FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1982 - 1995 » Jahrgang 1985 » No. 374
Gerhard Ruiss

Sic! Heil!

Stationen und Begleitumstände des in Österreich beschlagnahmten Films „Das Gespenst“ von Herbert Achternbusch. Eine Chronik.

30. Oktober 1918

Beschluß des noch vor Ausrufung der Republik Deutschösterreich durch die provisorische Nationalversammlung vereinbarten Staatsgrundgesetzes: „Jede Zensur ist als dem Grundrecht der Staatsbürger widersprechend als rechtsungültig aufgehoben.“ Wörtliche Auffassung des Verfassungsgerichtshofes dazu: „Das Verbot eines Films vor seiner Aufführung ist verfassungswidrige Vorzensur. Der Verfassungsgesetzgeber hat die Entscheidung getroffen, diese Präventivzensur ausnahmslos zu verbieten.“

12. Mai 1982

Einstimmiger Beschluß der im Parlament vertretenen Parteien, die Österreichische Bundesverfassung unter Weglassung des ebenfalls beantragten Absatz 2 („Eine Förderung künstlerischen Schaffens durch den Bund, ein Land oder eine Gemeinde hat auch seine Vielfalt und deren Erhaltung zu berücksichtigen.“) um den Artikel 17a (1) zu erweitern: „Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei.“ Im Gegensatz zu Artikel 13 des Staatsgrundgesetzes: „Jedermann hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern“, ist Artikel 17a kein impliziter Gesetzesvorbehalt auferlegt, jedoch im Bericht des Verfassungsausschusses von „immanenten Schranken“ die Rede (wenn z.B. ein Grundrecht mit einem anderen kollidiert).

Oktober 1982

Uraufführung des Filmes „Das Gespenst“ von Herbert Achternbusch bei den Hofer Filmtagen/BRD.

Dezember 1982

Aufführung während der Deutschen Woche in Paris. Motto: „Die besten Filme der 80er Jahre“.

Februar 1983

Teilnahme am Bewerb der Berliner Filmfestspiele („Deutsche Reihe“, außer Konkurrenz.)

25. März 1983

Kinostart in München.

April 1983

Empfehlung durch die Jury der Evangelischen Filmarbeit der BRD zum „Film des Monats“.

17. April 1983

Beginn der Aktionen gegen den Film in den bundesdeutschen Zeitungen „Bild“ (Springer) und „Welt am Sonntag“ (Springer) sowie weitere Aktionen wie z.B. die Versammlung von 1300 Pfadfindern vor der Münchner Mariensäule zur Fürbitte. Erste hektographierte Anzeigen (bis Anfang Dezember allein bei der Staatsanwaltschaft München I mehr als 2000) über eine Aktion des Vereins „Europäische Bürgerinitiative zum Schutz der Menschenrechte“ in der BRD, einem Verein, der mit einer von Martin Humer geleiteten „Zentrale“ auch in Österreich tätig ist.

20. April 1983

Freigabe durch die „freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“ der BRD. (Eine ebensolche Einrichtung in Österreich, die Pasolinis „Salo oder die 120 Tage von Sodom“ seit rund acht Jahren freiwillig zurückhält, wird vom österreichischen Verleiher „topfilm“ unter der Voraussetzung freiwilliger Inanspruchnahme nicht befaßt.)

Ende April 1983

Ankündigung des CSU-Innenministers Zimmermann, das restliche Viertel der aus dem Deutschen Filmförderungsfonds bewilligten Mittel von insgesamt DM 300.000,— einzubehalten und zu überprüfen, ob die bereits ausbezahlten 75% zurückzufordern sind.

27. Mai 1983

Der Salzburger Landeshauptmann Dr. Wilfried Haslauer antwortet in einem Schreiben auf die an ihn herangetragene Bitte zu intervenieren, daß der Film „Das Gespenst“ in Österreich nicht gespielt wird: „Wenn der Inhalt wirklich den empörten Leserbriefen entspricht, kann ich mich ganz gewiß nicht mit einem solchen Filmwerk identifizieren. Ich habe die auch für das Filmwesen zuständige Kulturabteilung gebeten, sich der Angelegenheit anzunehmen.“ Ähnliche Verwendungszusagen bzw. Interventionsabsichten verlauten auch aus Tirol.

7. Juli 1983

Androhung der Staatsanwaltschaft München, den Film einzuziehen.

26. Juli 1983

Martin Humer und seine österreichische „Vereinigung Europäischer Bürgerinitiativen zum Schutz der Menschenrechte“, die „Christlich-Soziale Arbeitsgemeinschaft Österreichs“, warnt in einer Aussendung unter dem Titel „Das Gespenst kommt nach Wien“

Bischöfe, strafverfolgende Behörden, Zollämter und ca. 70 weitere Personen (Aussendungstext) erhalten eigenvervielfältigte Drehbücher mit der Aufforderung, die Einfuhr bzw. Aufführung des Filmes zu unterbinden.

Mit dem Hinweis, „das Drehbuch bekanntgemacht zu haben“, wird ein solches, von den Behörden gefordertes Vorgehen als Akt der Vorzensur in Abrede gestellt.

Insgesamt werden auf diese, gegen die §§ 15 und 16 Urheberrechtsgesetz (Verbreitungsrecht) verstoßende Weise bis Mitte Jänner 1984 rund 200 Drehbücher verbreitet und damit mehr Werkstücke in Umlauf gebracht, als das in irgendeiner anderen publizistischen Verbreitungsform innerhalb Österreichs je der Fall gewesen ist.

Der Verleih „top-film“ wird in einem Brief von Humer auf die Folgen einer Inverleihnahme aufmerksam gemacht. Es werden von der Vereinigung Protestunterschriften gesammelt bzw. Sammelanzeigen organisiert und der Staatsanwaltschaft Wien übergeben. (Bis zum 24. August lt. Eigenaussage Humers nahezu 3000.)

August 1983

Teilnahme an den Filmfestspielen in Montreal.

4. August 1983

Anklage gegen den Verleiher in München.

September 1983

Teilnahme am Filmfestival in Toronto.

Die Staatsanwaltschaft Wien erkundigt sich beim Verleiher, „top-film“, ob der Film in die österreichischen Kinos komme und ob der Inhalt bekannt sei.

November 1983

Beteiligung an den Norddeutschen Filmtagen in Lübeck.

Präsentation im Museum of Modern Art/New York.

Teilnahme am Filmfestival in Groningen/Holland.

9. November 1983

Einstellung des Verfahrens durch die 23. Strafkammer beim Landesgericht München I gegen den Münchner Verleih „Filmwelt“ mit der Begründung, es fehle dem Film ein Mindestmaß an Format und er falle in die nicht strafbare Kategorie des Dürftigen, Läppischen, Albernen, Geschmacklosen. Diese Begründung wird zum Anlaß für eine weitere Anzeige Humers am 18.1.1984 gegen „unbekannte Täter in der Richterschaft beim Landesgericht München“ wegen „Mißbrauch der Amtsgewalt und Beihilfe zur Gotteslästerung“.

17. November 1983

Flugblatt-Aktion der Herwig Nachtmann-Gesellschaft „Bürgerinitiative gegen Religionsverhöhnung, öffentliche Perversität und Steuergeldverschwendung“ unter dem Titel „Wir Laien protestieren“.

Als „sicher unverdächtiger Zeuge“ für die Berechtigung zu diesem Protest, wird Springers „Welt am Sonntag“ vom 17. April benannt.

18. November 1983

Noch bevor es im Kino vor Publikum aufgeführt werden kann, wird „Das Gespenst“, auf Grund einer Anzeige des als rechtsextrem bekannten Herwig Nachtmann, durch Untersuchungsrichter Dr. Fladerer von der Staatsanwaltschaft Graz beschlagnahmt.

Der Beschlagnahmebeschluß beinhaltet in der Begründung „Zitate“ des Flugblattes von Nachtmann. Es kommen auch Passagen vor, die im Film nirgendwo aufscheinen und von der Zeitung „Welt am Sonntag“ stammen, wie jene, in der zu sehen sein soll, wie „Jesus derweil Schnitzel an die Wände nagelt“. (Eine weitere solche Beobachtung, „wonach die Oberin von ihrem Geschlechtsverkehr mit Jesus berichtet“, bleibt auch in der späteren Ablehnung der Beschwerde des Grazer Kinoinhabers gegen die Beschlagnahme noch als Begründung aufrecht.)

19. November 1983

Unterschriftenaktion gegen die Beschlagnahme in Graz und Wien. Es unterzeichnen insgesamt über 1000 Persönlichkeiten aus Kunst, Wissenschaft und Politik. Aus dem Bereich der Literatur werden darüberhinaus von der IG Autoren und der Grazer Autorenversammlung Protestresolutionen verfaßt. Eine ähnliche Außerung des in seiner Charta die „Freiheit des Wortes“ proklamierenden Österreichischen P.E.N.-Clubs unterbleibt.

20. November 1983

„Man kann nicht mit Hilfe staatlicher Gesetze kirchliche Wertvorstellungen durchsetzen.“ (Generalvikar Leopold Städtler, Graz)

21. November 1983

Beschlagnahme einer Kopie in Stuttgart.

26. November 1983

Freigabe der in Stuttgart beschlagnahmten Kopie, weil der Film sich nicht dazu eigne, „die Verhältnismäßigkeit einer Beschlagnahme zu gewährleisten“.

28. November 1983

Anzeige Humers gegen den österreichischen Verleiher „top-film“ in Verbindung mit dem Antrag auf Einziehung lt. § 33 Mediengesetz, „damit der Film auch vernichtet werden kann.“

Dezember 1983

Aufführung während einer Achternbusch-Retrospektive in Paris. Eine von drei Grazer Aktionisten (Baumann, Willnauer, Zenz) gestartete „Initiative gegen die Dummheit“, stellt dem Flugblatt und der Anzeige Nachtmanns einen ebensolchen, von einer Anzeige begleiteten Aufruf, religiöse Empfindungen zu respektieren, gegenüber.

Dort, wo es bei Nachtmann heißt: „WIR LAIEN PROTESTIEREN, stellvertretend für die Bischöfe! Diese ziehen es vor zu schweigen!“, heißt es bei Baumann, Willnauer, Zenz: „WIR PROTESTIEREN, stellvertretend für die Laien! Diese ziehen es vor, zu schweigen!“

Anlaß ist die öffentliche Premiere des in seinen kommerziellen Absichten „jesuslästerlichen“ Films „The Life of Johannes Paul II“.

5. Dezember 1983

Bei einer durch das „Kritische Informationszentrum“ an der Universität Graz initiierten Podiumsdiskussion unter dem Titel „Das Gespenst der Kunstfreiheit“, spricht sich der ehemalige, langjährige Mitarbeiter der katholischen „Filmkritik“ Otto Frankfurter gegen den an den Film „Das Gespenst“ gerichteten Vorwurf der Gotteslästerung aus.

13. Dezember 1983

Die Beschwerde des Kinoinhabers in Graz, Dieter Pochlatko, wird als unbegründet verworfen. Der Verdacht wegen Vergehens nach den §§ 15, 188 StGB (Herabwürdigung religiöser Lehren) bzw. die Beschlagnahme nach § 36 Mediengesetz bleibt bestehen. Wie es im Beschluß heißt, „komme es nicht darauf an, daß es einem zahlenmäßig kleinen Personenkreis zufolge besonderer Sachverständigenkenntnis möglich sein mag, dem Film eine positive Deutung zu geben, sondern darauf, daß die zweifellos überwiegende Mehrzahl der gläubigen Durchschnittschristen ihn als besonders herabsetzend und entwürdigend finden müsse, wobei als Maßstab der religiös normal empfindende Durchschnittsmensch heranzuziehen ist.“

21. Dezember 1983

Auf Grund einer Verfügung des Landesgerichtes Linz, für die Untersuchungsrichter Dr. Sittenthaler und Staatsanwalt Dr. Schildberger zeichnen, wird das Buch zum Film „Das Gespenst“ österreichweit beschlagnahmt. Nicht nur in Buchhandlungen, auch in der Bezirksleitung der Kommunistischen Partei Österreichs in Wien-Brigittenau, werden bei dieser Gelegenheit Nachforschungen angestellt.

24. Dezember 1983

Der Autor Professor Kurt Dieman zeigt die Zeitschrift „Kulturkontakte“ wegen der Abbildung einer Szene aus dem Film auf der Titelseite ihrer Ausgabe Nr. 18 an. (Achternbusch am Kreuz mit heraushängender Zunge.) Inhaber der Zeitschrift ist die „Österreichische Gesellschaft für Kulturpolitik“, die Innenminister Karl Blecha zum Vorsitzenden hat.

Jänner 1984

Aufführungen während der Deutschen Filmwochen in Turin und Genua.

13. Jänner 1984

Austrittserklärungen der oberösterreichischen Schriftstellerin Erika Mitterer aus dem Österreichischen P.E.N., dem sie die Duldung der von der IG Autoren verfaßten Protestresolution vorwirft, und des „Residenz-Verlags“-Autors und Germanistik-Professors an der Universität Klagenfurt, Professor Alois Brandstetter aus der IG Autoren, da „es höhere und wichtigere Interessen gibt als die der Kunst (oder was hier dafür gehalten wird).“ Der genaue Wortlaut dieser zum Anlaß der beiden Austritte genommenen Protestresolution ist: „Im Hinblick auf die verfassungsrechtlich verankerte Freiheit der Kunst spricht die IG Autoren ihre Empörung über die Beschlagnahme des Filmes ‚Das Gespenst‘ von Herbert Achternbusch in Graz am 18.11.1983 aus“.

Trotz des nur einige Tage später wesentlich heftigeren Verlaufs einer neuerlichen öffentlichen Parteinahme für die Freigabe des Films, gibt es darüberhinaus in keinem einzigen weiteren Fall ähnliche Reaktionen. Nochmals Brandstetter: „Um freilich zu wissen, daß man mit diesen Gedanken als Autor allein ist, brauche ich keinen Verein.“

16. Jänner 1984

In einer gemeinsamen Pressekonferenz der durch die Film- und Buchbeschlagnahme in Mitleidenschaft gezogenen Personen und Kreise, werden weitere Schritte unterbreitet. Ankündigung der IG Autoren, bei Aufrechterhaltung der Beschlagnahmen Parteienstellung anzustreben und die Verfassungsklage einzubringen. Die Bundesminister Zilk und Fischer sprechen sich in schriftlichen Erklärungen gegen die in Linz und Graz verfügten gerichtlichen Maßnahmen aus. Der Justizsprecher der SPÖ und Abgeordnete zum Nationalrat Sepp Rieder fordert die Überprüfung der Gerichtsentscheidungen durch den Obersten Gerichtshof wegen rechtsunrichtiger Heranziehung der Beschlagnahmebestimmungen des Mediengesetzes, das sowohl ein Massenherstellungsverfahren voraussetzt, wie auch mit einem generellen Wiederveröffentlichungsverbot verbunden ist. Zur Beweissicherung hätte die einfache Beschlagnahme nach der Strafprozeßordnung genügt.

Forumsdiskussion im Auditorium Maximum der Universität Wien unter dem Titel „Die Kunst ist frei“. Herbert Achternbusch nimmt entgegen ursprünglichen Absichten nicht teil und gibt folgende Erklärung statt seines Kommens ab:

  1. Ich kann keinen plausiblen Grund angeben, warum ich Filme mache (bislang 13). Die Verfolgung, die meine Filme auf sich ziehen, insbesondere DAS GESPENST, legen mir Gründe nahe.
  2. Filme machen ist ein Handwerk, ich habe einen mittelständischen Betrieb, mit Angestellten, die nach Tarif bezahlt werden müssen. Der Fall Österreich — und für mich ist es ein Fall Österreich, nicht ein Fall Gespenst — enthält mir Geldmittel, die zur Aufrechterhaltung meines Betriebes nötig wären. Österreich ist für mich ein fernes Land geworden, weiter weg als England oder die USA. Wenn es mir in Bayern zu heiß wird, gehe ich nach Österreich, dieser lange von mir gehegte Gedanke hat sich verflüchtigt.
  3. Anonyme Morddrohungen, die Angst vor einem Attentat, veranlassen mich, einem Land fernzubleiben, das sich im Hitlerreich durch besonderen Eifer hervorgetan hat. Ein Land, in dem Neohitleristen einen Richter veranlassen können, einen Film von mir zu konfiszieren, ist mir zu riskant.
  4. Meine Einstellung zur Religion ist folgende: der Zustand der Welt erlaubt es nicht mehr, an einem Weltbild festzuhalten, und mit diesem Weltbild Menschen zusammenzuhalten, um andere Menschen mit einem anderen Weltbild bekämpfen zu können. Wir brauchen kein Weltbild mehr sondern die Welt. Wer bei dem verheerenden Zustand unserer Welt weiterhin an Gott glaubt, ist ein Ferkel. (Ohne Ausrufezeichen).

Die weiteren Teilnehmer an dieser Forumsdiskussion sind:

Professor Kurt DIEMAN, Autor: „In der Eigenschaft, meine Damen und Herren, als Ferkel.“ („Man muß sich abgrenzen gegen einen solchen Unsinn wie den Verfassungsparagraphen ‚Freiheit der Kunst‘. Was auf dem Gebiet der Wissenschaft nicht gemacht werden kann, nämlich bewußte Gesellschaftsveränderung zu betreiben, läßt sich mit dem Wahnbegriff ‚Kunst‘ bewerkstelligen.“ UNI-AKTUELL 1/84)

Dr. Hilde HAWLICEK, parlamentarische Kultursprecherin der SPÖ: „Ich kann Sie beruhigen, daß die Abgeordneten im Parlament, als sie die Beratungen im Unterausschuß geführt haben, die Freiheit der Kunst in die Verfassung als Grundrecht aufzunehmen, bewußt von einer Definition von Kunst abgesehen haben, weil wir der Meinung waren, daß es sich niemand anmaßen kann, zu urteilen, was Kunst ist im Sinne einer Allgemeingültigkeit. Niemand und schon gar nicht der Staat soll sich als oberster Kunstrichter aufspielen.“

Elfriede JELINEK, Schriftstellerin: „Kunst antwortet — ähnlich wie die Religion — auf eine unzulängliche Wirklichkeit, in der die Möglichkeit von humaner Entfaltung verwehrt ist. In der Kritik, die aber natürlich nur möglich ist, wenn das Werk zugänglich ist, wird der Zusammenhang zwischen Werk und gesellschaftlicher Wirklichkeit, der das Werk ja seine Entstehung verdankt, als dialektische Wechselwirkung faßbar. Eine solche fruchtbare Auseinandersetzung ist jetzt gewaltsam abgebrochen worden. Ich meine, daß unserer Gesellschaft damit unübersehbarer Schaden zugefügt worden ist.“

Dr. Manfred MATZKA, Verfassungsjurist: „Ich denke, daß ein demokratisch und rechtsstaatlich normal empfindender österreichischer Durchschnittsjurist andere Schlüsse zu ziehen gehabt hätte als das Grazer Gericht im Fall Achternbusch.“

Dieter POCHLATKO, Rechbauer-Kino, Graz: „Daß dieser Medienrichter seit elf Jahren nicht mehr im Kino war ist eine wirklich befremdende Geschichte. Es geht gar nicht so sehr darum, ob der Film gut oder schlecht ist, aber man muß sich ja vorstellen, das ist wie wenn beim „Fröhlichen Morgen beim Friseur“ von Wolfgang Bauer bereits bei einer Hauptprobe bzw. Generalprobe aufgrund einer Anzeige, die sogar anonym sein kann, jemand kommt und sagt: Kinder, das wird nicht gespielt, leider, die Nonne hier verletzt mein religiöses Gefühl, weil ich bin Durchschnittschrist.“

Dr. Franz SCHUH, Literaturkritiker: „Man sieht es ja sehr deutlich, daß die Blasphemie ein Zeichen der Lebendigkeit von Religion ist. Man sieht es umgekehrt, und man hat den Eindruck, es findet viel zu wenig Blasphemie statt, um die Religion wieder ganz lebendig zu machen. Mein Standpunkt: der Staat soll sich grundsätzlich raushalten aus der Kunst, auch im Sinne eines Verfassungsgesetzes, das ich für eine Farçe halte. Die Kunst ist frei — aber was man dann bändigen möchte, ist eben keine Kunst, und dafür hat man seine Justizorgane. Es gibt einen Subversionsenthusiasmus, je mehr die Kunst verboten wird vom Staat, desto größer ist sie, und desto mehr sieht ein Teil der an Kunst Beteiligten am verbotenen Werk die wahre Kunst. Jetzt frage ich mich, wie kommt ein Autor dazu, daß er nicht seines Werkes wegen, sondern im Gegenteil wegen des Verbots, wegen der Negation seines Werkes gelobt werden muß. Und wie komme ich als Kritiker dazu, daß ich mich unbedingt hinter den Autor stellen muß, und zwar nicht seines Werkes wegen, sondern deshalb, weil er verboten ist?“

Heribert STEINBAUER, Mediensprecher der ÖVP: „Verfassungsgesetze sind bestenfalls Zielsetzungen, und was daraus wird, bestimmen die Menschen immer noch selber. In diesem Land muß es möglich sein, daß ein Faschist, ein Nazi, ein Kommunist, irgendjemand zu Gericht geht und beansprucht, Recht zu bekommen. Es muß in diesem Land möglich sein, daß wir die Notwendigkeit und unvermeidbare Kollision von Freiheiten akzeptieren.“ („Die Freiheit ist nur in der einfachen Zahl unendlich groß, darum hat man sie uns auch immer nur in der wertlosen vielfachen Zahl gegeben.“ Johann Nestroy)

Dr. Bruno WEIS, Richter: „Ich kann hier nur die Grundsätze festlegen. Die Grundsätze sind die, daß es nun einmal einen § 188 im Strafgesetzbuch gibt. Ich bin kein Freund dieser Bestimmung, ich halte sie nicht für judizierbar. Die Beschlagnahme des § 36 Mediengesetz, diese Beschlagnahme ist eine ex post Maßnahme, die von vornherein wirkt, eine präventive ex post Maßnahme, ein Unsinn an sich. Wenn nun das Gericht sofort einschreitet nach dieser ersten Aufführung, die es nur selbst sieht unter Umständen und jede weitere Aufführung durch die Beschlagnahme unmöglich macht, dann kommt es ja in den faktischen Auswirkungen einer Zensur gleich. Solange es der Initiative des einzelnen überlassen ist, der sich an die verfassungsmäßig bestimmenden Organe wendet, also letzlich an das Gericht, halte ich es nicht für eine Zensur.“

Nach rund einstündiger Diskussionsdauer wird der Film vor über tausend Anwesenden vorgeführt, „damit wir uns etwas anschauen können, was nicht zu sehen ist“ (Gerhard Ruiss, Diskussionsleitung, IG Autoren). Bruno Weis, Heribert Steinbauer und Kurt Dieman verlassen demonstrativ den Saal. Erste Ermittlungen nach Beendigung der Vorführung durch die Staatspolizei Wien.

17. Jänner 1984

Dieter Pochlatko unterrichtet in einer zu diesem Termin anberaumten Vorladung den Grazer Untersuchungsrichter Dr. Fladerer, daß am Vortag in Wien eine Kopie des Gespenstes zu sehen gewesen und deren Herkunft und Weiterverbleib unbekannt geblieben sei. Es wird die sofortige Überprüfung veranlaßt, ob die in Graz beschlagnahmte und unter Verschluß gehaltene Kopie noch in den Kellerräumen des Landesgerichtes Graz lagert.

18. Jänner 1984

Franz Endler empfiehlt in der Tageszeitung „Die Presse“ zur Verfahrensbeschleunigung, privat anzuzeigen.

20. Jänner 1984

Die Tageszeitung „Die Presse“ berichtet von der Privatanzeige Martin Humers, das Anzeigedatum ist der 18. Jänner.

Aktionen in Mühldorf/BRD gegen die geplante Aufführung des Films „Das Gespenst“. 2500 Mühldorfer (1/4 bis 1/3 der Erwachsenen-Bevölkerung Mühldorfs) unterschreiben einen „von der Stadtpfarre mitgetragenen“ Aufruf, der SPD-Bürgermeister, Josef Federer erklärt sich „voll dahinterstehend“. Eine „Sühneprozession“ wird ebenso vorbereitet wie ein Dankgottesdienst. Aufführung und „Sühneprozession“ unterbleiben.

Mit dem Präsidenten der Katholischen Aktion Österreichs, Eduard Ploier, meldet sich das erste Mal eine Organisation aus dem Bereich der Kirche zur Legitimation der Beschlagnahme zu Wort. Eine Reihe von Kirchenzeitungen bezieht gegen den Film und die Veranstaltung „Die Kunst ist frei“ Stellung, jedoch mit Ausnahme der des Landes Kärnten, keine einzige mit ausdrücklicher Bejahung des Verbots.

Mitglieder des „Forum Stadtpark“ starten eine Anzeigen-Aktion, um Verfahrensunterschiede zu verdeutlichen. Als erster Film wird die „Rocky-Horror-Picture-Show“ bei der Staatsanwaltschaft Graz angezeigt. (§ 188 StGB, Herabwürdigung religiöser Lehren)

25. Jänner 1984

Diskussionsteilnehmer Kurt Dieman veröffentlicht in der Wochenschrift „Die Furche“ eine Chronik der Ereignisse des 16. Jänner:

11.00 Uhr. Ruiss erklärt auf Pressekonferenz, daß Achternbusch-Film „Das Gespenst“ in Österreich leider nicht gezeigt werden könne — aus rechtlichen Gründen und wegen des geschäftlichen Risikos.

15.00 Uhr. Ich erfahre, daß Ruiss in Wirklichkeit plante, den beschlagnahmten Film vorzuführen. Anruf bei der Staatspolizei: Leiter Hofrat Werner Liebhart unerreichbar. Bitte um Rückruf — ansonsten immer entsprochen — erfolglos.

15.30 Uhr. Weiterer Anruf bei Staatspolizei — Journalbeamter Walter Neveral erklärt, ohne staatsanwaltliche Weisung nichts unternehmen zu können.

15.35 Uhr. Anruf bei Staatsanwaltschaft Wien. Niemand meldet sich. Anschließend Anruf bei Oberstaatsanwaltschaft. Werner Wasserbauer nimmt Mitteilung zur Kenntnis, sichert zu, alle erforderlichen Schritte zur Verhinderung der rechtswidrigen Vorführung einzuleiten.

19.00 Uhr. Auditorium Maximum überfüllt. Ruiss verliest Erklärung des wegen angeblicher ‚Morddrohungen‘ nicht erschienenen Achternbusch. Beifall bei der Stelle: „Wer weiterhin an Gott glaubt, ist ein Ferkel“. Ich bekenne mich zu Beginn meines Diskussionsbeitrages als ‚Ferkel‘. Heftige Zwischenrufe, Beschimpfungen, auch bei Diskussionsbeiträgen von Abgeordneten Heribert Steinbauer und Presserichter Bruno Weis. Ruiss unternimmt keinen ernsthaften Versuch, Störer zum Schweigen zu bringen.

20.10 Uhr. Ruiss kündigt Vorführung des beschlagnahmten Filmes an; Steinbauer, Weis und ich verlassen unter Schmähungen Podium und Saal.

20.35 Uhr. Anruf bei Staatspolizei, Auskunft des Journalbeamten: Wir haben nur zwei Mann im Saal, sind gegen 1500 Teilnehmer machtlos, haben keine Weisung der Staatsanwaltschaft.

17. Jänner, 9.30 Uhr. Anruf bei Oberstaatsanwaltschaft Wien — Werner Wasserbauer teilt mit, daß aufgrund meines Anrufes am Nachmittag des 16. Jänner alle Vorkehrungen getroffen worden seien und die Staatspolizei Weisung erhalten habe, die Vorführung des Filmes zu verhindern.

11.30 Uhr. Büro Liebhart verbindet mit Hofrat Kurt Berger, Leiter der Vereins- und Pressepolizei, der erklärt, daß sich Polizei bemüht habe, eine Weisung des Gerichtes in Graz zu erhalten, das die Beschlagnahme des Achternbusch-Filmes für ganz Österreich verfügt hat: „Weisung kam erst gegen 24 Uhr, da war die Veranstaltung längst beendet.

24. Jänner 1984

Gerichtliche Voruntersuchung gegen den Leiter des Innsbrucker Kulturzentrums „Treibhaus“, Norbert K. Pleifer, wegen des Vorhabens bei einer unter diesem Datum geplanten Veranstaltung mit Herbert Achternbusch eine Videofassung des Films zu präsentieren. Es wird unter Beschlagnahmeandrohung von einer allgemeinen Vorführung Abstand genommen und von mehr als der Hälfte der 240 Anwesenden in einer Resolution „der Ohnmacht Ausdruck gegeben, die man empfinden muß anläßlich der Unmöglichkeit, den Film ‚Das Gespenst‘, ohne Widerstand gegen die Staatspolizei zu sehen.“

26. Jänner 1984

In der Innsbrucker Zeitschrift „Präsent“ erscheint ein mit Professor em. Dr. Anton Hittmair gezeichneter Leserbrief „Zum Club-2-Gespräch über den blasphemischen Film ‚Das Gespenst‘“, einem Club 2, der zwar in Vorbereitung war, jedoch nie zustandegekommen ist.

27. Jänner 1984

Die von den Mitgliedern des „Forum Stadtpark“ geforderte Beschlagnahme der „Rocky Horror Picture Show“ wegen einer „religionsverhöhnenden Abendmahlszene“ wird vom zuständigen Staatsanwalt des Landesgerichtes Graz u.a. mit der Begründung zurückgewiesen, es sei im Unterschied zum Film „Das Gespenst“ und der sechs bis sieben beanstandeten Szenen nur eine einzige solche szenische Beanstandung vorgelegen.

29. Jänner 1984

Zwei Tage nach Beginn einer gegen die Freigabe des Gespensts von Pfarrer Josef Friesenecker in der Pfarre St. Oswald gestarteten Unterschriftenaktion werden bereits 856 Unterschriften gezählt.

Februar 1984

Präsentation beim Filmfestival in Antwerpen.

Der Verband katholischer Schriftsteller in Österreich spricht sich in seinem Organ, „Winfried“, für die Verhinderung und Ahndung solcher, wie mit dem Achternbusch-Film begangener „Verbrechen“ und gegen das Engagement der IG Autoren „Im Namen der Freiheit der Kunst für ein Verbrechen“ aus. (Gemeint sind: Religionsstörung und die Beleidigung einer gesetzlich anerkannten Kirche.)

18. Februar 1984

Anrufung des „Presserats“ gemäß Geschäftsordnung § 8, Abs. 1: „Verstoß einer Veröffentlichung gegen die guten Sitten“.

Betrifft: Die ‚Presse‘ vom 18.1.1984 auf Seite eins, Franz Endler: ‚Ferkel unter sich‘ und Seite fünf: ‚Audimax, man war vor allem gegen‘.

Da es mir um eine moralische Instanz zu tun ist und nicht um eine rechtlicher Möglichkeiten, sehe ich in Ihnen jene Autorität, die für mich als die einzig zuständige denkbar ist. Auch weil ich der festen Überzeugung bin, daß Journalismus einer Art wie der in der ‚Presse‘ vom 18.1.1984 auf den Seiten eins und fünf zum Thema der von mir im Auftrag der IG Autoren verantworteten Veranstaltung ‚Die Kunst ist frei‘ ebensowenig zu Ihrer Billigung geschieht wie zu meiner.

Es steht zweifelsohne auch dem mit ‚Franz Endler‘ bzw. ‚f.e.‘ zeichnenden Autor dieser beiden Artikel ebenso wie jedem anderen frei, zu ‚bekämpfen‘ was immer seinem Idealbild von Welt zuwiderhandelt bzw. seinen Vorstellungen davon nicht entspricht. Die Frage ist nur, mit welchen Mitteln.

Da wäre einmal eines, das ich als Kriminalisierung bezeichnen möchte, und sich zum Beispiel in einer der ÖH und der IG Autoren zugeschriebenen ‚Komplizenschaft‘ äußert oder etwa in der Bezichtigung des ‚mehrfachen Rechtsbruchs‘, obwohl der Verfasser (wie aus dem Artikel Seite fünf, letzter Absatz, hervorgeht) wissen mußte, daß zu diesem Zeitpunkt ein solcher keineswegs als gesichert anzusehen war (und in der Folge bis heute nicht festgestellt werden konnte). Was den Autor des mit ‚f.e.‘ gezeichneten Seite-fünf-Artikels, nach vorhergehender Konstatierung keinerlei vorliegender privater Anzeige offenbar dazu veranlaßte, anders ist das nicht zu benennen, zur Denunziation aufzurufen: ‚Eine Anzeige von privater Seite würde diese interne Diskussion (der Staatsanwaltschaft Wien, ob es sich tatsächlich um eine strafbare Handlung handle) zweifellos beschleunigen.‘

Zwei Tage später knüpfte daran die Meldung des sich gefunden habenden privaten Klägers (‚Die Presse‘, 20.1.1984) in der Person des in dieser Hinsicht wahrscheinlich professionellsten Privaten Österreichs, Martin Humer, der zwar von Linz aus sicher nicht an der Veranstaltung, möglicherweise aber an der Geisteshaltung des Verfassers dieser Zeilen teilgenommen hat. Eine Geisteshaltung, die sich u.a. auch in ‚Schreiern‘ ausdrückt, denen ‚der Mund zu stopfen ist‘, in ‚Verantwortlichen‘, die ‚nicht ungeschoren davonkommen sollten‘, etc.

Ob mehrmals als ’Strotter’ titulierte Diskussionsteilnehmer, die auf Grund von Wortmeldungen eigentlich auch Branchenlaien als Filmkundige erkennbar sein mußten (wenn nicht überhaupt einem mit Kulturberichterstattung befaßten Journalisten als zur Branche der Filmschaffenden zugehörig und von ihren Produkten her ein Begriff), noch ein Ergebnis journalistischer Sorgfaltspflicht sind, möchte ich ebenfalls nicht dahingestellt sein lassen, ebenso wie eine ganze Reihe spekulativer Unterstellungen, angefangen von ‚wirksam postierten Schreiern‘ bis zur explizit angesprochenen ‚Aufforderung‘ (das gleichfalls verbotene Buch zum Film gleich an Ort und Stelle zu kaufen), die sicherlich nicht mangelnder Nuançierungsfähigkeit allein, sondern auch und vor allem einer guten Portion zweckmäßiger Diskreditierung zuzuschreiben sind.

Gerhard Ruiss, IG Autoren

20. Februar 1984

Weitere Vorerhebung gegen den von der Staatsanwaltschaft Wien festgestellten Verantwortlichen für die Aufführung des Films im Auditorium Maximum der Universität Wien, am 16.1.1984, Gerhard Ruiss durch die Pressepolizei wegen Vergehens nach § 38, Abs. 2, „Veröffentlichung bzw. Aufführung während einer angeordneten und noch andauernden Beschlagnahme.“

1. März 1984

Inkrafttreten neuer Richtlinien zur „Förderung des deutschen Films“. Anstelle des bis zu diesem Zeitpunkt für die Förderungswürdigkeit ausschlaggebenden „künstlerischen Rangs“ treten Kriterien wie „Publikumswirksamkeit“, „Sinn für Anstand und Moral“, „öffentliche Moralvorstellungen“ etc. Weiters garantieren diese „Hinrichtungslinien für den deutschen Film“ (Anke Martiny/Freimut Duve, Forvm, 1.3.1984) CSU-Innenminister Zimmermann ein suspendierendes Veto-Recht und die Entscheidungsbefugnis, ein durch die zuständigen Gremien abgegebenes Votum eigenständig rückgängig zu machen.

12. März 1984

Antwort des „Österreichischen Presserats“: „Ihre Anrufung vom 18.2.1984 hat der Österreichische Presserat in der Sitzung vom 8. März 1984 gemäß § 8 (4) seiner Geschäftsordnung zurückgelegt, weil er keinen Grund für ein Einschreiten finden konnte. Begründung: Die inkriminierten Artikel in der Tageszeitung ‚Die Presse‘ vom 18. und 20.1.1984 verletzen nicht die Grundsätze einer objektiven Berichterstattung und der Artikel ‚Ferkel unter sich‘ (Presse vom 18.1.) ist als Meinungskommentar klar erkennbar.“

23. März 1984

Der Fall „Das Gespenst“ wird in der Behandlung durch das Landesgericht München, nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Nichtzulassung ihrer Anklage wegen Beschimpfung eines Religionsbekenntnisses, als nicht dazu geeignet, endgültig ad acta gelegt.

26. April 1984

Nach einer „vorsorglichen Strafanzeige wegen Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit im Sinne von Art. 261 StGB“ und unter Androhung von Strafverfolgung, würde der Film gezeigt, wird „Das Gespenst“ nach nur einer einzigen Aufführung im Züricher „Studio Commercio“ auch in der Schweiz beschlagnahmt.

29. April 1984

Gemeinsam abgegebene Erklärung der Autoren Max Frisch, Peter Bichsel, Peter Handke, Gertrud Leutenegger, Adolf Mugsch, Otto F. Walter u.a. zum „Grundsatz von der Freiheit der Kunst, in der die Freiheit aller beschlossen ist“: „Die Beschlagnahmung des Films "Das Gespenst’ — einen Tag nachdem der Künstler Harald Nägeli in Zürich hinter Schloß und Riegel verschwand — bedeutet von Seiten unserer Behörde eine neue Provokation der Kulturschaffenden und aller, die an Auseinandersetzung mit den künstlerischen Werken der Gegenwart interessiert sind. Diese Auseinandersetzung hat frei zu sein. Den Rechtsgütern von Liberalität und Freiheit künstlerischer Arbeit kommt Priorität zu. Wir protestieren gegen jeglichen staatlichen Schutz unseres Fühlens und Denkens.“

30. April 1984

Strafantrag gegen die beiden Redakteure der ÖH-Zeitschrift „UNI-AKTUELL“ , Gerald Gaiswinkler und Clemens Ruthner wegen des „Vergehens der üblen Nachrede“ (§ 111, Abs. 2 StGB) und „Beleidigung in Form der Beschimpfung“ (§ 115, Abs. 1 StGB) in der Ausgabe Nr. 1/1984, die sich mit den Vorgängen rund um die Beschlagnahme von Herbert Achternbuschs „Gespenst“ befaßt. Antragsteller ist Professor Kurt Dieman, der die Beanstandung der Passagen: „Woher zum Teufel kommt dieser wunderbare Gleichklang, wenn Nacht- und Diemänner vor der Justiz einhellig ins selbe Horn der Vernaderung blasen? Was ist das für eine politische Naivität, wenn sich rechtschaffene Bürger zu rechts-schaffenden Würgern mausern?“ unter anderem damit begründet, „daß die Strafverfolgungsbehörde in Graz nicht die ‚Freiheit der Kunst‘ verletzt, sondern in Wahrung des Gesetzes gehandelt habe, als sie den für Katholiken, aber auch für andere Christen eine Gotteslästerung darstellenden Film Herbert Achternbuschs, verboten haben. Der Privatkläger war und ist auch der Ansicht, daß dann, wenn versucht wird, dieses Verbot zu umgehen, die einschlägigen Bestimmungen des StGB anzuwenden sind. Dies war der Grund, warum er gegen die Zeitschrift ‚Kulturkontakte‘ einen Strafantrag stellte, als diese ein Bild aus dem Film von Herbert Achternbusch veröffentlichte. Die Antragsgegner haben diese Tatsache dazu benutzt, gegen den Privatkläger zu polemisieren.“

3. Mai 1984

Beendigung der gerichtlichen Voruntersuchung gegen den für die Veranstaltung „Die Kunst ist frei“ und damit für die Aufführung des Films im Auditorium Maximum der Universität Wien am 16.1.1984 persönlich verantwortlich zeichnenden Veranstalter, Gerhard Ruiss, mit einer Einvernahme durch das Landesgericht für Strafsachen, Wien.

8. Mai 1984

„Dank- und Sühnegottesdienst“ in der Wolfratshausener Stadtkirche/BRD nach der unter dem „massiven Druck“ zahlreicher brieflicher und telefonischer Bedrohung rückgängig gemachten Absicht des Kreisverbandes der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, den Film „Das Gespenst“ im Kino von Wolfratshausen vorzuführen.

13. Mai 1984

Obwohl der Film auf bislang keine einzige reguläre Aufführung vor Publikum in Österreich verweisen kann, bezieht der Kärntner Diözesanbischof Dr. Egon Kapellari („der seit seinem Amtsantritt wiederholt vielbeachtete Aussagen zu Fragen der Kultur und Kirche getätigt hat“) in der katholischen Zeitschrift „multimedia“ anhand der von ihm konstatierten „Tatsache“, daß sich das Werk eigentlich selbst gerichtet hat, den Standpunkt, daß das „freilich kein Grund war, ihm den Weg ins Fernsehen zu ermöglichen.“

Mai/Juni 1984

Laut Antrag der Staatsanwaltschaft Graz auf Einbeziehung gemäß § 33, Abs. 2, Mediengesetz begründet sich der durch den Film erfüllte „objektive Tatbestand des Vergehens der Herabwürdigung religiöser Lehren“ darin, „öffentlich Personen oder Sachen, die den Gegenstand der Verehrung einer im Inland bestehenden Kirche oder Religionsgemeinschaft bilden, unter Umständen zu verspotten, die geeignet sind, berechtigtes Ärgernis zu erregen“. Als im gegenständlichen Fall verspottet und „göttlicher Mittelpunkt der christlichen Lehre“ wird die Person „Josef Christus“ geltend gemacht.

20. Juni 1984

Strafantrag durch die Staatsanwaltschaft Wien zur Verhandlung beim Landesgericht für Strafsachen Wien gegen den, des Vergehens nach § 38, Abs. 2 („Verbreitung eines beschlagnahmten Medienwerks“) Beschuldigten, Gerhard Ruiss.

28. Juni 1984

Hauptverhandlung des Strafantrages Dieman gegen Gaiswinkler/Ruthner unter Vorsitz von Medienrichter Dr. Bruno Weis. Anklagevertretung und Beschuldigte erklären sich mit einem außergerichtlichen Vergleich einverstanden, der den Abdruck einer Ehrenerklärung zur Person Kurt Diemans in der ÖH-Zeitschrift „UNI-AKTUELL“ vorsieht, sowie die Leistung einer finanziellen Entschädigung in symbolischer Höhe. Eine Weiterführung der Verhandlung auf dem Gerichtsweg scheitert an der nicht vorhandenen Bereitschaft der als Medieninhaberin involvierten Österreichischen Hochschülerschaft, die beklagten Redakteure ihrer Zeitschrift über diesen Vergleich hinaus weiter zu unterstützen.

2. Juli 1984

Mit der, nicht unter Ausschluß der Öffentlichkeit im Landesgericht für Strafsachen in Graz, anberaumten Hauptverhandlung zur Bestätigung der Rechtmäßigkeit, der bis zu diesem Zeitpunkt nur vorläufig verfügten Beschlagnahme von Herbert Achternbuschs „Gespenst“, wird der zur Gänze aufgeführte Film zum ersten Mal in Österreich einem interessierten Publikum legal zugänglich gemacht. Die als Medieninhaber bzw. Premierpublikum zur Verhandlung geladenen Vertreter des Wiener Verleihs „top-film“ und der Grazer Kinobesitzer Dieter Pochlatko legen durch ihre Anwälte gegen den vom Grazer Gericht stattgegebenen Antrag auf „Einziehung des Medienwerks“ (§ 33 Mediengesetz) Berufung ein. Nächste Instanz ist das Oberlandesgericht Graz.

3. Juli 1984

Aufforderung des Grazer Vizebürgermeisters und Vorsitzenden des ORF-Kuratoriums, Alfred Stingl, die Freiheit der Kunst, einschließlich aller Widersprüchlichkeit, auch im Strafvollzug durchzusetzen und das vom Grazer Landesgericht am Vortag verfügte Urteil auf Einziehung des Films, zum Anlaß für eine Überprüfung zu nehmen, ob das am 12.5.1982 in die Verfassung aufgenommene Recht auf Freiheit der Kunst mehr als nur eine „Absichtserklärung“ sei.

24. August 1984

Hauptverhandlung des Strafantrages gegen Gerhard Ruiss. Einzelrichter Dr. Ernest Maurer („Glauben Sie nicht auch, daß solche Volkszusammenrottungen nicht der geeignete Weg sind, um eine Änderung von Gesetzen herbeizuführen?“) lehnt sämtliche Beweisanträge ab, die unter Berufung auf die im Artikel 17a der Österreichischen Bundesverfassung garantierte „freie Vermittlung von Kunst“ für die Rechtmäßigkeit der Aufführung vom 16.1.1984 geltend gemacht werden. Geklärt werden soll nur, ob ein Fall von vorsätzlicher Verletzung des § 38, Abs. 2, Mediengesetz vorliegt oder nicht. Die Verhandlung wird zur Einvernahme der Zeugen Dr. Bruno Weis, Dr. Manfred Matzka und Werner Taibon vertagt.

5. Oktober 1984

Zweiter Verhandlungstag des Wiener Verfahrens. Presserichter Dr. Bruno Weis als Zeuge des Gerichts sowie der Geschäftsführer des „top-film“-Verleihs, Werner Taibon, werden zu den Ereignissen rund um die den Gegenstand des Strafantrages darstellende Filmaufführung vom 16.1.1984 befragt. Dr. Bruno Weis bestätigt seinen vor Aufführung des Films für alle Anwesenden deutlich vernehmbaren Hinweis, es handle sich um einen — nach dem Mediengesetz — strafbaren Akt, der für den verantwortlichen Veranstalter mit rechtlichen Folgen verbunden sei. Neuerliche Vertagung der Verhandlung wegen Nichterscheinens des neben Werner Taibon zweiten Zeugen der Verteidigung, Dr. Manfred Matzka.

4. Dezember 1984

Freigabe der in der Schweiz beschlagnahmten Kopie, da es sich um keinen nachweislichen Fall von „Störung der Glaubensfreiheit“ handle. Den beiden für die Vorführung des Films dieses Vergehens Angeklagten wird eine Summe von umgerechnet S 40.000,— als Entschädigung zugesprochen.

Nachdem es (abgesehen von den überhaupt problemlos verlaufenen Aufführungen in den Niederlanden, in Italien, Frankreich, England, Belgien und den USA) schon zuvor zur Aufhebung der in München und Stuttgart verfügten Beschlagnahmen kam, ist damit das zugleich letzte Aufführungsverbot außerhalb Österreichs gefallen.

5. Dezember 1984

Dritter Verhandlungstag des Wiener Verfahrens. Verurteilung des wegen Verstoßes nach § 38 Mediengesetz für schuldig befundenen „Filmvorführers“ Gerhard Ruiss zu einer Geldstrafe von 50 Tagsätzen à S 150,— (maximales Strafausmaß 90 Tagsätze à S 300,—) oder einer Ersatzstrafe von 25 Tagen Arrest. Laut Urteilsbegründung tangiere eine solche Entscheidung die im Staatsgrundgesetz garantierte „Freiheit der Kunst“ nicht und wäre ein solches Vergehen mit dem Grundsatz von der „Freiheit der Kunst“ nicht abzuwägen gewesen, weil im vorliegenden Fall lediglich ein „reines Formaldelikt“ verwirklicht worden wäre.

Gegen dieses Urteil wird noch an Ort und Stelle Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet. Nächste Instanz ist das Oberlandesgericht Wien.

(Wird fortgesetzt)

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Erstveröffentlichung im FORVM:
März
1985
, Seite 8
Autor/inn/en:

Gerhard Ruiss:

Gerhard Ruiss ist freier Autor und Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren.

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