FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1982 - 1995 » Jahrgang 1988 » No. 411/412
Franz Schandl

Schleichzeich!

Offener Brief an Kriegsteilnehmer

Werte Vorgeborene!

Wann werdet Ihr endlich Euer Schweigen brechen? Vierzig Jahre warten wir nun schon vergeblich auf Eure persönlichen Rechenschaftsberichte. Doch Ihr wollt nicht Rechenschaft geben, Ihr denkt in all Eurer geistigen Beschränktheit eher an Revanche denn an Reue. Ihr habt nichts dazugelernt. Ihr habt nichts aufgearbeitet. Ihr seid die erste vollends verlorene Generation in diesem Jahrhundert.

Wir wollen endlich wissen, was Ihr getan, was Ihr verbrochen habt, was konkret Eure Aufgabe war, warum Ihr so bedenkenlos und gedankenlos gemordet habt. Warum „jeder Schuß, ein Ruß, jeder Stoß, ein Franzos“, einer Eurer Schlachtrufe werden konnte. Was habt Ihr, die Ihr nachher (wieder) brave Familienväter, fleißige und arbeitsame Österreicher geworden seid, was habt Ihr eigentlich empfunden beim Schlachten in den fremden Ländern. Ihr seid doch durch Blut und Dreck gewatet, Blut und Dreck muß noch in Eurem Inneren kleben.

Wir wollen wissen, konkret von unseren Anverwandten und Bekannten, was sie aufführten, und zwar im Detail: Wie war das Gefühl beim Zustechen mit dem Bajonett, beim ersten Blutspritzer des „Minderwertigen“; wie war das mit den vergewaltigten Frauen in den russischen Dörfern, als der deutsche Schwanz seinen Siegeszug antrat. Und wie habt Ihr sie behandelt, Eure Gefangenen, die überlebenden Besiegten, oder gab es gar keine besondere Behandlung mehr, weil ja erschossene Gefangene keiner besonderen Behandlung bedürfen. Und wie viele Leben habt Ihr genommen, Aug in Aug mit den noch Sekunden Lebenden, umringt von Euren Kameraden, die das Gleiche taten. Und habt Ihr gelacht und getrunken, als die Exekutierten neben Euch verbluteten; habt Ihr sie getreten, als sie — „welch unterwürfiges Volk“, das denkt Ihr ja noch heute — um Hilfe flehten. Und wie erging es dem Polenmädchen aus dem Polenstädtchen, das Ihr sogar besungen habt, Ihr erinnert Euch doch noch an die vierte Strophe dieses unseligen Liedes:

In einem Polenteiche
Da fand man Ihre Leiche
Sie war eiskalt, sie war eiskalt
Sie hielt den Zettel in der Hand
Worauf geschrieben stand:
Ich hab’ einmal geküßt
Und schwer gebüßt. [1]

Wie viele fielen von Eurer Hand, wie viele Tote lagern in euren Köpfen?

Am deutschen Wesen sollte die übrige Welt verwesen. Ihr wart das willige Werkzeug. Ihr seid so doppelt schuldig: Ihr habt das alles nicht nur zugelassen, nein, Ihr habt es selbst ausgeführt. Ihr seid nicht bloß Mitwisser, Ihr seid ebenso Mittäter. Ihr seid in fremde Länder eingefallen, habt gemordet und gewütet, gebrandschatzt und vergewaltigt. Noch heuer trauert Ihr mehr um den nichteingetretenen Endsieg als um die vielen Hingerichteten. Noch heute seid Ihr stolz auf Eure Heldentaten, noch heute fühlt Ihr Euch um die Früchte Eurer Taten, was heißt: Eures Tötens, betrogen. Ihr seht Euch gar mehr als Opfer, denn als Täter. An Euch klebt die blutige Lüge einer ganzen Generation.

Wir pfeifen auf Eure Geschichten über den Krieg, sie sind allesamt Eroberungsträume beschädigter Charaktere, wir fordern vielmehr von Euch die Veröffentlichung Eurer Alpträume, die doch wahrlich einem realen Geschehen entsprungen sind. Den Faschismus und den Krieg kann man erst verstehen, wenn man Euch versteht. Doch Ihr seid eine Clique von verschworenen Verdrängern. Ihr habt vierzig Jahre den Schlußstrich verhindert, und jetzt scheint er schon gänzlich unmöglich geworden zu sein. Ein Volk kann nicht seine eigene Geschichte aufarbeiten und begreifen, wenn es mit solchem Ballast, d.h. mit Euch, belastet ist.

Ihr habt nichts dazugelernt. Wir warten auf Euer Aussterben. Euch ist nicht mehr zu helfen.

[1Das Lied wird heute noch beim sogenannten demokratischen Bundesheer gesungen, die obige Strophe aber weggelassen.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
März
1988
, Seite 37
Autor/inn/en:

Franz Schandl:

Geboren 1960 in Eberweis/Niederösterreich. Studium der Geschichte und Politikwissenschaft in Wien. Lebt dortselbst als Historiker und Publizist und verdient seine Brötchen als Journalist wider Willen. Redakteur der Zeitschrift Streifzüge. Diverse Veröffentlichungen, gem. mit Gerhard Schattauer Verfasser der Studie „Die Grünen in Österreich. Entwicklung und Konsolidierung einer politischen Kraft“, Wien 1996. Aktuell: Nikolaus Dimmel/Karl A. Immervoll/Franz Schandl (Hg.), „Sinnvoll tätig sein, Wirkungen eines Grundeinkommens“, Wien 2019.

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