FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1963 » No. 118
Hugh Carlton Greene

Rundfunk heißt Freiheit

In Abwandlung Rousseaus läßt sich vom heimischen Rundfunk bestenfalls sagen, er sei, obgleich in Ketten, frei geboren. Daß dieses ethische Postulat auch aktuelle Existenz sein kann, beweist das Beispiel der „British Broadcasting Corporation“. Deren Generaldirektor, Hugh Carlton Greene (ein Bruder Graham Greenes), hielt in Wien vor Leitern und Dienstnehmern der „Österreichischer Rundfunk, Gesellschaft m.b.H.“ einen Vortrag, zu dessen Wiedergabe er uns autorisiert hat. Wir setzen damit jenen Feldzug für einen freien österreichischen Rundfunk fort, den wir mit den Artikeln von Franz Olah („Sorge um Presse und Rundfunk“, FORVM X/109) und Christian Broda („Rundfunk in Bewegung“, FORVM X/114) hoffnungsvoll begonnen haben.

Die Freiheit jeder Rundfunkorganisation kann durch zwei Gefahren bedroht werden: die eine ist die Kontrolle durch die Regierung oder politische Parteien, die andere die Kontrolle durch kommerzielle Interessen. Die BBC ist von beiden frei.

Eine sehr wichtige Grundlage für die Freiheit der BBC von Regierungskontrolle ist ihre finanzielle Unabhängigkeit. In ihrer Charter und in ihrer Lizenz wird der BBC für ihre Heimatdienste eine unabhängige Einkommensquelle garantiert. Dieses Einkommen stammt aus dem Verkauf von Lizenzen für Hörfunk- und Fernsehgeräte. Die Regierung übt keinerlei Kontrolle über die Art und Weise aus, wie die BBC ihr Geld für Kapitalinvestition oder für laufende Ausgaben verwendet. (Es gibt auch keinen Minister, der der BBC vorschreibt, was sie in ihren Sendungen sagen soll und was nicht.)

Die BBC ist desgleichen von jedem kommerziellen Druck frei, weil sie nach ihrer Charter und Lizenz keine Werbesendungen bringen darf. Die einzige Einkommensquelle der BBC sind daher die Rundfunkgebühren; abgesehen von den verhältnismäßig kleinen Einnahmen, die sie aus ihren Veröffentlichungen und dem Verkauf von Fernsehprogrammen bezieht.

Die BBC ist keine staatliche Institution, vielmehr eine völlig unabhängige Öffentliche Körperschaft, die durch „Royal Charter“ geschaffen wurde und deren Zweck es ist, Großbritannien und dem Ausland einen der Öffentlichkeit dienenden Rundfunk zur Verfügung zu stellen.

Die Charter wird in ziemlich regelmäßigen Abständen — gewöhnlich alle zehn bis fünfzehn Jahre — erneuert. Und vor dieser Erneuerung wird meistens ein Untersuchungsausschuß eingesetzt, der das gesamte Rundfunkwesen überprüft und der Regierung empfiehlt, welche Form das Rundfunkwesen in der nächsten Geltungsperiode der Charter haben soll.

Die Charter wird durch eine Lizenz des Postministers ergänzt, in der die Bedingungen ausführlicher festgelegt werden, unter denen die BBC senden darf. Die meisten dieser Bedingungen sind technischer oder halb-technischer Natur, aber einige von ihnen haben weitergehende Bedeutung.

Juristisch gesehen besteht die BBC aus neun nichthauptamtlichen Mitgliedern des „Board of Governors“ (etwa: Verwaltungsrat). Sie werden für eine beschränkte Zeit — gewöhnlich für fünf Jahre — von der Königin in einer Sitzung des Geheimen Rats ernannt. Unter ihnen befindet sich der Vorsitzende, der Stellvertretende Vorsitzende und drei Mitglieder, die ausdrücklich ernannt werden, um Schottland, Wales, Nordirland zu vertreten. Die Mitglieder des Verwaltungsrates sind Personen, die sich auf verschiedenen Gebieten ausgezeichnet haben. Gegen ein sehr kleines Honorar stellen sie ihre Erfahrungen zur Verfügung, um die Angelegenheiten der BBC im allgemeineren Sinne zu lenken. Natürlich können sie sich nicht mit allen Angelegenheiten der BBC im einzelnen beschäftigen. Ich selbst und unsere neunzehntausend Angestellten führen als Beauftragte des Verwaltungsrates jene Politik durch, die seine Mitglieder beschließen oder billigen.

Daß die neun Mitglieder des Verwaltungsrates, bei denen die letzte Verantwortung für die Leitung der BBC
liegt, von der Königin ernannt werden, bedeutet praktisch, daß sie von der jeweiligen Regierung ernannt werden. Aber nach ihrer Ernennung sind sie auf Grund jener politischen Traditionen, die man in Großbritannien gut versteht und an die man sich genau hält, nicht mehr Persönlichkeiten, die politische Stempel tragen. Sie sind vielmehr ausschließlich im Interesse der BBC tätig und nicht im Interesse der Regierung oder irgendeiner politischen Partei, mit der sie als Privatpersonen vielleicht sympathisieren. Und so werden sie das, was wir „Treuhänder des nationalen Interesses“ nennen.

Kein Hintertürl für Politik

Eine der wichtigsten Aufgaben des Verwaltungsrates — Sie werden verstehen, daß ich dies sage — ist die Ernennung des Generaldirektors. Es ist eine Ernennung, keine Wahl, und sie erfolgt auf unbestimmte Zeit. Man könnte vielleicht glauben, daß die britische Regierung in der Lage wäre, auf den Verwaltungsrat Druck auszuüben, damit ein Generaldirektor nach ihrem Geschmack ernannt wird. Dem ist nicht so. Ich weiß aus meiner persönlichen Erfahrung, daß vor meiner Ernennung zum Generaldirektor der BBC keine Beratungen mit der Regierung stattgefunden haben. Die Regierung wurde zwei Tage vor der Bekanntgabe meiner Ernennung mündlich informiert; dies geschah aus Gründen der Höflichkeit. Selbst wenn die Regierung meine Ernennung kräftig mißbilligt hätte, hätte sie dagegen nichts unternehmen können.

Die BBC erfreut sich völliger Unabhängigkeit; sowohl in Programmfragen wie auf dem Gebiet der Verwaltung. Es gibt keine Hintertür, durch die die Politik Eingang finden könnte. Ich habe als Beispiel meine eigene Ernennung zum Generaldirektor erwähnt. Das gleiche gilt von sämtlichen anderen Ernennungen in der BBC. Wir haben die sehr strenge Regel, daß weder freie Mitarbeiter noch Angehörige des Personals, die für einen Posten in Betracht gezogen werden, nach ihren politischen Ansichten oder nach der politischen Partei befragt werden, der sie vielleicht angehören.

Obwohl ich Generaldirektor bin, gibt es keinen Grund, aus dem irgend jemand wissen sollte, für wen ich bei den letzten Parlamentswahlen meine Stimme abgegeben habe, und niemand würde auf den Gedanken kommen, mich danach zu fragen. Dies gilt auch für unser übriges Personal. Gelegentlich wird schwungvoll behauptet, daß unser ganzes Personal zu links — oder zu rechts eingestellt sei. Aber derartige Behauptungen werden nicht von verantwortlicher Seite aufgestellt; wir können es uns leisten, sie nicht zu beachten. Bei uns gibt es also kein „Proporz-System“ — wenn ich diesen Ausdruck in diesem Kreis verwenden darf.

Der Verwaltungsrat bearbeitet alle größeren Probleme der Programm- und Finanzpolitik. Er tritt alle zwei Wochen zusammen, um grundsätzliche Fragen zu erörtern, die entweder von den einzelnen Mitgliedern des Verwaltungsrats oder von mir selbst aufgeworfen werden. Außerdem steht sein Vorsitzender fast ständig für Beratungen zur Verfügung; auch die meisten anderen Mitglieder widmen den Angelegenheiten der BBC beträchtlich mehr Zeit und Arbeit, als sich aus der Teilnahme an diesen Sitzungen ablesen läßt.

Die Mitglieder des Verwaltungsrats können natürlich nicht für alles verantwortlich sein, was Tag um Tag in unserem Rundfunkbetrieb vor sich geht. Die Verantwortung hierfür trage ich selbst und meine Kollegen vom Direktorium. Es gibt je einen Direktor für die Auslandsdienste, für das Fernsehen, für den Hörfunk, für die Verwaltung und für das Ingenieurwesen sowie meinen Hauptassistenten, der gleichfalls die Stellung eines Direktors hat, und der allein als Verbindungsmann nach außen fungiert. Einen stellvertretenden Generaldirektor gibt es nicht.

Wir treten einmal in der Woche als Direktorium zusammen, um Fragen zu besprechen, die für die BBC von allgemeiner Bedeutung sind, einschließlich der Programme. Jeder Direktor ist für die Arbeit seines Ressorts verantwortlich. Die Direktoren haben also eine zweifache Verantwortung: als Direktor für ihr jeweiliges Ressort und als kollektives Gremium. In meiner Eigenschaft als Chef der Exekutive bin ich das Bindeglied zwischen Direktorium und Verwaltungsrat. Es handelt sich also um eine Art Regierungskabinett.

Keine Parteibindungen

Die Unabhängigkeit der BBC von der Regierung in Fragen des Inhalts unserer Rundfunksendungen hindert nicht, daß es zwischen leitenden Persönlichkeiten der BBC einerseits und der Regierung sowie der Opposition anderseits engen Kontakt gibt. Die BBC könnte ihre Aufgabe nicht erfüllen, wenn ihr die jeweiligen Vorstellungen der politischen Parteien unbekannt wären. Aber die BBC stellt sich nicht auf die eine oder andere Seite.

Eines der auffallendsten Beispiele hiefür gab es zur Zeit der Suez-Krise. Damals war die öffentliche Meinung Großbritanniens in der Frage, ob die britisch-französische Aktion richtig oder falsch war, sehr geteilt. Viele waren jedenfalls der Ansicht, diese Meinungsverschiedenheit solle der Außenwelt nicht gezeigt und im Inland beschönigt werden. Aber der Verwaltungsrat vertrat die Ansicht, daß es die Pflicht der BBC sei, ihr Publikum in der Heimat und im Ausland über den wahren Stand der Dinge zu informieren. Und in den Sendungen der BBC wurde über die Stellungnahme beider Seiten zu dieser Frage berichtet. Die Mitglieder des Verwaltungsrats der BBC handelten als „Treuhänder der Nation“ und nicht als Treuhänder der damaligen Regierung. Diese Stellungnahme wurde seinerzeit von der Regierung sehr übelgenommen. Aber sie war richtig, und ich glaube, es gibt nur wenige Menschen, die sie jetzt verurteilen werden. In Indien, Pakistan und in anderen Ländern des Commonwealth wurde mir gesagt, daß die BBC mit ihrer ausgeglichenen Darlegung der Ansichten der Regierung wie der Opposition zu jener sehr kritischen Zeit viel dazu beigetragen hat, das Commonwealth zusammenzuhalten.

Ein neueres Beispiel lieferte das Bidault-Interview, das Ihnen vielleicht noch im Gedächtnis ist. Das war, wie soll ich sagen, unternehmungslustiger Journalismus, wenn auch vielleicht nicht nach dem Geschmack der Regierung.

Ich habe ziemlich ausführlich über die Verantwortung und die Unabhängigkeit der Mitglieder des Verwaltungsrats der BBC gesprochen. Aber es gibt auch einige wenige, genau umrissene Einschränkungen. Entsprechend einer Empfehlung, die im Jahre 1951 vom „Beveridge-Ausschuß“ gemacht wurde, sind zwei Rundfunkräte für den Heimatdienst in Schottland und Wales verantwortlich. Sie sollen Sorge tragen, daß Sprache, Kultur, Interessen und Geschmack der Menschen dieser Gebiete in den für sie bestimmten Rundfunksendungen berücksichtigt werden.

Unsere Unabhängigkeit wird nicht dadurch beschränkt, daß die Präambel der Charter erwähnt, daß das britische Volk am Rundfunk als Mittel zur Verbreitung von Information, Bildung und Unterhaltung interessiert ist. Das sind Dinge, für die — wie wohl jede andere Rundfunkorganisation — die BBC ohnehin sorgen würde. Wenn sie das nicht täte, würden mit Recht sehr unbequeme Fragen gestellt werden.

Ich nehme an, man könnte behaupten, daß unsere Unabhängigkeit durch einige Auflagen eingeengt wird, die in unserer vom Postminister erteilten Lizenz erwähnt sind. Die erste Auflage geht dahin, daß die BBC Bekanntmachungen bringen muß, wenn dies von einer staatlichen Stelle verlangt wird. Das gilt z.B. für Polizeimeldungen und die Bekanntgabe von Tierseuchen. Desgleichen würden darunter — falls eine solche bedauerliche Maßnahme jemals erforderlich werden sollte — Bekanntmachungen über die Einberufung von Reservisten fallen. Aber die BBC hat das Recht, bei der Durchgabe derartiger Bekanntmachungen darauf hinzuweisen, daß sie hiezu von der Regierung aufgefordert wurde.

Die zweite Auflage besteht darin, daß die BBC, wenn das Parlament tagt, täglich einen objektiven Bericht über die Vorgänge in beiden Häusern des Parlaments bringen muß. Damit wird nicht mehr verlangt, als was die BBC auch vor dieser Auflage bereits getan hat.

Die dritte Einschränkung geht dahin, daß die BBC, im Gegensatz zu Zeitungen, keine eigenen Ansichten bringen darf. Sie wird in ihren Sendungen nur das bringen, was auf den Nachrichtenseiten einer Zeitung erscheinen könnte. Die BBC kann selbstverständlich Leitartikel von Zeitungen zitieren, und sie kann einzelne Sprecher, die ihre persönliche Ansicht vertreten, zu Wort kommen lassen. Aber sie darf nichts senden, was einem eigenen Leitartikel gleichkommen würde.

Die vierte Auflage besteht in einer Generalermächtigung, auf Grund derer die Regierung von der BBC jederzeit verlangen kann, daß sie irgendeine Frage in ihren Sendungen unerwähnt läßt und daß irgendeine Sendung ausfallen muß. Im Parlament ist oft erklärt worden, daß es sich hiebei um eine „Reserve-Vollmacht“ handelt, von der übrigens im Zusammenhang mit einem besonderen Programm auch niemals Gebrauch gemacht worden ist, weder im Krieg, noch im Frieden. Eine wichtige Sicherung besteht darin, daß die BBC das Recht hat, bekanntzugeben, daß von diesem Vetorecht Gebrauch gemacht worden ist. Heute, nach über 40 Jahren, würde es für eine Regierung äußerst schwierig sein, von diesem Vetorecht Gebrauch zu machen.

Insgesamt sind alle diese Auflagen durchaus tragbar und keine wirkliche Einschränkung unserer Freiheit.

Die Art, wie die BBC sich als eine zugleich unabhängige und verantwortungsvolle Körperschaft bewähren konnte, sowie die Gründe, aus denen ihre Unabhängigkeit von allen aufeinanderfolgenden Regierungen akzeptiert wurden, lassen sich am besten durch einen raschen Blick auf die Vergangenheit der BBC veranschaulichen.

Als die ursprüngliche „British Broadcasting Company“, die Vorgängerin unserer derzeitigen „British Broadcasting Corporation“, 1922 gegründet wurde, verlangte der damalige Postminister von ihr, daß sie einen Rundfunkdienst zur Verfügung stelle, der — wie es hieß — „ihn in angemessener Weise befriedigt“.

In jenen Jahren beruhte die Programmpolitik der BBC auf der Überzeugung, daß der Rundfunk, damals noch in den Kinderschuhen, große Möglichkeiten habe. Man ging davon aus, daß er in der Zukunft nicht nur eine Quelle der Unterhaltung, sondern auch eine allen zugängliche Quelle der Information und der Bildung sein werde, des weiteren auch, daß der Rundfunk im öffentlichen Interesse arbeiten muß, und man legte großes Gewicht auf Niveau und Verantwortlichkeit. Die Gesellschaft verfolgte bei der Verbreitung von Reden und Vorträgen eine Politik der absoluten Überparteilichkeit. Angesichts ihrer Leistungen in dieser Hinsicht verlangte sie ständig ein größeres Maß von Unabhängigkeit bei der Behandlung von Nachrichten, Ereignissen und Neuerungen — wobei sie ursprünglich vielen Einschränkungen unterworfen war.

Angesichts der Leistungen und Ziele der Gesellschaft empfahl der erste, 1925 geschaffene Untersuchungsausschuß für das Rundfunkwesen, der Rundfunk möge in Zukunft von einer öffentlichen Körperschaft betrieben werden, die „Treuhänderin des nationalen Interesses“ sein solle. Ansehen und Status der neuen Körperschaft müßten großzügig anerkannt und ihre Verantwortung besonders betont werden. In dem Bericht des Ausschusses hieß es: „Das Parlament muß das letzte Kontrollrecht behalten, und der Postminister muß sich im Parlament über die allgemeinen Fragen der Rundfunkpolitik äußern können, aber die Mitglieder des Verwaltungsrats sollten die größtmögliche Freiheit erhalten, zu der sich das Parlament bereitfindet. In diesem Rahmen wurde 1927 die „British Broadcasting Corporation“ (BBC) geschaffen. Die oben erwähnten Grundsätze wurden vom Parlament akzeptiert und sind seither ständig beachtet und erweitert worden.

Ursprünglich hatte die Gesellschaft in ihren Sendungen keine Fragen gebracht, die als strittig angesehen werden konnten. Aber ihr damaliger Chef, der nunmehrige Lord Reith, welcher auch der erste Generaldirektor der öffentlichen Körperschaft war, setzte sich entschieden für größere Freiheit in dieser Hinsicht ein — unter der Voraussetzung, daß derartige Fragen von der BBC vernünftig und verantwortungsvoll behandelt werden. Seine Ansicht wurde von dem erwähnten ersten Untersuchungsausschuß für das Rundfunkwesen gebilligt. Der Ausschuß empfahl, daß eine nicht zu große Zahl strittiger Fragen in den Rundfunksendungen behandelt werden sollte, vorausgesetzt, daß das verwendete Material von hoher Qualität sei und mit absoluter Fairneß behandelt werde. Im Jahr 1927 war die damalige britische Regierung nach dem ersten und einzigen Generalstreik in Großbritannien noch nicht bereit, diesen Schritt zu tun. Sie verlangte weiterhin von der BBC, daß deren Sendungen keine strittigen Themen auf dem Gebiet der Politik, der Religion oder der Sozialkonflikte enthalte. Aber schon im März 1928 wurde dieses Verbot aufgehoben und der BBC mitgeteilt, daß die Regierung sich darauf verlasse, daß der von ihr ernannte Verwaltungsrat von seinem Ermessen richtigen Gebrauch mache. Sie werde sich in dieses Ermessen nicht einmischen.

So ist es bis heute geblieben. Die Freiheit, die Lord Reith schon 1928 gewonnen hatte, wurde ständig erweitert. Heute wird die Behandlung der strittigsten und schwierigsten politischen und sozialen Probleme in keiner Weise vermieden oder „rationiert“.

Keine Schlagseite

Als natürliche Folge dieser Unabhängigkeit in strittigen Fragen entwickelte sich ein Verantwortungsgefühl sowie ein Sinn für Balance — die freilich nicht immer leicht zu erzielen ist. Wir finden z.B., daß es sehr oft unmöglich ist, für eine solche Balance im Rahmen eines einzelnen Programmes zu sorgen. Aber wir versuchen, dies in einer Programmserie zu tun und jedenfalls in unserem Gesamtprogramm. Es reicht nicht immer aus, zu sagen, daß wir Beschwerden von rechts und links erhalten und daß wir daher ungefähr den richtigen Kurs verfolgen müssen. Auch genügt es nicht, zu sagen, daß unsere Redner ihre eigenen Ansichten zum Ausdruck bringen und daß wir für diese nicht verantwortlich sind. Wir sind doch für den Inhalt unserer Sendungen verantwortlich und wir müssen selbst ganz bewußt eine redaktionelle Politik der Balance verfolgen.

Die BBC ist auf ihre traditionelle Unabhängigkeit von der Regierung und von den Parteien sehr stolz. Wir müssen wachsam sein, um diese Unabhängigkeit zu erhalten. Aber es ist eine große Hilfe für uns, daß diese Unabhängigkeit nun schon zur Tradition gehört und als solche akzeptiert worden ist. Was wir tun, wird von den politischen Parteien sorgfältig beobachtet. Hie und da erhalten wir von der einen oder anderen Partei einen Protest gegen etwas, was wir in unseren Nachrichtensendungen oder Programmen gebracht — oder nicht gebracht haben. Derartige Proteste laufen von den beiden Hauptparteien ziemlich gleichmäßig ein. Und es gibt keinen verantwortlichen Parteiführer, der glaubt, daß wir unsere Pflicht der Überparteilichkeit absichtlich oder böswillig verletzen.

Nun ließe sich vielleicht behaupten, daß die BBC mit ihrem sehr großen Ausmaß von Unabhängigkeit ihre Position mißbrauchen könnte. Sie könnte zum Beispiel den Kontakt mit der öffentlichen Meinung verlieren. Aber es gibt mehrere praktische Gründe, warum dies nicht geschieht. Zunächst einmal ist die BBC der Kritik zugänglich, die im Parlament und in der Presse zum Ausdruck kommt; ebenso den Ansichten von Hörern und Sehern, die sich mit Briefen und Telephonaten zum Wort melden.

Überdies hat die BBC ihr eigenes System der Hörerforschung. Mit seiner Hilfe wird nicht nur festgestellt, wie groß das Publikum für bestimmte Programme ist, sondern auch, was dieses Publikum über diese Sendungen denkt. Schließlich hat die BBC ihre eigenen Beratungsgremien, die — wie die Rundfunkräte für Schottland und Wales — die soziale Struktur der ganzen Nation repräsentieren. Sie tagen regelmäßig, wenn auch in größeren Abständen, um Programme und sonstige Rundfunkfragen im allgemeinen zu erörtern und ihren Rat und ihre kritischen Anregungen zu geben. Zu diesen Gremien gehört ein allgemeiner Beratungsausschuß, ferner Beratungsausschüsse für die Regionen, in die das Land für Zwecke des Rundfunks eingeteilt ist. Darüber hinaus gibt es noch Sonderausschüsse, die in Sachen Religion, Erziehung, Musik, Landwirtschaft u.dgl. ihren Rat erteilen. Die von diesen beratenden Ausschüssen ausgesprochenen Ansichten sind für die BBC in keiner Weise bindend, aber sie haben ihren Wert als Ausdruck einer gut informierten öffentlichen Meinung.

Die finanzielle Unabhängigkeit der BBC beruht zunächst darauf, daß ihre Finanzquellen keiner Kontrolle durch die Regierung und keiner kommerziellen Kontrolle unterworfen sind. Die Rundfunkorganisation soll freie Hand haben, um über ihre Einnahmen nach ihren Wünschen zu verfügen.

In einem kürzlich veröffentlichten Weißbuch heißt es, daß die Regierung die Verpflichtung übernimmt, für ein genügendes Einkommen der BBC zu sorgen.

Jeder Haushalt muß für ein Empfangsgerät, das nur den Hörfunk vermittelt, eine jährliche Gebühr von einem Pfund zahlen (72 Schilling). Für Hörfunk und Fernsehen beträgt die Gesamtgebühr jährlich vier Pfund (288 Schilling). Unser Einkommen aus diesen Quellen erreicht derzeit etwa 50 Millionen Pfund im Jahr (3,6 Milliarden Schilling). Die Rundfunkgebühren werden gegen Bezahlung der Unkosten von den Postämtern eingezogen.

Die Auslandsdienste der BBC werden direkt von der Regierung durch eine jährliche Zuwendung finanziert. Die Regierung bestimmt die Sprachen, in denen die BBC senden soll und die Sendedauer für jede Sprache. Ansonst ist die BBC auch bei diesen Sendungen unabhängig. Was in den Programmen gesendet wird, ist ausschließlich ihre Sache. Daß die Auslandsdienste nicht von der Regierung kontrolliert werden, hat sicher ihr Ansehen in der Welt verstärkt.

Warum soll eine Rundfunkorganisation unabhängig sein? Soweit es sich um Unabhängigkeit von der Regierung handelt, liegt der Fall, glaube ich, so klar, daß man ihn kaum zu rechtfertigen braucht — besonders nicht, wenn man sich an die Tage des Dr. Goebbels erinnert. Aber das war ein Beispiel für die schlimmste Form des Rundfunks Rundfunk im Dienste einer verbrecherischen Regierung. Man könnte die Ansicht vertreten, daß der Fall anders liegen würde, wenn eine Rundfunkorganisation der Kontrolle einer anständigen Regierung unterstünde. Ich glaube nicht, daß dies so ist. Jede Regierung — so gut sie auch sein mag — wird den Wunsch haben, ihre Ansichten darzulegen. Und das Publikum kann nur die volle Wahrheit erfahren, wenn es bei jeder akuten Frage alle Seiten zu hören bekommt.

Warum sollte eine Rundfunkorganisation von kommerzieller Kontrolle frei sein? Hiefür gibt es eigentlich zwei Gründe. Bei dem einen handelt es sich um das, was infolge kommerziellen Druckes in die Programme aufgenommen wird, und beim anderen um das, was infolge solchen Druckes unerwähnt bleibt.

Kein Werbefunk

Der dem öffentlichen Interesse dienende Rundfunk hat die Aufgabe, der Allgemeinheit zu dienen. Der Werbefunk hat die Aufgabe, Güter zu verkaufen. Er ist Teil der Warenproduktion und des Absatzes. Kaufleute werden nicht für Sendungen bezahlen, die kein großes Publikum anziehen. Dies führt im Werbefunk zu der Tendenz, vor allem auf das Massenpublikum zu achten, Minderheiten zu vernachlässigen, sich auf traditionelle Formen zu verlassen, wirkliche Experimente zu vermeiden. Die BBC hingegen, die keine Rücksicht auf Werbung zu nehmen braucht, hat freie Hand, all den verschiedenen Typen der Zuhörer und Seher etwas zu bringen und gelegentlich einigen wenigen sehr großes Vergnügen zu bereiten, während die Mehrheit vielleicht hieran geringeres Vergnügen findet.

Mehr noch als in der Vergangenheit wird die BBC dazu imstande sein, wenn im nächsten Frühjahr ihr zweites Fernsehprogramm eingeführt wird. Im Hörfunk gibt es bereits drei Programme.

Zu unseren neuesten Experimenten gehört das Programm „That was the week that was“, von dem man fast überall in der Welt Notiz genommen hat. (Auch in Polen und in der Tschechoslowakei spricht man darüber, wie ich in den letzten Tagen feststellen konnte.) Es handelt sich um eine satirische Revue, die am späten Samstagabend gesendet wird. Weder Regierung noch Opposition, weder Kirchen noch Gewerkschaften, noch der Generaldirektor der BBC werden darin geschont. Menschliche Aufgeblasenheit und Torheit sollen uneingeschränkt zum Ziel des Spottes gemacht werden.

Aus manchem, was ich zuvor über die Objektivität und die Notwendigkeit eines balancierten Programms gesagt habe, könnte der Schluß gezogen werden, daß wir — mit einigen Ausnahmen — eine Neigung zur vorsichtigen Planung langweiliger Programme haben. Die Praxis sieht anders aus. Rundfunk und Fernsehen haben bei der Entwicklung einer informierten, lebendigen, kritischen Demokratie eine lebenswichtige Rolle. Unabhängigkeit und Objektivität verführen uns nicht dazu, bei der Behandlung strittiger Themen ängstlich zu sein. Wir zögern nicht, das Risiko der Kritik auf uns zu nehmen. Es wäre völlig falsch, wenn man Überparteilichkeit zum Vorwand nehmen wollte, heikle Themen zu vermeiden, die bei der Regierung oder bei einer politischen Partei Anstoß erregen könnten. Wir würden unsere Pflicht vernachlässigen, wenn wir politische und soziale Außenseiter nicht zu Wort kommen ließen, wenn sich nur jene äußern könnten, die sich an die Parteilinie halten.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Oktober
1963
, Seite 465
Autor/inn/en:

Hugh Carlton Greene:

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