MOZ » Jahrgang 1989 » Nummer 43
Andrea Komlosy
Österreichische Jakobiner

„d’französischen Jaklgrundsätze überall ausgstreut ...“

„Ich glaube, daß jedes Land ein Grundgesetz zwischen dem Volk und dem Souverän haben soll, welches die Macht und die Autorität des letzteren beschränkt; daß, wenn der Souverän dieses Gesetz nicht hält (...), man nicht mehr verpflichtet ist, ihm zu gehorchen.“ Bekenntnisse wie dieses aus dem Jahr 1790, ein Jahr nach Beginn der französischen Revolution, stammten in Österreich nicht unbedingt aus dem Mund eines selbstbewußten Bürgerlichen. Dieses entsprang der Feder des Monarchen selbst. Kaiser Leopold II. (1790-1792) galt, mehr noch als sein reformfreudiger Vorgänger Joseph, als Inbegriff eines aufgeklärten Herrschers. Der uneingeschränkte adelige Zugriff auf die Untertanen, das wußte der Monarch, verhinderte ihre effiziente Besteuerung und, was noch schwerer wog, ihre freie und ungehinderte Beschäftigung in der langsam den Kinderschuhen entschlüpfenden Industrie.

Beamtete Reformer

In zahlreichen Patenten verordneten Joseph und Leopold den österreichischen Ländern Pressefreiheit, Gleichheit vor Gericht und Fiskus. Sie hoben die Leibeigenschaft auf und beschnitten die Rechte von Klerus und Adel. Engste Verbündete war den Kaisern bei ihren Bemühungen, ein modernes Staatswesen zu errichten, die Beamtenschaft. Aus ihr rekrutierten sich in Österreich, wo das Bürgertum schwach entwickelt war, die Sympathisanten der Französischen Revolution. Glückseligkeit der Untertanen, Verfassung und Monarchentum schienen im Reich an der Donau keine unüberbrückbaren Gegensätze zu sein.

Einen jähen Einbruch in die neue politische Freiheit stellte der Regierungsantritt Franz II. dar. Am 3. Jahrestag des Sturms auf die Pariser Bastille gekrönt, setzte er dem Treiben der „Schwindelgeister“, wie Kaiser Franz die Anhänger der französischen Revolutionsprinzipien zu nennen pflegte, mit Hilfe von Zensur und Polizeigewalt ein Ende. Wer „Pasquille, Aufrufe oder andere Schriften von dergleichen Gelichter“ verbreitete, wurde ebenso wie deren Verfasser per Hofdekret unter Strafe gestellt. Texte, die „günstige Schilderungen“ über die Französische Revolution enthielten, unterlagen einem strengen Bücherverbot. Das Pressewesen kam unter solchen Umständen gänzlich zum Erliegen.

Revolutionäre Reime

Der neue Kaiser umgab sich mit neuen Beraten, das Gedankengut der bürgerlichen Revolution verschwand aus den Amtsstuben. Es zog sich hinter Wohnzimmervorhänge und Paravents zurück. Unter dem Eindruck der staatlichen Repression wurden seine Anhänger radikaler und aufmüpfiger. Die österreichischen Jakobiner legten ihre politischen Veränderungsvorstellungen schriftlich nieder und sorgten mit viel Mühe und Aufwand für deren Verbreitung unter Gleichgesinnten. Zur Agitation im einfachen Volke bedienten sie sich einprägsamer Vermittlungsformen: Revolutionäre Lieder zu altbekannten Klängen, politische Gebete, freche Zweizeiler und Witze sorgten in Zeiten, in denen die Drucklegung oppositioneller Ansichten scharf verfolgt wurde, für Verbreitung jakobinischer Ideen. „Franz der Zweyte ist zwar nicht der Erste, aber sicher der Letzte“, witzelte ein satirisches Gedicht pietätlos über „Unseren guten Kaiser Franz“, wie die obrigkeitlich in Auftrag gegebene Kaiserhymne Seine Majestät apostrophierte.

Clubisten und Tischgenossen

Die Illegalität zwang den Wiener Jakobinern besondere Verkehrsformen auf. An die 30-40 Gleichgesinnte, allesamt aufgeklärte Staatsdiener, sowie einige Ärzte, Geistliche, Professoren oder Schriftsteller trafen einander einmal hier, einmal da, zum Dinner, zum Schachspiel, zum Spaziergang oder zum Tee. Theoretische Abhandlungen sorgten ebenso für Gesprächsstoff wie strategische Erörterungen des angestrebten Umsturzes. Die Ereignisse in Frankreich wurden genauestens verfolgt. Erreichte die Stimmung bei einer der Zusammenkünfte ein Hoch, stimmte man die „Marseillaise“ oder „Ça ira“ an und rezitierte unter Klavierbegleitung Pasquillen und Revolutionscouplets.

Die prominentesten Köpfe des lose organisierten Wiener Bundes waren Andreas Riedel und Franz Hebenstreit. Auch in der Steiermark und in Ungarn gab es geheime Zirkel. Riedel, zunächst Mathematikprofessor an der Wiener Neustädter Militärakademie, dann Lehrer des späteren Kaisers Franz, war ein enger Vertrauter Leopold II. 1791 entwarf er, unter dem Eindruck der Verfassungsdiskussion in Frankreich und wahrscheinlich im Auftrag des Kaisers, ein Programm für eine parlamentarische Volksvertretung in Österreich. In einem späteren „Aufruf an alle Deutsche zu einem antiaristokratischen Gleichheitsbund“ (1792) legte Riedel einen minutiös ausgearbeiteten Plan für die Machtergreifung des Volkes in Deutschland und Österreich vor. „In Erwägung, daß ohne alle Ausnahme kein Mittel ungebraucht bleiben soll, um diese Gleichheit und Freiheit herzustellen und durch weise Gesetze für ewige Zeiten zu befestigen“, rief er — die französischen Revoluionstruppen stießen gerade unter der Parole „Krieg den Palästen, Friede den Hütten“ in die Gebiete östlich des Rheins vor — alle Deutschen auf, „das Joch der aristokratischen Unterdrückung abzuschütteln“.

Hebenstreitismus oder Kommunismus

Auch sein Freund Hebenstreit von Streitenfeld, Platzoberleutnant in der österreichischen Armee und theoretischer Vordenker der Gruppe, trat für einen gewaltsamen Umsturz ein. Seine Utopie, eine auf Gemeineigentum beruhende, stark bäuerlich geprägte Gesellschaft, legte Hebenstreit in einem langen lateinischen Gedicht „Homo Hominibus“ (Ein Mensch unter Menschen) dar. Daß er nicht nur in Hexametern schwelgte, zeigt das von ihm verfaßte, nebenstehend wiedergegebene „Eipeldauerlied“, dessen bissige Wiener Volkstümlichkeit sich großer Beliebtheit erfreute.

Hebenstreit setzte auf ein Bündnis mit Studenten, Handwerksgesellen und Taglöhnern, die er in seinen Liedern und Texten von der Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens gegen die „Privilegienordnung“ überzeugen wollte. Als praktischen Beitrag zur Revolution konstruierte der gelernte Militär einen mit Sicheln bestückten Streitwagen zur Bekämpfung gegnerischer Kavallerie, den er der französischen Armee zur Verfügung stellen wollte. Ein Polizeispitzel, dem Hebenstreit seine Umsturzpläne offenherzig darlegte, ließ die Wiener Jakobiner im Juli 1794 schließlich allesamt auffliegen. „Gestern war wieder ein Feiertag für d’Wiener gwesen. Da ist einer von dem eingezogenen Klubistenbandl an ein Schnellgalgen aufghenkt worden. D’Wienerstadt ist wie ausgstorben gwesen. Denn was nur Händ und Füß ghabt hat, ist auf d’Esplanati vors Schottentor hinausgloffen. Der Delinquenti soll halt auch ein loser Vogel gewesen seyn; denn wies in sein Urteil steht, so hat er durch Schriften s’Volk zu ein Aufruhr anhetzen wolln, und heimliche Komplotti gmacht, und d’französischen Jaklgrundsätz überall ausgstreut, und sogar den Feinden neue Streitmaschinen zugschickt, und halt überhaupt die Ruh und Ordnung des Staats untergrabn“, hieß es in einer zeitgenössischen Publikation anläßlich der Hinrichtung Hebenstreits am 8. Jänner 1795.

Franz Hebenstreit von Steiteneld

Eipeldauerlied

Was denkts enk denn, daß gar so schreits
Und alle auf’d Franzosen?
Den Louis haben’s köpft — Ja nun mich freuts
Er war schlecht bis in d’Hosen.
 
Heut hat er’n Volk ein Eid geschworn
Morg’n hat er’n wieder brochen.
D’Freiheit war ihm in d’ Augen ein Dorn
S’Volk wollt er unterjochen.
 
Drum fort mit ihm zu Gilotin
Denn Blut für Blut muß fließen.
Hätt man nur hier so a Maschin,
Müßt’s mancher Großkopf büßen.
 
’S ist ja das Volk kein Arschpapier
Und darf auf sich wohl denken,
Wer halt nicht lernen will Manier,
den Lümmel muß man henken.
 
Was tun’s denn all die Herrn so groß,
Die ihr so hoch tut’s heben,
Das spitzen’s halt beim Weiberschoß
Und spiel’n mit enkern Leben.
 
So manches gutes Mutterkind
Hat elend sterben müssen,
Weil enker Franz von Hoffart blind,
Will, daß d’Franzosen büßen.
 
Was geh’n ihn denn d’Franzosen an,
Dort hat er nichts zu kehren.
Wär er lieber hier ein rechter Mann
Und hielt enk fein in Ehren.
 
Enk, daß heißt enk, die er nicht kennt,
Enk Trager, Schiffleut, Hauer,
Den, der’s Holz hackt, der d’Kohlen brennt,
Den Handwerksg’selln, den Bauer.
 
Denn sagt’s mir, ist im ganzen Land
Wer z’finden, der was macht,
Wenn er nit ist mit enk verwandt
Und nit mit enk veracht?
 
Wer nur a wenk an Titel hat,
Und heißt er nur ein Schreiber,
Der zerrt ihn schon beim Vetterndraht,
Als wie ein Bärentreiber.
 
Drum schlagt die Hundsleut alle tot
Nit langsam wie d’Franzosen,
Sonst machen s’enk noch tausend Not
’S ist nimmer auf sie z’losen.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juli
1989
, Seite 72
Autor/inn/en:

Andrea Komlosy:

Geboren 1957 in Wien, Wirtschafts- und Sozialhistorikerin ebenda.

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