FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1964 » No. 122
Ludwig Jedlicka

Unter dem Druck der Außenpolitik

Der 12. Februar 1934 ist ein wahrer Teufelskreis innen- und außenpolitischer Komponenten, deren keine man gesondert betrachten darf. Die Hauptaufgabe der Regierung Dollfuß war die Erhaltung der Selbständigkeit Österreichs nach außen. Diese ließ sich nach der politischen Konstellation nur in Anlehnung an Italien durchführen, gegen einen hohen Preis: Durchführung des von Mussolini und dem radikalen Flügel der österreichischen Heimwehren geforderten Umgestaltungsprozesses im Sinne einer Österreich angepaßten ständischen oder faschistischen Ordnung, wobei sich die Heimwehren in ihrer ideologischen Unklarheit ja schon seit Jahren über ein solches Programm den Kopf zerbrachen. [*]

Aus den britischen Veröffentlichungen „Documents on British Foreign Policy“, Vol. 6, 1933/34 (London 1957) geht in der Berichterstattung aus Rom und Wien an die Londoner Regierung eindeutig hervor, daß der italienische Druck auf Österreich Ende 1933 und Anfang 1934 innen- und außenpolitiich ungeheuer war. So erwähnte der italienische Unterstaatssekretär Suvich in einem Gespräch mit dem britischen Botschafter in Rom vom 28. Jänner 1934, daß Dollfuß mehr Popularität in seinem Abwehrkampf gewinnen würde, wenn er in Wien die sozialistische Stadtverwaltung durch einen Regierungskommissar ersetzen könnte. Die Westmächte — das ist ihre große Schuld — haben Österreich militärisch weder direkt noch indirekt, etwa über die Kleine Entente, unterstützt und überließen in den entscheidungsvollen Wochen Italien die Vorhand — wohl wissend, daß die italienische Regierung eine Umgestaltung der inneren Verhältnisse in Österreich ganz im Sinne der radikalen Forderungen der Heimwehr wünschte.

Man bedenke, daß auch Ungarn jedes Abweichen der Regierung Dollfuß vom pseudo-autoritären Kurs des Jahres 1933, in Richtung einer Aussöhnung mit den Sozialdemokraten, als verhängnisvoll betrachtete. Aus den jüngsten Forschungen des ungarischen Historikers L. Kerekes ergibt sich, wie sehr das ungarische System mit den Heimwehren finanziell und teilweise auch durch Waffenlieferungen verquickt war (siehe Hirtenberger Affaire).

So erkennt man deutlich, daß Dollfuß in der letzten Phase des 12. Februar 1934 der Geschobene und Gedrängte und nicht der Handelnde war, denn die „Auslösung“ ging eindeutig von Fey aus. Freilich darf dabei nicht übersehen werden, daß die jahrelangen wechselseitigen Rüstungen, der deutliche Appell Dr. Otto Bauers am Parteitag 1926 in Linz an die Möglichkeit der „Gewalt gegen die Gewalt“ mit dazu beitrugen, das System der beiden innenpolitischen Festungen aufzubauen. Das heißt (wie mir dies einmal Landeshauptmann Dr. Gleißner in einer Debatte sagte), es gab fast keine Brücken mehr zwischen den Lagern, die ursprünglich die Republik gegründet hatten.

Ob die Sozialdemokraten in ihrer politischen Praxis, in der Gemeinde Wien, in ihrem ständigen Auftrumpfen bezüglich der „Macht auf der Straße und im Betrieb“ und in ihrer verhängnisvollen Ablehnung der Traditionswerte der österreichischen Geschichte bis 1918 klug und wirklich demokratisch gehandelt haben, ist eine andere Frage, die der Historiker nicht leicht zu beantworten vermag, da uns zur Geschichte der österreichischen Parteien noch viel zu wenig Unterlagen zur Verfügung stehen. Sicherlich hat der konservativ-österreichische Flügel innerhalb der Sozialdemokratischen Partei um Renner, aber auch um den klugen und konzilianten Dr. Danneberg, in letzter Minute versucht, Brücken zu schlagen, wie wir aus vielen noch ungedruckten Quellen, zum Beispiel aus den Aufzeichnungen des ehemaligen Bundesministers für Unterricht Dr. Emmerich Czermak, ersehen können.

Die sogenannte Rechte war ein Konglomerat von faschistisch gesinnten Heimwehrgruppen der Bundesländer bis hinüber zu den demokratischen Kräften der Christlichsozialen Partei, die sich gegen die Heimwehren und die Wehrverbände überhaupt stemmten. Hier soll vor allem der hochangesehene Landeshauptmann von Oberösterreich, Dr. Schlegel, hervorgehoben werden, der von Miklas als Kandidat für den Fall einer Ablösung des Dr. Dollfuß vorgesehen war. In bäuerlichen Gruppen, um Reither, um den Landbund, um Hartleb, gab es Elemente der Versöhnung und der Besonnenheit.

Bei rein innenpolitischer Betrachtungsweise, die man für den 12. Februar 1934 niemals allein anwenden darf, würde das Bild der „Rechten“ sehr ungünstig ausfallen — wenn nicht die fast aussichtslose außenpolitische Situation Österreichs richtig und objektiv gesehen wird. Italien hat systematisch seit dem Jahre 1919 seine Positionen im Donauraum aufgebaut und seit 1930 wirtschaftlich und wehrpolitisch Österreich und Ungarn in sein Kräftefeld einbezogen. Damit erntete Italien am 12. Februar 1934 nur, was längst der Plan der italienischen Politik war: die Errichtung eines autoritären Staatengürtels quer zur Kleinen Entente, aber auch vorläufig noch gegen Deutschland. Aus den Meldungen der britischen Quellen geht eindeutig hervor, daß am 12. Februar 1934 ebenso wie übrigens auch am 25. Juli des gleichen Jahres, militärische Absichten mehrerer Nachbarstaaten gegenüber Österreich bestanden — ein Problem, das man nicht übersehen sollte.

Zur Einordnung in die Geschichte muß man wohl Kurt von Schuschnigg zitieren, der in seiner letzten Rede knapp vor dem Anschluß von den „Idealisten“ sprach, die „in Bürgerkriegszeiten auf beiden Seiten gefallen sind“, ein Wort, das zeitlose Gültigkeit hat und für alle Lager der damaligen Zeit zutrifft. Dabei muß der Historiker bei einer richtigen Wertung wohl sagen, daß die Gräber des Bürgerkrieges des Jahres 1934 eine Mahnung für die Jugend der Gegenwart sein sollten.

Zu der Lehre aus der Geschichte für die Gegenwart kann der Historiker nur schwer Stellung nehmen. Er kann vielleicht auf Burckhardts Satz hinweisen, daß die Menschen aus der Geschichte selten lernen, daß man aber vielleicht klüger für das nächste Mal werden sollte.

Daß die damalige Sozialdemokratie ebenso wie die Anhänger des Ständestaates in ihrem Ideengut positive, auch in die Gegenwart reichende Ideale aufzuweisen hatten, ist wohl klar. Die sozialen Errungenschaften, die Mitbestimmung der Arbeiter in Staat und Betrieb, die hohe Aufgabe der Gewerkschaften auf der einen Seite, aber auch das Eintreten für einen gesunden Mittelstand, für eine Organisation der Gewerbetreibenden, die Idee der Kammern, die heute auch von beiden Seiten anerkannt wird, und nicht zuletzt, was die ärgsten Gegner des toten Kanzlers wohl zugeben müssen, die Erweckung eines positiven österreichischen Staatsgedankens aus einer richtigen Tradition der österreichischen Geschichte, dies sind sicherlich ideelle Werte, für die alle Opfer des Bürgerkrieges gefallen sind.

[*Vgl. meinen Aufsatz „Zur Vorgeschichte des Korneuburger Eides“ in: Österreich in Geschichte und Literatur, Jahrg. VII, Nr. 4, S. 146 ff.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Februar
1964
, Seite 82
Autor/inn/en:

Ludwig Jedlicka:

Foto: Von Mischa1941 - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=32034278
Dr. phil., Dozent an der Universität Wien, Leiter des Instituts für Zeitgeschichte dortselbst.

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