FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1966 » No. 146
Adolf Schärf

Oktoberputsch

Aus dem stenographischen Protokoll des Nationalrates, 31. Sitzung, VI. Gesetzgebungsperiode (1949-1953), S. 1128 ff.

In allen von den Russen besetzten Ländern war das, was die Kommunisten „Volksdemokratie“ nennen, im Jahre 1949 bereits hergestellt, allein in Österreich hatten vor allem die Sozialisten jeglichen Anschlag in dieser Richtung verhindert. Die Verfügung über die Staatspolizei war den Kommunisten im Jahre 1947 entwunden worden, in den Gewerkschaften waren sie von vornherein zur aussichtslosen Minderheit verurteilt gewesen, die Sozialistische Partei Österreichs hatte sich nicht zu der anderwärts gefährlich gewordenen „Aktionseinheit“ oder „Arbeitereinheit“ verleiten lassen.

Die ersten Erfolge der Amerikahilfe zeigten sich bereits. Im Jahre 1950 glaubten die Kommunisten offenbar, sie müßten endlich handeln, wenn sie nicht jeder Erfolgsaussicht verlustig gehen wollten.

Lenin als Vorbild

Der Plan der Kommunisten war der: Eine organisierte Protestbewegung gegen eine x-beliebige wirtschaftliche Maßregel sollte zur Eroberung der Gewerkschaften benützt werden, um von dort aus den weiteren politischen Plänen Nachdruck geben zu können, wobei man sich fast sklavisch an das Vorbild der Machtergreifung durch Lenin in Rußland hielt.

Am 22. September 1950 war man auf Unternehmer- und Gewerkschaftsseite zu einer vorläufigen Einigung über das vierte Lohn- und Preisabkommen gelangt, sie sollte aber noch von den Vertragschließenden ihren zuständigen Körperschaften vorgelegt werden. Der Gewerkschaftsbund berief für 26. September 1950 eine Vorständekonferenz ein, an die sich Konferenzen der Fachgewerkschaften schließen sollten. Am 23. September 1950 schrieb nun die kommunistische „Volksstimme“:

„Der Verrat ist perfekt, weg mit dem Preistreiberpakt!“, obwohl das Blatt selbst noch nichts über den Inhalt der Vereinbarung zu bringen wußte. Die „kommunistische Gewerkschaftsfraktion“ berief für den 26. September 1950 eine Betriebsrätekonferenz der „Einheitsliste“ ein. In einer Resolution auf dieser Konferenz wurde erklärt:

... daß Böhm & Co. nicht das Recht haben, im Namen der Arbeiterschaft zu sprechen und Übereinkommen abzuschließen ... die Arbeiter- und Angestelltenschaft muß erzwingen, daß sie von den leitenden Gewerkschaftsposten, die ihnen nicht mehr zustehen, verschwinden.

Ein Ziel der kommunistischen Aktion, die Absetzung der ordnungsmäßig gewählten Leitung und die Machtübernahme in den Gewerkschaften, wurde also offen verkündet. Bemerkenswert ist, daß damals der VdU mit den Kommunisten im Kampf gegen die Gewerkschaftsleitung Hand in Hand ging, VdU-Leute waren auch die einzigen unter Arbeitern und Angestellten, die den Kommunisten Gefolgschaft beistellten. Die Kommunisten schlugen zuerst in Oberösterreich und in der Steiermark los, man wollte sich in beiden Ländern handstreichartig in den Besitz der Landesorganisation des Gewerkschaftsbundes setzen. In Wien und Niederösterreich waren kommunistische Rollkommandos an der Arbeit, um Streiks zu erzwingen.

Ein „allgemeiner Streik“ wurde für den 26. September 1950 ausgerufen, man forderte zu einem Marsch in die Innere Stadt von Wien mit anschließender Kundgebung auf dem Ballhausplatz auf. Die Sozialisten warnten ihre Angehörigen vor der Teilnahme.

Wie üblich war für Dienstag vormittag 10 Uhr die Ministerratssitzung eingeladen. Die Kommunisten wollten den Marsch in die Stadt so einrichten, daß er während des Ministerrates auf dem Ballhausplatz eintreffe. Am Montag, den 25. September 1950, abends, fand im Innenministerium bei Helmer eine außerordentliche Besprechung statt. Meine Anregung, die Ministerratssitzung von 10 Uhr auf 8 Uhr zu verlegen, wurde sofort angenommen. Dann besprach man im einzelnen die Vorkehrungen für den nächsten Tag, wobei man sich darauf einigte, möglichst wenige Regierungsmitglieder im Gebäude auf dem Ballhausplatz zu belassen, damit im Falle des Sturmes auf das Haus nicht mehrere zugleich in die Hände der Demonstranten fallen könnten.

Die russische Stadtkommandantur leistete einen unangenehmen Beitrag: Am 25. September 1950 gab sie den in der russischen Zone gelegenen Polizeikommissariaten Wiens den Auftrag, keinen Polizisten aus der sowjetischen Zone in die Innere Stadt abberufen zu lassen. Damit war die Abwehrtätigkeit der Polizei wesentlich gestört.

Am Dienstag war die Zahl der Streikenden nicht übermäßig groß. Nur einige Tausende kamen gegen 11 Uhr auf den Ballhausplatz, auf dem sich das Bundeskanzleramt befindet — die Ministerratssitzung war längst beendet. Ing. Figl wollte durchaus im Bundeskanzleramt verbleiben. Ich begab mich zur Polizeidirektion, fuhr aber noch vorher durch einen Teil von Wien, um mir ein Bild von der Größe der Demonstration zu machen. Zu den auf dem Ballhausplatz Versammelten sprachen die kommunistischen Abgeordneten Fischer und Honner. Die Kundgebung wählte eine zwölfgliedrige Abordnung zu ihrer Sprecherin bei der Regierung. Verabredungsgemäß lehnte Bundeskanzler Figl ihren Empfang ab. Die auf dem Ballhausplatz und in seiner Umgebung postierten Polizeikräfte waren stark genug, Ausschreitungen zu verhindern. Nach zweistündigem Aufenthalt vor dem Bundeskanzleramt zogen die Demonstranten ab.

Mit dem Abzug vom Ballhausplatz schien ein Höhepunkt der Aktion überschritten zu sein. Die Drahtzieher hatten offenbar auf ein Versagen der Polizeikräfte, vielleicht auch auf sichtbare Unterstützung durch die Russen gerechnet. Als sich zeigte, daß keines von beiden in Erscheinung trat, gab man diesen Teil des Anschlages auf.

Am Abend des Tages, als sich wieder einige Regierungsmitglieder bei Helmer trafen, sah man schon klar, daß die Bewegung in Wien von den Arbeitern abgelehnt und damit zur Aussichtslosigkeit verurteilt war. Die kommunistischen Macher wollten aber noch nicht aufgeben. Die Sozialisten vertraten immer wieder die Ansicht, die Bewegung müsse ohne Waffengewalt erledigt werden.

Am 27. September 1950 wurde der Versuch der Kommunisten fortgesetzt, Rollkommandos drangen in Betriebe ein, um die Arbeiterschaft zum Anschluß an den Streik zu bewegen, die Straßenbahn wurde teilweise lahmgelegt. Nachmittags versuchte ein Rollkommando, das mit Lastwagen aus dem Zistersdorfer Ölgebiet unter der Führung eines Jeeps mit russischem Kennzeichen nach Wien gebracht worden war, das Haus des Gewerkschaftsbundes zu stürmen. In Niederösterreich wurden Bahnanlagen blockiert und Straßensperren errichtet.

Die Sozialistische Partei mobilisierte ihre Vertrauensmänner und Mitglieder gegen den Terror der Kommunisten. Vom 25. bis 29. September wurden in beinahe allen Bezirken Wiens und in vielen Orten außerhalb der Stadt Konferenzen sozialistischer und gewerkschaftlicher Vertrauensmänner abgehalten. Es zeigte sich, daß alles willig war, den Terror abzuwehren, daß aber auch in breitesten Schichten der Arbeiterschaft größter Unwille über die Wirtschaftspolitik der Volkspartei herrschte. Am 27. September 1950 rief die Sozialistische Partei die Arbeiter neuerlich zum Schutze ihrer Arbeitsplätze auf. An diesem Tag war die Bewegung schon abgeflaut; einige Betriebe ausgenommen, wurde in Wien und Niederösterreich bereits gearbeitet.

Nach dem Mißlingen suchte die Kommunistische Partei die Verantwortung von sich abzuschieben. Abermals wurde von ihren Strohmännern eine Betriebsrätekonferenz (für den 30. September 1950) eingeladen.

Der Gewerkschaftsbund veröffentlichte am 29. September 1950 einen Aufruf, in dem er feststellte, daß diese Konferenz weder von ihm noch von einer angeschlossenen Gewerkschaft einberufen worden sei, es handle sich um eine rein kommunistische Angelegenheit; die Betriebsräte wurden aufgefordert, fernzubleiben.

Kommunistisches Ultimatum

Die auf der kommunistischen Konferenz erhobenen Forderungen waren: „Weg mit der Regierung“, „Weg mit der Gewerkschaftsführung“; besondere „Kampfanweisungen“ wurden ausgegeben. Der Regierung wurde ein Ultimatum gestellt, das mit 3. Oktober 1950 befristet war. Darin wurden in erster Linie gefordert: Zurückziehung der Preiserhöhungen und Verdopplung der im 4. Lohn- und Preisabkommen vorgesehenen Erhöhung der Löhne, Gehälter, Pensionen, Renten; gesetzlicher Preisstopp; keine weitere Schillingabwertung.

Die Regierung antwortete nicht. So kam der Tag, an dem automatisch die Aktion anlaufen sollte. Sie war aber nur dann eine Gefahr, wenn sie von Organen der russischen Armee irgendwie unterstützt wurde. Tatsächlich haben außerhalb Wiens örtliche Kommandanturen an die Gendarmerie Aufträge gegeben, die zu einer Lahmlegung der staatlichen Exekutive führten.

In Wien hat die Polizei ihre Aufgabe vorbildlich gelöst. In verschiedenen Teilen der Stadt errichteten die Kommunisten Barrikaden und Straßensperren, sie ließen durch Rollkommandos Zement in Straßenbahnweichen gießen, um so einen Stillstand der Verkehrsmittel zu erzwingen. Die Bevölkerung nahm an den Ausschreitungen nicht teil. Es zeigte sich aber — zumindest von diesem Zeitpunkt an —, daß die oberste Führung der Russen die Aktionen der Kommunisten nicht oder, besser gesagt, nicht mehr unterstützte. Schon in den Vormittagsstunden des 4. Oktober 1950 war es klar, daß die Aktion fehlgeschlagen war.

Eine Betrachtung der kommunistischen Presseäußerungen aus jener Zeit bestätigt, daß die Aktion als Nahziel die Eroberung der Gewerkschaften und als Fernziel die Errichtung der Volksdemokratie hatte. Ihr fehlten alle Merkmale eines wirtschaftlichen Streiks. Militärisch organisierte Trupps versuchten unter Anwendung brutalen Zwangs die widerspenstige Arbeiterschaft zur Lahmlegung der Wirtschaft zu zwingen, bei der Blockierung der Straßen und Verkehrsanlagen wurden ganz neue, technisch sehr wirkungsvolle Methoden angewendet. Die niederösterreichischen Rollkommandos hatten die Aufgabe, die Bundeshauptstadt zu isolieren, die Demonstrationen in Wien das Ziel, den Sturz der Regierung herbeizuführen.

Die Abwehr des Putsches war ausschließlich Sache der Sozialisten. Sie rechneten es sich als besonderen Erfolg an, daß er nur mit moralischen Mitteln, ohne Anwendung von Waffengewalt, niedergeworfen wurde.

In der „New York Times“ schreibt der Berichterstatter des Blattes, Mr. John MacCormack, am 27. September 1950 auf Seite 5:

Regierungsmitglieder hatten das Einschreiten amerikanischen Militärs begehrt. Die Situation löste eine wahre Verlegenheit aus. Das amerikanische Hauptquartier trat ihr mit der Weigerung entgegen, sich in die Streitigkeiten zwischen österreichischer Polizei und den Kommunisten einzumengen, trotz der inoffiziellen Vorstellungen einiger Mitglieder der Regierung Leopold Figls.

Nun, die Mitglieder der Regierung, die sich gerne unter den Schutz der amerikanischen Maschinenpistolen begeben hätten, das waren ganz bestimmt keine Sozialisten!

Ich hätte über das Verhalten von volksparteilichen Regierungsmitgliedern kein Wort gesprochen, wenn man sich nicht bemüht hätte, später der Volkspartei oder einzelnen ihrer Männer das Hauptverdienst daran zuzuschreiben, daß der „Sturm“ abgeschlagen wurde.

Unter dem frischen Eindruck der Ereignisse sprach und dachte man damals in der Volkspartei anders als später. Lois Weinberger würdigte die Ereignisse am 12. Oktober 1950 im Nationalrat:

Es ist müßig, darauf hinzuweisen, daß die Arbeiterschaft in schwierigster Lage gewesen ist, und ich stehe nicht eine Sekunde an — weniger als Sprecher der Volkspartei, denn als Mitbegründer des Gewerkschaftsbundes —, vor allem dem Präsidenten des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, dem anständigen Gewerkschafter, aufrechten Menschen und guten Patrioten Böhm, für seine vorbildliche Haltung und Führung der österreichischen Gewerkschaften auch den Dank unserer Partei auszusprechen.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Februar
1966
, Seite 97
Autor/inn/en:

Adolf Schärf:

Foto: Von Wim van Rossem / Anefo - Nationaal Archief, CC BY-SA 3.0 nl, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=31160790

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