FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1968 - 1981 » Jahrgang 1972 » No. 222
Günther Nenning

Salzburger Nixonspiele

Konsequenzen für die Linke
Für die Demonstration am Samstagabend war folgende Route polizeilich angemeldet: Beginn: Alter Markt in der Innenstadt; Mönchsbergtunnel; Neutorstraße; Maxglaner Hauptstraße; Innsbrucker Bundesstraße; Flughafen (Salzburger mögen den Wiener Zeichner entschuldigen, die Unterführung beim Flughafen und die Zufahrtstraße zum Flughafengebäude hat er nicht ganz hingekriegt). Kurzfristig vor Beginn wurde die Demonstration zum Flughafen verboten, nur bis zur Schwedenbrücke (dicker schwarzer Riegel) nicht untersagt. Sie wurde daraufhin schon am Ende der Neutorstraße vom Veranstalter aufgelöst. Dies ermöglichte die Umgehung der Polizeisperre an der Schwedenbrücke (dicker schwarzer Riegel) im Laufschritt über Bayernstraße, Ganshofstraße, Aiglhofstraße, Mühlbach- und Glanbachbrücke, Durchsickerung oder Umgehung der eilends errichteten neuen Polizeisperren (schraffiert 1-3) und über Feld und Wald doch zum Flughafen: in einer Art Zangenoperation teils aufs Rollfeld, teils vor das Flughafengebäude (Kreuz = Polizeiprügel).

I. Ehre

Österreich war in Gefahr, sein Ansehen in der Welt einzubüßen; wäre es nach den fremdenverkehrsgierigen Salzburger Bürgern gegangen, hätte der Nixon-Besuch Samstag, Pfingstsonntag und -montag den Mozartkugelschokoladeüberguß ungetrübter Freundlichkeit bekommen. Was auf dem Verfassungspapier demokratische Republik heißt, wäre einmal mehr als Operettenstaat entlarvt worden. Österreichs demokratisch-republikanische Ehre retteten mehrere Tausend seiner Bürger, hauptsächlich junge: sie demonstrierten Samstag und Sonntag in Salzburg gegen Nixon und seine Indochinapolitik; sie zeigten, daß der Protest gegen einen verbrecherischen Krieg auch bei Österreichern Vorrang hat vor dem Fremdenverkehr. Die Ehrenrettung der demokratischen Republik Österreich vollzog sich unter der Augenzeugenschaft von 600 ausländischen Journalisten, darunter 300 aus den USA, die mit Nixon in Salzburg zwischenlandeten, und 800 Millionen Fernsehzuschauern in aller Welt via Satellit.

Diesen jungen Menschen gebührt Dank. Wenn irgendwer, sind sie die Besten der Nation. Wenn irgendwem, gehört ihnen so Gott will, d.h. so sie wollen — die Zukunft des Landes, die Zukunft der Welt.

Diese jungen Menschen haben beispielhaften Mut bewiesen; sie hatten gegen sich: die unaufgeklärten Massenmedien; die unaufgeklärte Bevölkerung; die unaufgeklärte Polizei. In Sandalen, Blue Jeans und Pullover überlisteten sie deren schwerbewaffnetes Massenaufgebot und gelangten — ihrer 1500 von rund 5000 im abendlichen Demonstrationszug — quer durch Wald, Feld, Bach im Schutz der Dunkelheit bis auf das Rollfeld des Flughafens Salzburg-Maxglan. Dort blieben sie, bis sie von der Polizei weggeprügelt und -getrampelt wurden.

Kommentar im Arrestantenwagen, unter weiteren Prügeln und Fußtritten: „Euch hauen wir jetzt in die Salzach.“

Kommentar im Landeskrankenhaus: „Wenn die euch etwas fester gehaut hätten, hätten wir jetzt unsere Ruh’“ (Hippokratischer Eid, Spezialfassung für Provinz Salzburg).

Nixons Maschine kreiste unterdessen im Norden der Stadt und landete mit zehnminütiger Verspätung Samstag, 22.40 Uhr. Es spielte die Halleiner Bürgergarde in ihren historischen Uniformen.

II. Demokratie

Die Pfingstdemonstrationen gegen Nixon, am Nachmittag und Abend des Samstags, am Vormittag des Sonntags waren insgesamt die bisher größte Meinungskundgebung der Linken in Österreich. Dementsprechend zeigte sich am bisher deutlichsten das faschistische Potential in diesem Land: nicht schon als marschierende Realität (der Aufruf des „Salzburger Volksblattes“ am Vortag des Nixon-Besuches, eine Art „Bürgerwehr“ zu bilden, war verfrüht) — wohl aber als Möglichkeit angesichts der durch Familie und Erziehung vorgeprägten, von Massenmedien täglich befestigten Bewußtseinslage eines großen Teiles der Bevölkerung.

Es ist die Bewußtseinslage von Leuten, die in ihrer Mehrzahl fast nichts besitzen, verglichen mit dem großen Kapital; aber dieses bzw. dessen Medien können ihnen, die um ihr Bißchen desto mehr Angst haben, erfolgreich einreden, alles was sie besitzen, sei von links bedroht. Diesem Erfolg rechter Bewußtseinsbildung steht von links wenig Möglichkeit und noch weniger Anstrengung gegenüber, aufzuklären, was Demokratie und Sozialismus wolle und sei.

Daraus resultiert ein Begriff von Demokratie, der gegenüber dem Nazi- und Austrofaschismus eine Art Fortschritt darstellen mag, aber selbst zutiefst angekränkelt ist durch einen im Resultat faschistischen Begriff von Ruhe und Ordnung. Denn das haben der alte Obrigkeitsstaat, faschistischer oder noch älterer Spielart, und die neue, seit 1945 regierende parlamentarisch-kapitalistische Demokratie vertrauterweise gemeinsam: daß es eben Obrigkeit gibt, geben soll und muß: die Massenmedien, die Parteien, die Politiker, den Chef im Betrieb. Und sie alle sagen: So gut habt ihr es noch nie gehabt. Bleiben wir doch dabei; Demokratie ist, wie’s jetzt ist (unser Auto, unser Häusel ...). Gemessen an dieser Demokratie ist in der Tat alle Veränderung, aller Wille zur Veränderung, alle Propagierung von Veränderung undemokratisch, es sei denn Veränderung, die alles noch mehr so macht, wie es schon ist (mehr und schönere Autos, mehr und schönere Eigenheime ... „SPÖ für ein modernes Österreich“).

Demokratie, die nicht offen ist nach vorne: Richtung mehr Demokratie — ist keine Demokratie. Der konservative bis reaktionäre Demokratiebegriff ist nach vorne: Richtung mehr Demokratie, erst recht Richtung Sozialismus — absichtsvoll verriegelt: Verteidigung der Demokratie wird zur Verteidigung des Kapitalismus.

In diesem Demokratiebegriff ist kein Raum für, noch dazu linke, Demonstrationen; lang ist’s her (1848), daß eine bürgerliche Linke auf der Straße durch Demonstrationen, ja auf Barrikaden für (bürgerliche) Demokratie kämpfte. Die etablierte bürgerliche (kapitalistische) Demokratie dekretiert in perverser Umkehrung: Wer demonstriert, ist kein Demokrat. Wer gegen Demonstrationen ist, ist ein Demokrat.

Für diese Demokratieperversion fanden sich in der Salzburger Lokalpresse aus Anlaß der Nixon-Demonstration Beweisstücke in Fülle und erfrischender Ursprünglichkeit (vgl. die Dokumentation von Prießnitz/Siegert in diesem Heft).

Dem simplen konservativen Motto: Demonstrationsfreiheit — nein, steht zur Seite das raffiniertere liberale Motto: Demonstrationsfreiheit — ja, aber, welches eher in der Wiener Presse gepflegt wurde (vgl. a.a.O.).

Solcher Liberalismus muß sich fragen lassen, ob er nicht Scheinliberalismus sei:

Thront er nicht allzu bequem auf der hohen Warte der Pressefreiheit, von wo aus man seriös hinunterruft: Demonstrationsfreiheit — ja, aber es ist halt doch hauptsächlich jugendlicher Unverstand. Von da aus sieht man nicht oder kaum den Rang der Demonstrationsfreiheit als wesentliche Spielart von Meinungsfreiheit. Nicht oder kaum gefragt wird: Ob in Zuständen, wo Pressefreiheit zur Freiheit einiger weniger Zeitungsbesitzer zu werden droht, parlamentarische Demokratie zur Freiheit bloß der parlamentarischen Parteien, „freie Wirtschaft“ jedenfalls bloß Freiheit der Kapitalbesitzer ist, ob in solchen Zuständen die Demonstrationsfreiheit nicht als ergänzende, korrigierende Meinungsfreiheit für Massen von Bürgern, insbesondere jungen, einen ganz entscheidenden demokratischen Wert darstellt (R. Jungk).

Unter dem liberalen Motto: Demonstrationsfreiheit — ja, aber, akzeptiert man auch mehr oder minder kritiklos die in Österreich durchaus konservativ bestimmten Schranken von Versammlungsgesetz und Polizeibehörde. Nicht oder kaum gefragt wird: Entspricht es Geist und Buchstaben der demokratischrepublikanischen Verfassung, wenn das gesetzliche Anmelde- und Verbotsverfahren die, von der Polizei stets genutzte Möglichkeit offenläßt, die Demonstranten vom Adressaten ihrer Meinungskundgabe kilometerweit fernzuhalten?

Solche Einschränkung von Demonstrationsfreiheit ist Zensur, so gut, vielmehr schlecht wie Pressezensur: nämlich Einschränkung von Meinungsfreiheit.

Und wer ist dann der bessere, gründlichere Demokrat: der die demokratiewidrigen Schranken von Versammlungsgesetz und Polizei kritiklos akzeptiert oder der im Sinne der demokratischen Demonstrationsfreiheit unter friedlicher Umgehung von Polizeisperren seine friedliche Meinungsäußerung dort anbringt, wo allein sie sinnvolle Meinungsäußerung sein kann: nämlich unmittelbar beim Adressaten, an den sie sich richtet?

III. Polizei

Die Polizei- bzw. Sicherheitsbehörden in Salzburg bzw. auf Bundesebene sind unmittelbar nach dem Nixon-Besuch einer Pressekonferenz ausgewichen. Dennoch und gerade deshalb müssen sie sich die folgende Frage stellen lassen:

  1. Die für Samstag 16.30 Uhr angemeldete Demonstration (der KP) hatte teils ritualistischen Charakter, teils als Adressaten die Salzburger Bevölkerung; sie bewegte sich daher durch die Innenstadt. Die für Samstag 19.30 Uhr angemeldete Demonstration (der Jugend-Organisationen und des Sozialdemokratischen Indochinakomitees) hatte als Adressaten den am Flugfeld ankommenden (für 22.30 Uhr avisierten) Nixon, die mit ihm kommenden ausländischen Journalisten, die aus diesem Anlaß stattfindende weltweite Fernsehübertragung. Das sind legitime Ziele demokratischer Demonstration. Die Polizei- und Sicherheitsbehörde wollte sie wie folgt vereiteln: Nach der ordnungsgemäßen Anmeldung bis zum Flugplatz erfolgte keine Reaktion der Behörde; die Anmelder mußten die Route für nicht untersagt halten (eine ausdrückliche Genehmigung gibt es nicht nach Versammlungsgesetz); in kürzester Frist vor Beginn der Demonstration wurde diese bis zum Flugplatz verboten, hingegen bis zur Schwedenbrücke (noch 3 Kilometer entfernt vom Flugplatz) nicht untersagt. Auf diese undemokratische List der Polizei antworteten die Demonstranten mit demokratischer List: der Veranstalter löste die Demonstration noch vor der Schwedenbrücke auf, ermöglichte dadurch eine Umgehung der dort wartenden Polizeisperre, die Demonstranten durchsickerten oder umgingen drei weitere Polizeisperren, zuletzt schon im Dunkeln und in freier Natur und landeten — übrigens zu ihrer eigenen Überraschung — mitten auf der Rollbahn, statt ursprünglich 5000 immerhin noch 1500 Leute. (Andere beträchtliche Teile des Demonstrationszuges sickerten bis zum Flughafenempfangsgebäude durch). Es wurde die erste gelungene Flugplatzbesetzung in der Geschichte der linken Protestbewegung (außer in Japan) und insoferne eine gewaltige Blamage für die Polizei und deren Massenaufgebot.

    Die Polizei rächte sich durch brutale Attacke auf die Rollfeldbesetzer. Diese Brutalität wäre unnötig gewesen, wenn die Polizei die Demonstration gemäß Anmeldung bis zum Flugplatz erlaubt hätte, wo sie gesetzlich, friedlich und diszipliniert verlaufen wäre. Die ganze Verantwortung für die den Demonstranten zugefügten Verletzungen fällt daher zu Lasten der Polizei. Warum erfolgte dieses sinnlose, im Effekt provokatorische Verbot? Nur eine Mischung aus provinzieller Schlauheit und provinzieller Unerfahrenheit konnte zur Annahme führen, Tausende, versammelte oder bereits anreisende junge Menschen würden sich abhalten lassen, ihr angemeldetes — und im Sinne verfassungsmäßiger Demonstrationsfreiheit durchaus legitimes — Ziel dennoch erreichen zu wollen.

  2. Die Polizeibrutalität auf dem Rolifeld war noch aus einem weiteren Grund unnötig. Als die Polizei die Aufforderung aussprach, „aus Sicherheitsgründen“ 20 m hinter die Betonfläche der Rollbahn zurückzutreten, kamen die Demonstranten dieser Aufforderung nach. Dennoch stürmte, knüppelte und trat die Polizei. Auch unter der Annahme, daß der Demonstrationszug in diesem Zeitpunkt ungesetzlich war, war das Vorgehen der Polizei gleichfalls ungesetzlich: denn auch gegenüber einer illegalen Ansammlung darf sie beliebige, unnötige, unangemessene Gewalt nicht anwenden.

    Wenn gerade die wütendsten Demokraten sagen: Wer sich gegen das Gesetz vergeht, hat sich die Folgen selber zuzuschreiben — so verteidigen sie damit statt des Rechtsstaates das Gesetz des Dschungels. Nur im Faschismus gilt: wer nicht kuscht, muß mit allem rechnen. Im Rechtsstaat gilt auch gegenüber dem Rechtsbrecher nicht beliebige Gewalt, sondern bloß angemessene. In einem Rechtsstaat steht auch der Rechtsbrecher unter dem Schutz der Gesetze. Er wird nicht einfach Freiwild, sobald er das Gesetz übertritt. „Reagiert die Polizei einmal, dann gibt es ein Lamento“, schreibt feinsinnig die „Presse“ vom 23.5. Das Lamento ist der Hinweis auf Rechtsstaat, Verfassung, Gesetz.

    In jener Nacht der Knüppel und Tritte hatte die Polizei das Gesetz gegen sich, die jungen Menschen hatten zumindest den Geist der Verfassung für sich — denn diese garantiert Meinungsfreiheit. Ich bewundere die Zähigkeit, mit der diese Jugend kilometerweit durch Wald und Felder marschierte, um sich doch noch ihr verfassungsmäßiges Recht auf Meinungsäußerung zu holen, und zwar genau dort, wo der zu finden war, für den diese Meinungsäußerung bestimmt war. Ich bewundere den Mut, mit dem sie, schutzlos auf freiem Feld, sich wildgewordenen Polizisten aussetzte. Zu dritt und viert stürzten sich Polizisten vor allem auf Mädchen und traten sie vor allem in den Unterleib. Man kennt unterdessen zur Genüge die Phantasien braver Polizisten und Ehemänner betreffend den Unterleib linker Mädchen.

    10 von den 12 schwerer Verletzten waren Mädchen, desgleichen die Mehrzahl der mindest 30 sonstigen Verletzten.

    Geschlagen wurde auch der weißhaarige Universitätsprofessor Robert Jungk.

    Wie rechtfertigen die Polizei- bzw. Sicherheitsbehörden diese unangemessene und daher ungesetzliche Gewaltanwendung? Ist der Innenminister bereit, eine Untersuchung durchzuführen?

  3. Zunächst traten die Polizeibeamten noch nicht in Unterleiber, sondern ins Gespräch. Sie unterhandelten mit den auf dem Rollfeld angelangten Demonstranten, sogar in höflichem Ton. Im selben Ton erfolgte auch die Aufforderung, 20 m zurückzugehen. Dann plötzlich der brutale Angriff. Warum? Amerikanische und italienische Journalisten, die auf dem Dach des Flughafengebäudes standen, erzählten, daß ebendort befindliche SS-Beamte (Secret Service) per Funk die Anordnung gaben, nicht länger zuzuwarten, sondern Gewalt anzuwenden. Aber österreichische Polizei hat ihre eigenen Bürger, insbesondere junge, zumindest ebenso zu schützen wie einen ausländischen Gast — sie hat die eigenen Bürger auch dann zu schützen, wenn ausländische Kollegen anderer Meinung sind. Ist die ungesetzliche, weil unangemessene Gewaltanwendung durch österreichische Polizei die Folge einer Anordnung des amerikanischen Secret Service? Ist der Innenminister bereit, dies zu untersuchen?
  4. Desgleichen: Ist er bereit, nachzuforschen, schon im Interesse des Salzburger Fremdenverkehrs: wie kam es zur Zurückweisung einreisender Amerikaner am Grenzübergang auf der Autobahn München—Salzburg? Insgesamt 53 US-Bürger wurden am Samstag zurückgeschickt, ihr US-Paß mit einem Z gestempelt („Nichı gültig für Österreich“). Für die US-Bürger ist es gewiß eine Ehre, daß die österreichische Polizei annahm, sie kämen insgesamt, um gegen ihren Präsidenten zu demonstrieren. Sicherheitshalber wurden ihnen auch amerikanische Zeitungen weggenommen, so vom Kriminalbeamten Dienstnummer 1056 am Samstag, 11 Uhr, gegen heftigen Protest eines US-Professors an einem hervorragenden bundesdeutschen Forschungsinstitut. Metternich schau oba — subversive Schriften wie „New York Times“ u.dgl. werden an der österreichischen Grenze beschlagnahmt; o heilige Allianz zwischen SS und österreichischer Polizei!
  5. Wie rechtfertigt man, außer durch Anordnung des überlegenen Partners in dieser heiligen Allianz, den Einsatz mit Sturmgewehren (M 1, Made in USA) bewaffneter Gendarmerie auf dem Gaisberg; die Bereitstellung von Bundesheersoldaten beim Hotel „Österreichischer Hof“ und beim Flughafen? „Selbst die an Demonstrationen und Polizeieinsatz gewöhnten Amerikaner zeigten sich überrascht ... die sonst so liebliche Stadt Salzburg sei offenbar in ein bewaffnetes Heerlager verwandelt worden“ (Salzburger Nachrichten, Extraausgabe 21.5.)
  6. Nicht hingegen gelang die Bereitstellung jener vom „Salzburger Volksblatt“ aufgerufenen FPÖ-Heimwehr. Einen einzigen konnte ich entdecken, einen würdigen älteren Herrn im Trachtenanzug am Samstag 12 Uhr zwischen Kongreßhaus und Café Pitter, mitten in der gerade angreifenden Polizei, wie diese einen Gummiknüppel schwingend. Es war ein Polizeiknüppel. Ausgeborgt? Warum durfte er mitspielen? Warum wurde er nicht entwaffnet, wo doch die Polizei ansonst so eifrig Jagd machte auf noch so kleine und kurze hölzerne Ordnerstäbe bei Demonstranten?

IV. Schlußfolgerungen

  1. Aufbau der Linken heißt heute insbesondere Ausbau der Organisation. Wer der Linken wohl will, mußte begeistert sein, von Spontaneität, Findigkeit, zähem Mut, womit in Salzburg der Erfolg zustande kam, insbesondere die Rollfeldbesetzung. Aber die Vorbereitung, so es überhaupt welche gab, litt an typisch linker Schlamperei. Träte an ihre Stelle oder doch neben sie der Aufbau einer Mikroorganisation koordinierter Gruppen — der Erfolg wäre noch viel größer gewesen. (Z.B.: Nixon hätte in München notlanden müssen, denn es wären nicht 1500, sondern alle Demonstranten bis aufs Rolifeld gelangt, und nicht zu früh, sondern rechtzeitig knapp vor der Landung, die daher unterblieben wäre.)
  2. Spezialproblem in Sachen Organisation der Linken ist das Verhältnis zur KP. Ich finde es unsinnig, daß, auf Befragen jedes beliebigen bürgerlichen Reporters oder Politikers, jeder Sozialdemokrat gehorsam sich in Distanzierungskrämpfen windet. Es wäre eine klare eigene, nicht vom bürgerlichen Tribunal aufgedrängte, konkrete Theorie des Verhältnisses zwischen KP und Linken auszuarbeiten. Etwa so:
    1. Klarheit und Härte in Ausarbeitung und Austragung der Differenzen in der Theorie;
    2. Klare Trennung der politischen und organisatorischen Praxis;
    3. Ebenso klare Bekanntgabe und präzise Durchführung begrenzter punktueller Zusammenarbeit, wenn es um bestimmte, und nur um solche ganz bestimmte Single-Purpose-Movements geht (zum Beispiel eine bestimmte Demonstration zu einem bestimmten Zeitpunkt mit einem bestimmten Ziel). Kommunismus ist nicht vornehmlich eine (neostalinistisch verzerrte) Parteiorganisation, sondern eine Idee; Zusammenarbeit von Staatsbürgern zugunsten von Demokratie und Sozialismus braucht sich nicht zu rechtfertigen gegenüber Leuten, die weder Kommunismus, noch Sozialismus, noch Demokratie wollen.
  3. Desgleichen ist eine konkrete Theorie des Verhältnisses zwischen Linken und Massenmedien erforderlich. Pauschale Ablehnung der Massenmedien in personalisierter Form: Gleichsetzung der Medienapparate mit allen dort beschäftigten Journalisten — solche undifferenzierte Kritik treibt nur die tatsächlich oder potentiell progressiven Journalisten auf die Seite konservativer und reaktionärer Kräfte und setzt sie deren Hohngelächter aus, wenn sie sich um anständige Berichterstattung bemühen und dennoch verunglimpft werden. Was Massenmedien bedeuten für die Information der Öffentlichkeit über linke Aktionen, hat Salzburg — negativ, aber auch positiv — gezeigt. Chancen nicht zu nutzen, ist nicht linke Politik, sondern Dummheit.
  4. Es war die bisher größte und wichtigste Manifestation der Linken in Österreich, ganz überwiegend getragen von der Jugend dieses Landes, aber mit erfreulichem internationalem Zuzug (Westdeutsche, Westberliner, Schweizer, Franzosen, Italiener). Daß soviele Menschen kamen, verblüffte die Massenmedien, die daraus informierte (teils auch fehlinformierte) Öffentlichkeit, die Salzburger Bevölkerung, die Polizei, den US-Sicherheitsdienst und auch die Demonstranten selbst. Verstärkte Bewegung links ruft als ihr Korrelat verstärkte Bewegung rechts hervor; die Linke erzeugt nicht den Faschismus, aber sie bringt das verborgene faschistische Potential an die Oberfläche. Das kann ein nützlicher Klärungs- und Reinigungsprozeß sein; es kann aber auch dazu führen, daß die Linke vom Faschismus überrollt wird. Ob es so kommt, oder so, hängt davon ab, ob es einer gesamtsozialistischen Strategie gelingt, im politischen Leben des Landes einen Prozeß der allgemeinen Liberalisierung, Aufklärung, Vorwärtsbewegung der Demokratie einzuleiten. Bleibt die Linke isoliert, reißt die Verständigung ab oder kann erst gar nicht hergestellt werden zwischen ihr und den sozialdemokratischen, liberalen, progressiven, progressiv-christlichen Kräften des Landes, soziologisch: Arbeitern, Angestellten, Intelligenz — dann kann die Linke, mag sie auch stärker werden, nicht siegen, dann wird, nach aller historischer Erfahrung, der Faschismus siegen. Wichtigste Lehre aus dem Erfolg der Linken in Salzburg und der damit verknüpften Wut der antisozialistischen Kräfte: weiterarbeiten am Aufbau einer linken Bewegung, weiterarbeiten aber auch am Aufbau eines liberalen, progressiven Klimas, in welchem allein die Linke ihre Ideen verwirklichen kann.
  5. Dies bedeutet Dialog der Linken mit den Arbeitern und Angestellten in den Betrieben, mit der Intelligenz, ja auch der Polizei (sie besteht überwiegend aus kleinen Gehaltsabhängigen, aus Staatsbürgern, die so gut der Aufklärung bedürfen wie andere auch). Für mich, der ich mich als dienstbar der linken Bewegung verstehe, ist dies eine Hauptaufgabe. Es scheint mir auch, neben Aufbau einer Theorie und Praxis der Linken, die Hauptaufgabe des „Neuen Forum“.

Gesucht werden weitere Zeugen von Polizeibrutalität in Salzburg, mit Name, Adresse und detaillierter schriftlicher Schilderung des Tatbestandes.

Gesucht werden Anwälte und sonstige Juristen — unter anderem für einen Arbeitskreis „Demonstrationsfreiheit und Versammlungsgesetz“.

Meldungen an das Neue Forum, 1070 Wien, Museumstraße 5.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juni
1972
, Seite 33
Autor/inn/en:

Günther Nenning:

Geboren 1921 in Wien, gestorben 2006 in Waidring. Studierte Sprachwissenschaften und Religionswissenschaften in Graz. Ab 1958 Mitherausgeber des FORVM, von 1965 bis 1986 dessen Herausgeber bzw. Chefredakteur. Betätigte sich als Kolumnist zahlreicher Tages- und Wochenzeitungen sowie als Moderator der ORF-Diskussionsreihe Club 2.

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