FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1964 » No. 122
Hermann Withalm

Nach wie vor unwiderrufen ...

I.

Die Frage, wer die Schuld an dem tragischen 12. Februar 1934 trägt, sollte meiner Meinung nach nicht von Politikern, sondern von Historikern beantwortet werden, und abschließend erst dann, wenn die Archive, die derzeit nur bis zum Jahre 1918 zugänglich sind, geöffnet werden. Nach dem heutigen Stand der Geschichtsforschung könnte formaljuristisch die Schuld jenen angelastet werden, die sich einer legalen Aktion der staatlichen Exekutive mit Waffengewalt widersetzt haben. In moralischer Hinsicht sollte von einer Allein- oder Hauptschuld gar nicht gesprochen werden.

Der 12. Februar war eine Konsequenz jener Ereignisse, welche 1918 durch den Kampf des Marxismus gegen das Bürgertum und jede österreichische Tradition und für die Errichtung einer Diktatur des Proletariats eingeleitet wurden, Marksteine dieser Entwicklung waren der sozialdemokratische Widerstand gegen das Sanierungswerk Seipels, der Brand des Justizpalastes am 15. Juli 1927 und die Ablehnung von Seipels Koalitionsangebot im Juni 1931 durch die Sozialdemokraten. Diese standen damals nicht nur in prinzipieller Opposition zum Staat, sondern waren, wie der Linzer Parteitag 1926 und vor allem das von Dr. Bauer gehaltene Schlußwort zeigten, durchaus bereit, zur Aufrichtung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung zu den Mitteln der Gewalt zu greifen.

Die Regierungspartei hingegen ließ es nach dem 15. Juli 1927 an der notwendigen Entschlossenheit zur inneren Abrüstung mangeln und befürwortete eher eine Politik des Kräftemessens. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß die Regierung hierbei unter bedeutendem außenpolitischem Druck stand.

Die Sozialdemokratische Partei der Ersten Republik war weder in der Theorie noch in der Praxis demokratisch eingestellt. Sie hat die Demokratie nicht als solche bejaht, sondern nur als Mittel des proletarischen Klassenkampfes betrachtet. Der weltanschauliche Gegner blieb als demokratischer Partner aus dem politischen Denken der Partei ausgeschlossen, er galt der Sozialdemokratie nur als Bremsschuh auf dem Weg zur Aufrichtung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung. Ohne Toleranz aber ist jede Demokratie schlechthin undenkbar.

Soweit die Theorie. Die Ablehnung demokratischer Mitverantwortung durch die Sozialdemokraten geht bereits aus der Beantwortung der ersten Frage hervor. Die praktische Haltung zeigte sich nicht zuletzt in der Aufstellung des Republikanischen Schutzbundes und in der Rolle, die man dieser paramilitärischen Organisation zugedacht hatte.

Die Frage — wie auch einige andere — ist durch die tendenziöse Formulierung geeignet, den dokumentarischen Wert der Umfrage zu mindern. Die Antwort wird praktisch vorweggenommen und erlaubt nur mehr eine Nuançierung. Die Christlichsoziale Partei war stets eine demokratische Massenbewegung, die erst in den Dreißigerjahren nach ihren Erfahrungen mit einer nicht zur Mitverantwortung bereiten Opposition einen „ständischen“ Flügel erhielt. Bundeskanzler Dr. Dollfuß war zweifellos ursprünglich ein Demokrat, der nur unter außenpolitischem Druck die Parlamentskrise antiparlamentarisch löste. In der Heimwehr zeichneten sich erst nach 1930 einzelne faschistische Gruppierungen ab, die für die Heimwehr als Ganzes nicht bestimmend waren.

II.

Die Erkenntnisse aus der Geschichte der Ersten Republik waren zweifellos für die bisherige Methode der Zusammenarbeit der großen politischen Kräfte mit ausschlaggebend. Wenn wir uns den Lehren des 12. Februar auch weiterhin nicht verschließen, so war der Tod jener Idealisten auf beiden Seiten für unser Vaterland Österreich nicht sinnlos.

Der Austromarxismus, der sich alles politische Heil von der Herrschaft einer Klasse erwartete, hat unserem Land in keiner Weise genützt. Die sozialdemokratischen Sozialpolitiker haben sich ebenso wie die christlichen Sozialpolitiker für die sozialen Rechte und die politische Gleichberechtigung der Arbeitnehmerschaft eingesetzt. Auch muß erwähnt werden, daß einige gemäßigte Kräfte, wie etwa Dr. Karl Renner, nach einer Politik des demokratischen Ausgleichs strebten. Dieser Minderheit in der damaligen Sozialdemokratie ging es um die Mitbeteiligung im Staate und nicht um die Alleinherrschaft.

In der Ersten Republik gab es nicht nur zwischen den Parteien einen tiefen Riß, sondern auch zwischen den Sozialpartnern. Die fruchtbare Zusammenarbeit der Sozialpartner nach 1945 und die Bedeutung der Kammern als ständische Vertretungen — neben der legislativen Tätigkeit eines demokratisch gewählten Parlaments — rechtfertigen manche Überlegungen der Dreißigerjahre. Der Ständestaat war ein Protest gegen die Unfruchtbarkeit des damaligen Parlamentarismus. Er bemühte sich, den Staat als Verpflichtung für das gesellschaftliche Ganze zu sehen. Selbst Dr. Otto Bauer und Dr. Karl Renner zogen um die Jahreswende 1933/34 die Möglichkeit eines Einbaues berufsständischer Faktoren in eine neue Verfassung in Erwägung.

III.

Wir von der ÖVP sind zu ehrlicher Zusammenarbeit, zur Anerkennung demokratischer Entscheidungen und zur Rücksicht auf die weltanschauliche Gesinnung anderer bereit. In gleicher Form werden sich die Ereignisse des 12. Februar 1934 schon deswegen nicht wiederholen, weil es heute keine paramilitärischen Verbände der Parteien gibt. In abgewandelter Form erscheint mir die aktuellste Gefahr, daß ein großes politisches Lager Österreichs von der gemeinsamen Regierungsverantwortung ausgeschlossen wird. Daß hier nur die Möglichkeit einer SP-FP-Regierung unter Ausschluß der Volkspartei aktuell ist, geht aus zahlreichen Drohungen sozialistischer Politiker hervor.

Programmatisch sind heute beide großen Parteien demokratisch eingestellt. Die ÖVP als stärkste Partei seit 1945 verfolgt seit mehr als achtzehn Jahren eine Politik der Zusammenarbeit. Ich bezeichne auch die SPÖ als demokratische Partei. Es lassen sich aber auch antidemokratische Züge nachweisen. Ich erwähne die Versuche, eine Entscheidung bei den Präsidentschaftswahlen auf die Parlamentsebene zu übertragen, die nach dem Wählerwillen eindeutig stärkste Partei aus der Regierung zu drängen, höchstgerichtliche Entscheidungen anzufechten, oder manche Aktionen sozialistischer Regierungsmitglieder aus letzter Zeit. Nach wie vor ist der Satz: „Demokratie der Weg, Sozialismus das Ziel“ unwiderrufen und läßt die Demokratie als nur derzeit opportunes Mittel, nicht aber als dauernden Grundsatz der Politik erscheinen.

Lassen Sie mich in umgekehrter Reihenfolge antworten: die Wähler haben die Lehren zweifellos gezogen. Die Politiker der erst 1945 gegründeten Volkspartei sind sich der Tragik und der Bedeutung des 12. Februar bewußt, Politiker des linken Lagers zum überwiegenden Teil ebenfalls. Zu den Parteien kann ich nur sagen: die ÖVP ja, von der SPÖ wollen wir es hoffen. Eine Lehre des 12. Februar 1934 sollte in Hinkunft noch stärker beachtet werden: die aufrechte Gesinnung eines politischen Gegners nicht allein deshalb zu verdächtigen, weil sie der eigenen Auffassung widerspricht. Was das österreichische Volk bewegt, hat am besten Kardinal Dr. König in seiner Neujahrsansprache zum Ausdruck gebracht, als er sagte: „Ich appelliere in dieser Stunde an alle, die an die Zukunft dieses Landes glauben, an eine Zukunft in Einheit, Frieden und Freiheit, an alle, die mithelfen wollen, daß die Schatten der Vergangenheit uns nicht überwältigen, das Andenken der Toten von 1934, auf welcher Seite der Barrikade sie auch immer standen und kämpften, dadurch zu ehren, daß wir das Gelöbnis erneuern, das Gelöbnis der Geburtsstunde des wiedererstandenen Vaterlandes: niemals mehr soll in diesem Land Bruder gegen Bruder stehen, nicht mit der Waffe in der Hand, aber auch nicht mit bösen Worten, mit hartem Herzen und blindem Eifer.“

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Februar
1964
, Seite 93
Autor/inn/en:

Hermann Withalm:

Dr. jur., Abgeordneter zum Nationalrat und Generalsekretär der Österreichischen Volkspartei.

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