FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1964 » No. 122
Ernst Koref

Wie immer, wenn Kompromißlosigkeit ...

I.

Es sei zugegeben, daß die Haltung auf beiden Seiten intransigent war und zu einer verhängnisvollen Erstarrung der Fronten führte. Durch überspitzten Dogmatismus und verbissene Orthodoxie auf der einen Seite und durch aufreizende Verständnislosigkeit und Härte auf der anderen Seite, nicht zuletzt natürlich durch die verheerenden Folgen der Weltwirtschaftskrise wurde die Zuspitzung der „Klassengegensätze“ dauernd gesteigert.

Wie stets im Leben, wenn Mangel an Kompromißbereitschaft, Eigensinn und Überheblichkeit am Werk sind, begann auch damals das sogenannte Prestige die entscheidende Rolle zu spielen, wurde auch damals die Ratio zurückgedrängt.

Zu all dem kam die automatische Wirkung der leider entstandenen paramilitärischen Formationen. „Verhinderte Strategen“ (seelische Relikte aus dem Ersten Weltkrieg!), brutale Landsknechtnaturen und atavistische Haudegen begannen sich auszuleben. Sie vermeinten, die Existenzberechtigung solcher Formationen durch an sich schon wechselseitig provokant wirkende Aufmärsche bestätigen zu müssen. Wobei aber doch, wie ich glaube, mit Recht festgestellt werden darf, daß der Schutzbund weiser Mäßigung und Zurückhaltung sich zu befleißigen bemühte. Insgesamt führten diese Erscheinungen eben doch zu jener höchst bedenklichen Automatik, die nur eines auslösenden Moments bedurfte.

Da der Verfassungsbruch der damaligen Regierung Dollfuß, unter dem folgenschweren Druck von Männern wie Starhemberg und Fey, heute von ernstzunehmender Seite kaum mehr geleugnet wird und als eine historische Tatsache fast unbestritten ist, und da dieser Verfassungsbruch die Empörung aller demokratischen Kräfte zur Siedehitze steigerte, beantwortet sich die Frage, auf welcher Seite das größere Ausmaß von Schuld und Verantwortung lag, wohl von selbst.

Meines Erachtens kann zugegeben werden, daß Theorie und Praxis der damals maßgeblichen sozialdemokratischen Funktionäre bisweilen zwielichtig waren und wirkten, so daß die breite Masse der treuen Anhängerschaft mit dem Gedanken der Anwendung auch außerdemokratischer Mittel vertraut gemacht wurde; freilich mit der bestimmten Einschränkung: falls der „Klassengegner“, wie die Terminologie lautete, zu gewaltsamen Methoden greifen sollte. Das Moment der Ab- oder Gegenwehr wurde stets betont.

So mußte unter den bereits kurz gekennzeichneten Erscheinungen der innenpolitischen Entwicklung der Ersten Republik der demokratische Fundus der österreichichen Arbeiterbewegung fast unvermeidlich Schaden erleiden.

Der alte Kern der Christlichsozialen Partei (ich nenne vor allem die Gruppe um Kunschak) stand der unseligen Entwicklung zweifellos kritisch, ja skeptisch und auch ablehnend gegenüber; er war aber, wie z.B. Bundespräsident Miklas, der ja seit der Verfassungsreform 1929 eine starke Schlüsselstellung innehatte, zu schwach, um der tragischen Entwicklung mit Erfolg entgegenzutreten. Die faschistischen Kräfte waren so stark und so hemmungslos geworden, daß sie alles mitrissen; was nicht mittat, blieb politisch und menschlich auf der Strecke.

II.

Wer die Dinge nüchtern retrospektiv betrachtet und eines objektiven Urteils fähig ist, muß zugeben, daß an der sozialdemokratischen „Front“, insbesondere in den Reihen des Schutzbundes, Idealismus und Einsatzbereitschaft am Werk waren, die Bewunderung verdienen. Die Opfer, die gebracht wurden, müssen unvergessen bleiben! Sie stellen ein Ruhmesblatt in der Geschichte der Arbeiterbewegung dar.

Daß der staatliche Apparat und die Exekutive zugunsten der anderen Seite funktionierten und auch dort Einsatz geleistet und Opfer gebracht wurden, gebracht werden mußten, darf nicht geleugnet werden. An der einseitigen Verläßlichkeit dieser Apparatur zugunsten der Rechtsextremisten wurde ja ein ganzes Jahrzehnt rücksichtslos und systematisch gearbeitet. Die Namen Vaugoin und Starhemberg kennzeichnen Weg und Methoden am gründlichsten.

Die österreichische Arbeiterbewegung ist — trotz allen Schwächen, Mängeln und Belastungen — auch in jenen Zeitläuften von dem Ziele beseelt geblieben, die Gleichberechtigung zu behaupten bzw. zu verwirklichen; die demokratischen Ideale hochzuhalten und — über die gerade damals unüberwindbar scheinenden Hemmnisse hinweg — den Lebensstandard zu sichern und zu heben.

Wenn sie von dem ihr vorgezeichneten Weg abgeglitten ist, so ist sie selbst weitaus weniger schuld daran als jene Seite, die sie mit systematischer Gewalt davon abdrängte.

Es hat gewiß auch auf der „rechten“ Seite Menschen gegeben, die das „Gute wollten“ und zum „Bösen“ mitgerissen wurden. Das soll und darf nicht bestritten werden. Sicherlich meinten viele kleine Leute, Ideen nachzustreben, deren Richtigkeit und „Güte“ ihnen vorgegaukelt wurden. Die eigentlichen, ursprünglichen Programmatiker der Ständestaats-Ideologie wußten wahrscheinlich zunächst gar nicht, daß ihr Gedankengut dazu mißbraucht werden sollte, den geistigen Boden für einen gewaltsamen Umsturz abzugeben.

Dabei muß heute zugegeben werden, daß in der demokratischen Entwicklung der Gegenwart manche Erscheinungsformen unzweideutig darauf hinweisen, daß wir einer Art Synthese von Demokratie und Ständestaat entgegengehen.

III.

Man würde an der Reife der österreichischen Bevölkerung zweifeln und müßte an ihr verzweifeln, wenn man die Wiederholung der damaligen Entwicklung in gleicher oder abgewandelter Form für möglich hielte. So viel Verantwortungsgefühl wird man auch dem intransigentesten Teil der heutigen „Rechten“ zubilligen müssen! Auf sozialistischer Seite denkt wohl kein vernünftiger Mensch im Ernst an eine solche Möglichkeit.

Aus diesem meinem unerschütterlichen Optimismus heraus antworte ich: beide Regierungsparteien denken nicht daran, den demokratischen Weg zu verlassen und so den Staat in die Nacht des Bürgerkrieges zu manövrieren.

Wenn die heutige und die kommende Generation aus der leidvollen Entwicklung der österreichischen Innenpolitik in den Dreißigerjahren nicht die notwendige Lehre zöge, dann wäre der Untergang verdient, der dann unweigerlich und zwangsläufig folgen müßte. Mein Appell an die Jugend Österreichs: Laßt euch die Geschichte eine Lehrmeisterin sein und bekennt euch mutig und ohne Vorbehalt zur demokratischen Republik!

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Februar
1964
, Seite 84
Autor/inn/en:

Ernst Koref:

Dr. phil., sozialistischer Bundesrat, ehemals Bürgermeister von Linz.

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