FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1966 » No. 147
Otto Haindl

Unterschiede zwischen Planung und Planung

Gibt es Unterschiede zwischen Planung und Planung? Die Auseinandersetzung darüber ist in vollem Gang. Die alten Anhänger der Planung sind voll Hohn über Ausdrücke wie Planifikation, Wirtschaftsprogrammierung, planhaftes Wirtschaften. Sie sehen darin nur den schamhaften Versuch der „Liberalen“, den Sieg der Planwirtschaft zu verschleiern.

Die also Angegriffenen beteuern, daß ihre Planung mit der Planwirtschaft im althergebrachten Sinne nichts zu tun habe. Worin die Unterschiede aber bestehen, darüber sind die Auskünfte meist unklar oder lückenhaft.

Fest steht: das Laissez-faire, Ausfluß eines rein mechanistischen Weltbildes, wird vom heutigen Liberalismus nicht mehr verfochten. Allerdings scheint dem Liberalen unserer Zeit — ob zu Recht oder Unrecht — die Unvernunft des wirtschaftlichen Wildwuchses immer noch harmlos, verglichen mit der Unvernunft so mancher staatlicher Eingriffe.

Das wirtschaftliche Gespräch geht heute nicht mehr um das Laissez-faire. Die Geister scheiden sich an der Frage nach der richtigen Alternative dazu. Gibt es keine, weil alles menschliche Planen unzulänglich ist und die Verwirrung nur vergrößert? Oder ist die menschliche Vernunft so gewaltig, daß sie alles überblicken, voraussehen und berechnen kann? Oder liegt die Wahrheit zwischen diesen Extremen? Wenn ja, wo?

Reglementation und Subsidiarität

Noch ist alles im Fluß. Dennoch zeichnen sich zwei Grundhaltungen ab. Wir wollen uns nicht in Wortgefechte einlassen und hie von Planwirtschaft, dort von Programm reden. Nennen wir ruhig, ohne Rücksicht auf Enthusiasmus und Allergie, beides Planung. Suchen wir den Unterschied in der Sache, nicht im Wort:

  • Die reglementierende Planung will die durchgreifende Umformung des gesamten Wirtschaftsgeschehens nach einem bestimmten Modell, ob es nun ein „linkes“ oder ein „rechtes“ ist.
  • Die subsidiäre Planung will bloß Hilfe, Stütze und Leitung überall dort bieten, wo die natürlichen Steuerungsmechanismen nicht mehr ausreichen.

Diese beiden Grundhaltungen der Planung werden am besten durch Auffächerung nach verschiedenen Gesichtspunkten verdeutlicht.

1. Imperative Planung bedarf bei folgerichtiger Verwirklichung einer zentralen Stelle mit der Vollmacht, den Wirtschaftsgruppen und einzelnen Betrieben bindende Befehle betreffend Produktion, Preise, Löhne, Materialbeschaffung, Gewinnausschüttung, Investitionen, Absatz usw. zu erteilen. Die Bürokratisierung der Betriebsleitung, ob es sich um private oder verstaatlichte Unternehmen handelt, ist unausbleiblich. Die Betriebsleitung wird zum Befehlsempfänger und Vollzugsorgan, meidet jede Eigenverantwortung und hat nicht den Markt, sondern die Planerfüllung im Auge.

Wie Markt und Plan in Widerspruch geraten können, zeigte sich im kommunistischen Machtbereich, wo lange Zeit die imperative Planung uneingeschränkt herrschte. Fabriken bauten dort mit Vorliebe Maschinen mit überschweren Fundamenten, was die Erzeugung unnötig verteuerte, Material verschwendete und für die Abnehmer nachteilig war, die Planerfüllung aber, die nach Tonnen berechnet wurde, wesentlich erleichterte.

Imperativ und Indikativ

Als Hauptfehler der imperativen Planung gelten — seit neuestem auch bei den Kommunisten — das mangelnde Kostenbewußtsein, die Marktfremdheit, das Fehlen jedes Ansporns durch Wettbewerb, die buchstabentreue statt sinngemäße Planerfüllung, die Verantwortungsscheu und Entschlußlosigkeit. Alle Reformversuche, von Titos „sozialistischer Marktwirtschaft“ bis zu den kühnen Vorschlägen des sowjetischen Professors Libermann, wollen aus dem Teufelskreis der imperativen Planung herauskommen, ohne ihn zu verlassen.

Die jüngsten, sehr weitreichenden Wirtschaftsreformen in Ostdeutschland und, noch weiterreichend, in der Tschechoslowakei, erstreben, soviel sich bisher erkennen läßt, eine Zentralverwaltungswirtschaft mit möglichst viel Dezentralisation. Ob diese Quadratur des Kreises gelingen kann, bleibt abzuwarten.

Die genannten Folgen der imperativen Planung treten nicht nur im Kommunismus auf, sondern überall, wo man diese anwendet; der demokratische Staat im westlichen Sinne ist keineswegs dagegen gefeit.

Die indikative Planung, uneingeschränkt verwirklicht, befiehlt der Betriebsleitung nicht, sie setzt diese auch nicht (wie es die getarnte imperative Planung tut) durch steuerliche, kreditmäßige und sonstige Maßnahmen unter Druck, sondern sie gibt nur Richtlinien aus, die dem einzelnen Unternehmer die betriebliche Planung erleichtern sollen. Ob dieser sich daran hält oder nicht, ist seine Sache. Hält er sich nicht daran und erleidet Fehlschläge, so sind diese und nicht etwa staatliche Sanktionen die Strafe. Anderseits kann er sich bei Fehlschlägen trotz Befolgung der Richtlinien nicht am Staat schadlos halten, ganz gleich, ob die Planung allgemein falsch war oder sich nur auf ihn nicht anwenden ließ. Die Planung ist der Stock, gehen muß der Unternehmer selber. Stolpert er, kann er nicht den Stockerzeuger verantwortlich machen.

Damit ist nicht gesagt, daß jedes Abweichen von den Richtlinien zum Mißerfolg führt. Die genauere Marktkenntnis des Unternehmers mag durchaus recht behalten. Das bedeutet noch keine Blamage einer vernünftigen Planung samt und sonders. Man soll solche Fälle weder vertuschen noch an die große Glocke hängen, man muß sie nüchtern erörtern. Ganz falsch wäre es, messerscharf zu schließen, daß nicht sein kann, was nicht sein darf; vielmehr müssen solche Entwicklungen von der Planung beachtet und künftig in Rechnung gestellt werden.

Die Entschlußfreiheit, aber auch die Eigenverantwortung der Betriebsleitungen bleiben somit gewahrt. Das verhindert einerseits deren Bürokratisierung, anderseits aber auch die Selbstherrlichkeit der Planer. Erweisen sich die Pläne als mehrheitlich unbrauchbar, so werden sie nicht beachtet werden. Sie müssen daher wohlüberlegt und wirklichkeitsnah sein. Das ist unbequem und schlecht verwertbar für politische Propaganda, aber für die Allgemeinheit nützlich.

Will man indikative Planung in einem ansonst reglementierten System betreiben, so wird diese zwangsläufig imperativ: die Crux der Reformen im Ostblock. Anderseits wirkt imperatives Vorgehen in einer vorwiegend subsidiären Ordnung störend und macht die Wirtschaft nicht planhafter, sondern verworrener: der westliche Stein des Anstoßes. Man muß also weitere Gesichtspunkte untersuchen.

2. Bisher war nur von gesamtwirtschaftlicher Planung die Rede. Daneben tritt aber — und das gerade in der unbürokratischen, nicht reglementierten Wirtschaft — eine andere Form eigenständig auf: die betriebliche Planung. Sie ist älter als sämtliche Theorie und Praxis der „Planwirtschaft“ und stellt eine Wirklichkeit dar, mit der sich jede neu eingeführte gesamtwirtschaftliche Planung, auch wenn sie reglementierend ist, auseinandersetzen muß. Die „große“ und die „kleine“ Planung müssen in irgendeiner Weise einander zugeordnet werden.

Deduktion und Induktion

Die reglementierende Planung geht vom Gesamtmodell aus und leitet davon sämtliche Einzelpläne ab; sie legt das Planziel am grünen Tisch fest und trägt den Einzelbetrieben die Verwirklichung auf. Auf den ersten Blick scheint diese deduktive Planung geschlossener und durchgreifender zu sein und deshalb auch der betrieblichen Planung förderlicher. In Wirklichkeit erschwert, ja zerstört die Planung der größeren Einheit die der ganz oder weitgehend abhängigen kleineren Einheit, wenn sie unabhängig von dieser entworfen wurde. Solche deduktive Planung macht betriebliches Planen geradezu unmöglich, weil jede Änderung des Gesamtplanes alle betrieblichen Absichten über den Haufen wirft und wohlüberlegte Entschlüsse von gestern zu Fehlentscheidungen von heute macht.

Gewiß kann eine Änderung der Marktlage die gleichen Wirkungen haben. Aber sie ist meist nicht so unvorhersehbar, so plötzlich und so weitreichend; sie schafft im allgemeinen nicht so viel Unsicherheit im Betrieb wie deduktive Planung.

Im eigenen Lande zeigt sich dies bei jenen Teilen der Schwachstromindustrie oder Bauwirtschaft, die hauptsächlich von staatlichen Aufträgen leben und daher von den alljährlich schwankenden Haushaltsmitteln abhängig sind. Auf keinem freien Markt gab es im letzten Jahrzehnt so große Unsicherheit und eine so schwankende und unvorhersehbare Auftragslage.

Die deduktive Planung neigt zur Abstraktion und zum Illusionismus, mögen die angestrebten Ziele noch so konkret erscheinen. Sie stellt z.B. fest, daß das „natürliche“ Wachstum der Wirtschaft ungenügend sei, weshalb sie die Zuwachsrate kurzerhand auf das Doppelte erhöht. Ob die Wirtschaft imstande ist, solche einsamen Entschlüsse zu erfüllen, wie das Wachstum im einzelnen aussehen soll, ob ein kostendeckender Markt für die Mehrerzeugung vorhanden ist, welcher Preis (Inflation, Senkung des Lebensstandards, Passivierung der Zahlungsbilanz) für die hochgetriebene Erzeugung zu zahlen ist — das alles gilt als zweitrangig.

Die induktive Planung hingegen geht (und hierin trifft sie sich mit dem Subsidiaritätsprinzip der christlichen Gesellschaftslehre) von der kleinsten Einheit, der betrieblichen Planung, aus und weist der „großen“ Planung nur Hilfsstellung zu. Sie ist aber keine Einbahnstraße; als bloße Sammlung betrieblicher Einzelpläne wäre sie eine Registratur und keine Planung. Die „große“ Planung hat ihre Rückwirkung auf den Betrieb nicht nur durch Abstimmung der betrieblichen Pläne aufeinander, sondern auch durch Erarbeitung allgemeiner Richtlinien und Ziele. Diese werden freilich nicht mehr willkürlich im luftleeren Raum beschlossen, sondern müssen in der Wirklichkeit des Marktes und der Erzeugungskraft verankert sein.

Die induktive Planung ist im Entwurf zweifellos die schwierigere, in der Durchführung dafür die einfachere. Sie ist offen und daher unübersichtlicher. Zur Erfassung der vorgegebenen Wirklichkeit bedarf sie eines fachlich geschulten Apparates ohne politische Schlagseite. Sie ist glanzloser und mühevoller. Pläne als Wunschbilder ins Blaue zu entwerfen, ist zweifellos vergnüglicher als die Verarbeitung der harten und widerspenstigen Tatsachen. Die größere Beliebtheit der deduktiven Planung bei Politikern aller Färbung ist daher verständlich. Das Bekenntnis zur nützlicheren induktiven Planung setzt Selbstüberwindung voraus.

Wirtschafts- und Machtpolitik

3. Überhaupt ist die Planung ständig in Gefahr, in den Strudel der Politik hineingerissen zu werden. Ob die einzelnen Pläne macht- oder wirtschaftspolitische Ziele haben, ist daher eine stets notwendige Frage, und man darf sie nicht unterlassen aus Furcht, sich in die Nesseln zu setzen.

Wirtschaftspolitische Planung, selbstverständlich unter Wahrung der notwendigen sozialen Rücksichten, erstrebt die Stärkung der Wirtschaftskraft und Wettbewerbsfähigkeit, die größere Arbeitsergiebigkeit, die Festigung der Währung, die Sicherung einer hohen Beschäftigung usw.

Machtpolitische Planung erstrebt die Schaffung und den Ausbau von Lenkungs- und Kontrollstellen, die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen und Mitspracherechten an staatliche oder sonstige außerbetriebliche Einrichtungen — angeblich als Mittel für wirtschaftliche oder soziale Zwecke, in Wirklichkeit aber als Selbstzweck. Das zeigt sich unverkennbar daran, mit welcher Hartnäckigkeit oft Forderungen verfochten werden, die, zerteilt man erst den Nebel von Schlagworten, keine wirtschaftlichen oder sozialen Verbesserungen erwarten lassen, oder höchstens solche für gefährlich kurze Frist.

Der Unterschied zwischen macht- und wirtschaftspolitischer Planung kommt auch in der Wahl der Mittel zum Ausdruck. Die wirtschaftspolitische Planung versucht mit markt- und allgemein wirtschaftsgemäßen Mitteln zu wirken; die machtpolitische Planung scheut nicht davor zurück, eine wirtschaftsfremde Entwicklung erzwingen zu wollen. Die wirtschaftspolitische Planung ist ätiologisch, sie versucht die Ursachen einer falschen oder ungenügenden Entwicklung zu erkennen und zu beseitigen. Die machtpolitische Planung weigert sich, ihr genehme Fehlerquellen abzuschaffen, will aber dennoch keine Beeinträchtigung der Planziele gestatten; deren Einhaltung soll mit Gewalt erzwungen werden.

So etwa will in Österreich die machtpolitische Planung den Wachstumsrückgang in den Sechzigerjahren einfach durch Plandiktat beseitigen, während die wirtschaftspolitische Planung die Ursachen (Mangel an Investitionsmitteln, ungeklärtes Verhältnis zur EWG, Ungleichgewicht zwischen Kostenanstieg und Erlösmöglichkeiten) beheben will.

Die machtpolitische Planung hat einen natürlichen Hang zum Reglementieren, und jede reglementierende Planung ist geneigt, machtpolitische vor wirtschaftspolitische Ziele zu stellen. Subsidiäre Planung bietet zwar keinen unbedingten Schutz gegen das Eindringen der Machtpolitik in die Wirtschaft, erschwert es aber.

Detail und Rahmen

4. Da die reglementierende Planung ein bestimmtes Wirtschaftsmodell im zumindest partiellen Widerspruch zur Wirklichkeit durchsetzen will und daher die natürliche Produktions- und Investitionsneigung der Betriebe häufig durchkreuzen muß, ist sie gezwungen, die Daten für das betriebliche Verhalten bis in alle Einzelheiten festzulegen. Detailplanung wird unerläßlich.

Die subsidiäre Planung kann sich dagegen auf Rahmenplanung beschränken, innerhalb deren sich die einzelnen Betriebe nach eigenem Ermessen bewegen können und sollen. Sie ist dadurch geschmeidiger und paßt sich veränderten Lagen schneller an, da die raschere Reaktionsfähigkeit der Betriebe unmittelbar zur Geltung kommen kann. Auch erspart sie sich die Lenkung der Warenströme bis in ihre kleinste Verästelung, eine Aufgabe, die auch unter Zuhilfenahme der modernsten Datenverarbeitungsmaschinen die menschlichen Fähigkeiten überschreiten muß.

5. Ein scheinbarer Widerspruch ist es, daß gerade die Detailplanung zuletzt doch global, die Rahmenplanung hingegen differenziert ist.

Um die Detailplanung überhaupt noch handhaben zu können, muß verallgemeinert werden; eine Art Plan-Algebra wird geschaffen, die mit Produktionsgruppen statt mit Einzelwaren operiert, mit Durchschnitten statt mit individuellen Ergebnissen, mit Geld- und Warenströmen statt mit Einzeleinkommen und betrieblichem Ertrag. Man kommt zwangsläufig zu einer Einteilung der Wirtschaft in Schrumpf- und Wachstums-Sparten, ein zweifelhaftes Unterfangen, wie Untersuchungen des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung beweisen.

Die Produktion der chemischen Industrie in Österreich hat zwischen 1956 und 1962 um 76 Prozent zugenommen. Die Produktionsänderungen bei einzelnen Waren schwankten hingegen zwischen 300 Prozent Zunahme und 30 Prozent Rückgang. Die Textilindustrie hatte im Durchschnitt 30 Prozent Zuwachs, wobei sich aber die einzelnen Waren zwischen einem Plus von 95 Prozent und einem Minus von 40 Prozent auffächerten. So unterschiedlich ist also die Lage in einer „typisch“ expandierenden und einer „typisch“ stagnierenden Industrie.

Dabei ist auch diese Aufgliederung noch vergröbernd. Nachweislich „stagnierende“ oder sogar „sterbende“ Einzelwaren können unter bestimmten betriebsindividuellen Voraussetzungen gewinnbringend und sogar mit Wachstumsrate erzeugt werden, etwa als Nebenerzeugung unter Verwendung sonst nicht absetzbarer Abfallprodukte, unter Ausnützung vorhandener Maschinen oder einer vorhandenen Absatzorganisation. Auch besondere Fertigungsverfahren oder gewisse Zusatzeigenschaften der Erzeugnisse können die allgemeinen Voraussetzungen von Grund auf ändern, so daß sich Investitionen durchaus lohnen.

Es gibt auch Betriebe, die einen Bedarf befriedigen (und davon recht gut leben), den der reglementierende Planer als „irrational“ und daher nicht vorhanden abzutun bereit ist. Tatsächlich wäre das erzeugende Unternehmen nicht mehr lebensfähig, übernähme ein größeres Werk sein Erzeugungsprogramm.

Soll man dem kleineren Sonderbetrieb nun die Lebensberechtigung absprechen, nur weil er — ein Frevel in den Augen so überzeugter Rationalisten, wie es die meisten Planer sind — einen „irrationalen“ Bedarf befriedigt?

Was ist überhaupt „rational“? Etwa in allen Fällen der Wunsch nach dem eigenen Fahrzeug oder die Bereitschaft, mit der Mode auf sämtlichen Wegen und Irrwegen mitzugehen? Solche Bedürfnisse nimmt aber jeder Planer als gültig hin und räumt ihnen wichtigen Platz in seinen Berechnungen ein. Bekommt Irrationalität, sobald sie allgemein ist, die Weihe der Vernunft?

Nicht ihre Irrationalität macht die Sonderbedürfnisse verdächtig, sondern ihre Widerspenstigkeit gegen globales Denken. Sie können in der Plan-Algebra immer nur als Unbekannte aufscheinen. Die Detailplanung kann Details nie in den Griff bekommen.

Anders die Rahmenplanung, die der betrieblichen Planung Spielraum läßt und dadurch eine viel stärkere Differenzierung ermöglicht. Entscheidung und Verantwortung bleiben beim einzelnen Betrieb; sie liegen höchstens noch bei der Kredit gewährenden Bank, die sich sehr wohl mit den jeweils besonderen Voraussetzungen befassen kann.

Wirtschaft und Wirtschaftspolitik

6. Ein weiterer Widerspruch scheint darin zu liegen, daß gerade die reglementierende Planung, die doch vom Allgemeinen ausgeht, lieber die Wirtschaft in alle ihre Verästelungen plant als die Wirtschaftspolitik, einschließlich der Budget- und Sozialpolitik. Hingegen widmet die vom Besonderen kommende subsidiäre Planung ihr Hauptaugenmerk eben dieser langfristigen Wirtschaftspolitik. Bezeichnenderweise leisten heute gerade die Anhänger der „Planwirtschaft“ im herkömmlichen Sinne den härtesten Widerstand gegen langfristige Budgetpolitik, Reihung der Wünsche an den Staatshaushalt, Abstimmung von Wirtschaftswachstum und Sozialpolitik usw.

Gerade die deduktive, reglementierende Planung bedürfte aber einer festen Spitze, einer langfristigen konkreten Wirtschaftspolitik, und nicht eines abstrakten Modells, dessen Verankerung im Konkreten immer wieder anders erfolgt, weshalb die davon ausgehenden „Stromstöße“ sehr ungleichmäßig sind. Die Reglementierer versuchen, der Wirtschaft ein Korsett anzulegen, wollen sich aber dabei die Wendigkeit in der Wirtschaftspolitik wahren. Eine solche Planung gleicht schließlich einem Fahrzeug mit reifenlosen Rädern und ungefedertem Chassis, bei dem zum Ausgleich der Motor auf Federn sitzt und die Lenksäule biegsam ist.

Die subsidiäre Planung strebt keine starre Wirtschaftspolitik an, sondern nur deren Bindung an feste Spielregeln: konjunkturneutraler oder antizyklischer Staatshaushalt, Währungsstabilität, ausgeglichene Zahlungsbilanz usw. Die Wirtschaftspolitik kann sich gerade dadurch geschmeidig der jeweiligen Konjunkturlage anpassen, dabei aber ausgleichend und nicht beunruhigend wirken. Änderungen sind deshalb noch nicht ausgeschlossen, aber sie sollen so langfristig erfolgen, daß sich die gesamte Wirtschaft darauf einspielen kann und die betriebliche Planung nicht von einem Tage auf den anderen über den Haufen geworfen wird.

7. Jede Planung braucht Ziel und Maßstab. Lassen wir machtpolitische Ziele außer Betracht, so finden wir, seit die Vollbeschäftigung erreicht wurde, als beliebtestes Merkmal das Wachstum. Die Zuwachsrate des Bruttonationalprodukts gilt heute als bestes Beweismittel für den Erfolg der Wirtschaftspolitik oder der Planung.

Nichts gegen das Wachstum an sich. Aber wichtiger sind die Fragen: Was ist gewachsen und wie wurde das Wachstum erzielt? Hat sich die Versorgung mit wirklich Notwendigem gebessert, oder wurden wir mit Sinnlosem überschwemmt? Sind die Kosten gestiegen oder gesunken? Hat die Währung gelitten? Wurde eine echte Stärkung der Erzeugungskraft erreicht, oder danken wir die Mehrerzeugung dem Substanzverzehr?

Quantität und Qualität

Rein quantitatives Planen genügt also nicht, man bedarf des qualitativen Planens.

Zunächst scheint die reglementierende Planung mit ihrem Hang zum Detail geeigneter für qualitative Richtlinien. Aber gerade sie ist gezwungen, sich an grobe Merkmale zu halten und auf die hundertfältige Abstufung zu verzichten, welche nur durch die „Tuchfühlung“ des Betriebes mit dem Markt möglich wird. Nur durch diesen kann an die Stelle einer unausgewogenen Steigerung der Gütermenge die wirklich bessere Bedarfsdeckung treten.

Die subsidiäre Planung kann folglich den qualitativen Fortschritt viel besser verwirklichen. Sie ist es auch, die am ehesten ein optimales statt maximales Wachstum ohne Kostensteigerung, Währungsverfall und Substanzverzehr erreichen kann — sofern sich alle am Wirtschaftsgeschehen Beteiligten an jene Spielregeln halten, die sie an Stelle starrer Planziele bietet.

8. Die reglementierende Planung weist der Wirtschaft Arbeiten zu und will Lenkung, die subsidiäre stellt ihr Aufgaben und will Ordnung.

Lenkung will die Natur von Grund aus verwandeln und manipulieren, sie will eine Ingenieurleistung vollbringen; Ordnung will den natürlichen Kräften gärtnerisch nachhelfen. Die Lenkung will alles mit dem Plane durchdringen und durchsetzen, auch um den Preis der Zersetzung natürlicher Kräfte; die Ordnung wendet den Grundsatz der westlich-humanitären Demokratie „Soviel Freiheit als möglich, soviel Bindung als nötig“ auf die Wirtschaft an und fordert „Soviel Markt, Eigeninitiative und Eigenverantwortung als möglich, soviel Planung als nötig.“ Wenn also immer wieder der Ausdruck „Wirtschaftsdemokratie“ ins Gespräch kommt, so wäre es am meisten zutreffend, damit ein solches System zu bezeichnen.

Vor einer Versuchung der subsidiären Planung muß freilich gewarnt werden: den „punktuellen“ Eingriffen. Im Bestreben, die natürlichen Antriebe zu schonen, ist die subsidiäre Planung nur allzu leicht geneigt, auf Ordnung zu verzichten und in das wildgewachsene Wirtschaftsgeschehen immer erst einzugreifen, „wenn es brennt“. Das Improvisieren wird zur Wirtschaftsphilosophie, die Planung zur „Feuerwehr“.

Hier aber zeigt sich die Gefahr des Versuches, die eine Art der Wirtschaftsplanung mit den Mitteln der anderen durchzusetzen. Jeder unvorhergesehene Eingriff zieht einen weiteren nach sich, schafft Unsicherheit im betrieblichen Bereich, mündet schließlich in imperative Planung. Der punktuelle Eingriff hat in der subsidiären Planung nichts zu suchen.

Plan und Mensch

9. Der letzte Prüfstein, woran sich die beiden Planungsarten scheiden, ist der Mensch. Die reglementierende Planung, die vom abstrakten Modell ausgeht, will zweifellos auch dem Menschen dienen. Sie sieht aber den Menschen nur als Idee und nicht als Person. In dem Bestreben, die Wirtschaft zu manipulieren, ist sie schließlich gezwungen, auch den Menschen zu manipulieren; da helfen keine Beteuerungen und guten Vorsätze, die eiserne Logik des Systems zwingt dazu. Wenn nicht der Markt — die Wünsche der Menschen, nicht des statistischen oder ideologischen Idealmenschen — die Erzeugung bestimmt, bestimmt die Erzeugung den Markt und in der Folge den Menschen. Der Plan formt schließlich nicht nur die Wirtschaft, sondern auch den Menschen nach seinem Ebenbilde.

Die subsidiäre Planung nimmt hingegen den Markt als eine Gegebenheit hin, der die Planung Rechnung tragen muß. Das heißt nicht, daß sie jeder offenkundigen Fehlentwicklung des Verbrauches ihren Segen geben muß. Sie wird diesen zu beeinflussen trachten, aber nicht mit Mitteln des Konsumzwanges und des Konsumterrors. Sie wird auch Verbrauchsneigungen nicht schon deshalb ändern wollen, weil sie dem wirtschaftlichen Modell nicht entsprechen, sondern erst dann, wenn sie mit der sittlichen oder kulturellen Grundnorm in Widerspruch geraten. Das Wirtschaftsmodell hat sich nach dem Menschen zu richten, nicht umgekehrt.

Reglementierende Planung ist Planung des Menschen, subsidiäre ist Planung für den Menschen.

FORVM des FORVMs

Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)

Werbung

Erstveröffentlichung im FORVM:
März
1966
, Seite 208
Autor/inn/en:

Otto Haindl: Wirtschaftsjournalist in Wien. Er befaßt sich, nach Studienreisen in Frankreich, Großbritannien und Polen, derzeit insbesondere mit Problemen der Wirtschaftsplanung.

Lizenz dieses Beitrags:
Copyright

© Copyright liegt beim Autor / bei der Autorin des Artikels

Diese Seite weiterempfehlen

Themen dieses Beitrags

Desiderate der Kritik

Begriffsinventar