FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1965 » No. 143
Oscar Bronner

Die Richter bleiben unter uns

Im vorigen Heft brachte das FORVM einen Beitrag von Christian Broda mit der Einbegleitung, es bekenne sich hinsichtlich des Autors „nach wie vor zu Wertschätzung und Hochachtung vor einer Mischung von Intellekt und Dynamik, wie sie in Österreich heute wahrhaft selten und dementsprechend kostbar ist“. Im selben Heft erschien die Liste von nicht weniger als 17 wesentlichen Aufsätzen, die das FORVM im vergangenen Jahrzehnt seinem Freund Broda verdankt. Im selben Heft erschien ein Bericht von Oscar Bronner betreffend die NS-Vergangenheit österreichischer Justizfunktionäre. Wir gestehen, daß wir dem zornigen jungen Berichterstatter alle die Dokumentation begleitende Polemik gegen Dr. Broda ausgeredet haben, die Dokumente sollten für sich sprechen; wir hatten Vertrauen, daß Dr. Broda die richtige Antwort finden werde. Das Ausbleiben dieser Antwort hat uns in Trauer und Bestürzung versetzt. Wir sehen keine Möglichkeit, den nachfolgenden Aufsatz Oscar Bronners anders als unverkürzt und ungemildert zu drucken.

g.n.

Die Menschen, die im öffentlichen Leben stehen, und die Richter — sie stehen in gleicher Weise unter der steten Kontrolle der Öffentlichkeit ... Die moderne Massendemokratie steht und fällt mit dem Funktionieren ihrer Kontrolleinrichtungen. Die Bäume sollen nicht in den Himmel wachsen.

Christian Broda: Der Journalisten neue Kleider, FORVM, Oktober 1965.

Es ist bewundernswert, mit welcher Präzision es dem derzeitigen Bundesminister für Justiz gelingt, die Spielregeln der Demokratie aufzuzeichnen. Schade nur, daß dann, wenn wir Journalisten unseren Teil getan haben, Dr. Broda sich nicht an seine eigene Maxime hält und die Bäume in seiner Umgebung weiterwachsen läßt. Ob in den Himmel, ist fraglich.

Die Reaktion auf meine im vorigen Monat veröffentlichte Dokumentation über Richter und Staatsanwälte, die im Dienst der NS-Justiz standen und heute im österreichischen Justizdienst stehen („Die Richter sind unter uns“, FORVM, 1. Sonderheft, Herbst 1965) war geteilt. Der erste Teil erschien in der übrigen Presse, der zweite Teil in der amtlichen „Wiener Zeitung“ vom 13. Oktober unter dem Titel „Justizministerium zur Wiederverwendung von Richtern“:

Das Justizministerium gibt bekannt: In verschiedenen Pressemeldungen wurde in den letzten Tagen auf die Aussendung einer österreichischen Monatszeitschrift über die Verwendung von Richtern und anderen Justizfunktionären Bezug genommen, die schon in den Jahren 1938 bis 1945 im Justizdienst in Verwendung gestanden sind.

Das Justizministerium verweist in diesem Zusammenhang auf den Inhalt der in der ‚Wiener Zeitung‘ vom 24. Juli d.J. veröffentlichten amtlichen Verlautbarung zu der in Rede stehenden Frage. Nach der geltenden Rechtslage bestehen keine Möglichkeiten, in den Jahren nach 1945 rechtswirksam abgeschlossene dienstrechtliche Verfahren, durch die die Wiedereinstellung von Justizfunktionären verfügt wurde, wiederaufzunehmen, soweit im Zeitpunkt der Wiedereinstellung die Umstände der früheren Tätigkeit bekannt oder offenkundig waren.

Dies trifft auch für die nunmehr neuerlich aufgegriffenen Fälle von Richtern und anderen Justizfunktionären zu, die alle in den Jahren 1945 bis 1949 im österreichischen Justizdienst wiedereingestellt worden sind, wobei die Art ihrer Verwendung im Justizdienst bis zum Jahre 1945 bekannt gewesen ist.

Immerhin: ein kleiner Fortschritt ist gegeben. In der Verlautbarung vom 24.7. hieß es noch pauschaliter:

Bei dieser Sach- und Rechtslage sieht das Bundesministerium für Justiz keine Möglichkeit, die seit vielen Jahren abgeschlossenen Dienstrechtsverfahren wieder aufzurollen, zumal gesetzliche Grundlagen für die Wiederaufnahme dieser Verfahren nicht bestehen.

Nachdem ich auf einige gesetzliche Grundlagen für die Wiederaufnahme hingewiesen habe, räumt das Ministerium jetzt ein, daß zur Wiederaufnahme der Verfahren nur dann keine Möglichkeit bestehe,

soweit im Zeitpunkt der Wiedereinstellung die Umstände der früheren Tätigkeit bekannt oder offenkundig waren.

Worauf sofort der Hinweis beigefügt wurde, daß bei den erwähnten Richtern und Staatsanwälten

die Art ihrer Verwendung im Justizdienst bis zum Jahre 1945 bekannt gewesen ist.

Auf meinen Nachweis, daß zumindest bei einem der betroffenen Justizfunktionäre zumindest ein Umstand seiner Tätigkeit vor 1945 dem Ministerium unbekannt war (Dr. Walther Hauke, ehemals Verbindungsmann zwischen NSDAP und Justiz, jetzt Ministerialrat im Justizministerium), wird nicht eingegangen.

Ebensowenig auf meinen Vorschlag, vom US-Document Center in West-Berlin oder von den Justizbehörden in Ost-Berlin die Rapporte der Sondergerichte an das ehemalige Reichsjustizministerium anzufordern, damit die gesamten „Umstände der Tätigkeit“ sämtlicher Richter und Staatsanwälte bekannt werden. Wobei das Justizministerium meine Behauptung, die Aktenbestände des Justizpalastes seien stark gelichtet worden, unwidersprochen ließ.

Tatsache ist also, daß Minister Dr. Broda (selbst ehemaliger Widerstandskämpfer, der es nur dem standhaften Schweigen eines später hingerichteten Mitverschwörers verdankt, daß er mit einer kleinen Freiheitsstrafe davongekommen und nicht ebenfalls geköpft worden ist) gegen seine ehemaligen Todfeinde, die dem Ansehen der österreichischen Justiz schaden, nichts unternimmt. Denn er ist heute auf die gute Zusammenarbeit mit diesen Leuten angewiesen.

Es müssen daher Mittel gefunden werden, diese Richter und Staatsanwälte unter Ausschaltung des Justizministers aus dem Dienst zu entfernen. Deren gibt es mindestens drei:

  1. Der Nationalrat setzt einen Untersuchungsausschuß ein, der aus West- und Ost-Berlin die Akten anfordert und mit den im Justizpalast vorhandenen Restbeständen vergleicht. Sollten sich Diskrepanzen herausstellen, kann der Nationalrat von sich aus eine Kommission einsetzen, die die Fälle wieder aufnimmt; denn die Einstellung nach 1945 erfolgte ebenfalls durch Kommissionen, die vom Nationalrat eingesetzt waren.
  2. Der Nationalrat beschließt ein Richtergesetz mit dem Wortlaut:

    Ein Richter oder Staatsanwalt, der in der Zeit vom 1. September 1939 bis zum 9. Mai 1945 als Richter oder Staatsanwalt in der Strafrechtspflege mitgewirkt hat, kann auf seinen Antrag in den Ruhestand versetzt werden.

    Zusätzlich faßt der Nationalrat eine Entschließung, in der es unter anderem heißt:

    Die sichere Aufklärung der Wahrheit, insbesondere die einwandfreie Feststellung, inwieweit die Verdächtigen eine persönliche Schuld trifft, begegnet wegen der inzwischen verstrichenen Zeit außerordentlichen Schwierigkeiten.

    Das Richtergesetz eröffnet daher zunächst die Möglichkeit, daß Richter und Staatsanwälte wegen ihrer möglichen Verstrickung in Geschehnisse der Vergangenheit sich selber entschließen, aus dem Dienst auszuscheiden. Diese Möglichkeit ist auch gerade den Richtern und Staatsanwälten zu gewähren, die schicksalhaft in Gefahren verwickelt wurden, die ihre Kräfte überstiegen.

    Das Richtergesetz soll einen neuen Anfang machen.

    Der Nationalrat erwartet, daß jeder Richter und Staatsanwalt, der wegen seiner Mitwirkung an Todesurteilen mit begründeten Vorwürfen aus der Vergangenheit rechnen muß, sich seiner Pflicht bewußt wird, jetzt aus dem Dienst auszuscheiden, um die klare Trennung zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart zu sichern. Die rechtsstaatliche Justiz kann sich um der Glaubwürdigkeit der Justiz unter der neuen Ordnung des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates willen unter keinen Umständen mit den Verfehlungen der nationalsozialistischen Zeit in Verbindung bringen lassen. Der Nationalrat nimmt mit Befriedigung zur Kenntnis, daß die Richtervereinigung ihre guten Dienste zur Verfügung stellt, um im Einzelfalle zu gerechten Lösungen zu kommen.

    Der Nationalrat wird, wenn es notwendig ist, eine verfassungsgesetzliche Entscheidung treffen, daß jeder Richter und Staatsanwalt, der ein unverantwortliches und unmenschliches Todesurteil mitverschuldete, sein Amt verliert. Der Nationalrat erwartet hierzu binnen Jahresfrist den Bericht der Bundesregierung, ob zu besorgen ist, daß ein Richter oder Staatsanwalt, demgegenüber diese Maßnahme geboten sein kann, sich noch im Amte befindet.

    Solch ein Gesetz und solch eine Entschließung wurden bereits am 14. Juni 1961 ohne Gegenstimme beschlossen.

    Vom Deutschen Bundestag.

    Am 10. September 1962 konnte der deutsche Justizminister dem Bundestag berichten, daß 149 Richter und Staatsanwälte auf Grund des Richtergesetzes die Versetzung in den Ruhestand beantragt hatten. Nur 8 Richter und 4 Staatsanwälte hatten von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht.

    Deutschlands Justizminister Stammberger ließ den Bundestag damals wissen:

    Welche Maßnahmen nunmehr zu treffen sein werden, bedarf der Prüfung. Ich bin bereit, für die zu treffende Entscheidung dem zuständigen Ausschuß des Bundestages das erforderliche Material zur Verfügung zu stellen und ihm Vorschläge für die in Betracht kommenden Maßnahmen zu unterbreiten.

    Seitdem ist auch in Deutschland nichts geschehen. In Österreich jedoch gab es bisher weder ein vergleichbares Richtergesetz noch eine vergleichbare Entschließung, geschweige denn ein vergleichbares Angebot des Justizministers.

  3. Im Staatsvertrag 1955 hat sich Österreich verpflichtet, die „Liquidierung der Überreste des Naziregimes“ auch ohne Aufsicht der Alliierten Kommission weiterzuführen. Da heißt es zum Schluß, der Bundespräsident „verspricht im Namen der Republik Österreich die gewissenhafte Erfüllung der in diesem Vertrage enthaltenen Bestimmungen“.

    Es wäre also von Vorteil, wenn der Bundespräsident die Liquidierung des Naziregimes in Österreichs Justizwesen in die Hand nähme. Am besten noch, bevor einer der Signatarstaaten auf den Gedanken kommt, ihn an die Einhaltung des 1955 gegebenen Versprechens zu erinnern.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
November
1965
, Seite 491
Autor/inn/en:

Oscar Bronner:

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