MOZ » Jahrgang 1989 » Nummer 45
Birge Krondorfer • Eva Meyer

Das Weibliche verschwindet nicht

Die Philosophin und Schriftstellerin Eva Meyer lebt in Berlin. Sie ist mit ihren Veröffentlichungen — u.a. „Zählen und Erzählen“, „Versprechen — ein Versuch ins Unreine.“ — eine der Vordenkerinnen für eine Theorie des Weiblichen im deutschsprachigen Raum. Eva Meyer ist neben ihrer internationalen Lehrtätigkeit ausgebildete Puppenspielerin und hat zudem den LILITH-Fravenbuchladen und -verlag in Berlin mitbegründet. Birge Krondorfer interviewte sie für die MONATSZEITUNG.

MONATSZEITUNG: Soweit ich deine Arbeit bis jetzt verstanden habe, geht es in der Hauptsache darum, das Weibliche nicht in Opposition zu begreifen, also nicht zu fixieren, weil es so wieder Position beziehen würde und damit eine Reproduktion der herkömmlichen Logik ist. Du beschreibst das Weibliche mit dem Begriff einer Verfahrensweise. Was verstehst du darunter? Wie ist es möglich, jenseits von Opposition und Kategorien — und damit auch Bildern — zu denken?

EVA MEYER: Auf Bilder und Bestimmungen muß schon Bezug genommen werden; man kann nicht so naiv sein, als hätte man unschuldig mit noch nicht affizierten Wörtern und Bildern zu tun. Man muß feststellen, daß Weibliches auch innerhalb einer Opposition funktioniert und damit in eine hierarchische Funktionsweise eingebettet ist. Wenn man versucht, aus dem Negativen eine Umkehrung zu machen, wird zunächst eine abbildtheoretische Schablone suspendiert und darin eine Prozessualität freigesetzt. Durch eine andere Gewichtung läßt sich ein anderes Verhältnis zur Opposition herstellen. Es ist immer ein Doppeltes von Innerhalb und Außerhalb, das steht in Korrespondenz und im Zusammenhang. Man muß einen Abstand zu dem, was man vorgibt zu verlassen, auch wieder herstellen. Heute habe ich von einer Absetzungsfunktion gesprochen, eine Frau als den Unterschied, der eine Umgebung schafft, eingeführt. Dies bezeichnet einen Unterschied zum Unterschied innerhalb der Opposition, die dann keine lineare Folgerichtigkeit mehr hat. Das bekommt dann eine räumliche Bewegung, die einerseits das Verlassene einschreibt und einen Kontext schafft, der nicht mehr totalisiert werden kann. art

MONATSZEITUNG: Siehst du einen Ausweg aus den Fallen von Totalisierungen, ihren Hierarchien sowie ihren produzierten und funktionierenden Gegensätzen im Verfassen von Texten?

EVA MEYER: Ja, es geht darin um eine Positionierung, um die Ebene der Negativität zu verlassen. Ich habe heute davon gesprochen: vom Alleinsein, Nichtalleinsein und vom Nicht-Dran-Denken. Bezugnehmend auf Gertrude Stein, der es nicht um Gegensätze geht, sondern um die Verwerfung der Alternative. Das’„dies schafft ihr eine Umgebung“ gab mir ein Vehikel, um mich reflexiv auf die logisch-strukturellen Zusammenhänge zu beziehen und andererseits Kontexturbrüche anzulegen. G.S. geht in die Sprache rein und versucht darin, Handlungen zu praktizieren und nicht einfach bestimmte Bedeutungsschemata zu übernehmen und auszuspielen.

MONATSZEITUNG: Würde das bedeuten, Politik auf sprachlicher Ebene zu machen?

EVA MEYER: Politisch ist es Kritik am Dargestellten und im Aufweisen, daß nicht alles innerhalb einer bestimmten Gegebenheit funktioniert. Politik ist es insofern, als es etwas tut, sich engagiert, sich einsetzt und versucht, eine Art von Direktive abzuleiten.

MONATSZEITUNG. Es gibt doch verschiedene Ansätze innerhalb des Feminismus. Diejenigen der praktischen Politik und die der Theoriebildung. Was kann das Denken des Anderen oder das andere Denken dabei für eine Bedeutung haben?

EVA MEYER: Es ist falsch, immer Praxis und Politik gleichzusetzen. Wenn man vom Weiblichen als Verfahren ausgeht, ist es ein Arbeiten am Unterschied. Diesen als Ausgangspunkt nehmen und von daher asymmetrische Ausweitungen zeigen, die den Ausgangspunkt zurückführbar zurückbilden. Einer dieser Punkte ist zum Beispiel die Opposition männlich-weiblich, die damit durchkreuzt wäre.

MONATSZEITUNG: In dem Kontext dieser ganzen Veranstaltung hier stellt sich dann die Frage, wie unter der Perspektive der systemtheoretischen Vernetzung, wo die totalitäre Vergleichung von allem mit allen und jedem mit jeden gegeben ist, noch ein Setzen auf den Unterschied möglich ist?

EVA MEYER: Ich habe ja versucht zu zeigen, daß das Netz nichts Zweidimensionales ist, sondern daß die Vernetzung immer auch eine Einbeziehung und Verortung von Positionen ist, die überhaupt erst gemacht werden müssen. Das sind schrittweise Prozesse und nicht das Durchhalten einer bestimmten Diskursebene, die eine Totalisierung produziert und sich damit zuständig erklärt. Das weibliche Verfahren hingegen schafft Diskontinuitäten, um eine Mehrlinigkeit in der Vemetzung deutlich zu machen und verschiedene Anfänge — nicht einfach einen Anfang, eine Mitte und ein Ende.

Es geht nicht um Verwerfungen und Sich-aus-dem-System-Herausstellen, es geht auch um Erwerfungen. Wo läßt sich das Ungewußte finden, wie kann man das Unbestimmte bestimmen, ohne daß das ein Widerspruch ist? Definitionen müssen nicht mit Inhalten zusammenfallen und mit Begriffsschablonen generiert werden. Die Verwerfungsstrategie als weibliche Verfahrensweise nimmt das Innerhalb der Gegensätze auf, verläßt es gleichzeitig und erwirft damit einen neuen Zusammenhang.

MONATSZEITUNG: Hat dieses Erwerfen noch etwas mit Entwürfen zu tun?

EVA MEYER: Natürlich, das ist eine Mischung zwischen Gedächtnis und Erfindung, aber es ist kein Entwurf von irgendeiner wie auch immer gearteten Utopie.

MONATSZEITUNG: Kann es deiner Ansicht nach keine aufklärerischen Absichten mehr geben?

EVA MEYER: Keine aufklärerische Absicht wird sich an dem messen, was beim Schreiben an Lebendigkeit passiert. Das Schreiben und das Gewußte repliziert eine Geschichte. Es geht nicht um utopische Entwürfe, sondern darum, in Kleinarbeit einen kleinen Abstand zu finden. Das sind Prozesse, die schrittweise funktionieren, die einen Kontext schaffen, der der Abstand ist, und Prozesse, die keine Linearität verfolgen. Vorläufig, rückläufig und gegenläufig — um mit dem Modewort zu sprechen — „vernetzt“.

MONATSZEITUNG: Wie ist das dann mit dem Verschwinden des Weiblichen überhaupt — netzlogisch, computerlogisch und gentechnologisch? Was bleibt dann noch übrig?

EVA MEYER: Das heißt ja nicht, daß das Weibliche verschwindet, sondern daß eine bestimmte Funktion vom Weiblichen abgelöst wird. Bestimmte Funktionsweisen, die dem Weiblichen zugesprochen wurden, werden von der Frau abgelöst. Man muß das schon differenzieren; wenn das aus dem Uterus herausgeholt wird, heißt das nicht, daß es kein Weibliches mehr gibt. Es gibt eine Ablösung von biologischen Zugehörigkeiten, bestimmte Zuordnungen von Frau und weiblich werden damit problematisch und durchkreuzt. Da muß man vorsichtig sein, ich weiß nicht, ob nicht viele Frauen an der Gentechnologie beteiligt sind.

MONATSZEITUNG: Du würdest die Gentechnologie also nicht als Enteignungsprozedur sehen?

EVA MEYER: Natürlich ist sie eine Enteignungsprozedur insofern, als da etwas, das zum Weiblichen gehört, nicht mehr als Aufgabe der Frau übrigbleibt. Es gibt eine Entzerrung zwischen weiblich und Frau. Schon Shulamit Firestone hat in ihrer „Sexuellen Revolution“ diese Entbindung von der Mutterfunktion als revolutionäre Utopie gesehen.

MONATSZEITUNG: Sie ist also keine Entmachtung von der Mutterposition?

EVA MEYER: Von der Mutterfunktion her gesehen ist sie schon eine Entmachtung, aber für eine Frau, die nicht Mutter sein will, kann es auch ein Zuwachs an Macht sein. Das Weibliche verschwindet nicht, sondern es wird von einem alten Verhältnis losgelöst.

MONATSZEITUNG: Angenommen, du würdest mit einer grünen Realpolitikerin an einem Tisch sitzen, was würdest du ihr sagen?

EVA MEYER: Es gibt ja nicht nur das eine und das andere. Es gibt berechtigte Forderungen von Frauen gegen die Gentechnologie. Es geht nicht darum, das eine zu tun und das andere zu lassen, es geht darum, das eine über dem anderen nicht aus den Augen zu verlieren. Es gibt Dinge, die man tun muß, die nicht unbedingt geleitet werden von einer großen Theorie, die Handlungsanweisungen für bestimmte historische, soziale Notwendigkeiten gibt. Es gibt Dinge, die man unterstützt, aber nicht als absolute Ideologie.

MONATSZEITUNG: Orientierst du dich mit deiner Konzeption des Asymmetrischen nicht auch implizit an einer Ethik?

EVA MEYER: Es gibt eine persönliche Neugierde, mich interessiert das, was ich nicht weiß, aber nicht in Form eines Wissens, sondern von etwas, was sich nicht an traditionellen Konzepten von Ontologie, Biologie und Logik orientiert. Man kann versuchen, die ganzen Gegensätze noch einmal erneut zu thematisieren, um herauszufinden, auf Grund welcher Ökonomien es funktioniert, wie es funktioniert.

Sie nicht für sich in Anspruch nehmen, sondern damit spielen und dabei feststellen, welche Dinge verdrängt werden, unter den Tisch fallen, subsumiert werden und in welcher Weise sie eingebettet und aufgehoben sind. Versuchen, einen neuen Anfang innerhalb der Konstruktionen zu finden, eine Reaktivierung von einer schon beschlossenen Sache zu machen, die nicht auf dasselbe zurückläuft. In einer ersten Umkehrung ein anderes Kräfteverhältnis zum Zuge zu bringen.

Man kann natürlich sagen, daß das eine Form von Ethik ist. Aber ich bin da etwas praktischer, pragmatischer in bezug auf das, was man tut, was man schreibt und nicht, indem man eine Theorie und ein Konzept davon entwirft. Ich bin nicht im Besitz einer Theorie, sondern das sind kleine Sachen, das ist Handwerk. Ich versuche, von so kleinen Dingen auszugehen, diese etwas umzustellen, zu experimentieren.

MONATSZEITUNG: Gibt es für dich einen Unterschied zwischen deiner Textarbeit — dem Aufbrechen von Identiät in herkömmlichen Diskursen — und der Realität?

EVA MEYER: Also diesen Unterschied, den verstehe ich überhaupt nicht mehr. Nämlich deshalb nicht, weil wir keinen Zugang zur Realität haben, der unabhängig von allen Kategorisierungen ist. Gleichzeitig wird die Realität durchs Schreiben auch konstituiert. Das gilt für alle Beschreibungen, von Literatur bis zu soziologischen Untersuchungen, für alles, was der Meinung ist, Realität zu erfassen. Das sind keine sich gegenüberstehenden Blöcke. Ich habe jetzt ein Buch geschrieben, das heißt „Autobiographie der Schrift“. Dort versuche ich noch einmal Begriffe wie Autos, also das Selbst, Bios, das Leben und Graphie in ihrer Vermittlung zu thematisieren. Damit ist schon eine explizite Selbstthematisierung gegeben, aber auch eine ganz starke Anti-Repräsentation, indem die Autobiographie nicht ein ganz bestimmtes Leben repräsentiert. Und die Autobiographie der Schrift ist auch nicht etwas, was es außerhalb des Buches gegeben hat und was mit dem Buch zu Ende ist, sondern es legitimiert sich durch die Entstehung des Buches selber und ist gleichzeitig auch ein Lesen und Schreiben von anderen Leben. Es ist keine Abbildfunktion mehr von irgendeinem Ich und irgendeinem Leben, keine Polarisierung zwischen Schreiben und Leben. In dem Maße, wie ich ein Buch schreibe, hat das auch Auswirkungen auf mich; das ist die Lebendigkeit eines Textes.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Oktober
1989
, Seite 3
Autor/inn/en:

Birge Krondorfer:

Politische Philosophin und feministische Aktivistin. „Freie“ Lehrende für Bildungs-, Kultur-, Genderwissenschaften seit 1990 an inter/nationalen Universitäten. Veröffentlichungen zur Theorie- und Praxisbildung der Geschlechterdifferenzen. Organisierung von Frauengroß- und kleinkonferenzen seit 1985. Mitgründung und ehrenamtlich tätig in der Bildungsstätte Frauenhetz/Wien und im VfW. Tätig in der Erwachsenenbildung; zertifiziert in Groupworking, Supervision, Mediation, Interkulturelles Training.

Eva Meyer:

Philosophin und Schriftstellerin in Berlin.

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