FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1965 » No. 142
Oscar Bronner

Die Richter sind unter uns

Unter dem Titel „Recht ist, was dem Richter nützt“ charakterisierte Egon Eis, FORVM XII/140-141, die NS-Justiz in einem allgemein gehaltenen Beitrag; daran schließt sich leider ganz zwanglos der nachfolgende, speziell österreichische. Noch spezieller Österreichisches veranlaßt uns, hiefür ein Sonderheft herauszubringen, welches von unserem Oktoberheft völlig abgetrennt erscheint. Österreich ist nämlich das Land nicht nur der Pressefreiheit, sondern auch der entschädigungsfreien Beschlagnahme von Presseprodukten. Dies gemäß Verordnung des Reichskommissärs für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich zur Anpassung von presserechtlichen Vorschriften an das Reichsrecht (Gesetzblatt für das Land Österreich Nr. 1291 ex 1939). Es wäre uns sehr unlieb‚ sollte etwa der Beitrag des großen österreichischen Juristen Hans Kelsen in unserem Oktoberheft einer Beschlagnahme mitverfallen, die sich gegen unsere Hinweise auf die Tätigkeit einiger anderer österreichischer Juristen zugunsten der NS-Justiz richten könnte und vermutlich richten wird.

Ich schütze ganz bestimmt die Richter ... Aber auch Richter stehen nicht unter Denkmalschutz (stürmischer Beifall), auch Richter müssen sich Kritik gefallen lassen (neuerlicher Beifall), denn auch wir lassen uns kritisieren.

Dr. Christian Broda auf dem Parteitag der SPÖ, FORVM, Juli/Aug. 1963, S. 341

Gestützt auf diese Ermächtigung kritisiere ich die nachfolgende Bekanntgabe des Bundesministeriums für Justiz, welcher die amtliche „Wiener Zeitung“ den treffenden Titel „Saubere Justizverwaltung“ gab:

Die nunmehr im gesamten Justizbereich abgeschlossene Überprüfung hat ergeben, heißt es in einer Bekanntgabe des Justizministeriums, daß der Dienstbehörde bei allen heute noch im Dienst der österreichischen Justiz stehenden Richtern und Staatsanwälten, soweit sie vor 1945 bei Sondergerichten oder in politischen Strafsachen mitgewirkt haben, diese Tatsache und die Umstände ihrer damaligen Tätigkeit bei der Wiedereinstellung aktenmäßig bekannt bzw. offenkundig waren.

„Wiener Zeitung“ vom 24. Juli 1965

Um welche Umstände der damaligen Tätigkeit von Richtern und Staatsanwälten kann es sich da handeln?

Zwischen 1938 und 1945 haben die nationalsozialistischen Machthaber tausende ‚legale‘ Todesurteile gegen Österreicher verhängt und vollstreckt. Allein das Hinrichtungsbuch des Landesgerichtes für Strafsachen in Wien enthält für die Zeit von 1940 bis Anfang April 1945 rund anderthalbtausend Namen von Männern und Frauen, die im Gefängnis des Gerichtshofes ‚legal‘ justifiziert wurden. Die Hingerichteten waren in der überwiegenden Mehrzahl österreichische Patrioten und Antifaschisten, auch viele Angehörige der vom Faschismus unterdrückten Nationen Europas einschließlich des polnischen Volkes waren darunter.

Dr. Christian Broda vor dem polnischen Juristenverein in Warschau, FORVM, Okt. 1964, S. 488

Die Anführungszeichen beim Wort „legal“ stammen von Dr. Broda. Sie sind in der Tat sehr wichtig. Von gleicher Wichtigkeit ist die Tatsache, daß die nationalsozialistischen Machthaber ihr Hinrichtungswerk nicht allein vollbrachten, sondern unter anderem mit Hilfe einiger

Richter des deutschen Landes Österreich!

Wir Rechtswahrer des deutschen Landes Österreich können stolz sein, zu diesem Werk nicht mit leeren Händen zu kommen. Das österreichische Recht hat in weit geringerem Maß als das Recht des früheren deutschen Reiches blutsfremden liberalistischen Einflüssen Raum gegeben. Darum ist im Lande Österreich für die Aufnahme des nationalsozialistischen Gedankengutes der Boden wohl vorbereitet.

Dr. Hueber — österreichischer Minister für Justiz und Landesführer des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes, „Österreichische Richterzeitung“, März 1938.

Deutsche Richter!

Nach alter germanischer Rechtsauffassung war immer der Führer des Volkes sein oberster Richter. Wenn also der Führer einen anderen mit dem Amt eines Richters belehnt, so bedeutet das, daß dieser nicht nur seine richterliche Gewalt vom Führer ableitet und ihm verantwortlich ist, sondern auch daß Führertum und Richtertum wesensverwandt sind.

Der Richter ist demnach auch Träger der völkischen Selbsterhaltung. Er ist Schützer der Werte eines Volkes und Vernichter der Unwerte ...

Mit dieser Aufgabe ist der Richter der unmittelbare Gehilfe der Staatsführung.

Vertrauliche Mitteilung des Reichsministers der Justiz Dr. Thierack, 1. Oktober 1942

Die Nazi besaßen eine Portion Fairness. Sie ließen ihre unmittelbaren Gehilfen nicht im unklaren. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten österreichische Richter, die keinen Wert darauf legten, in Wesensverwandtschaft mit Hitler „Vernichter der Unwerte“ zu sein, aus dem Justizdienst ausscheiden müssen. Einige hängten tatsächlich den hakenkreuzgeschmückten Talar an den Nagel, viele blieben im Amt, manche bis heute, siehe oben, „Wiener Zeitung“ unter dem Titel „Saubere Justizverwaltung“.

Der aus Serbien verschleppte Zwangsarbeiter Miodrag Milenkovic wurde am 24. Mai 1944 im Wiener Landesgericht als „Volksschädling“ geköpft. Sein Ankläger wurde 1945 vom Dienst enthoben, 1947 wiedereingestellt und ist seit 1958 Generalanwalt bei der Generalprokuratur.

Zusammen mit 22 anderen Häftlingen wurde Leopold Strasser am 29. April 1943 im Wiener Landesgericht für Strafsachen geköpft. Sein Richter ist heute Senatsvorsitzender des Landesgerichts für Zivilrechtssachen. Sein Ankläger wurde 1945 in den Ruhestand versetzt, welche Versetzung jedoch nicht in Rechtskraft erwuchs; seit 1945 wieder im Dienst, ist er zur Zeit Hofrat des Obersten Gerichtshofes.

Am 6. März 1944 verfaßte der Erste Staatsanwalt beim Landgericht Wien, Dr. Walter Lillich, die Anklageschrift gegen Theresia Mayer, 23 Jahre, wegen „böswillig heimtückischer Äußerungen über die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“. Er konnte nur eine einzige angebliche Äußerung zitieren — „Es wird erst Friede werden, wenn der Nationalsozialismus von der Welt verschwindet“ — und fügte hinzu: „Die Angeschuldigte bestreitet, diese Äußerung getan zu haben, wird aber durch die glaubhafte Bekundung des Zeugen zur Gänze überführt.“ Bei der Verhandlung vor dem Sondergericht rief Dr. Lillich: „Sie werden die ganze Strenge des Gesetzes zu spüren bekommen“, und forderte für das junge Mädchen die Todesstrafe. Der Fall wurde an den berüchtigten Volksgerichtshof abgetreten, doch selbst diesem war Dr. Lillich zu forsch. Theresia Mayer wurde nach 14 Monaten Untersuchungshaft freigesprochen.

Ihr Ankläger ist heute Senatsrat des Oberlandesgerichtes Wien.

Als vom „Bund der Opfer des politischen Freiheitskampfes in Tirol“ auf Dr. Lillich verwiesen wurde, antwortete Dr. Broda mit dem Verweis auf eine Kommission:

Dr. Broda kann diesen Brief nicht in Kenntnis der hiemit vorgelegten Dokumente geschrieben haben. Er muß falsch unterrichtet worden sein.

Welcher Art war die von Dr. Broda genannte Kommission? In der eingangs erwähnten Bekanntgabe des Justizministeriums heißt es:

Die Weiterverwendung bzw. die Wiederindienststellung erfolgte entweder durch Beschluß der seinerzeit zuständigen Kommission nach Paragraph 19 des Verbotsgesetzes, in der die Vertreter aller 1945 wieder zugelassenen politischen Parteien Sitz und Stimme hatten, oder nach Überprüfung durch die zuständigen Sonderkommissionen bzw. Dienstbehörden und in jenen Fällen, in denen die Zustimmung der Besatzungsmächte erforderlich war, mit deren Genehmigung.

„Wiener Zeitung“ vom 24. Juli 1965

Nach welchen Richtlinien amtierten diese Kommissionen? Dr. Broda berichtete der sozialistischen Parteivertretung:

Damals wurde nach Prüfung der Einzelfälle durch Sonderkommissionen bzw. Dienstbehörden festgestellt, daß die genannten Justizfunktionäre die Gewähr dafür bieten, daß sie sich jederzeit rückhaltlos für die Republik Österreich einsetzen werden.

„Arbeiter-Zeitung“ vom 30. Juni 1965

Diese Formulierung der Untersuchungsziele findet sich weder im vorerwähnten Paragraph 19 des Verbotsgesetzes noch im „Bundesverfassungsgesetz vom 21. Mai 1947 zur Durchführung der Bestimmungen des Nationalsozialistengesetzes über die Ausübung von Berufen und den Betrieb von Unternehmungen durch minderbelastete Personen“. Überhaupt finden sich in keinem der beiden Verfassungsgesetze irgendwelche Richtlinien für die Kommissionen. Galt die Mitwirkung am Zustandekommen oder an der Vollstreckung eines „legalen“ Todesurteils noch für tragbar? Ab wieviel Todesurteilen begann die Untragbarkeit? Oder galt einfach die jedem gelernten Österreicher geläufige Richtlinie: Schluckst du meinen schwarzen Nazi, dann schlucke ich deinen roten Nazi, frißt du meinen schwarzen bzw. roten Nazi, dann fresse ich deinen kommunistischen Nazi —?

Ein heute noch im Dienst der österreichischen Justiz Stehender — er genoß die Unterstützung des seinerzeitigen kommunistischen Unterstaatssekretärs im Staatsamt für Justiz, Dr. Karl Altmann, — saß selbst in einer dieser Kommissionen.

Als die österreichische Widerstandsbewegung auf ihn (und andere) aufmerksam machte, antwortete das Justizministerium:

Ministerialrat Dr. Walther Hauke, Leiter der Abteilung 18 des Bundesministeriums für Justiz (Personalangelegenheiten und Justizanstalten), hat sich am 18. April 1945 zum Dienstantritt im damaligen Staatsamt für Justiz gemeldet

Das Staatsamt wurde erst am 27. April 1945 errichtet.

Vgl. „Österreichischer Amtskalender“, XXXII. Jg., S. (13)

und steht seither im ministeriellen Dienst. Ministerialrat Dr. Hauke war nach Kenntnis des Justizministeriums niemals Verbindungsmann zwischen NSDAP und Justiz,

zumal er der NSDAP nicht angehört hat. Die seinerzeitige Tätigkeit des Ministerialrates Dr. Hauke als Staatsanwalt vor dem April 1945 war im Jahre 1946 Gegenstand einer Prüfung, die damals negativ verlaufen ist.

„Wiener Zeitung“ vom 12. Juni 1965

Diesen Fall und die übrigen faßte das Justizministerium wie folgt zusammen:

In allen Fällen haben die in Frage kommenden Richter und Staatsanwälte seit ihrer Weiter- oder Wiederverwendung ihren Dienst ohne jeden Anstand versehen und ihre Pflicht auf Grund ihres Diensteides voll erfüllt.

Bei dieser Sach- und Rechtslage sieht das Bundesministerium für Justiz keine Möglichkeit, die seit vielen Jahren abgeschlossenen Dienstrechtsverfahren wieder aufzurollen, zumal gesetzliche Grundlagen für die Wiederaufnahme dieser Verfahren nicht bestehen.

Im übrigen hat der Gesetzgeber durch wiederholte legislative Maßnahmen, deren letzte nach Abschluß des österreichischen Staatsvertrages erfolgte, entschieden, daß die zur Aufstellung der Personalstände im öffentlichen Dienst nach 1945 vorgesehen dienstrechtlichen Maßnahmen abgeschlossen sind.

„Wiener Zeitung“ vom 24. Juli 1965

Es ist nicht leicht, sich bei der Auslegung von Gesetzen mit dem Bundesministerium für Justiz einzulassen. Ich gestatte mir drei Hinweise:

  1. Bundesverfassungsgesetz vom 14. März 1957, womit Bestimmungen des Nationalsozialistengesetzes, BGBl. Nr. 25/1947, abgeändert oder aufgehoben werden (NS-Amnestie):

    § 7 (1) Die im Verbotsgesetz 1947 und sonstigen Gesetzen enthaltenen Sühnefolgen enden mit dem Inkrafttreten dieses Bundesverfassungsgesetzes für die in § 17 Abs. 2 und 3 des Verbotsgesetzes 1947 genannten Personen, sofern sie nicht bereits geendet haben.

    § 8 (1) Die Wirkungen von Sühnefolgen und Rechtsnachteilen, die vor dem Inkrafttreten dieses Bundesverfassungsgesetzes kraft Gesetz oder durch rechtswirksame Maßnahmen eingetreten sind, bleiben unberührt, sofern in den folgenden Bestimmungen dieses Bundesverfassungsgesetzes nichts anderes bestimmt wird.

    (2) Anhängige Verfahren über den Eintritt von Sühnefolgen und Rechtsnachteilen sind nach den bisher geltenden Bestimmungen durchzuführen.

    Bundesverfassungsgesetz vom 21. Mai 1947 zur Durchführung der Bestimmungen des Nationalsozialistengesetzes:

    § 7 Das Verfahren vor der Kommission kann auch zu Nachteil des Betroffenen wieder aufgenommen werden, wenn nachträglich Umstände hervorkommen, die eine andere Entscheidung herbeigeführt hätten.

  2. Dienstrechtsverfahrensgesetz vom 12. März 1958:

    § 13 (1) In Dienstrechtsangelegenheiten ist eine Aufhebung oder Abänderung von rechtskräftigen Bescheiden von Amts wegen auch dann zulässig, wenn die Partei wußte oder wissen mußte, daß der Bescheid gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstößt.

    (2) Zur Aufhebung und Abänderung und zur Erklärung der Nichtigkeit ist die zuständige oberste Dienstbehörde berufen.

  3. Bekanntgabe des Bundesministeriums für Justiz, „Wiener Zeitung“ vom 24. Juli 1965:

    Sollten dem Bundesminister für Justiz mit den vorstehenden Darlegungen nicht in Übereinstimmung stehende Tatsachen bekannt werden, heißt es abschließend in der Bekanntgabe, wird im gleichen Sinn verfahren werden, wie es bei der Untersuchung der Fall gewesen ist, die aus Anlaß der Mitteilungen der Österreichischen Widerstandsbewegung durchgeführt und nunmehr abgeschlossen wurde.

Solche Tatsachen könnten dem Bundesministerium für Justiz bekannt werden, wenn es vom US-Document Center in Westberlin oder von den Justizbehörden in Ostberlin die Rapporte der Sondergerichte an das Reichsjustizministerium anforderte; das Material wird an private Stellen nicht ausgefolgt, wohl aber an Gerichte, Untersuchungsbehörden und Regierungen. Solcherart ließen sich die Aktenbestände des Justizpalastes, die dort stark gelichtet wurden, wiederum komplettieren

Es geht auch anders, doch so geht’s auch:

„Arbeiter-Zeitung‘‘ vom 30. Juni 1965

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Oktober
1965
, Seite 442
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Oscar Bronner:

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