FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1982 - 1995 » Jahrgang 1989 » No. 430/431
Alfred J. Noll

„sondern zunehmend ab“

Der „Standard“, von Oscar Bronner gegründet gegen den Einheitsbrei der hiesigen Presse, beglückt uns neuerdings mit einer Zeitschriftenschau; gerade der rechte Moment, es auch mit ihm uns sorgfältig zu verderben: Er ordnet sich nämlich selbst gar bacher-dalmatisch ein ins Unisono der hiesigen Presse, deutlich als rechtsliberal.

Die österreichische Presse tut sich schwer mit der Berichterstattung über die vielfältigen Konflikte im Nahen Osten. Das liegt vordergründig an der sachlich-historischen Uninformiertheit vieler Journalisten; letztlich ist die immer wieder zu beobachtende Borniertheit im medialen Umgang mit Israel, der PLO und speziell der Intifadah aber wohl dem Wirksamwerden eines Syndroms geschuldet, das Hannah Arendt schon im Jahre 1946 folgendermaßen skizziert hat:

In Auschwitz starben alle zusammen, die Jungen und die Alten, die Schwachen und die Starken, die Kranken und die Gesunden; Sie starben dort nicht als Menschen, „sondern sie wurden dort auf den kleinsten gemeinsamen Nenner organischen Lebens zurückgeführt und in den finstersten und dunkelsten Abgrund ursprünglicher Gleichheit hinuntergestoßen, wie Vieh, wie Material“. Der übernatürlichen Schlechtigkeit jener, die eine solche Gleichheit eingerichtet haben, entspricht die „Ungeheuerlichkeit der Unschuld“ jener, die in dieser Gleichheit gestorben sind. „Die Gaskammer war mehr als irgendjemand je verdient hätte, und vor ihr war der schlimmste Verbrecher so unschuldig wie ein neugeborenes Kind.“

Davon haben sich eine Vielzahl von Juden und das allgemeine Bewußtsein über Juden bis heute nicht befreit. Hannah Arendt zufolge bildet die „ungeheuerliche Gleichheit in der Unschuld“ der Juden ein zentrales Element in deren Bewußtsein, welches — und das ist meine Schlußfolgerung — in seltsam verkehrter Weise mit der Logik der Nazis verbunden und bis heute handlungsleitend sein könnte. In den Worten von Hannah Arendt: „Die Nazis haben mit ihrem Versuch, eine Schlechtigkeit jenseits des Lasters herzustellen, nichts anderes etabliert als eine Unschuld jenseits der Tugend. Eine derartige Unschuld und eine derartige Schlechtigkeit stehen in keinerlei Bezug zu der Wirklichkeit, in welcher die Politik existiert.“

Die offizielle Politik Israels und die Mehrzahl der heimischen Journalisten dürften in ihrer Rezeption des Palästinenser-Problems geprägt sein von dieser „Unschuld jenseits der Tugend“. Das bedeutet nicht, bei der gedanklichen Rekonstruktion des israelischen Verhaltens gegenüber dem Noch-Nicht-Staat Palästina auf ökonomische, sicherheitspolitische und soziologische Analyse zu verzichten; aber möglicherweise ist der von Hannah Arendt beschriebenen Denkfixierung auch geschuldet, daß Fragestellungen, Entwicklungsmöglichkeiten und aktuelle Verhaltensweise gar nicht mehr ins solcherart verengte Blickfeld geraten; daß sich, mit anderen Worten, das Verhalten Israels und der Juden jenseits aller Geschichte als gut zu erweisen hat. Und das hat dann Auswirkungen.

Inge Bacher-Dalma darf im sich als informativ rühmenden STANDARD den folgenden Kommentar verfassen:

... in dieser Situation — die bilateralen Beziehungen zu Israel sind auf dem Tiefstand, es gibt nicht einmal die wechselseitige Akkreditierung von Botschaftern — veranstaltet die Bundesregierung ein PR-Symposium über die ‚unveräußerlichen Rechte Palästinas‘. Wessen Rechte? Der Begriff, der hier hochoffiziell zur Anwendung kommt, umschreibt ein Wunschbild, nicht die staatsrechtliche Realität. Österreich stellt sich für die Image-Kampagne eines Konfliktpartners im heißen Krisenherd des Nahen Ostens zur Verfügung.

Zwei Fragen drängen sich auf: Heiligt der Zweck, das unausgefüllte Austria-Center (übrigens auch ein Kreisky-Erbe) eine Woche lang lukrativ zu vermieten, alle Mittel? Steht das Liebäugeln mit einem zukunftsträchtigen Exportmarkt über der politischen Verpflichtung zur ausgewogenen, neutralen Bewertung eines Konflikts, der uns außenpolitisch nicht betrifft?

Es scheint, das sichere Gefühl für den eindeutigen, moralischen Standpunkt geht diesem Land nicht immer noch, sondern zunehmend ab.

(Der „Standard“, 30. August 1989, S. 20)

Komplettiert wird dieser Unfug mit der Meldung des „Standard“ (im Auslandsteil vom selbem Tag auf S. 3), wonach es sich bei der Konferenz um ein „dreiteiliges PLO-Symposium“ handelte.

Richtigstellungen sind mühsam und meist nicht sehr unterhaltsam; und sie kommen immer zu spät. Ihre Rechtfertigung erhalten sie aber aus der vergleichsweise banalen Verpflichtung journalistischer Arbeit, zu sagen was ist. Deshalb müßte nun ordentlich aufgelistet werden, daß in den Tagen vom 28. August bis zum 1. September 1989 im Wiener Konferenzzentrum zwei internationale Konferenzen abgehalten wurden, beide als Folge einer Resolution der Generalversammlung der UN (42/66 B vom 2. Dezember 1988), in welcher alle Non-Governemental-Organizations (NGO) aufgefordert wurden, im Zeitraum 1988/89 regionale und internationale Konferenzen und Treffen zu organisieren; damit soll die Durchsetzung und Durchführung jener Beschlüsse und Empfehlungen gefördert werden, die das eigens bei den UN eingerichtete „Committee on the Exercise of the Inalienable Rights of the Palestinian People“ in den letzten Jahren gefaßt hatte. Dann müßten die Ergebnisse der Plenarsitzungen und workshops referiert, die unterschiedlichen Intentionen der ca. 200 teilnehmenden nichtstaatlichen Organisationen analysiert und schließlich zusammengefaßt werden; das alles geht an dieser Stelle natürlich nicht — und wer Interesse daran hat, ist mit den Publikationen des Informationsdienstes der Vereinten Nationen (Internationales Zentrum, Postfach 500, 1400 Wien) ohnehin gut bedient.

Was kann nun eine Journalistin veranlassen, den oben zitierten Unfug zu schreiben?

  1. Veranstaltet hat die beiden Konferenzen natürlich nicht die Bundesregierung, sondern über Veranlassung durch den „Ausschuß für die Ausübung der unveräußerlichen Rechte des palästinensischen Volkes“ (ein am 10. November 1975 von der Generalversammlung der UN errichtetes Organ) das „European Co-ordination Committe for NGO on the Question of Palestine (ECCP)“ und das „International Coordination Committee for the Question of Palestine (ICCP)“; Diese Organisationen wiederum sind das Ergebnis einer im Vorjahr in Genua abgehaltenen Konferenz, auf der die daran beteiligten NGO gewählt wurden. Die konkrete Vorbereitung für die Konferenz der europäischen NGO lag etwa bei Mikko Lohikoski, Elizabeth Rolfs, Willi Sommerfeld, Hans-Peter Kotthaus und Cecile Goldet (vgl. den „Report of the ECCP to the United Nations European Regional NGO Symposium on the Question of Palestine“ vom 28. August 1989/V. 89-65003/). Von der österreichischen Bundesregierung, und gar davon, daß es sich um ein „PR-Symposium“ derselben handelte, keine Spur. Bacher-Dalma suggeriert, daß schon die Einladung zur Diskussion über das Verhältnis der Palästinenser zu Israel (übrigens unter Teilnahme zahlreicher Israeli) unangebracht wäre; das wiederum läßt auf geklärte oder doch zumindest eindeutige Beziehungen schließen, die keiner weiteren Erörterung bedürften — worin diese Eindeutigkeit läge, thematisiert sie freilich nicht. Präsumiert wird ein Einverständnis mit den Lesern, das nur zwischen den Zeilen zur Sprache kommt: Erst wenn wir mit Israel wieder (diplomatisch) klar kommen, können die Palästinenser zum Problem werden.
  2. Und natürlich kam nicht der Begriff „unveräußerliche Rechte Palästinas“ zur Anwendung, sondern „The Inalienable Rights of the Palestinian People“ (Konferenztitel). So blöd kann Frau Bacher-Dalma gar nicht sein, das mißzuverstehen. Absicht? Würde gut passen: Wer das Volk gar nicht zur Sprache bringt, sieht von ihm ab. „Wessen Rechte?“ läßt sich dann fragen, und während es das jetzt plötzlich an „neutrale Bewertung eines Konflikts“ gebundene Österreich — in Sachen Afghanistan etc. konnte man noch anders hören! — auf der einen Seite immerhin mit „Israel“ zu tun hat, gibt es drüben nur „ein Wunschbild“, das keinerlei „staatsrechtliche Realität“ habe; und verbündet wäre man dann nicht mit dem palästinensischen Volk (das es ja nicht gibt), sondern bloß mit einem menschen- und namenlosen „Konfliktpartner im heißen Krisenherd des Nahen Ostens“. Das macht vergessen, daß es allein im ersten Jahr der Intifadah (9. Dezember 1987 bis 8. Dezember 1988) 433 Tote Palästinenser gegeben hat (darunter 55 Frauen und 87 Kinder unter 16 Jahren); mindestens 46.000 Verletzte; daß in diesem Zeitraum von den israelischen Behörden mindestens 100.000 Obst- und Olivenbäume — die Lebensgrundlage der vorwiegend bäuerlichen Bevölkerung — vernichtet wurden; daß hunderte von palästinensischen Häusern zerstört, einige tausend Palästinenser tagelang und grundlos eingesperrt oder gar vertrieben und abgeschoben wurden etc. (vgl. die Arbeiten des „DataBase Project on Human Rights“, besonders die Broschüre „The Cost of Freedom. Palestinian Human Rights under Israel Occupation“. 1988 — A Special Report, Chicago 1989). Wir kennen das aus den Medien; die in Wien abgehaltenen Konferenzen brachten hier aktuelle Daten, zahlreiche zusätzliche Informationen und die Vermittlung konkreter Erfahrungen; kaum ersetzbar auch für jene, die an der Sache (zunächst) bloß interessiert, aber noch skeptisch sind, Partei zu ergreifen.

Für Bacher-Dalma ist die Frage des „Parteiergreifens“ eine Frage des unausgesprochenen Vorverständnisses — und sie dürfte sich damit in Übereinstimmung mit vielen befinden. Die Wurzeln dieses ganz abstrakt und losgelöst von gegenwärtiger realer Politik und regional-konkreter Geschichte vorfindlichen Bewußtseins liegen in der immer noch Wirksamkeit entfaltenden Hypothek einer „Unschuld jenseits der Tugend“, von der Hannah Arendt vor über vierzig Jahren gesprochen hat.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
November
1989
, Seite 7
Autor/inn/en:

Alfred J. Noll:

Geboren 1960, lebt in Wien als Rechtsanwalt. Vater zweier erwachsener Töchter, von einer derselben zum Großvater geadelt.

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