FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1968 - 1981 » Jahrgang 1969 » No. 181
Henrich von Nussbaum (Übersetzung) • Inti Peredo

Vietnam Nr. 2

Kennzeichnend für die prärevolutionäre Situation Lateinamerikas scheint uns der nachfolgende Text, den wir als Dokumentation insbesondere zu dem vorangehenden Gespräch mit Herbert Marcuse erstmals in deutscher Sprache vorlegen (Übersetzung: H. v. Nussbaum). Er entstammt einem Flugblatt, das in Bolivien zirkuliert. Inti Peredo war ein Mitarbeiter Ché Guevaras.

Unser Hauptfeind, der Imperialismus, zeigt sich in unverhüllter Gestalt: Das Volk erkennt, daß er immer mehr Disziplin von seinen Statthaltern fordert und keine getarnten Standpunkte mehr zuläßt.

Der Imperialismus ist nicht bereit, seine Märkte aufzugeben, seine Kolonien einzubüßen. Deshalb muß das Volk auf einen harten und langen Kampf gefaßt sein. Anzunehmen, daß wir die Macht ohne Opfer erlangen könnten, hieße, sich in Illusionen wiegen und eine konformistische Haltung beim Volk erwecken.

Der Kampf wird blutig und grausam sein und sich in allen Ecken des Landes abspielen.

Angesichts der ständigen Gewalt des Yankee-Imperialismus haben wir und mit uns das Volk den Weg der revolutionären Gewalt eingeschlagen, die, wenn die Unterdrücker bestraft sind, sich selber aufhebt und verschwindet, um einem sozialistischen Humanismus Platz zu machen.

Wir verkünden nicht die Gewalt um der Gewalt willen, sondern die organisierte Vergeltung des Volkes gegen die ebenso organisierte Unterdrückung unserer Freiheit.

Der Yankee-Imperialismus wird ein zweites Vietnam nicht verkraften können. Und wir sind es, die gemeinsam mit unseren Völkern dieses zweite Vietnam schaffen müssen, treu dem Vermächtnis, das Ernesto Ché Guevara uns hinterließ.

Die These, viele Vietnams zu schaffen, entsprang keiner Laune und ist auch nicht die Frucht einer kriegerischen Gesinnung, wie unsere Feinde und auch die Pseudorevolutionäre glauben machen wollen; diese These entspricht einer Realität. Der Yankee-Imperialismus wird niemals freiwillig seine Positionen räumen. Er wird mit seinem Kolonialministerium, der „Organisation der amerikanischen Staaten“, seine Handlanger in den verschiedenen Ländern zwingen, ihre Kräfte zu vereinen und jedes Volk zu zertreten, das sich in Waffen erhebt.

Auf die Einheit der Militärs des Kontinents gegen die Revolution müssen wir mit der Einheit aller nationalen Befreiungsbewegungen des Kontinents antworten.

Das Geschrei der Reaktion und einiger Pseudorevolutionäre wegen der Teilnahme von Patrioten anderer Nationen am Befreiungskampf des bolivianischen Volkes ist nichts weiter als der vergebliche Versuch, im Volk kleinliche chauvinistische Gefühle zu wecken.

Gegen unsere Guerilla kämpften Soldaten der bolivianischen Armee, beraten von Yankee-Instrukteuren, die ihre Erfahrungen in Vietnam gesammelt haben, und versorgt mit Waffen und Verpflegung, welche die Armeen Argentiniens und Brasiliens lieferten.

Wir wissen: wenn die Guerillas Gestalt annehmen in unserem Land und die reguläre Armee sich außerstande sieht, sie zu zerschlagen, wird ihr schnell der Beistand von Armeen benachbarter Länder zuteil werden, nicht nur in Form von Kriegsmaterial, sondern auch von Soldaten. Doch dann wird auch der revolutionäre Krieg sich ausbreiten und auf diese Länder übergreifen, und er wird die Streitkräfte dieser Länder gleichfalls in Ohnmacht versetzen. Das wird der Augenblick sein, in dem das Pentagon sich genötigt sieht, seine „Beratungs“-Politik zu ändern: in eine Politik der direkten Beteiligung seiner Truppen, und zwar in immer größerer Zahl, so wie es in Vietnam geschieht und auch in Lateinamerika im Falle der Dominikanischen Republik 1965 bereits geschah, als die Marineinfanterie intervenierte.

Vor dieser Aussicht zittern die Pseudorevolutionäre. Sie wollen dem Volk diese „Tragödie“ ersparen. Sie merken nicht, daß sie ihm auf diese Weise nichts ersparen, sondern es im Gegenteil für alle Zeiten unter der Geißel des Elends, Hungers und Todes halten.

Jene „Tragödie“ ist nicht so groß, wenn man sie vergleicht mit dem, was das Volk zu leiden hätte, wenn es ewig unter dem jetzigen Joch bliebe, mit der Aussicht, daß der Strick um seinen Hals immer stärker angezogen wird.

Jene „Tragödie“ ist nicht so groß, wenn man sie vergleicht mit dem grauenhaften Leben, das unser Volk bisher führt.

Systematisch organisierte Massaker sind die Antwort der Tyrannei auf die rechtmäßigen Forderungen jener, auf deren Rücken die Wirtschaft des Landes und der Luxus der Militärkaste erhalten werden.

Keine friedliche Protestbewegung wird von der militärischen Macht, dem Stützpfeiler des herrschenden „demokratischen“ Regimes, geduldet. Jeder Protest wird gewaltsam niedergeschlagen, um das „Autoritätsprinzip“ aufrechtzuerhalten. Wer gegen dieses Prinzip aufzustehen wagt, bekommt die Brutalität des Militärregimes zu spüren.

Unser Kampf wird keine größeren Opfer fordern als jene, zu denen unser Volk verdammt ist, solange es diese Tyrannei erduldet.

Deshalb bedeutet ein neues Vietnam schaffen keine „Tragödie“. Es ist eine Pflicht und eine Ehre, die wir nicht ablehnen werden.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Januar
1969
, Seite 30
Autor/inn/en:

Henrich von Nussbaum:

Inti Peredo:

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