FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1964 » No. 122
Josef Hindels

Rot-weiß-rot statt schwarz-rot

I.

Die Hauptschuld an den Februar-Ereignissen 1934 trägt die Christlichsoziale Partei. Die führenden Männer dieser Partei haben die demokratische Republik stets gehaßt. Es ist kein Zufall, daß am 12. November nur die Organisationen der Arbeiterbewegung den Geburtstag der Republik feierten.

Aus dieser antirepublikanischen Gesinnung des österreichischen Besitzbürgertums und seiner Christlichsozialen Partei ist die Ideologie des Faschismus, gefördert durch die große Wirtschaftskrise und den Einfluß reaktionärer Nachbarstaaten, in Österreich entstanden. Die Politik des antimarxistischen Bürgerblocks hat die Zerstörung der Demokratie und damit den 12. Februar 1934 bewußt vorbereitet.

Es darf auch nicht vergessen werden, daß sich die Christlichsozialen mit den antiösterreichischen Großdeutschen und Landbündlern gegen die Arbeiterbewegung und den sozialen Fortschritt verbündet haben. Dieser Hinweis scheint mir deshalb so wichtig zu sein, weil heute von gewissen Leuten das Märchen verbreitet wird, die „Roten“ und die „Blauen“ (damit sind die später braun gewordenen Deutschnationalen gemeint) hätten in der Vergangenheit eine gemeinsame Front gegen die „Schwarzen“ gebildet. Eine solche widernatürliche Front hat es nie gegeben! Die „Blauen“ standen immer auf der Seite der schlimmsten Feinde des österreichischen Sozialismus.

Zu den Hauptschuldigen gehörten — auch das darf niemals vergessen werden — die Vereinigung österreichischer Industrieller und die anderen Unternehmerverbände. Sie hatten die Wahlkämpfe der Antimarxisten ebenso finanziert wie die Waffenkäufe der faschistischen Wehrorganisationen. Und sie erklärten mit eiskaltem Zynismus, warum sie das taten: Die 1918 von der jungen Republik geschaffenen sozialen Errungenschaften sollten als „revolutionärer Schutt“ beseitigt werden.

Auch die Sozialdemokratische Partei der Ersten Republik war an der tragischen Entwicklung, die zum 12. Februar 1934 führte, nicht ganz schuldlos. Ihr Hauptfehler — von Otto Bauer im Exil offen zugegeben — bestand darin, daß sie viel zu spät mit dem Kampf gegen die faschistische Bedrohung begonnen hat. Ihr ständiges Zurückweichen hat die eigenen Reihen geschwächt und die gesamte Arbeiterklasse demoralisiert. Deshalb kämpfte im Februar 1934 nur eine kleine, heroische Minderheit.

Der zweite Fehler der Sozialdemokratischen Partei bestand darin, daß sie sich nicht völlig von der verhängnisvollen Anschlußideologie frei machen konnte. Die Forderung nach dem Anschluß an Deutschland wurde zwar 1933, als Hitler in Deutschland die Macht eroberte, aus dem Parteiprogramm gestrichen, aber nicht durch ein Bekenntnis zur österreichischen Nation ersetzt. Und das war ein großer Fehler, der sich bitter gerächt hat.

Eine vom österreichischen Patriotismus erfüllte Sozialdemokratie hätte breite Schichten des katholischen Kleinbürgertums und der Bauernschaft an sich ziehen können. So überließ man die rot-weiß-rote Fahne den Christlichsozialen und später dem Austrofaschismus. Erst in der Nacht der nazideutschen Fremdherrschaft haben viele ehemalige Sozialdemokraten, wenn auch nicht alle, begriffen, daß wir Österreicher eine eigene Nation sind und nicht zum „deutschen Volkstum“ gehören.

Die Frage, ob die damalige Sozialdemokratische Partei eine demokratische Partei war, kann nur mit einem klaren ja beantwortet werden. Weder in Österreich noch in einem anderen Land haben die Sozialdemokraten jemals Terror gegen Andersdenkende ausgeübt.

Das 1926 beschlossene „Linzer Programm“ der österreichischen Sozialdemokratie, ein klassisches Dokument des Austromarxismus, wird oft als Gegenargument angeführt. In diesem Programm, so heißt es in der antimarxistischen Legende, haben sich die „Sozis“ zur Diktatur des Proletariats und zum blutigen Bürgerkrieg bekannt.

Das ist eine Geschichtslüge. Das „Linzer Programm“, dessen Schöpfer Otto Bauer war, enthält ein glühendes Bekenntnis zur Demokratie und zur Bereitschaft, den friedlichen Weg zum Sozialismus zu gehen. Allerdings wird — und das mit gutem Recht — auf die Gefahr hingewiesen, das Besitzbürgertum könnte den Boden der Demokratie verlassen und brutale Gewalt gegen die aufsteigende Arbeiterbewegung anwenden. In diesem, aber nur in diesem Fall muß sich die Sozialdemokratie auch mit Gewalt zur Wehr setzen. Aus dem Bürgerkrieg, den sie nicht wünscht, sondern verabscheut, würde dann eine vorübergehende Diktatur des Proletariats (die im Programm nicht näher definiert ist) entstehen.

Das ist, in komprimierter Form wiedergegeben, der Grundgedanke des verteufelten „Linzer Programms“. Sieben Jahre nach seiner Beschlußfassung hat Dollfuß das Parlament ausgeschaltet, die Verfassung gebrochen, die großen Organisationen der Arbeiterbewegung zerschlagen, und dem österreichischen Volk seinen verhaßten „Ständestaat“ aufgezwungen. Otto Bauers Warnungen wurden also dramatisch bestätigt.

Die autoritär gesinnte Rechte war eine überwiegend faschistische, sich an den italienischen Faschismus anlehnende Gruppierung. Zum Beweis genügt ein Hinweis auf den Korneuburger Eid, der jeden Heimwehrmann zum militanten Kampf gegen Demokratie und Republik verpflichtete.

II.

Um die historische Bedeutung der Februar-Ereignisse richtig einschätzen zu können, muß man wissen, daß ein Jahr vorher, 1933, die große traditionsreiche deutsche Arbeiterbewegung kampflos vor Hitler kapitulierte. Das war ein entsetzlicher Schock für alle Demokraten und Antifaschisten ohne Unterschied der Parteirichtung.

Der Heroismus der österreichischen Schutzbündler, die in einem militärisch aussichtslosen Kampf die Demokratie verteidigten, hat daher alle Demokraten und Antifaschisten mit neuer Zuversicht erfüllt. Der Februar 1934 wurde zu einem Begriff in fast allen europäischen Sprachen: Die Augen der spanischen und französischen, der deutschen und polnischen Arbeiter leuchteten, wenn dieses Datum genannt wurde. Auch die Hingerichteten, vor allem Weißel, Wallisch und Münichreiter, wurden zu Märtyrern des internationalen Antifaschismus.

Nachdem ich über die Fehler der damaligen Sozialdemokratie offen gesprochen habe, kommt mir die Frage nach ihren positiven Zügen sehr gelegen. Vor allem hat es sich um eine geistig lebendige, von pulsierendem Leben erfüllte Partei gehandelt! Zu ihren positivsten Zügen gehörte die ständige Beschäftigung mit theoretischen und ideologischen Fragen.

Es genügt, in den Jahrgängen der Monatszeitschrift „Der Kampf“ zu blättern, um zu erkennen, auf wie hohem Niveau nicht nur über politische, soziale und wirtschaftliche, sondern auch über kulturelle, künstlerische und psychologische Probleme diskutiert wurde.

Nicht weniger aufschlußreich ist ein Blick in das Autorenverzeichnis: Männer wie Otto Bauer und Robert Danneberg, die schwere tagespolitische Verantwortung zu tragen hatten, fanden dennoch Zeit, zu theoretischen Fragen ausführlich Stellung zu nehmen. Gleichzeitig wurde — wie das international bekannte Aufbauwerk der Gemeinde Wien beweist — erfolgreiche soziale Reformarbeit geleistet.

Auch mit Hilfe eines Vergrößerungsglases vermag ich an der damaligen Rechten oder gar an der Ständestaats-Ideologie keine positiven Züge zu entdecken. Erfreulich war nur — das gehört zu meinen angenehmsten Erinnerungen aus der Zeit der Illegalität — die Schwäche und notorische Unfähigkeit des austrofaschistischen Regimes. Jede Gemeinheit dieses Regimes wurde durch Dummheit und Schlamperei etwas gemildert.

III.

In der Geschichte gibt es keine mechanischen Wiederholungen. Daher halte ich eine Wiederholung der Ereignisse vom 12. Februar 1934 in gleicher Form für ausgeschlossen. In abgewandelter Form ist sie bei der gegenwärtigen internationalen Konstellation nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich. Wir sollten den Mut haben, eine Tatsache auszusprechen, die für viele noch ein Tabu ist: die volksdemokratischen Regime in Österreichs Nachbarschaft sind ein gewisser, wenn auch keineswegs ausreichender Schutz gegen einen zweiten Februar 1934. Wäre in Ungarn ein Horthy-Regime an der Macht, in Jugoslawien eine Königsdiktatur — dann würde das auch bei uns den faschistischen Kräften gewaltigen Auftrieb geben.

Trotzdem sollten wir uns hüten, die potentielle faschistische Gefahr zu unterschätzen, die es bei uns gibt. Ich denke dabei vor allem an die Soldatenbünde, die unter dem Vorwand der Kameradschaftspflege den Hitlerkrieg verherrlichen und an die Traditionen der Naziwehrmacht anknüpfen. In diesen Bünden sind die materiellen und psychologischen Voraussetzungen für die Entstehung von republikfeindlichen Wehrorganisationen gegeben. So ähnlich hat es schon einmal angefangen ...

Nach dem bisher Gesagten brauche ich wohl nicht zu betonen, daß, meiner Ansicht nach, die SPÖ eine echte demokratische Partei ist. Aber nichts liegt mir ferner, als die ÖVP mit dem Stempel „antidemokratisch“ oder „faschistisch“ zu brandmarken. Solche Pauschalurteile lehne ich entschieden ab.

Es gibt in dieser Partei unterschiedliche gesellschaftliche und ideologische Strömungen. Viele wertvolle Einzelheiten darüber erfährt der interessierte Leser aus einem blendend geschriebenen Aufsatz von Dr. Kurt Skalnik, der in dem Buch „Bestandsaufnahme: Österreich 1945-1963“ (Forum-Verlag, Wien, Herausgeber: Jacques Hannak) enthalten ist.

Auf dem rechtsradikalen Flügel der ÖVP gibt es allerdings auch faschistische, auf jeden Fall aber zutiefst reaktionäre Tendenzen. Hinter diesen rechtsradikalen ÖVP-Gruppen stehen einflußreiche Kreise des in- und ausländischen Großkapitals, die vor allem ein Ziel verfolgen: die seinerzeit mit den Stimmen der ÖVP beschlossene Verstaatlichung rückgängig zu machen und diese Betriebe dem Privatkapital in die Hände zu spielen. Daß eine solche wirtschaftliche Entwicklung letzten Endes auch zur Gefährdung der Demokratie führen müßte, bedarf keiner näheren Erläuterung.

Aber es gibt in der ÖVP auch demokratische und patriotische Kräfte, die aus der Vergangenheit gelernt haben; vor allem in den Reihen der ehemaligen KZ-Häftlinge und Widerstandskämpfer sowie in sozial aufgeschlossenen katholischen Kreisen findet man sie. Mancher in der ÖVP denkt noch an gemeinsame Gespräche auf den Lagerstraßen der Nazikonzentrationslager, in den kleinen konspirativen Gruppen und in der Emigration.

Gelingt es, die dort entstandene rot-weiß-rote Kampfgemeinschaft zu erhalten, dann, aber nur dann, haben wir aus der Vergangenheit die richtigen Lehren gezogen. Diese rot-weiß-rote Kampfgemeinschaft darf nicht mit der „großen Koalition“ in ihrer gegenwärtigen Form verwechselt werden. Es ist durchaus möglich — und als Sozialist wünsche ich eine solche Entwicklung — daß an die Stelle dieser steril gewordenen „großen Koalition“ eine sozialistische oder zumindest sozialistisch geführte Regierung tritt. Ich habe die Koalitionsphilosophie immer abgelehnt, und die These, die gegenwärtige Koalition sei die in Österreich einzig mögliche Regierungsform, niemals akzeptiert.

Aber auch wenn die Sozialisten zum Zuge kommen, muß in allen Fragen, die unsere Nationalität und Eigenstaatlichkeit betreffen, eine rot-weiß-rote Kampfgemeinschaft aller österreichischen Patrioten bestehen, wie sie schon heute in den Reihen der überparteilichen Widerstandsbewegung verwirklicht ist.

Zu den wichtigsten Aufgaben dieser rot-weiß-roten Kampfgemeinschaft gehört es, zu verhindern, daß die deutschnationale FPÖ wieder Einfluß auf die Politik und Kultur unseres Landes bekommt. Solange das von „roten“ und „schwarzen“ Patrioten gemeinsam verhindert wird, können beide von sich sagen, daß sie aus der Vergangenheit gelernt haben. Dann wird es nie wieder einen 12. Februar 1934, aber auch nie wieder einen 13. März 1938 geben.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Februar
1964
, Seite 80
Autor/inn/en:

Josef Hindels:

Sozialistischer Publizist, Zentralsekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten.

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