FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1982 - 1995 » Jahrgang 1989 » No. 432
Eckart Früh

Nenningitis

Der Zwang, sich unentwegt selbst darzustellen, hat Günther Nenning ohne Umweg vom „Spiegel“ auf die Bühne der „Zeit“ verschlagen, wo er neuerdings, offenbar gut honoriert, sein Unwesen treibt. Beim ersten Auftritt gab es eine „nachdrückliche Erinnerung“ an den Anarchisten und Menschenfreund Gustav Landauer, der am 2. Mai 1919 ermordet worden ist und sich gegen einen übermächtigen Narzißmus, der ihm ans Nachleben will, nicht zur Wehr setzen kann; denn Landauers ist seine Sache wahrlich nicht, ein bloßer Vorwand, der es ihm erlaubt, sich in Szene zu setzen und vor einem bürgerlichen Publikum anarchistisch zu posieren. Er macht in Meinungsmache über den gegenwärtigen „Stark- und Zentralstaat“; gleichgültig, ob es sich dabei „um die kommunistische Diktatur des Proletariats, den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat oder den Superindustriestaat handelt“.

Bei diesem Handel kommt nur einer, Nenning, auf seine Kosten. Alle anderen, zumal die einstigen Genossen zahlen drauf; „ein Loch hat sich aufgetan in der Weltgeschichte“, das selbst „für eine ‚neue Sozialdemokratie‘“ viel, nach Nennings Wille und Vorstellung gleich „mehrere Schuhnummern zu groß ist“. Trotz „Entstaatlichung, Privatisierung, Wettbewerb quaquaqua“ werden alle progressiven Geister von diesem weltgeschichtlichen Loch, das aber in Wahrheit ein himmlisches ist, bedroht. „Nach all dem Gelaber vom Fortschritt ohne Grenzen tönt jetzt furchtbar die Stimme Gottes aus dem Ozonloch, er sagt: „Ihr Idioten!“ Der heilige Zorn, dem die Peitsche des Rufzeichens gehörigen Nachdruck verleiht, zwingt zur Zerknirschung. Demut, „Demut vor allem“ ist es, die sozialistischen Sündern frommt. „Der Sozialismus muß auf die Knie. Dann erst kann er sich wieder erheben.“

Nenning freilich steht; fest steht und treu die Wacht am Rain und in der Au. Es grünt jedoch so grün nur aus Unfähigkeit, rot zu werden, schamrot. Von allen Tugenden, an denen es Nenning gebricht, ist Demut zweifellos eine Zier, ohne die er weiter geht, als erlaubt ist. Landauers inständige Bitte: „Vernehmet auch mein Schweigen und meine Tonlosigkeit, meine Ersticktheit und mein Bangen“, macht ihm nicht bang; sie macht ihn nur beredter. Er übertönt sie. Lauthals verkündet er, er wolle „dorthin zurück nach vorwärts“ oder rückwärts nach vorn, wo es so „schööön“ war, in die „theoretische Idylle“ Er nimmt das Maul voll und spricht, wo er nichts zu sagen hat. Er rühmt zurecht die „kühne, hochpoetische Sprache“ Landauers; er selbst verfällt in den übelsten journalistischen Jargon. Aus seinem Mund kommt kein Wort, das trifft, sondern Schlagworte; kein Satz, der solide gebaut ist, nur Aussatz; kein Gedanke, der um einer Sache willen, die es lohnt, mit einem anderen seine Kraft mißt; stattdessen Meinungen, natürliche Folgen sprachlicher Unzucht, die am Schreibtisch getrieben wird.

Landauer glaubte „an den Sozialismus als schaumgeborene Venus, entsteigend der Muschel des Geistes“, meint Nenning und setzt ebenso salopp wie bürokratisch dem staatshörigen Ungeist ein „schallendes Nein zum Zwecke der Durchführung von Demut vor Menschen und Schöpfung“ entgegen; „dazu braucht es Revolution“. Deren „Wurzel“ aber sei „Sturz der Übermütigen durch Demütige, nicht durch selber Übermütige“ Wie verständig er ist, nicht wahr? Eil‘, o zaudernde Zeit, ihn ans Ungereimte zu führen! Eile, verderbe ihn ganz und führe ans furchtbare Nichts ihn!
Anders belehrst du ihn nie; dieser Tor bekehrt sich nie, wenn ihm nicht schwindelt.

Ob es gelingt, ihn zu dem Ernst zu weisen, der bei der Beschäftigung mit Gustav Landauer vorausgesetzt werden muß, wird sich zeigen. Möglich ist es; denn vor der Majestät des Todes kuscht doch selbst derjenige, dem sonst nichts heilig ist. Sollte sich aber am Ende herausstellen, daß Nenning, wie zu befürchten, verstockt ist, so hol’ ihn der Teufel und werfe ihn, dem vor gar nichts graut, ins Ozonloch!

Gustav Landauers Bericht

„Wie Hedwig Lachmann starb“ wurde „als Manuskript für Freunde gedruckt“. Auf der Titelseite, unter dem Bild der Dichterin, stehen die Worte:

Der Empfänger wird gebeten, das Exemplar nicht weiterzugeben; an Personen, die mir nach ernster Prüfung der Reife und Würdigkeit, genannt werden, bin ich bereit, diese Mitteilung zu versenden.

Die Entscheidung, sie nun, 70 Jahre nach dem Tod Landauers, zu veröffentlichen, weil er sich nachdrücklicher in Erinnerung bringt, als es Günther Nenning je vermöchte, fiel nicht leicht. Die Lektüre verlangt vom Leser viel, Herz.

Hedwig Lachmanns lyrisches Werk ist vergessen, greifbar nichts. Von Gustav Landauer sind folgende Bücher erhältlich:

  • Aufruf zum Sozialismus.
  • Beginnen. Aufsätze über Sozialismus.
  • Skepsis und Mystik. Versuche im Anschluß an Mauthners Sprachkritik.
  • Der werdende Mensch.

Die Bücher erschienen im Verlag Büchse der Pandora. Hinzukommen einige Auswahlbände sowie, verfaßt von Siegbert Wolf, eine Einführung in Landauers Werk (Edition SOAK im Junius Verlag); ihr wurde die Zeichnung (p. 92) entnommen.

Um späteren Klagen zuvorzukommen, weise ich sogleich darauf hin, daß mir an dieser Stelle Hölderlin ins Wort gefallen ist und, dem aktuellen Anlaß angepaßt, Zeilen aus seinem „Gebet für die Unheilbaren“ diktiert hat.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Dezember
1989
, Seite 86
Autor/inn/en:

Eckart Früh:

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