein Titan Phase des Nachdenkens Alle Menschen werden Brüder Der Flughafendirektor hat die Weisung erteilt, die Flugzeuge wegen der Landung Carters hinten anzuhalten, aber nur 10 Minuten Die Großen der Welt geben sich hier ein Stelldichein Die Verbindung ist gestört Leute und auch Damen kommen mit dem Travelling Press Corps aus Washington Jetzt hat es zu regnen begonnen und darauf war nach diesen Sommertagen niemand richtig vorbereitet gewesen Eine ausgerückte Kompanie des Gardebataillons macht Musik Die Atmosphäre ist entspannt In lockerer Stimmung warten die Carters, die Kreiskys, die Kirchschlägers Die Nummer Eins aus USA ist angekommen Wir machen uns keine Illusionen Ein kleines historisches Drama Ein Schlüsseltag Alle erwarten sich eine Entspannung Anscheinend sind wir doch eine Drehscheibe Immerhin haben wir zwei für unser Leben sehr wichtige Männer gesehen Bilder der Wirklichkeit.

Ich denke, die letzten beiden, wenn auch so kurzen Beispiele vermitteln einen Eindruck vom Gleichgewichtsverschleiß des Patriarchats an seinen Spitzenkräften. Verständlich also, daß die irdische Tragkraft von zehn Frauenhänden nicht hinreicht, um die meist korpulente Korifee in Position zu halten. Verständlich also auch der ewige Traum vom Angelus Dei: Ein Engel möge dem Herrn beistehen. Dazu ein Beispiel von Kongresspoesie. Mit einem Dreizeiler beschließt der Vorsitzende der AMMRA (Arbeitsgemeinschaft Mittelständischer Mineralöl-Raffinerien e.V.) Hamburg sein Referat „Die Zweitraffination — Wirtschaftlicher durchgeführter Umweltschutz“ am Ersten Europäischen Altölkongreß, unter der Schirmherrschaft der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, organisiert von der Europäischen Union der Unabhängigen Schmierstoffverbände (1976):

Ich möchte manche von Ihnen ermutigen, am Zustandekommen einer Altölgesetzgebung in Ihren Ländern mitzuwirken und dieses weder den Beamten noch den Politikern allein zu überlassen, denn beide sind auf fachkundigen Rat angewiesen. Ich habe auch Schwierigkeiten und Fehlentwicklungen, die es zu verhindern gilt, nicht verschwiegen. Lassen sie sich durch kritische Bemerkungen, die ich gemacht habe, nicht irreführen. Das Positive überwiegt und ein humorvoller und vielleicht auch erfahrener Dichter — jedenfalls aber ein guter Beobachter — hat einmal gesagt: „Wer Frauen und Pferde sucht ohne Mängel, hat nie ein gutes Pferd im Stall, im Bett nie einen Engel.“

Die Engel aber fallen aus den Wolken. Die Frauen müssen sich viel gefallen lassen, damit sie nicht fallen gelassen werden. Und je mehr sie fallen, desto mehr müssen sie sich gefallen lassen. Das ist eine schwierige Aufgabe. Nicht mehr gefallen zu müssen, ist der Traum jedes Engels. Aber selbst die Spitzenengel, also die, die am meisten gefallen haben, genießen dieses Privileg nie. Die ganze Herrlichkeit ist eine große Falle, in der alle, die nicht gefallen, zu Fall gebracht werden. Das Signifikante für den Engel ist seine Bedrohung durch den Rausflug. Ein alter und ein junger Engel sitzen gemeinsam in einem Vor-Zimmer und „ihr Chef“ sagt jeweils zu demjenigen, der mit ihm allein im Zimmer ist, Abfälliges über den anderen. Für ihn billig und doch ein so erhebendes Geschenk. Abfällige Worte über Gefallene dienen der Erhebung der Aufsteigenden. Wenn ein Engel fällt, ist das Geräusch des brechenden Gefieders nicht nur im ganzen Betrieb, sondern auch in der Verwandtschaft gleich mit zu hören. Um das Klingeln der Schadenfreude zu übertönen, werden überall hell scheppernde Besserungsglocken in Bewegung gesetzt. Lauschen Sie dazu einer Aktennotiz mit dem schönen

Betreff: Vorfälle.

Während meines Urlaubs wurde wiederholt festgestellt, daß der Engel während der Dienstzeit offenbar durch Alkoholeinfluß nicht mehr voll arbeitsfähig war und dabei an einem Spätnachmittag auf der Treppe zu Fall kam. Er mußte von Kolleginnen nach Hause gebracht werden.

Der Engel wurde nach diesen Vorfällen vom Betriebsrat wie auch von meiner Sekretärin auf die Unzulässigkeit seiner Aufführung aufmerksam gemacht. Beide Angestellten wiesen den Engel im Hinblick auf die vorangegangene Dienstanweisung des Direktors über das Verbot von Alkoholgenuß in der Dienstzeit auf die ernsten Folgen seines Verhaltens hin.

Nach meiner Rückkehr aus dem Urlaub wurden mir diese Vorfälle berichtet und ich habe daraufhin den Engel selbst beobachtet und an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen feststellen müssen, daß er offenbar unter Alkoholeinwirkung stand. Aussagen von Kolleginnen bestätigten mir, daß der Engel in jüngster Zeit während der Dienststunden Alkohol zu sich nahm und seine Leistungsfähigkeit dadurch stark beeinträchtigt war. Neuerliches ernsthaftes Zureden von Seiten anderer Angestellten fruchteten nichts.

Da der Engel zur Zeit noch den Schutz der Kündigungsfrist genießt, bliebe also ein genügender Zeitraum, um eine endgültige Besserung abzuwarten. Sollte eine solche nicht erfolgen, so würde die Kündigung effektuiert. Bei einer sofortigen Besserung könnte sie zurückgenommen werden.

Der Betriebsrat erhob in Anbetracht des offensichtlichen Versagens des Engels keine Einwände gegen die genannte Vorgangsweise. Bei Aussprachen zwischen mir und den Verwandten des Engels sowie zwischen Kolleginnen und Familienangehörigen wurde der Verdacht bestätigt, daß der Engel offenbar seit Längerem Beruhigungstabletten einnimmt. Zusammen mit Alkohol verursacht dies einen für den Dienstbetrieb nicht tragbaren Zustand.

Wird es um die Sechzig bei den Herren — und hier unterscheiden sie sich von den Männern schon sehr deutlich — erst so richtig schmalzig, so altern die stützenden Frauenhände im Büro bestenfalls unbemerkt. Wenn sie nicht als Engel gefallen sind, so werden sie um die Vierzig schon leicht überfällig. Wohin sich die alle zurückziehen, die das Pensionsalter nicht erreichen, darüber wissen wir nichts. Sie verlassen eines unschönen Arbeitstages mit einer kleinen Unpäßlichkeit das Büro, um nicht mehr wieder zu kommen. Weiße Kittel huschen um sie herum und nehmen sie eilfertig in ihre Vertuschungsarme, damit sie nicht reden. Mit erhobenem Zeigefinger schwingt ihnen das gewisse patriarchalische Etwas auch nach dem Büro noch nach. Hören Sie also nun zum Ausklang ein kurzes Solo für Sekretärinnen, verfaßt von einer Nervenärztin, zitiert nach dem Kurier, ein finale spirituoso aus dem ärztlichen Requiemrepertoire:

Ohne Zweifel beherrschen Sekretärinnen, die schon lange an einem Arbeitsplatz sind, ihr Gebiet besser als Frauen, die häufig wechseln. Spitzenkräfte in verantwortungsvoller Tätigkeit sind oft unersetzbar. Dafür ist allerdings Ausdauer eine wichtige Voraussetzung. Wenn jemand sagt, er habe immer Pech mit seinem Chef, dann muß er den Fehler bei sich selbst suchen — sehr oft läßt sich dieser häufige Postenwechsel auf eine Beziehungsstörung zum Vater oder zur Mutter während der Kindheit zurückverfolgen. Ein gutes Arbeitsverhältnis hingegen läßt sich auch aus einer unbewußten Identifikation der Sekretärin — ich spreche hier von Damen in gehobener Stellung — mit dem Chef erklären. Das heißt, er bewältigt im Berufsleben jene Ziele, an deren Verwirklichung man selbst auf Grund verschiedenster Gründe [!] gehindert wurde. Sehr häufig stellen sich bei Frauen im Alter zwischen 40 und 50 Jahren Depressionszustände ein. Frauen haben dann das Gefühl, zuwenig zu leisten, nicht anerkannt zu werden. Hier kann ärztliche Beratung viel helfen.

Amen

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Erstveröffentlichung im FORVM:
April
1983
, Seite 43
Autor/inn/en:

Katharina Riese:

Geboren 1946 in Linz. Lebt seit 1964 in Wien. Studierte zunächst Landwirtschaft und Glasmalerei, wechselte dann zu Volkskunde und Kunstgeschichte. 1968-1969 Studium und archivalische Tätigkeit in Basel. 1979 Erste schriftstellerische und publizistische Werke. Daneben Wiederaufnahme des Studiums. 1980 Promotion (Dr.phil.).

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