FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1964 » No. 126/127
Christian Broda

Das Parlament ist am Zug

Referat auf der österreichischen Richterwoche, Weißenbach 1964

Die Menschen, die im öffentlichen Leben stehen, und die Richter — sie stehen in gleicher Weise unter der steten Kontrolle der Öffentlichkeit. Sie formen die öffentliche Meinung und die öffentliche Meinung formt sie.

Die freie Gesellschaft könnte nicht bestehen ohne ihr Lebenselement: Kontrolle durch Öffentliche Meinung.
Demokratie und Rechtsstaat sind auch in dieser Beziehung untrennbar miteinander verbunden. Niemals können sie auf die öffentliche Kritik, niemals können sie — abgesehen von den im Gesetz bestimmten, eng umschriebenen Ausnahmen — auf das öffentliche Verfahren verzichten, ohne sich selbst aufzuheben.

Die moderne Massendemokratie steht und fällt mit dem Funktionieren ihrer Kontrolleinrichtungen. Die Bäume sollen nicht in den Himmel wachsen: die Tendenz zum Machtmonopol gehört zur modernen Gesellschaft; die freie Presse ist unentbehrlich für alle Bemühungen, Machtmonopole zu begrenzen und zu beschränken.

Das ist unveränderlich mein Bekenntnis zur Freiheit der Presse und zur Verpflichtung des Verfassungsgesetzgebers, alles vorzukehren, damit die Informationsfreiheit, die Freiheit der Nachrichtenübermittlung und die Freiheit der Kritik garantiert werden. Sie sind und bleiben die drei Säulen der Pressefreiheit.

Presse als Kontrollor

Ich schrieb, als wir den Pressegesetzentwurf 1961 einbrachten (FORVM, Jänner 1961):

Die gesellschaftliche Bedeutung der Tätigkeit des Journalisten — einer Tätigkeit, die grundsätzlich nicht anders beschaffen ist als jede andere sozial gleichwertige — liegt darin, daß sein Arbeits- und Wirkungsbereich die berufsmäßige Ausübung gesellschaftlicher Kontrolle ist. Die gesellschaftliche Funktion der Berufstätigkeit des Journalisten, soweit sie nicht der Befriedigung des Unterhaltungsbedürfnisses dient, besteht im Kontrollieren, so wie die berufliche Tätigkeit anderer öffentlicher Funktionäre im Regieren liegt. Deshalb haben gewiß die regierenden Funktionäre nicht immer unrecht und die kontrollierenden Journalisten immer recht. Aber ohne ihre Kontrolle gibt es keine demokratische Regierung.

Es liegt für jene, die von der Presse kritisiert oder verunglimpft werden, weder Grund zur Verbitterung noch zur Resignation vor. Es gab auch eine Zeit, in der die freie Schiffahrt von Piraten bedroht wurde. Hat man deshalb die Schiffahrt eingestellt? Die Piraterie ist längst verschwunden und unbehindert fahren die Schiffe auf allen Weltmeeren. Mit den Piraten der Pressefreiheit wird es nicht anders sein.

In dem Maß, in dem wir Politiker unser Handwerk besser verstehen und unser Handwerkzeug besser gebrauchen können, wird auch die Presse unseres Landes besser werden, als sie es heute vielfach noch ist.

Solange es für einen Teil unserer Zeitungen selbstverständlich ist, daß Nachrichten von echtem Nachrichtenwert willkürlich unterdrückt werden, unter krasser Mißachtung der Informationspflicht, die der Presse obliegt, wenn die Pressefreiheit Inhalt haben soll, solange Personen zu Unpersonen werden, wenn es der Zeitung so beliebt — solange ist es kein Wunder, wenn auch der Gesetzgeber den Schritt zum Presserecht der Zweiten Republik noch nicht gewagt hat.

Das beste Gesetz ist keines

Gestatten Sie mir drei Feststellungen — aus der Sicht des Justizministers, der vier Jahre hindurch Erfahrungen sammeln konnte:

Erstens: Das Maß für die Reife der Gesellschaft bilden der Umfang und der Inhalt der Pressefreiheit, die der Staat gewährt, und die Art und Weise, wie die Presse von dieser Freiheit Gebrauch macht. — Im Gefolge der großen gesellschaftlichen Umwälzungen in Österreich gab es immer auch Pressegesetzentwürfe oder Gesetzentwürfe, die das Presserecht betrafen. Unter Josef II., dann 1848, 1867, 1900, 1922, 1961 — viele dieser Versuche sind steckengeblieben. Die Zeit war noch nicht reif. 1922 wurde das Pressegesetz der Ersten Republik geschaffen. Es wird auf immer mit dem Namens seines Schöpfers Friedrich Austerlitz verbunden bleiben. Von ihm stammt das tiefe Wort: „Das beste Pressegesetz ist kein Pressegesetz.“ Das Pressegesetz 1922 steht noch heute in Kraft. Viele seiner Bestimmungen wurden unterdessen so verändert, daß in mancher Beziehung ihr Inhalt in das Gegenteil dessen verkehrt wurde, was 1922 in den Absichten des Gesetzgebers lag. Ich denke an die Entgegnung und die Beseitigung der Bestimmungen über die Ersatzpflicht bei ungerechtfertigter Beschlagnahme.

Zweitens: Alle Versuche, zu einem Pressegesetz der Zweiten Republik zu kommen, sind in den ersten zwei Jahrzehnten dieser Republik gescheitert. Auch der Pressegesetzentwurf 1961 ist gescheitert. Das Justizministerium bekennt sich unverändert zu den tragenden Grundgedanken des Entwurfes. Wir glauben, daß es ein gutes Gesetz geworden wäre. Die Verhandlungen im Unterausschuß des Justizausschusses im Sommer 1961 sind positiv verlaufen. Dennoch ist seit dem Bericht des Berichterstatters, des verstorbenen Abgeordneten Peter Strasser, im Justizausschuß am 7. Dezember 1961 im Parlament nichts mehr geschehen, um den Gesetzentwurf der Beschlußfassung und Verabschiedung zuzuführen. Die Neuwahl des Nationalrates zur X. Gesetzgebungsperiode kam dazwischen. Der Gesetzgeber erlahmte und die Presse erlahmte. Die Zeit war noch nicht reif: weder für den Pressegesetzentwurf der Zweiten Republik noch für die Verwirklichung des Gedankens der Selbstkontrolle der österreichischen Presse, wie ihn Oscar Pollak, der 1963 verstorbene Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung, gefordert hatte und wie er bei der Bildung des Presserates Anfang 1961 gleichzeitig mit der Einbringung des Pressegesetzentwurfes verwirklicht werden sollte.

Drittens: Im Mittelpunkt der weiteren Diskussion um das Presserecht der Zweiten Republik werden weiterhin folgende Probleme stehen:

  1. Die verfassungsrechtliche Sicherung der öffentlichen Aufgabe der Presse. Durch Beschluß des Nationalrates haben die Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention, darunter auch Artikel 10, der sich mit der Presse- und Informationsfreiheit befaßt, Verfassungsrang erhalten. Die Entwicklung des österreichischen Presserechtes wird dieser verfassungsrechtlichen Entwicklung Rechnung tragen müssen.
  2. Die Neuregelung des Entgegnungsrechtes. Eine „Gegendarstellung“ soll nicht gebracht werden müssen, wenn ihre Unwahrheit nachgewiesen werden kann und wenn kein Rechtsschutzinteresse an der Veröffentlichung besteht. Wir wollen keine Privilegierung unwahrer und schikanöser Entgegnungen.
  3. Eine Zeitungsbeschlagnahme soll durch den Richter abgelehnt werden können, wenn das Interesse der Informierung der Öffentlichkeit gegenüber dem Rechtsschutzinteresse der Beteiligten an der Durchführung einer Beschlagnahme überwiegt.
  4. Die Beschlagnahme von Druckwerken soll durch ausdrückliche gesetzliche Bestimmung dem unabhängigen Gericht vorbehalten bleiben.
  5. Im Falle ungerechtfertigter Beschlagnahme, die durch die Rechtsmittelinstanz aufgehoben wird, soll durch den Staat volle Entschädigung geleistet werden.

Bei diesen fünf Punkten handelte es sich auch um die tragenden Gedanken des Pressegesetzentwurfes 1961. Zu ihnen bekennt sich unverändert auch heute das Bundesministerium für Justiz.

Vorerst kein neuer Entwurf

Das Bundesministerium für Justiz wird vorerst keinen neuen Pressegesetzentwurf ausarbeiten. Ebenso hätte es keinen Sinn, den Entwurf 1961 noch einmal dem Nationalrat der X. Gesetzgebungsperiode zuzuleiten. Inzwischen ist die Zeit weiter- und auch über den Entwurf 1961 hinweggeschritten.

Das Interesse des Justizministeriums an der Fortentwicklung des Presserechtes ist unverändert geblieben. Aber wir werden anders vorgehen: das Justizministerium wird dem Nationalrat in der Herbstsession einen Bericht über den bisherigen Verlauf der Arbeiten zur Neuregelung des Presserechtes seit 1945 unter Berücksichtigung der internationalen Erfahrungen und der zwischenstaatlichen Verpflichtungen Österreichs auf Grund der Europäischen Menschenrechtskonvention vorlegen.

Die Mitglieder des Nationalrates bzw. des Justizausschusses werden damit in die Lage versetzt werden, das Bundesministerium für Justiz als Organ der Vollziehung allenfalls durch eine Entschließung wissen zu lassen, nach welchen Grundsätzen ein neuer Pressegesetzentwurf erstellt werden soll. Die Zweite Republik wird sich ihr Pressegesetz schaffen, wie noch in jeder Phase der österreichischen Verfassungsgeschichte der Weg zu jenem Presserecht gefunden wurde, das dem Entwicklungsgrad der Gesellschaft entsprach. Dem Justizressort ist dabei die Ehre und die Last der Federführung auferlegt.

Der Pressegesetzentwurf 1961 des Justizministeriums ist vorerst gescheitert. Dennoch ist er bereits heute ein untrennbarer Bestandteil der langen und wechselvollen Geschichte des österreichischen Presserechtes geworden. Jeder künftige Pressegesetzentwurf wird auf den Bestimmungen des Entwurfes 1961 aufbauen. Auch Entwürfe, denen es niemals vergönnt gewesen ist, Gesetz zu werden, können nachhaltigen Einfluß auf die Rechtsentwicklung ausüben.

Erziehung durch Entwürfe

Hans Dölle würdigte z.B. den österreichischen Entwurf zum Internationalen Privatrecht von 1913, der nie Gesetz wurde, in seinem Festvortrag aus Anlaß der Ehrenpromotion an der Universität Wien am 21.9.1963. Prof. Dölle verwies dort in eindrucksvoller Weise auf die Bedeutung eines österreichischen Gesetzentwurfes, der niemals Wirklichkeit wurde, für die internationale Rechtsvereinheitlichung. Ich bin daher nicht resigniert, weil der Pressegesetzentwurf 1961 nicht verwirklicht werden konnte. Gesetzgebung verlangt Erziehung der Öffentlichkeit. Mißlingt ein gesetzgeberisches Vorhaben, so ist dies ein Zeichen dafür, daß die Erziehungsarbeit in der Öffentlichkeit noch nicht weit genug gediehen war. Man muß die Erziehungsarbeit fortsetzen.

Die Justiz hat mit dem Pressegesetzentwurf 1961 ihren Beitrag zur Diskussion des Presserechtes in der Zweiten Republik geleistet. Jetzt möge uns der Gesetzgeber sagen, wie weiter verfahren werden soll. Wenn wir den Willen des Gesetzgebers zu erkennen vermögen, werden wir ihn gewiß auch in Gesetzesform auszudrücken verstehen.

Jetzt brauchen wir alle, die wir im Interesse der Demokratie und des Rechtsstaates ein zeitgemäßes und fortschrittliches Pressegesetz wünschen, beharrliche und geduldige Aufklärungsarbeit über das Wesen und die Bedeutung der Pressefreiheit in der modernen Gesellschaft. Und auch das wichtigste Erziehungsmittel brauchen wir: Beispiel und Vorbild. Möge die Presse selbst ihren Beitrag zu dieser Erziehungsarbeit leisten.

Das werden die Voraussetzungen für die Überwindung aller Schwierigkeiten sein, die heute noch der Verwirklichung der Grundgedanken des Pressegesetzentwurfes 1961 entgegenstehen.

Die Richterwoche 1964 hat mit ihrem Thema „,Justiz und Öffentlichkeit“ — mit ihren Vorträgen, Diskussionen und Exkursionen — die Justiz und die Presse einander nähergebracht. So stellt auch diese Richterwoche einen wichtigen Abschnitt auf dem Wege zum Pressegesetz der Zweiten Republik dar. Wenn dieses Pressegesetz einmal beschlossen und in Wirksamkeit getreten sein wird, dann werden die Kundigen wissen, daß in Weißenbach 1964 sehr erfolgreich daran gearbeitet wurde.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juni
1964
, Seite 287
Autor/inn/en:

Christian Broda:

Dr. jur., Mitglied des Parteivorstandes der SPÖ, Bundesminister für Justiz.

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