FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1982 - 1995 » Jahrgang 1991 » No. 456
Ladislav Mňačko

Tschistka auf demokratisch

Als slowakischer Starjournalist beim Eichmann-Prozeß, protestierte L. M. 1967 von Israel aus gegen Antisemitismus in der ČSSR und wurde prompt ausgebürgert. Schon vorher zählte er, wiewohl Mitglied der Kommunistischen Partei, zu deren schärfsten Kritikern. Von Dubček 1968 zurückgeholt, emigrierte er im gleichen Jahr nach Österreich und sagte sich von der KP los. Jetzt lebt und schreibt er wieder daheim, vor allem in »Národná obroda« und wird von fast allen Zeitungen der Č+SFR zitiert, wo auch die meisten seiner FORVM-Beiträge mittlerweile in Übersetzungen erschienen sind.

Die KP der Tschechoslowakei, konform mit allen anderen Kommunistischen Parteien, denen es irgendwo gelang, die absolute Macht an sich zu reißen, war, wie die historische Erfahrung lehrt, eine gesellschaftlich gefährliche, in bestimmtem Sinn kriminelle Organisation, zu deren Hauptzielen die totale Zerstörung aller gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und gesetzgebenden Strukturen gehörte, im Namen doktrinärer Vorstellungen über die Veränderung aller gesellschaftlichen, politischen, humanitären Normen. Im Namen dieser „Prinzipien“ ist es ihr gelungen, alle Bereiche des öffentlichen Lebens der Willkür ihrer pyramidenartig aufgebauten Machtstruktur unterzuordnen, dies mit allen erlaubten, aber vorwiegend unerlaubten Mitteln der Unterdrückung, der Gewalt, der Rechtlosigkeit. Mit geschickter Lançierung von pseudohumanen und pseudosozialen Parolen hat sie es verstanden, auf bestimmte — leider zu lange — Zeit einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung für ihre Politik zu gewinnen. Den anderen, mehrheitlichen Bevölkerungsteil, der ihre Politik ablehnte, vertrieb sie in die innere gesellschaftliche Isolation durch Terror und Angst vor ihrer Gewaltpolitik.

Das wohl Schlimmste, was man über ihre Methoden bei der Festigung und Verbreitung ihrer totalitären Allmacht sagen kann, war das Faktum, daß die KP zum permanenten, prinzipienlosen Mißachter aller, auch der von ihr durchgesetzten Rechtsnormen wurde. Als Gesetzgeber wurde sie zugleich zum Gesetzesbrecher, als deklarierter Vorkämpfer für „höhere“ Freiheit und Menschenwürde machte sie aus den Bürgern eine vor ständiger Angst zitternde, willen- und gedankenlose „Masse“, mit der man nach Belieben straflos umgehen konnte und durfte.

Die Resultate ihrer Jahrzehnte dauernden Führung „lassen sich sehen“. Das Ergebnis ist ein totales Chaos in allen Bereichen des öffentlichen Lebens, nach ihrem „Austritt aus der Geschichte“ hinterließ sie dem Volk als Nachwehen der inhumanen Politik devastiertes Land, marode Wirtschaft, Gedankenchaos und kranke Seelen, ein Erbe, das wohl nur durch Generationenaustausch zu bewältigen sein wird. Die Spuren ihres unheilvollen Wirkens liegen tief in der Psychologie und der resignativen Haltung der Bevölkerung, die heute, zwei Jahre nach der sanften Revolution, zwischen zwei Ängsten taumelt, zwischen der alten aus der Zeit des Totalitarismus und der kommenden vor sozialer Unsicherheit und düsteren Zukunftsaussichten. Auch das, was sich heute im Namen des bereits risikolosen Antikommunismus im Lande abspielt, gehört noch zu diesem Erbe.

Die KPČ verfügt über eine enorm große Anhängerbasis, zu ihrer Zeit prahlte sie mit der Zahl von mehr als zwei Millionen Mitgliedern. Diese breite Basis wurde mit der gesamten Bevölkerung zu geistlosem Jasagertum degradiert. Dabei war die KP nicht etwa eine gesichtslose Masse. Diese zwei Millionen Mitglieder und Aktivisten waren zugleich zwei Millionen Menschen mit verschiedenen — wenngleich ins innere Exil gedrängten — Zielen, Vorstellungen und Prinzipien. Nicht jedes Mitglied wurde es aus Überzeugung, reinen Herzens, viele eher unter Druck und aus Angst, viele weitere aus Karrierismus, Romantismus, Gewinnsucht, Relitätsferne. Das psychologische Spektrum der Kommunisten bestand aus fanatischen Simplifikatoren, sozial engagierten Reformatoren, macht- und ruhmsüchtigen Exhibitionisten, bigott gläubigen Bürgern, denen Glaube an irgendwas, egal was, eine Lebensnotwendigkeit war. Der gemeinsame Nenner all dieser Menschen war der Verzicht auf eigene Ansichten im Namen der höheren Prinzipien, die freiwillige, sogar begeisterte, aber auch erzwungene Unterordnung unter die geist- und morallosen Parteidisziplin bei gleichzeitigem Verzicht auf jede eigene, individuelle, kritische Einstellung gegenüber der ständig eskalierenden Insanity der Parteipolitik. Sicherlich, wer dieses Verzichtes auf eine eigene Meinung nicht fähig oder nicht willens war, mußte damit rechnen, früher oder später in offenen Konflikt, zuerst mit seinem Inneren, später mit der Politik der Partei, noch später mit der Unterdrückungsmaschinerie zu geraten. In diesem Sinne trägt also jedes Parteimitglied Verantwortung und Schuld, auch der mehrheitliche Teil der nichtkommunistischen Bevölkerung, der sich willen- und widerstandslos machen und zu geistlosen Befehlsempfängern manipulieren oder verdrängen ließ. Václav Havels These, daß es keinen Unschuldigen gibt, zielt in genau diese Richtung.

Spätestens in der Zeit, als sich jeder einzelne Anhänger der anfänglich akzeptierten Parteipolitik die Frage stellte, ob dies das sei, was er sich unter einer gesellschaftlichen Neuordnung vorstellte, setzte unter der Bevölkerung, einschließlich der Parteimitglieder, ein nicht mehr annullierbarer gedanklicher Differenzierungsprozeß ein. Bei dem einen früher, beim anderen später, bei etlichen nie, stieß die Insanity des von der KP etablierten Systems auf innere Ablehnung. Die immerhin für viele akzeptable Theorie des Kommunismus, verglichen mit der praktizierten Politik, mußte für eine immer größere Zahl der Kommunisten die geistlose und bedingungslose Parteidisziplin zur deprimierenden moralischen Belastung machen. Die zuerst nur unausgesprochene Frage, ob wir dies wollten, hat in vielen Bürgern, darunter — das muß hier hervorgehoben werden — in erster Linie bei den Kommunisten die Überreste ihrer moralischen Kräfte mobilisiert, soweit, daß sie immer häufiger und lauter diese Frage auch öffentlich zu stellen wagten. Viele, immer mehr Kommunisten der sechziger Jahre waren nicht mehr diejenigen der fünfziger, gar der vierziger Jahre. Die Erkenntnis der eigenen Mitschuld an dem unwürdigen Geschehen, an dem moralischen, kulturellen, wirtschaftlichen Niedergang des Systems, vollzogen von der dilettantischen, lebensfremden, doktrinären und vielfach einfach dummen Politik der Parteiführung, führte zu Auflehnung und später zu offenem Aufruhr. Diese Differenzierung erfaßte fast alle Stufen der Machtpyramide. Der Ruf nach Demokratisierung der Partei, dadurch des ganzen gesellschaftlichen Lebens, wurde immer lauter und dringlicher. Er führte zur Unterhöhlung der Fundamente des Totalitarismus. Die Krise der Partei wurde durch den Sieg der Reformkommunisten über die dogmatische Staats- und Parteiführung in der Zeit des Prager Frühlings gelöst und führte zum gesellschaftlichen Aufbruch auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens. Diese Entwicklung kann man als Revolte der Reformkommunisten betrachten, sie waren die Träger der Idee der Demokratisierung der Gesellschaft.

Niemand konnte ahnen, wie die Bemühungen der Reformkommunisten zuletzt enden würden. Das Experiment endete, wie man weiß, mit der brutalen Okkupation des Staates durch Sowjetpanzer. Man kann nur vage vermuten, daß eine Rückkehr zu den Machtverhältnissen vor dem Jahr 1968 nicht mehr realistisch gewesen wäre. Ohne die brutale Unterbrechung ihrer Bemühungen hätte die Weiterentwicklung des politischen Geschehens mit der Liquidation der Allmacht der Partei gipfeln können, also, im Klartext, mit der Liquidierung der KP, ihrem Umbau in eine linksdemokratische Bewegung in einer pluralistischen Gesellschaftsordnung. Es waren also auch, ja vorwiegend Kommunisten, die gegen die Insanity der Kommunistischen Allmacht rebellierten, ohne ihre riskanten Aktivitäten wäre das bittersüße Experiment des Prager Frühlings nicht denkbar gewesen.

Die „sanfte“ Revolution — mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Prager Frühling — war ein Aufschrei des ganzen Volkes, mit der Unerträglichkeit des Totalitarismus endgültig Schluß zu machen. In diesem Willen waren alle vereint. Auch die sich eines Besseren Besinnenden — meist ehemaligen — Kommunisten. Viele von ihnen haben längst mit ihrer — als beschämend betrachteten — Vergangenheit abgerechnet. Viele von ihnen standen an der vordersten Front des aufkeimenden Widerstandes. Unter den Signataren der Charta 77 waren eben sie zahlreich vertreten, sie standen an der Spitze der aktiven Widerstandsbewegung. Aber auch viele andere, die die ganze Zeit der „Normalisierung“ mit der degenerierten und demoralisierten Partei noch Schritt gehalten hatten, schlugen sich auf die andere Seite, aus Furcht vor der Abrechnung, um sich vor dem Schlimmsten, dessen Kommen sie vermuteten, zu retten.

Mensa

Das befürchtete Schlimmste kam nicht. Man glaubte an Konsens. Erst ein Jahr später mehrten sich die Stimmen, daß man mit dem ganzen kommunistischen Pack unbarmherzig abrechnen sollte. Stimmen, die nicht immer, aber um so lauter, von nicht besonders dazu Legitimierten kamen. Man rief nach „Tschistkas“, Säuberungen des öffentlichen Lebens von — diesmal kommunistischen — Elementen.

Säuberungen aber haben mit einer gerechten Abrechnung der Vergangenheit kaum etwas gemein, sie gleichen eher neuen Hexenjagden, besonders wenn sie von neubackenen Moralisten durchgeführt werden, die im Vergleich mit vielen ehemaligen Kommunisten kaum Positives und Aktives für die Beseitigung des totalitären Regimes geleistet haben. Da diese neuen Volkstribunen in dem Gesetz, unter Berufung auf ihre Abgeordnetenimmunität, vorsorglich sich selbst aus dem Lustrationsverfahren ausnommen haben, ist das Lustrationsgesetz zur Farce geworden.

Zur Farce geworden auch in einer noch mehr pervertierten Hinsicht: Durch die unverständliche Unlust, sich mit den Verbrechen der Hauptverantwortlichen, der führenden Schicht der Nomenklatura auseinanderzusetzen. Mit denen, die auf oberster Stufe der Machtpyramide ihre verbrecherischen, inhumanen, volksfeindlichen Beschlüsse trafen und ins Leben riefen. Fast zur gleichen Zeit der Verabschiedung des Lustrationsgesetzes hat der Generalstaatsanwalt der Föderation ihre Verbrechen als verjährt bezeichnet. Als ob die Kollaboration mit Okkupanten — in den Medien weicht man diesem Begriff aus, man bezeichnet die gewaltsame Besetzung der Tschechoslowakei durch sowjetische Panzer als „Eintritt“, — nicht bis zum November 1989 gedauert hätte. Für diese „verjährten“ Verbrechen gegen das eigene Volk sollen jetzt viele, viele moralisch integre ehemalige Kommunisten, die jahrelang aktiv gegen die sowjetische Okkupation gekämpft haben, büßen. Sie wurden für ihre Einstellung aus der Partei ausgeschlossen, andere sind aus der Partei ausgetreten, ohne Rücksicht auf das damit verbundene Risiko. Die Zahl der damals „Lustrierten“ überstieg eine halbe Million von Parteimitgliedern, die es wagten, ihre tapfere Haltung öffentlich zu demonstrieren, in einer Zeit, wo die damalige schweigende Mehrheit des Volkes tatenlos zusah, wie die Kollaboranten den Staat und die Gesellschaft devastierten. Es würde sich wohl lohnen, zum Beispiel die Listen der Signatare der Charta 77 durchzublättern, um zu erfahren, wieviele Kommunisten sie unterschrieben haben und wieviele Namen der heutigen eifrigen Lustrationäre in den Akten fehlen.

Unter den Signataren der Charta 77 befinden sich Namen von Parteimitgliedern seit dem Jahre 1948, dem Stichdatum für diejenigen, die unter das Lustrationsgesetz fallen. Etliche von ihnen gingen in der Terrorzeit der fünfziger Jahre, viele nach dem Jahr 1968 ihres Parteibuches verlustig. Dabei kann man die Tatsache nicht unerwähnt lassen, daß die Partei gegen die dem Regime unangenehmen, aus der Partei gefeuerten Kommunisten mit brutalsten Methoden vorging. Die hundertausenden „Mitglieder der Partei der Ausgeschlossenen“ in eine Reihe mit eifrigen, fanatischen, gekauften, korrumpierten Parteimitgliedern aus der Zeit der „Normalisierung“ in eine Reihe zu stellen, ist aus der Sicht des Rechtsstaates ein Pasquill. Theoretisch kann man damit in der Tschechei mehr als # belangen, in der Slowakei mehr als dreißig Prozent, von denen gerade die moralisch integren schon längst mit der Politik der Partei nicht nur innerlich, sondern auch öffentlich abgerechnet hatten.

Dabei tut die Säuberung von allen Kollaborateuren und ihren Helfershelfern bitter not. Wer beweisbar persekuierte, folterte, verfolgte, unschuldige Opfer des Regimes diskriminierte, verdient kein Pardon. Dies gilt für einen großen Teil der kommunistischen Nomenklatura, für Spitzenpolitiker, Minister, Sekretäre, Richter und Geheimpolizisten. Für alle, die sich durch ihre Tätigkeit des Verbrechens gegen Freiheit und Menschlichkeit schuldig gemacht haben. Das aber verlangt nach lückenloser Untersuchung und Beweisführung auf streng rechtliche Weise. Verbrecher, auch politische Verbrecher, gehören vor das ordentliche Gericht. Es scheint aber, daß eben dazu die heutige Legislative und Administrative keine Lust zeigen. So kann es geschehen, daß die ehemalige verbrecherische Prominenz, mit Husák und Jakeš an der Spitze — ihre Verbrechen gelten ja als verjährt — straflos davonkommen, zur selben Zeit, in der ein Alexander Dubček, ein moralisch integrer Mann, trotz seiner kommunistischen Vergangenheit in der ganzen Welt mit Recht hochgeschätzt, als ehemaliger Kommunist unter das Lustrationsgesetz fällt und dadurch neuen Diskriminierungen ausgesetzt werden kann.

Die Lustratoren behaupten, daß durch das Verbot der öffentlichen Tätigkeit eigentlich „niemandem was passiert“. Es passiert aber viel mehr, als man meinen mag. Es wird dadurch ein neues Unrecht entstehen, Unrecht an vielen moralisch integren Menschen, die durch ihr Fachwissen, durch ihre tapfere Haltung aus der Zeit der Insanity, durch ihren selbstlosen Einsatz zum Wohle der Allgemeinheit noch vieles leisten können. Solche werden mit Bitternis — und mit Recht — sagen können: was war, haben wir strikt und laut abgelehnt, aber was jetzt geschieht, haben wir auch nicht gewollt.

FORVM des FORVMs

Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)

Werbung

Erstveröffentlichung im FORVM:
Dezember
1991
, Seite 24
Autor/inn/en:

Ladislav Mňačko:

Geboren 1919 in Valašské Klobouky, gestorben 1994 in Bratislava. Nach der deutschen Besetzung der damaligen Tschechoslowakei wurde er als Zwangsarbeiter in ein Essener Bergwerk „dienstverpflichtet“. Bekannt geworden durch Reportagen aus der Welt der Arbeit, wurde er in den 60-er Jahren zunehmend kritisch gegenüber der Sowjetunion und der tschechoslowakischen KP. Emigirerte 1967 nach Israel, kehrte während des Prager Frühlings in die Tschechoslowakei zurück, emigierte nach dessen Niederschlagung nach Österreich und kehrte 1991 in die Slowakei zurück.

Lizenz dieses Beitrags:
Copyright

© Copyright liegt beim Autor / bei der Autorin des Artikels

Diese Seite weiterempfehlen

Themen dieses Beitrags

Begriffsinventar

Geographie