Context XXI » Print » Jahrgang 1996 » ZOOM 6/1996
Ilse Kilic

Von langen Reisen und Aufenthalten

„Mutter und Sohn sind auf Wanderschaft, begegnen zwei Wanderern, und der Sohn stellt sich vor und sagt: ’Ich bin das Muttersöhnchen.’ Die beiden Männer spotten zuerst, sind irritiert und bekommen dann Angst.“
Ein Gespräch mit der Autorin Ruth Aspöck.

ZOOM: Wie siehst Du deine Rolle als schreibende Frau?

Ruth Aspöck: Es war so, daß ich relativ lange ausschließlich fachbezogen und im feministischen Zusammenhang veröffentlicht habe und erst vor zirka zehn Jahren wirklich den Entschluß gefaßt habe, Autorin, Schriftstellerin zu werden. Das hängt auch damit zusammen, daß ich nicht ausschließlich auf einen Frauenzusammenhang reduziert werden wollte. Ich wollte nicht „nur“ als feministische Autorin anerkannt werden, sondern als Autorin. Das heißt natürlich nicht, daß ich mein Bewußtsein verleugne oder die Jahre der politischen Aktivitäten innerhalb und außerhalb der Frauenbewegung. Ich habe aber das Gefühl gehabt, es müsse mir überlassen bleiben, in jedem literarischen Projekt das zu schreiben, was ich möchte. Das ist nicht immer ein Text, der sich ausschließlich mit Feminismus befaßt oder die Welt nur unter diesem Blickwinkel beschreibt, wiewohl natürlich die Erfahrungen meines Lebens und meine Überzeugungen einfließen, sicherlich auch in die Frauenfiguren, wie ich sie zeichne. Aber ich habe diesen Ansatz gehabt, mich in der „normalen“ Literaturlandschaft zu bewähren und nicht nur im geschützten Raum der Frauenbewegung.

Hat das auch damit zu tun, daß man quasi Frauenliteratur als Untergruppe von Literatur versteht. Sozusagen: Es gibt Literatur und Frauenliteratur, den Begriff Männerliteratur gibt es nicht, also: Männer machen Literatur und Frauen machen Frauenliteratur ...

Ich hab’ emotional das Gefühl gehabt, es geht in die Richtung, daß die Frauenbewegung ihre kleine Nische hat, in der sie sich bewähren darf, sei es jetzt durch einzelne Themen oder sonstwie. Aber damit, daß sie sozusagen in Plastik eingehüllt wurde, ist sie als politische Kraft – sagen wir – handhabbarer geworden für den normalen politischen Diskurs, man könnte auch sagen für die Männerwelt. Insofern konnte sie niemandem mehr weh tun, so radikal sie auch zu sein versuchte. Die Frauen, die sich hinaufgearbeitet hatten, machten dann oft sozusagen Männerpolitik auf „soft“. Ich war dann der Meinung, daß sich mein Feminismus im nichtgeschützten Bereich beweisen und bewähren muß.

Wenn mich jemand fragt: „Wie geht es Dir so als Freischaffende?“ und ich sage: „Gut“, dann weiß ich gleichzeitig, daß es mir gefährlich geht: Nämlich so wie allen Schriftstellern und noch ein bißchen dazu: so wie allen Frauen. Diese Mischung ist wie ein naßgewordenes Feuerwerk: Es könnte schön sein, hoch in die Luft steigen, die Farbenpracht entfalten ... Aber es regnet und als schreibende Frauen stehen wir entweder im Regen oder in der Traufe oder sitzen zumindest in der Tinte.

aus: Gedichtet. Edition die Donau hinunter, Wien/St. Peter am Wimberg 1995

Aber um jetzt nochmals auf deine Frage nach der Rolle als Autorin zurückzukommen, da ist eine Schwierigkeit, die ich nicht gelöst habe: Ich versuche in meinen Texten die einseitigen, die männerbezogenen Formulierungen zu vermeiden, muß aber damit leben, daß ich in der Palette der deutschen Sprache ein reduziertes Spektrum habe und daß ich das bei manchen Satzkonstruktionen nicht auflösen kann. In manchen Fällen geht es, in einigen Fällen kannst du es, wenn du experimentell arbeitest, als Provokation verwenden, aber ich schreibe eher erzählend, traditionell, und manchmal ist es für mich unmöglich, so eine Formulierung zu verändern. Ich arbeite daran, Tag für Tag, und ich glaube auch, daß es mir ganz gut gelingt –, aber es gibt eben Satzkonstruktionen, die ich nicht verwenden kann. Oder ich resigniere manchmal in einem Detail und sage: Da schaff’ ich’s nicht, so zu formulieren, daß eben Mensch nicht gleich Mann ist. Da ist die Sprache eben patriarchalisch geprägt, und die kann man nicht nur durch Gutmütigkeit oder „good will“ korrigieren.

Hängt die Idee des Bewährens auch mit der Gründung deines Verlages „Edition die Donau hinunter“ im Jahr 1992 zusammen?

Die Verlagsgründung hat mehr mit meinem privaten Leben zu tun als mit meinem Frauenbewußtsein.

Ich mußte mich sicherlich in der Zeit, in der mein Sohn heranwuchs, anders mit meinem Feminismus auseinandersetzen. Die Normen der Männerwelt sind damals auf mich ganz deutlich hereingebrochen, indem die Werte der Männerwelt, die von außen an meinen Sohn herangetragen wurden, für ihn ein Problem waren. Er hat dann versucht, sozusagen sehr männlich zu reagieren, war sehr gespalten in seinen Werthaltungen, hat sich teilweise geniert für seine feministische Mutter. Ich mußte mir überlegen, wie komme ich durch diese Jahre. Also ich hab’ mir das als Aufgabe gestellt, daß es eben möglich sein muß, trotzdem ein positives Signal zu geben, auch für heranwachsende Männer, ohne meine Überzeugungen zu leugnen.

Was aber den Verlag betrifft, den Mut dazu hatte ich, weil ich gedacht habe, ich hab’ einige Jahre in Zeitschriften gearbeitet, hab’ viele Jahre in alternativen Zusammenhängen Publikationen herausgegeben, aber auch im akademischen Verlagswesen gearbeitet. Ich dachte mir einfach: Diesen Bereich kenne ich. Der konkrete Anlaß war die schlechte Erfahrung mit anderen Verlagen, eben auch mit größeren, daß da Dinge herauskommen, die sehr fremdbestimmt sind, also die Themen, der Umfang und das Honorar sind vorgegeben, das einzige Variable ist die Autorin, wenn eine nicht will, macht’s eine andere. Das ist nicht das, was ich mir unter literarischer Tätigkeit vorgestellt habe! Also da gibt’s einfach eine klare Konzeption, eine bestimmte Schiene von seiten des Verlages, und es wird etwas gesucht, was da rein paßt. Das hat mir nicht gefallen. Die andere Sache war die Erfahrung mit österreichischen Kleinverlagen, ich habe den Eindruck gehabt, daß es zuwenig Autorenverlage gibt, die die Lage der Autoren und Autorinnen gut kennen und auch die Lage der Verlage.

Du warst doch auch bei der Gründung des Frauenverlages dabei?

Nein, das war so: Das Thema Frauenverlag ist damals ein bißchen in der Luft gelegen und wurde im Umkreis der Frauenzeitschrift „AUF“ immer wieder von verschiedenen Frauen überlegt und erwogen. Ich hab’ eher zu denen gehört, die sich dachten, das ist eine Nummer zu groß, und das werden wir nicht schaffen. Ich hab auch gesagt, aktiv mach’ ich da nicht mit. Dann aber – also der Frauenverlag hat damals noch sein Profil gesucht, das war ja wirklich eine neue, radikale und tolle Sache, er ist ja auch am Anfang ganz kollektiv betrieben worden – war ich diejenige, die gesagt hat, wir sollten auch eine theoretische Schiene haben und nicht nur eine poetische. In dieser Reihe „Frauenforschung“ ist dann als erstes Buch auch mein Band „Der ganze Zauber nennt sich Wissenschaft“ erschienen. Frauenforschung war damals etwas relativ Neues, und insofern dachte ich mir, für die Reihe Frauenforschung müsse es ein Publikum geben.

Der Titel des Buches ist ein Zitat, das ich von der damaligen Ministerin Firnberg genommen habe, sie hat das einmal verwendet, und es hat mir gut gefallen. Der Untertitel ist: „Zur sprachlichen Diskriminierung von Frauen“, dargestellt am Bildungssystem, im engeren Sinn im universitären Bereich. Ich hab’ das Buch eher theoretisch angelegt. Damals war es im deutschen Sprachraum ein ganz neues Thema. Das Buch wurde auch gut verkauft, und viele Frauen haben sich davon angesprochen gefühlt.

Ich möchte noch auf ein zweites, in einem anderen Sinn theoretisches Buch kommen, das Buch über Armut.

Ja, das Buch heißt „Wo die Armut wohnt“. Es ist zwar ein essayistischer Text, aber einer, der doch aus einer Betroffenheit kommt. Mir ist bewußt geworden, daß ich in der Mitte des Lebens stehe und eigentlich ein fleißiges Leben geführt habe. Irgendwann kommt jeder Mensch drauf, durch redliche Arbeit entkommst du nicht der Situation, daß du immer um vieles weniger hast als die andern, also in unserer Welt. Und da hab’ ich schon – unter anderem auch durch Erfahrungen von langen Reisen und Aufenthalten, auch in Ländern, in denen die ganze Bevölkerung sehr arm ist – gesehen, daß es spezifische Verhaltensformen gibt, die eben die Armut hier bei uns betreffen. Also wie die Leute, die objektiv ein Zehntel von dem haben wie ein Wohlhabender und trotzdem diese Gesellschaft bewältigen müssen, das schaffen. Und da beschreibe ich zum Beispiel, daß hier die Zeitfunktion eine wichtige Sache ist, daß arme Leute sehr viel selber machen müssen, wofür andere sogenannte dienstbare Geister einsetzen können und dafür Zeit haben, sich schön zu machen, sich zu bilden, die Freizeit zu genießen. Daß die Armut weiblich ist, ist ja kein Geheimnis, und daß es da einen Zusammenhang gibt, in bezug auf die weibliche Rolle und die bürgerliche Begehrlichkeit, die sich an sogenannte attraktive Frauen richtet, daß das nur in bestimmten ökonomischen Zusammenhängen möglich ist.

Zum Abschluß die Frage nach deinem neuen Buch „Muttersöhnchenmärchen“.

Ich habe lange überlegt, ob ich mich das trauen soll, weil das (hoffentlich) ein bißchen provokant klingt oder zumindest irritierend. Ich wollte alles haben: das Thema Mutter, das Thema Sohn und das Märchen. Märchen deswegen, weil es eben im Erzählfluß schöner ist als die Welt, aber es sind auch Geschichten drinnen, die genauso grausam sind. Ausgangspunkt des Buches ist, daß ein junger Mann, der in einer Frauengesellschaft aufgewachsen ist, sich in der „normalen“ Welt orientieren muß. Es gibt dann die zweite Geschichte, in der Frauen versucht haben, eine Art heile Welt in einem abgeschiedenen Tal zu bilden. Dieser Traum geht aber nicht in Erfüllung – das ist auch eine Botschaft. Es gibt eine Schlüsselstelle: Mutter und Sohn sind auf Wanderschaft, begegnen zwei Wanderern, und der Sohn stellt sich vor und sagt: „Ich bin das Muttersöhnchen.“ Die beiden Männer spotten zuerst, sind irritiert und bekommen dann Angst, weil sie sich das nicht vorstellen können.

Noch etwas: Ich habe als Kind in dem Haus gewohnt, in dem Johannes Kepler gewohnt hat. Dessen Mutter hat einen Prozeß als Hexe gehabt. Das war eine Zeit der Polarisierung, wo das Evangelische eher für Aufklärung und logisches Denken gestanden ist und daneben als Gegenpol das mystische Denken. Da sehe ich eine Parallele, denn heute sind diese beiden Pole wieder sehr präsent. Auch das habe ich in diesem Buch zu zeigen versucht, diese beiden großen, zumindest scheinbar gegensätzlichen Kräfte.

Ich wünsche mir sehr, also ich hoffe, daß meine Haltungen und Überzeugungen einen Ausdruck finden, und ich glaube, daß es gerade momentan sinnvoll ist, eine klare Position zu vertreten.

Ich danke Dir für das Gespräch.

Das Gespräch führte Ilse Kilic.


Arbeiten von Ruth Aspöck (Auswahl)

  • Ausnahmezustand für Anna, 59 Stationen auf vier Reisen; 1992.
  • Wo die Armut wohnt; 1992.
  • Gedichtet, prosaische Lyrik; 1995.
  • Muttersöhnchenmärchen; 1996.
  • Außerdem zahlreiche Beiträge in Büchern. Unter anderem:
    • Bildung und Ausbildung aus feministischer Sicht. In: „mixer, mikro, mischmaschine“. Zum gesellschaftlichen Stellenwert der Frauenarbeit; 1985.
    • Österreichische Antifaschistische Gruppen in Lateinamerika. In: Vertriebene Vernunft II; 1988.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Oktober
1996
, Seite 18
Autor/inn/en:

Ilse Kilic:

Geboren 1958, lebt in Wien. Autorin, Filmemacherin, Comixzeichnerin. Redaktionsmitglied von Context XXI (ZOOM) bis März 1999.

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