FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1968 - 1981 » Jahrgang 1970 » No. 204/I/II
Anton Pelinka

Brodas permanente Reformation

Am 12., 13. und 14. Jänner werden die 13 Mitglieder des Unterausschusses des Justizausschusses des Nationalrats in Schwechat in Klausur tagen. Das Strafrechtsänderungsgesetz wird wahrscheinlich schon wenige Wochen später im Plenum des Nationalrates behandelt werden.

Die Chancen, daß dieses Gesetz, das gerade die besonders umstrittenen Bestimmungen der „großen“ Strafrechtsreform vorwegnimmt, schon im März verabschiedet wird, stehen ziemlich gut. Die angeblich „weltanschaulich“ bedingten Konflikte scheinen im wesentlichen ausgeräumt. Es ist anzunehmen, daß der Nationalrat mit großer Mehrheit der Aufhebung der Strafbarkeit der einfachen Homosexualität, wahrscheinlich auch der Beseitigung der strafrechtlichen Tatbestände der Ehestörung und des Ehebruchs zustimmen wird. Ob die Abgeordneten geheim (mit oder ohne Klubzwang) oder offen abstimmen werden, dürfte für das Resultat nur von untergeordneter Bedeutung sein.

Emanzipierte ÖVP

Für die weltanschauliche Entschärfung der Strafrechtsreformdebatte ist der deutliche Meinungsumschwung innerhalb der ÖVP entscheidend. Daß die SPÖ den von Broda vorangetriebenen Reformen zustimmen wird, stand Schon immer außer Zweifel. Daß die in Justizsachen vom relativ liberalen Zeillinger vertretene FPÖ ebenfalls eher positiv eingestellt ist, war ebenfalls schon lange deutlich. Doch die Volkspartei machte sich bisher zum Sprecher der Einwände, die von einer Gruppe katholischer Juristen formuliert und von der österreichischen Bischofskonferenz gestützt werden.

Der Meinungsumschwung innerhalb der ÖVP begann sich schon im Herbst 1969 abzuzeichnen. Die Volkspartei war jedenfalls nicht mehr bereit, für die Regierungsvorlage des Jahres 1968, in der Klecatsky alle wesentlichen Einwände der Bischöfe berücksichtigt hatte, auf irgendwelche Barrikaden zu gehen — auch nicht auf solche, die von einer (nicht repräsentativen) katholischen Juristenkommission im Namen christlicher Prinzipien errichtet und mit dem Segen der Bischofskonferenz versehen worden waren. Vom Abgeordneten Kranzlmayer etwa, der sich noch 1968 massiv für „christliche“ Prinzipien im Strafrecht eingesetzt hatte — wobei „christlich“ im allgemeinen mit der Forderung nach härteren Strafdrohungen gleichgesetzt wurde —, konnte man Ende 1969 bereits milde Töne hören.

Diejenigen, die den Willensbildungsprozeß der Bischofskonferenz zugleich lenken und exekutieren, versuchten noch einmal, die Volkspartei zu vergattern. Im September dieses Jahres versammelte der Kanzleidirektor der Bischofskonferenz eine Reihe von ÖVP-Parlamentariern um sich. Der Abgeordnete Hauser, der zwischen 1966 und 1970 Obmann des Justizausschusses war, wurde bezeichnenderweise erst gar nicht eingeladen. Hauser war als „Liberaler“ bereits abgeschrieben. Aber auch bei den geladenen Abgeordneten, bei denen noch christlich-abendländische Linientreue vermutet wurde, half die Vergatterung nur teilweise. Die Abgeordneten Bauer und Iro (Bundesrat) zeigten sich von den quasibischöflichen Appellen beeinflußt. Nicht jedoch so prononçiert katholische Politiker wie Gruber und Karasek.

Insbesondere Karasek, in dem viele bisher den Vertreter eines aufgeklärten politischen Katholizismus vermutet hatten, stellte sich gegen die Zumutung, er müsse als katholischer Parlamentarier einen Kampf aufnehmen, den weder die katholischen Abgeordneten des britischen Unterhausses noch die katholischen Abgeordneten des deutschen Bundestages geführt hatten. Dort ging vor wenigen Jahren die Strafrechtsreform ohne effektiven katholischen Lobbyismus über die Bühne.

Karasek erklärte mehrmals ganz offen, daß er sich innerhalb seiner Partei für die grundsätzliche Annahme des Strafrechtsänderungsgesetzes einsetzen werde. Damit scheinen die Versuche einer Gruppe, die keinesfalls für alle in der Kirche Österreichs vertretenen Auffassungen sprechen konnte, gescheitert: eine milieukatholische Lobby ist eben doch eine gestrige Waffe.

Statische Bischöfe

Der Meinungsumschwung in der ÖVP hatte bisher noch keine Rückwirkungen auf die österreichischen Bischöfe. Sah es noch im Sommer so aus, als würden die Bischöfe eine Front, die nicht die ihre ist, aufgeben, [1] so stellte sich im Herbst diese Erwartung als Zweckoptimismus von Katholiken heraus, die an die Lernfähigkeit ihrer Bischöfe noch glauben wollen. Die Bischofskonferenz billigte „nach reiflicher Prüfung der Unterlagen“ abermals den Standpunkt der Juristenkommission. [2] Schon im Sommer hatte nicht etwa der Vorsitzende dieser Kommission deren Stellungnahme dem Justizministerium mitgeteilt — im Zeichen der Mündigkeit der Laien übergaben der Sekretär und der Kanzleidirektor der Bischofskonferenz diese Stellungnahme persönlich dem Justizminister.

Das Verhalten der Bischöfe ist weder politisch noch theologisch zu rechtfertigen. Es ist politisch falsch, eine Kommission über Fragen der Sozialschädlichkeit entscheiden zu lassen, in der nur Juristen vertreten sind und keine Soziologen, Sozialpsychiater, Sozialpsychologen. Es ist politisch falsch, eine Kommission über Fragen der Sozialschädlichkeit entscheiden zu lassen, in der nur katholische Juristen vertreten sind — wobei „katholisch“ hier für milieukatholisch steht.

Über die theologische Haltbarkeit des Vorgehens der Bischöfe und ihrer Juristenkommission hatte der Ordinarius für Kirchenrecht an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien, Alexander Dordett, einige bemerkenswerte Aussagen zu machen. Dordett, der alles andere als ein progressiver Stürmer und Dränger ist, sondern in der Wiener Diözesansynode dem konservativen Flügel zugezählt wird, gab dem „Volksboten“ ein Interview:

Was nun das staatliche Strafgesetz anlangt, möchte ich betonen, daß Bischöfe diesem Strafgesetz gegenüber nicht Stellung beziehen können auf Grund ihrer lehramtlichen Befugnisse. Denn bevor ein Urteil abgegeben werden kann, ob eine Tat, die sittlich verfehlt ist, gemeinschaftsgefährdend ist, und zwar im Rahmen der staatlichen Gemeinschaft, müßte man alle Vorausssetzungen kennen, die diese staatliche Gemeinschaft, das staatliche Gemeinwohl regeln. Und das ist nicht in erster Linie Aufgabe der Bischöfe. Sie bewegen sich deshalb hier nicht auf einem Gebiet, in dem sie kraft eines ursprünglichen Rechtes Aussagen machen müßten und dürften ...

Auch wenn eine Juristenkommission der Bischofskonferenz dazu Stellung nimmt, müssen sich die Bischöfe dessen bewußt sein, daß diese Stellungnahme nicht beschattet ist vom Heiligen Geist, nicht irgendwie an der Authentizität des kirchlichen Lehramtes teilhat, sondern daß es eben die Meinung jener Juristen ist und nicht mehr wiegt als die Auffassung jener Juristen. Wollte man die Juristenkommission anders zusammensetzen, ebenfalls aus Gläubigen, würde das Urteil vielleicht anders ausfallen; darüber sind wir uns wohl im klaren. [3]

Falsche Prioritäten

Die weitere Verzögerung der Strafrechtsreform wäre ein Indiz für eine bestimmte Rangordnung gesellschaftlicher Werte. Die ÖVP war bisher, als Partei, an dem gesamten Komplex grundsätzlich desinteressiert. Sie flüchtete sich nur aus Passivität in die Rolle eines verlängerten Arms der Amtskirche. Desinteresse und Passivität waren und sind aber nur die Folge der gesamten Struktur dieser Partei, die auf die optimale Vertretung der ökonomischen Interessen bestimmter Wählerschichten ausgerichtet ist. Sollte sich diese Haltung tatsächlich ändern, sollte die ÖVP in der Frage der Strafrechtsreform doch mehr machen, als die von anderswo, von Broda, kommenden Reformen mehr oder minder willig hinzunehmen, so wäre das ein wirklicher Fortschritt.

Aber auch die Regierungspartei ist gar nicht soweit vom Desinteresse der ÖVP entfernt. In Wirklichkeit drängt ja nur eine sehr kleine Gruppe um Broda auf Verwirklichung minimaler Reformen. Die große Mehrheit an der Basis und wohl auch an der Spitze der SPÖ neigt eher zur Auffassung, die ganze Angelegenheit wäre ein zu tolerierendes Hobby einiger weniger, bläßlicher Intellektueller. In Wahrheit ginge es primär um die Verteilung des Sozialprodukts bei vorgegebenem gesellschaftlichem Status quo.

Der Unterschied zwischen ÖVP und SPÖ reduziert sich einerseits auf die aus Phantasielosigkeit und üblen Traditionen erklärbare Neigung der ÖVP, Worte der Bischöfe als Befehl aufzufassen; und anderseits auf die Zielstrebigkeit einiger weniger Sozialisten, die erkannt haben, daß die Reform des Strafrechts immer auch die Reform der Gesellschaft ist.

Schlimmer als die Passivität der Großparteien ist die Aktivität der katholischen Lobby, der es gelungen ist, die Bischöfe einzuspannen. Schlimm ist zunächst die Verwischung aller Prioritäten im Bereich des Strafrechts. Wenn die Bischöfe sich schon in Fragen des Sexualstrafrechts massiv in den politischen Prozeß einmengen, wenn sie für Strafbestimmungen eintreten, die mit Ausnahme Finnlands kein nichtkommunistischer Staat Europas kennt (so die Strafdrohung gegen einfache Homosexualität) oder die sogar in der ganzen Welt ein museales Unikum sind (so die Strafdrohung gegen die sogenannte Ehestörung) — wie sollten sie noch ernst genommen werden, wenn es um mehr geht? Etwa dann, wenn es um die Problematik des menschlichen Lebens geht, wenn die Strafbarkeit der Abtreibung diskutiert wird?

Indem sich die Bischöfe zu historischen Nachhutgefechten hergegeben haben, haben sie ihre eigene Glaubwürdigkeit für die Zukunft untergraben. Wer mit Vehemenz für das schärfste Sexualstrafrecht Europas eintritt, dem nimmt man die Sorge um das menschliche Leben nicht mehr ganz ab. Wer die strafrechtliche Reglementierung des sexuellen Verhaltens auf eine Ebene mit dem Schutz des Lebens stellt, schadet damit nur diesem wesentlichen Anliegen.

Schlimm ist aber auch, daß die Bischöfe ein bestimmtes Erscheinungsbild der Kirche stützen. Die Kirche wird noch immer, allen Theologen zum Trotz, mit der Amtskirche identifiziert; und diese wird wiederum mit den wenigen spektakulären Stellungnahmen der Bischöfe gleichgesetzt. Als Erscheinungsbild bleibt dann über, daß die Kirche Sittlichkeit und Moral noch immer primär als Sexualmoral versteht; und daß die wichtigste Forderung der Kirche — nachdem das Problem des Schulkreuzes und die staatliche Subventionierung katholischer Privatschulen weitgehend geregelt ist — die Forderung nach mehr und strengeren Strafen ist.

„Eingsperrt muß werden!“ Das ist der harte Kern christlicher Gesellschaftsauffassung. Zumindest jener, die von bestimmten katholischen Gruppen vermittelt wird.

[1vgl. dazu A. Pelinka, Strafwütige Christen, NF Anf. Okt. 1970.

[2Kathpress-Dokumentation, 24.10.1970.

[3„Volksbote“, 3.10.1970. S. 3.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Dezember
1970
, Seite 1091
Autor/inn/en:

Anton Pelinka:

Geboren 1941 in Wien. Jurist und Politikwissenschafter. Er publizierte unter anderem zum politischen System Österreichs sowie zum Status der Großparteien SPÖ und ÖVP.

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