FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1968 - 1981 » Jahrgang 1977 » No. 282/283
Imma Palme

Schmuddelkinder

Ein ungedruckter Artikel für die „Arbeiter-Zeitung“

Ich bin Mitglied der Sozialistischen Partei.

Ich bin Mitglied der Sozialistischen Studenten.

Ich bin Marxistin.

Und ich glaube, daß dies alles zu vereinen ist.

Andere meinen das nicht.

Vor allem der Parteivorstand.

Haben Marxisten in unserer Bewegung wirklich keinen Platz?

Innerparteiliche Demokratie

Kein Parteimitglied muß unmittelbar oder mittelbar Nachteile befürchten, wenn es sich an der Diskussion von Vorschlägen der Partei oder der Parteiführung beteiligt und dabei Meinungen vertritt, die im Gegensatz zu den Auffassungen der Parteiführung stehen oder das Parteimitglied in Gegensatz zur Parteiführung bringen.

Die Meinungs- und Diskussionsfreiheit innerhalb der Partei ist nicht geringer oder eingeschränkter als außerhalb der Partei. Entgegenstehendes Verhalten und Zuwiderhandeln von Parteiorganen, Parteifunktionären und Parteimitgliedern ist parteischädigend.

Beschluß des Bundesparteitags der SPÖ, 1976

Die Geschichte der SPÖ spricht anders. Gegründet von Marxisten, geführt von so hervorragenden Theoretikern wie Otto Bauer war für die Bürgerlichen die Partei die längste Zeit mit Marxismus identisch.

Freilich, das ist jetzt lange vorbei, die Zeiten haben sich verändert. Jetzt stehen wir Jungen als Marxisten am linken Flügel der Partei, und wir sind wenig.

Der Parteivorstand will sich dieses kritischen Teils seiner Mitglieder entledigen. Um mit Biermann zu reden: Die Partei schneidet sich einen gesunden Fuß ab.

In den letzten Jahren hat sich die SPÖ sukzessive eines Gutteils ihrer jungen sozialistischen Intelligenz beraubt. Die Gründung linker Gruppierungen außerhalb der Partei war hauptsächlich auf das Konto dieser Politik zu buchen. Sie sind gesamtgesellschaftlich sicherlich nicht sehr bedeutend. In der Jugend, vor allem der studierenden, haben sie jedoch ein gewisses Gewicht.

Ich glaube, die Partei ist stark genug, daß sie sich einen linken marxistischen Flügel leisten kann. Das konnte sie auch früher, als man mit der Parteilinken so klangvolle Namen wie Friedrich oder Max Adler verband.

Was haben wir denn verbrochen, daß man uns schlicht und einfach raushauen will? „Ihr geht mit Kommunisten und Linksextremen auf Demonstrationen!“ „Ihr kandidiert gemeinsam mit Trotzkisten bei den Hochschülerschaftswahlen!“

Die Fakten stimmen, die Interpretation ist falsch. Mit der KP haben wir mindestens ebensowenig gemeinsam wie der Parteivorstand selbst. Keine Sympathien verbinden uns mit den bürokratischen Einparteienregimes im Osten. Solch einen „Sozialismus“ wollen wir nicht. Und unsere Analyse sagt uns: Die demokratische Opposition in Osteuropa muß von Sozialisten mit aller Kraft unterstützt werden.

Aber heißt dies alles, daß wir, wenn es zum Beispiel darum geht, gegen die Neonazis auf der Uni vorzugehen, uns mimosenhaft enthalten müssen, wenn ein paar KPler mitmachen? Sicher nicht. Sind nicht die älteren Genossen unserer Bewegung mit Kommunisten gemeinsam in den KZs gesessen? Sind nicht Sozialdemokraten und Kommunisten — ohne ihre schwerwiegenden Differenzen zu verwischen — gemeinsam an vorderster Front gegen die Nazibarbarei gestanden?

Bündnis mit der KPÖ und der extremen Linken klingt in Österreich abstrakt, bei einer so jämmerlichen KP und einer so kleinen extremen Linken. Auf den Hochschulen schaut das aber anders aus. Dort sind sie nicht so schwach. Und vor allem: Die Universitäten sind nach wie vor eine Bastion der Rechten. Dort tummeln sich Neonazis, schlagende Studenten, Monarchisten und ÖVP-Studenten. Wenn man überhaupt sozialistische Politik auf den Hochschulen machen will, muß man in bestimmten Punkten gemeinsam mit anderen Linken gehen. Wenn man sozialdemokratischen Purismus machen will, wie man uns vorschlägt, kann man es gleich bleibenlassen.

Karl Öllinger, der Vorsitzende des VSStÖ Salzburg, wurde (vorläufig) aus der Partei ausgeschlossen, weil der Verband gemeinsam mit den GRM-Trotzkisten bei den Hochschülerschaftswahlen kandidierte. Man kann über diese außerparteiliche Linke denken, wie man will. Gewiß stimmten wir in vielen Punkten nicht mit ihnen überein. Aber der Beelzebub schlechthin sind sie ja auch wieder nicht. Der Stammvater der GRM (Gruppe Revolutionäre Marxisten) ist ja nicht ein Vertreter einer totalitären Gesellschaftsordnung gewesen, sondern er hat sein Leben lang gegen den Stalinismus gekämpft. Dafür ließ ihn Stalin ermorden.

Hat die Partei Angst, daß sie durch uns ins schiefe Licht gebracht wird, daß man ihr Kommunistenfreundlichkeit nachsagen könnte? Die Schwarzen werden immer versuchen, Politik mit der roten Katze zu machen, ob es nun diesen VSStÖ gibt oder nicht. Im Zweifelsfall wird halt auch ein Blecha oder Keller des Bolschewismus verdächtigt. Das ist ein altes Lied, das aber immer weniger Leuten ins Ohr geht. Gott sei Dank. Die Partei ist eben stark genug, sich einen linken Flügel zu halten.

Wenn wir innerparteiliche Demokratie und Diskussion fordern und meinen, daß administrative Lösungen nicht die richtigen sind, dann geschieht dies nicht nur aus unserem Interesse als politische Minderheit in der SPÖ. Demokratische Verkehrsformen, Diskussion sind das Lebenselixier jeder Arbeitnehmerorganisation. Erstarrung und Monolithismus machen schwach. Lebendige Auseinandersetzung, ja gelegentlich auch Polemik machen stark.

Und wir wollen eine starke Arbeiterbewegung. Freilich, Differenzen sind da. Wir kritisieren die Regierungspolitik. In Tagesfragen, z.B. in der Frage der Minderheitenpolitik, beim Lehrerstopp, beim Sparerlaß, und die Art, wie man gegen die Neonazis nicht vorgeht.

Grundsätzlich kritisieren wir eine Politik, die von einem „Gesamtwohl“ und „der Wirtschaft“ ausgeht. Wir glauben, daß ein „gemeinsames Interesse aller“ in einer Gesellschaft, in der es Unternehmer und Unternommene, also Arbeitnehmer, gibt, schlicht und einfach nicht besteht. Wir meinen auch, daß „Klassenkampf“ nicht eine Erfindung von uns Marxisten ist, sondern eine durchaus sichtbare Realität: Der „Antistreikplan“ der Bundeswirtschaftskammer zeigt, daß die anderen dieser Realität sehr wohl ins Auge blicken.

Wir meinen halt, daß die Interessen der Arbeiter und Angestellten und nicht irgendein Gesamtinteresse Ausgangspunkt für sozialistische Politik sein sollte. Die Angst vor dem Kampf und die Liebe zum grünen Tisch machen, daß die Partei in vielen wichtigen Fragen vor der Rechten zurückgewichen ist. So gab sie z.B. den chauvinistischen Tendenzen in der Minderheitenfrage nach.

Das mag vielleicht unmittelbar Tageserfolge bringen. Mittelfristig schwächt es die Partei und die Arbeiterbewegung. Daß Zurückweichen vor der Rechten und den Unternehmern sich nicht bezahlt macht, zeigt meiner Meinung nach exemplarisch die jetzige Krise der SPD.

Ich bin vielleicht naiv. Aber ich denke halt, daß solche Positionen in der SPÖ einen Platz haben. Ich bin vielleicht noch naiver, wenn ich meine, daß à la longue eine solche sozialistische Politik in innerparteilicher demokratischer Auseinandersetzung zum Allgemeingut werden kann. Ich versuch es halt. Und vertraue auf die demokratischen Traditionen unserer Bewegung.

Der Artikel wurde ursprünglich von der Arbeiter-Zeitung bestellt und angenommen, dann aber doch nicht gedruckt.

-Red.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juni
1977
, Seite 26
Autor/inn/en:

Imma Palme:

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