FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1963 » No. 120
Heinrich Gleissner

Presse und Partei

Wenn eine Partei sich mit „Öffentlichkeitsarbeit“ beschäftigt, so kommt darin zweierlei zum Ausdruck. Zunächst einmal ist daraus zu entnehmen, daß sie sich nicht mit den Fragen der Presse allein beschäftigt, sondern daß darüber hinaus die Probleme aller Träger der öffentlichen Meinung behandelt werden, also auch des Hörfunks, des Fernsehens und des Films. In dieser Ausweitung allein erschöpft sich aber der Begriff „Öffentlichkeitsarbeit“ noch nicht. Die Bezeichnung „Öffentlichkeitsarbeit“ soll vielmehr die Partei, vor allem aber die Führung der Partei daran erinnern, daß wir eine Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit haben, daß wir Aufgaben im Interesse der Öffentlichkeit erfüllen müssen und daß wir uns in Erfüllung dieser Aufgaben täglich, ja buchstäblich stündlich, immer wieder der Öffentlichkeit und damit auch dem Urteil und der Kritik der Öffentlichkeit stellen müssen. Unsere Partei in ihrer Gesamtheit wird immer wieder mit der Öffentlichkeit konfrontiert, aber auch jeder einzelne unserer Mitarbeiter, ganz gleich, an welchen Platz er gestellt ist.

„Öffentlichkeitsarbeit“ im guten und wahren Sinn des Wortes zu treiben ist ebenso Aufgabe der eigentlichen Parteiführung als auch vor allem Aufgabe jener Männer, die wir ins öffentliche Leben, also in die Regierung, in die gesetzgebenden Körperschaften, in die öffentlich-rechtlichen Interessenvertretungen entsenden, damit sie dort unsere Partei repräsentieren.

Daher möchte ich einiges über die Grundsätze der Öffentlichkeitsarbeit sagen, von denen wir bei unserer Arbeit ausgehen.

Halten wir zunächst fest, daß die Aufgabe der Presse und darüber hinaus aller Träger der öffentlichen Meinung eine zweifache ist. Sie sollen informieren, d.h. Nachrichten vermitteln, und sie sollen kommentieren, d.h. eine Meinung vertreten und somit dazu beitragen, daß sich die Öffentlichkeit selbst eine Meinung bildet.

Recht auf Information

Von dieser Grundüberlegung ausgehend halten wir ferner fest, daß die Öffentlichkeit ein Recht auf Information hat. Wir sollen in dieser Hinsicht nicht ängstlich sein.

Daraus folgt schon, daß wir den Kontakt mit den Vertretern der Öffentlichen Meinung nicht scheuen sollen. Dieser Kontakt ist — zumindest habe ich das so empfunden — keine Einbahnstraße. Natürlich wollen die Vertreter der öffentlichen Meinung — also die Journalisten — von uns etwas wissen, von uns etwas hören. Ich habe mich im Gespräch mit Vertretern der öffentlichen Meinung aber nie bloß als ein Gebender empfunden. Im Gegenteil: ich war oft auch der Empfangende. Ganz einfach deshalb, weil manchmal ein Journalist in einer Frage durchaus mehr wissen kann als sein Gesprächspartner, vor allem aber, weil er oft die Probleme anders sieht als wir, die wir oft Gefahr laufen, betriebsblind zu werden. Ich glaube, daß in dieser Wechselbeziehung zwischen öffentlicher Tätigkeit und öffentlicher Meinung für beide Seiten viele Probleme erst plastisch hervortreten, wenn diese Wechselbeziehung wirklich gepflegt wird.

Eine Voraussetzung dafür ist allerdings, daß Kritik nicht übelgenommen wird. Halten wir uns vor Augen, was das Wort Kritik eigentlich bedeutet und enthält. Kritik allein ist nichts Negatives, es gibt ja schlechte und auch gute Kritiken. Aber auch das, was man gemeinhin als eine schlechte Kritik bezeichnet, muß an und für sich noch nichts Schlechtes, noch nichts Verderbliches, noch nichts Zersetzendes sein, wenn sie aus ehrlicher Überzeugung erfolgt, wenn daraus das Bemühen spricht, einen konstruktiven Beitrag zum Bessermachen zu leisten.

Vergessen wir ferner nicht, daß die kommentierende Aufgabe der öffentlichen Meinung und die informierende Aufgabe in untrennbarem Zusammenhang stehen. Eine wirklich konstruktive Kritik kann nur vornehmen, wer auch wirklich umfassend informiert ist. Sorgen wir also für solche umfassende Information.

Die Nachricht als Ware

Übersehen wir nicht, daß für den Journalisten die Nachricht, also die Information, eine Ware ist. Wir alle wissen aus der Nachkriegszeit, welche Folgen es hat, wenn eine Verknappung an Waren eintritt. Es bildet sich dann die üble Erscheinung eines schwarzen Marktes, auf dem oft auch minderwertige Erzeugnisse zu Überpreisen gehandelt werden. Ein solcher schwarzer Markt an minderwertigen Informationen liegt weder im Interesse derjenigen, die informieren, noch im Interesse derjenigen, die informiert werden sollen und diese Informationen an die Öffentlichkeit weiterleiten sollen.

Man könnte den gleichen Gedanken noch anders ausdrücken. Natürlich muß es auch in einem Gemeinwesen, in dem die Öffentlichkeit rückhaltlos informiert wird, ein gewisses Maß, gleichsam ein Reservat, an Vertraulichkeit geben. Aber halten wir uns hier vor Augen, daß die Vertraulichkeit ein Wert ist und wie alle Werte von der Gefahr der Inflation bedroht ist. In einem Gemeinwesen, in dem man versucht, immer mehr Dinge als vertraulich zu bezeichnen, erreicht man nur, daß am Schluß gar nichts mehr vertraulich ist.

Wenn ich das hier mit aller Offenheit sage, dann spreche ich nicht wie der Blinde von der Farbe. Ich spreche hier nicht nur in meiner Eigenschaft als Vorsitzender des Ausschusses für Öffentlichkeitsarbeit der Österreichischen Volkspartei, sondern als Politiker mit jahrzehntelanger praktischer Erfahrung und als Landeshauptmann, der seit Jahren in seinem Land die Einrichtung einer ständigen Pressekonferenz — wie ich glaube, mit einigem Erfolg und auch mit einigem Nutzen — praktiziert. Ich darf sagen, daß wir in unserem Bundesland auf eine gute Zusammenarbeit mit den Trägern der öffentlichen Meinung nicht nur Wert legen, sondern uns dieser guten Zusammenarbeit auch tatsächlich erfreuen.

Als Montesquieu vor einigen Jahrhunderten die klassische Lehre von den drei Gewalten aufstellte, von den drei Säulen der Demokratie, da gab es noch keine öffentliche Meinung im heutigen Sinn, und er konnte daher der Presse und den anderen Meinungsträgern keinen Platz in diesem System der Gewalten zuordnen. Wenn ich hier den vermessenen Versuch unternehmen darf, Montesquieu zu ergänzen, so würde ich sagen, die öffentliche Meinung hat in diesem System eine wichtige und vor allem eine verantwortungsvolle Funktion: sie kann das Unkraut sein, das sich zwischen diesen drei Säulen einnistet, es überwuchert und schließlich mit dazu beiträgt, diese Säulen zum Einsturz zu bringen. An Beispielen aus der Vergangenheit fehlt es hiezu nicht. In einer wahren und gut funktionierenden Demokratie jedoch wird die öffentliche Meinung gleichsam der Mörtel sein, der diese drei Säulen stützt, trägt und fest zusammenhält. In unsere Hand, in die Hand der Männer, die im öffentlichen Leben stehen, und in die Hand der Menschen, die die öffentliche Meinung bilden, ist es gegeben, dafür zu sorgen, daß Information und Kommentar zur Festigung und nicht zur Zerstörung unseres demokratischen Staatswesens führen.

Über die Bedeutung der Presse und der öffentlichen Meinung schlechthin habe ich bereits gesprochen. Darüber hinaus möchte ich die folgende Empfehlung vorlegen: Es entspricht den Grundsätzen der Österreichischen Volkspartei, in Anerkennung der großen Aufgaben, die die Presse im öffentlichen Leben erfüllt, für die baldige Verabschiedung eines modernen Pressegesetzes einzutreten, das der Bedeutung und der Verantwortlichkeit der Presse in einem modernen demokratischen Staat gerecht wird. Die Österreichische Volkspartei hält es dabei für notwendig, daß der überaus bedeutsamen Aufgabe der Presse ein besonderes Verantwortungsbewußtsein gegenübersteht, das im Rahmen des neuen Pressegesetzes und einer freiwilligen Selbstkontrolle der Presse garantiert sein muß. Angesichts der Bedeutung von Hörfunk und Fernsehen müssen in deren Programmgestaltung die Kultur und die Volkserziehung Vorrang genießen. Dabei muß auch auf die weit über Österreichs Grenzen hinausreichende Bedeutung des österreichischen Rundfunkprogramms als Informations- und Kulturträger Bedacht genommen werden.

Der Staat darf Hörfunk und Fernsehen nicht beherrschen; die Parteien dürfen Funk und Fernsehen nicht mißbrauchen; freie Meinungsbildung und absolute Objektivität müssen in den Programmen des Hörfunks und des Fernsehens gewährleistet sein.

Eine wesentliche Voraussetzung für die Erfüllung dieser Forderungen ist die Eigenverantwortlichkeit der Österreichischen Rundfunk Ges.m.b.H., vor allem auch in wirtschaftlicher Hinsicht; in diesem Sinne muß eine Neuorganisation des Unternehmens erfolgen.

Die Sendeanlagen für Hörfunk und Fernsehen sind entsprechend den kommerziellen Überlegungen und föderalistischen Bedürfnissen auszubauen; der Bestand der Länderstudios muß gesichert sein.

Das sind die wesentlichsten Punkte eines umfangreichen Konzepts für das Verhandlungskomitee in Sachen Rundfunk; spätestens bis zum Termin vom 30. April 1964 sollen solcherart bei der Österreichischen Rundfunk Ges.m.b.H. die Voraussetzungen geschaffen sein, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt.

Jede Politik ist angewiesen auf Echo in der Öffentlichkeit. Leistung allein genügt nicht, man muß sie auch erfahren. Demokratie kann nicht bestehen ohne weitestgehende Information der Staatsbürger als Voraussetzung für deren reifes Urteil. Daher gehört Öffentlichkeitsarbeit zu Politik und Demokratie wie die Luft zum Leben.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Dezember
1963
, Seite 572
Autor/inn/en:

Heinrich Gleissner:

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