FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1964 » No. 129
Christian Broda

Strafrechtsreform — dritter Anlauf

Nachfolgend drucken wir eine authentische Zusammenfassung betreffend die Ziele, aber auch die Grenzen der von Justizminister Dr. Christian Broda vorangetriebenen großen österreichischen Strafrechtsreform. Der Text erhielt seine besonderen Akzente durch die Tatsache, daß er vor dem polnischen Juristenverein in Warschau gesprochen wurde. Schon deshalb, als Beispiel für die Möglichkeit zugriffigen geistigen Austausches zwischen Ost und West, holten wir ihn aus dem respektgebietenden fachwissenschaftlichen Winkel (wir verdanken die Abdrucksgenehmigung der „Österreichischen Juristenzeitung“) ins Licht breiterer intellektueller Öffentlichkeit.

Die österreichische Strafrechtsreform ist ein Teil des großen „Nachziehverfahrens“, mit dem die Zweite Republik Österreich den juristischen Überbau unseres Staatswesens an die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse unserer Zeit anzupassen bemüht ist.

Ich muß sicher nicht im einzelnen auf die Umstände verweisen, die diesen in der Tat beträchtlichen „Nachholbedarf“ bei uns verursacht haben. Im wesentlichen war es die Diskontinuität der politischen und staatsrechtlichen Verhältnisse, die der stetigen Entwicklung der Gesetzgebung in Übereinstimmung mit der gesellschaftlichen Entwicklung hinderlich im Wege stand.

Ich erinnere an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges — heuer jährt sich dieser Tag zum 50. Mal —, an das Ende der Demokratie in der Ersten Republik 1933/1934, die deutsche Okkupation Österreichs 1938, den Zweiten Weltkrieg und die weitere zehnjährige Besatzungszeit 1945 bis 1955.

Das geltende österreichische Strafgesetz wurde im Jahre 1852 kundgemacht. Aber das Kundmachungspatent bezeichnet es nur als eine „neue durch die späteren Gesetze ergänzte Ausgabe des Strafgesetzbuches vom 3. September 1803“. Es ist bekannt, daß viele Bestimmungen dieses Strafgesetzes, die heute noch in Österreich in Geltung stehen, das erste Mal mit dem „Westgalizischen Strafgesetzbuch“ in Wirksamkeit getreten sind, das am 1. Jänner 1797 in den damals österreichischen Teilen Polens in Kraft gesetzt wurde. Bereits seit dem Jahre 1861 waren Bestrebungen im Gange, welche die Ausarbeitung eines neuen Strafgesetzbuches zum Ziele hatten. Zunächst wurde in den Jahren 1863 bis 1867 ein Entwurf eines Strafgesetzbuches ausgearbeitet, der in umgearbeiteter Form dem Reichsrate vorgelegt wurde. Dieser Entwurf stand zwanzig Jahre lang in parlamentarischer Beratung, wurde dreimal im Ausschuß und 1894 etwa zu einem Drittel im Plenum des Abgeordnetenhauses durchberaten. In dieser langen Zeit veraltete der Entwurf jedoch in seinen Grundzügen und wurde 1895 zurückgezogen.

Nun wurde eine Kommission im Justizministerium eingesetzt. Mit ihrer Arbeit beginnt in Österreich jene „Reformtradition“, deren jüngste Frucht der österreichische Strafgesetzentwurf der Gegenwart ist. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und die Machtergreifung des Nationalsozialismus in Deutschland bzw. das Ende der Demokratie in Österreich 1933/1934 verhinderten die Gesetzwerdung bereits fertiggestellter Strafgesetzentwürfe.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Reformarbeiten wieder aufgenommen. Als Ergebnis der fast zehnjährigen Arbeit einer Strafrechtskommission, der führende Theoretiker und Praktiker des Strafrechts angehörten, liegt der Entwurf des Justizministeriums für ein neues österreichisches Strafgesetz vor.

Der Entwurf samt Begründung wird derzeit von den juristischen Fakultäten der Universitäten, den höchsten Gerichten, den gesetzlichen Interessenvertretungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, den Gewerkschaften usw. begutachtet. Die Ergebnisse dieser Begutachtung und der damit verbundenen öffentlichen Diskussion des Entwurfes werden vom Justizministerium verarbeitet werden. 1965 wollen wir den Strafgesetzentwurf dem Parlament zuleiten, das dann seine Beratungen beginnen kann.

So können wir hoffen, daß der dritte Anlauf in diesem Jahrhundert gelingen und der Tag nicht mehr ferne sein wird, an dem das neue österreichische Strafgesetz in Kraft treten kann.

Pluralismus in Aktion

Ich bin jetzt an einem Punkt angelangt, an dem ich es Ihnen schuldig bin, etwas darüber zu sagen, wie sich die Gesetzgebung in unserem Lande vollzieht. Wir sind ein Land der sogenannten pluralistischen Gesellschaftsordnung. Gesetzgeber ist ein Parlament, in dem die beiden großen Parteien, die die Regierung bilden, annähernd gleich stark vertreten sind. Unter diesen Umständen ist es nicht leicht, zu gesetzgeberischen Lösungen zu gelangen, die die beiden großen politischen und weltanschaulichen Lager des Landes anzunehmen bereit sind. Keine Gruppe kann der anderen diktieren oder Lösungen aufzwingen. Man muß überzeugen — und sich einigen.

Der Weg zur Gesetzgebung ist unter solchen Umständen schwierig und langwierig.

In der Strafgesetzgebung verzichten wir darauf, Lösungen vorzuschlagen, die keine Aussicht haben, im Parlament eine Mehrheit zu finden.

Die Wissenschaft kennt keine Kompromisse. Der Gesetzgeber in der parlamentarischen Demokratie muß Kompromisse schließen, um zum Ziele zu kommen. Wir glauben, daß das kein Unglück ist. Die Erfahrung lehrt, daß man in der Praxis sehr wohl zu gleichen Ergebnissen kommen kann, auch wenn man von verschiedenen weltanschaulichen und theoretischen Ausgangspunkten die Arbeit beginnt.

So kommt es auch uns bei der österreichischen Strafrechtsreform viel weniger darauf an, programmatische Formulierungen zu statuieren und Strafrechtstheorien in Paragraphen umzugießen, als die bestmöglichen Voraussetzungen für ein Strafrecht zu schaffen, das in gleicher Weise die Gesellschaft und die Stellung des einzelnen in der Gesellschaft schützen kann.

Die Strafrechtsreform in unserem Lande bemüht sich, den gesellschaftlichen Veränderungen, so wie sie sich vollziehen, angemessenen Ausdruck zu verleihen. Das Strafrecht ist der Spiegel, in dem die Gesellschaft ihr eigenes Gesicht und seine Veränderungen beobachten kann. So ist auch die Strafrechtsreform ein wichtiges Anliegen unserer Gesellschaft, die in dynamischer Entwicklung und Umbildung begriffen ist.

Der Rechtsstaat ist unteilbar

Wir bekennen uns zu vermehrter Verantwortung der Gesellschaft für ihr einzelnes Mitglied und wir wollen die Freiheitssphäre des Menschen in der Gesellschaft wirksam schützen.

Dazu ist vor allem nötig, daß die rechtsstaatlichen Einrichtungen funktionieren können.

Auch im Strafrechtsbereich soll der Gleichheitsgrundsatz unserer Verfassung volle praktische Wirksamkeit haben.

Wir betrachten Strafgesetz, Strafprozeß und Strafvollzug als äußere und innere Einheit.

Gibt es überhaupt Straf-„Recht“, wenn die Rechte des Verdächtigen, des Beschuldigten und des Angeklagten im Strafverfahren nicht wirksam gesichert werden?

Was hilft das beste Strafgesetz, wenn seine Anwendung im Vollzug versagt?

Wir verstehen den Rechtsstaat so, daß er unteilbar in gleicher Weise für die Richter wie für die Angeklagten, für die Bewacher der Gefängnisse wie für deren Insassen gelten soll.

Ich darf Sie jetzt auf einige Aspekte der österreichischen Strafrechtsreform hinweisen, die prinzipielle Beachtung verdienen.

§ 1 des neuen österreichischen Strafgesetzes soll lauten:

(1) Niemand darf einer Strafe oder vorbeugenden Maßnahme wegen einer Handlung oder Unterlassung unterworfen werden, die nicht unter eine ausdrückliche gesetzliche Strafdrohung fällt und nicht schon zur Zeit ihrer Begehung ausdrücklich mit Strafe bedroht war. Auch darf keine schwerere als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden.

(2) Eine vorbeugende Maßnahme darf nur angeordnet werden, wenn sie den Täter keiner ungünstigeren Behandlung unterwirft, als sie nach dem zur Zeit der Tat geltenden Gesetz zulässig war.

Diese Bestimmung besagt zunächst, daß keine Handlung bestraft werden darf, die nicht ausdrücklich durch ein Gesetz für strafbar erklärt ist. Nur eine Tat, die einem im Gesetz vorgesehenen Deliktstypus in all seinen Merkmalen entspricht, kann Strafbarkeit begründen. Weder durch Analogie noch durch Größenschlüsse kann eine Handlung, die diese Voraussetzungen nicht erfüllt, bestraft werden; sie muß ausdrücklich mit Strafe bedroht sein. Zugleich wird die gewohnheitsrechtliche Bildung von Deliktstypen ausgeschlossen; nur gesetzliche Strafdrohungen kommen in Betracht.

Über das Rückwirkungsverbot sagt die Begründung zu § 1 des Entwurfes:

Nur eine Handlung, die schon zur Zeit ihrer Begehung mit Strafe bedroht war, kann bestraft werden und nie strenger, als es nach dem zur Tatzeit geltenden Recht zulässig war. Dieses Rückwirkungsverbot ergibt sich aus der Achtung vor der menschlichen Persönlichkeit. Die Rechtsordnung muß es dem Rechtsunterworfenen ermöglichen, die Rechtsfolgen seines Tuns vorherzusehen. Nur dann achtet sie ihn in der Verantwortlichkeit seiner Dispositionen. Andernfalls würde sie ihn als Objekt behandeln.

Die gleichen Grundsätze sollen auch für die „Vorbeugenden Maßnahmen“, insbesondere solche freiheitsentziehender Art, über die ich noch sprechen werde, Geltung haben.

Schon das geltende österreichische Strafgesetz hat sich in den Art. IV und IX des Kundmachungspatentes grundsätzlich zum „Rückwirkungsverbot“ bekannt.

Heute gehen wir weiter. Das Verbot der Erlassung rückwirkender Strafgesetze kann seine Aufgabe nur dann erfüllen, wenn es den Rang einer Verfassungsbestimmung hat.

Bindung des Gesetzgebers

Die Begründung zum Strafgesetzentwurf sagt daher zutreffend:

Das Rückwirkungsverbot richtet sich nicht nur an den Richter, sondern auch — und in erster Linie — an den Gesetzgeber. Ihm soll es benommen werden, strengere Strafgesetze ... rückwirkend in Kraft zu setzen.

Die Republik Österreich bekennt sich zu diesen Grundsätzen, weil sie dem Geist unserer Verfassung entsprechen. Sie ist aber darüber hinaus auch völkerrechtlich zur Einhaltung dieser Prinzipien durch den Beitritt Österreichs zur „Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ verpflichtet. Österreich ist dieser Konvention, welche am 4. November 1950 in Rom von den Außenministern der Mitgliedsstaaten des Europarates unterzeichnet wurde und am 3. September 1953 in Kraft getreten ist, im Jahre 1958 beigetreten. Die „Europäische Menschenrechtskonvention“ fußt auf der Deklaration der Menschenrechte der Vereinten Nationen aus dem Jahre 1948. Sie will deren Prinzipien im Rahmen eines regionalen zwischenstaatlichen Vertragswerkes zur Durchsetzung verhelfen. Die materiellrechtlichen Bestimmungen der Konvention haben in Österreich zufolge des Bundesverfassungsgesetzes vom 4. März 1964, BGBl. Nr. 59, den Rang von Verfassungsgesetzen. Österreich ist daher auch völkerrechtlich verpflichtet, für die Durchführung des Art. 7 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der das Rückwirkungsverbot von Strafgesetzen vorsieht, zu sorgen, soweit nicht Art. 7 Abs. 2 zur Anwendung kommt. Letztere Bestimmung lautet:

Durch diesen Artikel darf die Verurteilung oder Bestrafung einer Person nicht ausgeschlossen werden, die sich einer Handlung oder Unterlassung schuldig gemacht hat, welche im Zeitpunkt ihrer Begehung nach den von den zivilisierten Völkern allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar war.

Die Durchführung von Strafverfahren nach Art der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse steht daher im Einklang mit den Konventionsbestimmungen.

Im Einklang mit dieser Bestimmung hat Österreich mit dem Bundesgesetz vom 10. Juli 1963, BGBl. Nr. 180, die Fristen für die Verjährung von Straftaten, die der Täter aus nationalsozialistischer Gesinnung oder aus Willfährigkeit gegenüber Anordnungen begangen hat, die im Interesse der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft oder aus nationalsozialistischer Einstellung ergangen sind, dadurch verlängert, daß nunmehr die Zeit bis zum 29. Juni 1945, während der diese Verbrechen ja in Österreich nicht verfolgt werden konnten, in den Ablauf der Verjährungsfrist nicht mehr eingerechnet werden darf: Die Europäische Menschenrechtskonvention enthält auch noch weitere Bestimmungen, zu deren innerstaatlicher Wirksamkeit sich die Mitgliedsstaaten völkerrechtlich verpflichtet haben. Ich nenne Art. 3 (Verbot der Folter bzw. unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung), Art. 4 (Verbot der Zwangsarbeit), Art. 5 (Verhaftung nur auf Grund des Gesetzes und einer richterlichen Verfügung), Art. 6 (Anspruch auf ein Verfahren vor einem unabhängigen Richter). Die Art. 8, 9, 10 und 11 fixieren die Grundrechte der Freiheit der Privatsphäre des einzelnen, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, Presse- und Informationsfreiheit, Koalitionsfreiheit einschließlich des Rechtes, Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten. Es versteht sich von selbst, daß die österreichischen Strafgesetze alle diese Bestimmungen der Konvention respektieren.

Sie sehen, daß wir bei der Verwirklichung der österreichischen Strafrechtsreform auch auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen Bedacht nehmen, die wir eingegangen sind. So ist auch die Strafbestimmung des § 353 des Strafgesetzentwurfes gegen den „Völkermord“ in Übereinstimmung mit den Verpflichtungen formuliert worden, die Österreich nach Wiedererlangung seiner Souveränität durch seinen ebenfalls im Jahre 1958 vollzogenen Beitritt zur „Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“ übernommen hat.

§ 353 lautet:

(1) Wer in der Absicht, eine durch ihre Zugehörigkeit zu einer Kirche oder Religionsgesellschaft, zu einer Rasse, einem Volk, einem Volksstamm oder einem Staat bestimmte Gruppe als solche ganz oder teilweise zu vernichten, Mitglieder der Gruppe tötet, ihnen schwere körperliche (§§ 106 und 107) oder seelische Schäden zufügt, die Gruppe Lebensbedingungen unterwirft, die geeignet sind, den Tod aller Mitglieder oder eines Teiles der Gruppe herbeizuführen, Maßnahmen verhängt, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind, oder Kinder der Gruppe mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt in eine andere Gruppe überführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Wer mit einem anderen die gemeinsame Ausführung einer der in Absatz 1 bezeichneten Straftaten mit der dort bestimmten Absicht verabredet, wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren bestraft.

Sowenig Strafe wie möglich ...

Die Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens läßt manche Arten gesellschaftsfeindlichen Verhaltens zurücktreten, dafür neue entstehen. Der Gesetzgeber muß sich entscheiden, in welchem Umfang er demgegenüber die Strafdrohungen einsetzen will. Wir in Österreich wollen uns von einem Satz Franz v. Liszts leiten lassen: „Es gibt keine größere Versündigung gegen den Zweckgedanken der Strafe als ihre zu häufige Verwendung.“

Eine grundsätzliche Entscheidung in dieser Richtung ist schon mit der Einführung der Möglichkeit bedingter Strafnachsicht gefallen. Wir in Österreich kennen dieses Institut seit 1920. Im Jahre 1952 wurde sein Anwendungsbereich erweitert. Der Entwurf geht wieder weiter: Bei keinem Delikt soll die bedingte Strafnachsicht schon nach seiner Art ausgeschlossen sein. Nur wenn ausschließlich lebenslange Freiheitsstrafe angedroht ist, glaubte die Strafgesetzkommission eine Ausnahme machen zu müssen. Im übrigen soll auf die Vollstreckung des Strafübels immer verzichtet werden, wenn sie im Einzelfall general- und spezialpräventiv entbehrlich ist.

Noch einen weiteren Schritt vorwärts macht der Entwurf, wenn er es bei einer Reihe von Delikten ermöglicht, von der Bestrafung überhaupt abzusehen, wenn kein Strafbedürfnis besteht. Gewiß sollen schon die einzelnen Tatbilder nur Fälle treffen, in denen Strafe nötig ist. Aber es läßt sich nicht vermeiden, daß manche Tatbilder auch Fälle miterfassen, deren Unwertgehalt die Höhe des Strafwürdigen nicht erreicht. Bei den meisten Delikten ist der Unwertgehalt schon seiner Art nach so hoch, daß eine Bestrafung auch in den leichtesten Grenzfällen gerechtfertigt ist. Nur dort, wo das nicht der Fall ist, kommt ein Absehen von Bestrafung in Betracht; und auch dies nur dann, wenn die Tat nach Schuld und Erfolg geringfügig ist und — worauf der österreichische Entwurf überhaupt und auch hier besonderes Gewicht legt — die Bestrafung nicht geboten ist, um den Täter von weiteren Verfehlungen abzuhalten.

... soviel Strafe wie nötig

Wenn in diesen Fällen nicht nur vom Ausspruch einer Strafe sondern auch von einem Schuldspruch abgesehen wird, braucht man deshalb keine Aufweichung des Ansehens und der Schlagkraft des Strafrechtes zu befürchten. Wo kein echtes Strafbedürfnis besteht, wird der Schuldspruch als wirklichkeitsfremder Formalismus empfunden und nicht als Bekräftigung der Gerechtigkeit. Bagatellesachen werten das Ansehen der Strafjustiz nur ab. Schuldspruch und Strafe sollen ernst genommen werden. Wir in Österreich haben hier die besondere Ausweichmöglichkeit in das Verwaltungsstrafverfahren, die wir uns auch beim Beitritt zur Europäischen Konvention der Menschenrechte vorbehalten haben. Darauf soll hier nicht weiter eingegangen werden. Jedenfalls wird es dadurch ermöglicht, die Strafgerichte von Sachen zu entlasten, bei denen die nachteiligen Folgen einer gerichtlichen Verurteilung schwerer wiegen als der Vorteil des justizförmigen Verfahrens.

Denn auch das muß sich der Gesetzgeber vor Augen halten: Jede Strafe ist ein zweischneidiges Schwert. Sie erschüttert die Stellung des Verurteilten in der Gesellschaft und seine Leistungsfähigkeit für die Gesellschaft; sie setzt besonders dann, wenn die Strafwürdigkeit der Tat nicht offenkundig ist, auch die innere Einstellung des Verurteilten der Gesellschaft gegenüber einer zusätzlichen Belastungsprobe aus — ganz abgesehen von all dem, was durch den Vollzug einer Freiheitsstrafe bewirkt und verdorben werden kann.

So soll nach dem österreichischen Strafgesetzentwurf nur dort bestraft werden, wo es um gesellschaftlicher Zwecke willen unumgänglich geboten ist.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
September
1964
, Seite 413
Autor/inn/en:

Christian Broda:

Dr. jur., Mitglied des Parteivorstandes der SPÖ, Bundesminister für Justiz.

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