Suad Ibrahim Ahmed wurde am 30. Mai 1935 in Khartoum in einer nubischen Familie geboren. Bereits früh schloss sie sich der jungen Kommunistischen Partei des Sudan an. 1960 schloss sie ihr Studium an der Khartoum University ab und begann als Lehrerin in der nubischen Grenzstadt Wadi Halfa zu arbeiten. Zu diesem Zeitpunkt waren die Pläne der ägyptischen Militärregierung Gamal Abd An-Nassers zum Bau eines Hochdammes südlich von Aswan schon sehr weit gediehen und das ägyptische Regime verhandelte mit dem sudanesischen Militärregime General Abbuds über die Entschädigungen, die der Sudan für das Gebiet erhalten sollte, das auf sudanesischem Territorium in der Folge überflutet werden sollte. Trotz des erbitterten Widerstands der nubischen Bevölkerung verschwand schließlich der Großteil Nubiens unter den Wassermassen die der Aswan-Damm aufstaute. Und trotz der bekannten negativen Folgen für Mensch und Natur, der Zerstörung einer der ältesten Kulturregionen der Welt, der Verschlammung des Sees und des Mangels an fruchtbarem Nilschlamm am Unterlauf des Nils, will nun die islamistische Militärregierung des Sudan auch den verbliebenen Rest Nubiens unter Wasser setzen.
Mit Suad Ibrahim Ahmed, die bereits in den Sechzigerjahren eine entscheidende Rolle im Kampf der NubierInnen gegen diesen Damm gespielt hat und nun mit ihren MitstreiterInnen von der Nubian Alliance gegen die zweite Vertreibung der NubierInnen kämpft, sprach Thomas Schmidinger.
Suad Ibrahim Ahmed: Der Hochdamm kam nachdem bereits mehrmals niedrigere Dämme errichtet wurden, die die lokale Bevölkerung schwer in Mitleidenschaft gezogen haben. Letztlich war der Hochdamm ein Resultat des “Nile-Waters-Agreement”. Die Leute dachten damals, dass sich der Sudan mit seinen Millionen Hektar Land nicht weiterentwickeln könnte, ohne mehr Wasser zur Verfügung zu haben. Deshalb war es notwendig ein solches Abkommen zu unterzeichnen. Die Verhandlungen dafür begannen schon zu einer Zeit als die Briten noch hier waren.
Als der Hochdamm gebaut wurde, dachten die Leute hier, dass sie ihren Boden für ihr Land Opfern würden. Und die Regierung sagte zu Beginn: “Eurer Opfer ist unglaublich, es ist gewaltig und deshalb wird geschehen was ihr wollt! Wohin wollt ihr gehen? Was wollt ihr machen?”
Sechs Monate später wollte die Regierung von diesen Versprechungen nichts mehr wissen. Sie beschloss die Kompensationszahlungen der ägyptischen Regierung, vierzig oder fünfzig Millionen Dollar, zu nehmen und ein Projekt im Osten des Landes am Fluss Atbara zu errichten, wohin die Nubier umgesiedelt werden sollten. Diese Gegend hat ein völlig anderes Klima und eine völlig andere Vegetation das Land, das die Nubier bisher am Nil bebaut hatten. Das ist es, was die Leute verärgert hat. Sie hätten die Chance gehabt sich wieder am Ufer des neuen Sees oder innerhalb Nubiens, südlich des Dammes, anzusiedeln, aber die Regierung zwang diese Menschen nach Haschm al-Girba nahe der äthiopischen Grenze zu ziehen. Die Mehrheit der Bevölkerung wurde umgesiedelt, aber 600 Familien weigerten sich, an den Atbara umgesiedelt zu werden.
Das gegenwärtige Wadi Halfa ist ein Resultat dieser Weigerung. Die Regierung sagte: “Wenn ihr nicht gehen wollt – das ist der letzte Zug. Wir werden euch umsiedeln, wir geben euch Häuser, Land und Kompensationszahlungen. Wenn ihr kommt, gut, wenn nicht, seid ihr auf euch allein gestellt!”
Darauf haben sie den Zug und sämtliche Serviceeinrichtungen des Staates eingestellt.
In der Folge regierten sich die verbliebenen Menschen selbst. Sie gründeten eine Kooperative, die Wadi-Halfa-Kooperative. Sie eröffneten Schulen ...
Ja, sie selbst eröffneten die Schulen und sie eröffneten sogar ein Spital. Sie blieben dort, von der Regierung ignoriert bis nach der Oktoberrevolution [dem Sturz General Abbuds Anm.].
Sie bewegten sich mit dem Ufer des Sees, der ständig stieg und blieben auf sich allein gestellt bis die Versorgung und die Services der Regierung in den Siebzigerjahren wieder aufgenommen wurden. Die Stadt wurde Mitte der Siebzigerjahre wieder an den Zug angeschlossen.
Ja, sie blieben rund zehn Jahre lang auf sich gestellt. Sie haben sich zehn Jahre lang selbst regiert.
Sie haben ihre Kompensationszahlungen benützt, die sie gesammelt hatten und verwendeten sie zur Versorgung der Bevölkerung und zur Schaffung von Infrastruktur. Sie kauften LKWs um Lebensmittel aus der Stadt bringen zu können. Ein Arzt kündigte beim Ministerium und kam nach Wadi Halfa. Auch einige Lehrer taten dasselbe. Die Leute organisierte alles selbst.
Der Widerstand dieser Menschen ist geradezu ein Epos. Sie waren nicht viele, aber die Stadt wuchs sogar.
Ja, in der Stadt allein, ohne die Dörfer rund herum, von denen sich auch einige weigerten, umgesiedelt zu werden, waren wir 17.000. Nun sind es infolge der Politik der gegenwärtigen Regierung aber wieder weniger geworden.
Nun, der Hochdamm ist etwas anderes wie der Kajbar-Damm. Der Kajbar-Damm liegt flussabwärts von einem großen Damm, der nun bei Merowe gebaut werden soll. Der Merowe Damm soll als Kraftwerk mit einer Leistung von 1.100 MW genutzt werden. Wir produzieren zur Zeit in Roseires weniger als 300 MW und haben einen Mangel an verfügbarer Elektrizität. Deshalb plant die Regierung diesen Damm. Der Ort an dem dieser Damm entstehen soll, ist nicht so stark besiedelt wie die Region in der der Kajbar-Damm entstehen soll.
Kajbar ist gedacht, um das Gebiet zu entvölkern und um Waffen und Terroristen über diese Grenzregion nach Ägypten einschleusen zu können. Die Politik, die in dieser Region verfolgt wird dient dazu das Gebiet von seinen BewohnerInnen zu säubern.
Der einzige Hafen, der 1994 geschlossen wurde, war Wadi Halfa, das alte Tor nach Ägypten. Sie haben jedoch nicht den Verkehr nach Ägypten gestoppt, der über die Wüste, das Rote Meer oder die Luft weiterlief. Diese Wege blieben alle geöffnet.
Das Ziel war es Wadi Halfa verarmen zu lassen. Stell dir eine Hafenstadt vor, deren Hafen geschlossen ist! Es gibt keine anderen Einnahmequellen, wir haben kein Hinterland, keine Landwirtschaft.
Ja, es waren genau zwei Tage in der Woche. Die Leute die kommen und gehen sind die einzige Wirtschaftsgrundlage Wadi Halfas. Sie müssen essen, transportiert werden, übernachten...
Und als diese Wirtschaftsgrundlage für vier Jahre geschlossen wurde, verarmten die Leute wirklich.
Der Kajbar Damm soll auf den Felsen des dritten Kataraktes errichtet werden und würde ungefähr 33 Dörfer den Nil entlang überfluten. Somit würde das verbleibende dicht besiedelte Gebiet Nubiens unter dem Wasser verschwinden. Und dies ohne irgendeinen Grund. Für die gesamte Provinz Wadi Halfa benötigen wir lediglich 6 MW an Elektrizität. Nach ständigen Erweiterungen der ursprünglichen Planung soll dieser Damm nun über 200 MW produzieren.
Dieser Abschnitt des Nils wird als das größte Open-Air-Museum in der Welt bezeichnet, weil er merowitische, kuschistische und nubische Altertümer verbirgt, die heute noch großteils nicht ausgegraben sind. Wir sind nicht wie Ägypten, wo seit über 200 Jahren archäologische Ausgrabungen stattfinden. Hier haben wir unsere antiken Stätten nur sehr spärlich erforscht. Aber diese Regierung ist nicht an vorislamischer Geschichte interessiert. Überall wo vorislamische Funde gemacht wurden, ließ sie die Ausgrabungen stoppen, selbst jene der Cambridge University, die 1990 abgebrochen werden mussten.
Nein, sie stoppen diese Forschungen weil sie keine vorislamische Geschichte wollen. Wenn sie nach Hannover oder Milano gehen, um sich zu präsentieren, stellen sie alles aus, nur nicht Gegenstände unserer nubischen Kultur. Diese Regierung verfolgt in ihrer Wirtschafts-, Bildungs-, Gesundheits- und Agrarpolitik das Ziel unsere nubische Kultur auszulöschen und ihre Form des Islamismus und Arabismus als einzige Kultur des Sudan durchzusetzen.
Wir wissen, dass die Araber es im siebten Jahrhundert nicht schafften, den Sudan mit dem Schwert zu erobern und ihre Eroberungen in Nordafrika fortsetzen mussten. Der Sudan wurde nicht mit dem Schwert islamisiert. Der Gouverneur von Ägypten schloss schließlich mit den Sudanesen den “baqt”.
Ja, dies war zuvor ohne Beispiel. Es war ein Friedensvertrag zwischen dem Wali in Ägypten und den NubierInnen und wir erlaubten ihnen darin, unser Gebiet zu durchqueren. Daneben war das Ganze auch eine Art Handelsabkommen. Sie wollten Sklaven und Produkte aus dem Sudan und sie gaben uns Kleider und andere Produkte aus Ägypten.
Sie glauben, dass NubierInnen keine guten Muslime sind. Unser Islam hat eine eigenständige Ausformung. Aber dies ist keine nubische Spezialität. Der Islam hat im gesamten Sudan seine eigenen Charakteristika. Der Islam im Norden Aswans ist anders wie der Islam südlich davon. Es dauerte über sieben Jahrhunderte um den Islam zur Religion der Mehrheit zu machen und diese Islamisierung war ein friedlicher Prozess, der durch Heirat und Handel von Statten ging. Deshalb überlebten die sozialen Strukturen und Traditionen der verschiedenen Gemeinschaften die Islamisierung. Deshalb werden viele unserer Traditionen und Sozialstrukturen als unislamisch betrachtet.
Zum Beispiel dürfen sich bei uns junge Menschen treffen. Um eine Frau zu nehmen, musst du sie kennen. Und das ist erlaubt, bis hin zu sexuellen Beziehungen. Voreheliche Schwangerschaften sind nicht verboten.
Nein, aber bei einigen anderen Gruppen in Kordofan und Darfur. Vorehelicher Sex ist bei uns in Nubien nicht akzeptiert, aber eine Vermischung der Geschlechter ist erlaubt.
Aber wie auch immer, wir sind keine Fanatiker und das ist nicht die Politik für die dieses Regime eintritt. Das ist ein terroristisches und faschistisches Regime. Sie glauben, dass es den ganzen Nahen Osten in einen islamischen Staat verwandeln würde, wenn es gelänge, in Ägypten ein islamisches Regime an die Macht zu bringen. Ägypten ist nicht irgend ein arabisches Land, es ist einflussreich. Ägypten hat über 60 Millionen Einwohner.
Ja, Nubien ist der Schlüssel nach Ägypten. Und wir sind keine Fundamentalisten. Sie wissen das, weil sie bei jeder demokratischen Wahl verloren haben. Sogar heute. Im Nubischen Akademikerverein bekam ich am meisten Stimmen und der Muslim-Bruder bekam nur ganze sieben Stimmen. Und das unter den Bedingungen dieser Diktatur! Dieses Regime beschloss die Geschichte des Sudan von 1504 an, als es den ersten islamischen Staat im Sudan gab, zu erzählen. Und zuvor gab es nichts.
Ja, das ist es was geschieht. Sie unterdrücken Frauen und Nichtaraber. Wir sind stolz auf unsere arabische Sprache. Wir sprechen sie sehr gut, wir schreiben in ihr und wir schreiben sogar Gedichte in ihr. Wir akzeptieren sie als Amtssprache, denn wir müssen ja irgendwie miteinander kommunizieren, aber sie wollen alle zur arabisch-islamischen Kultur zwingen.
Ja, die nubische Diaspora ist größer als die NubierInnen, die in Nubien leben. Dies beeinträchtigt unsere Sprache und Kultur. Ich konnte immer noch nicht das Nubian Studies and Documentation Center in Khartoum registrieren. Alle Studienzentren sind in Europa und den USA. Wir haben nun mit einem solchen Studienzentrum in Kairo begonnen, das erste, das von Nubiern selbst aufgebaut wurde.
Die Idee dahinter ist, dass unsere Sprache schon verschwindet, weil die Menschen sie immer weniger zuhause sprechen. Die Gruppen, die Nubien in den letzten Jahrhunderten verlassen hatten sind bereits völlig arabisiert, weshalb wir um unsere Kultur und Sprache fürchten. Deshalb haben wir ein Lehrbuch produziert mit dem die nubische Sprache in Wort und Schrift erlernt werden kann. Nun versuchen wir Lesebücher zu produzieren und Alphabetisierungsklassen mit jenen abzuhalten die noch Nubisch sprechen. Bisher gibt es aber kaum schriftliche Literatur, weil die Prosa immer nur mündlich weitergegeben wurde.
Ja, natürlich. Was wir als Nubian Alliance geschaffen haben ist, dass wir den Leuten wieder ihren Stolz zurückgegeben haben. Wir haben den Menschen erklärt, dass das was ihnen geschieht nicht gottgegeben ist, sondern von Menschen gemacht wurde und damit kann auch Widerstand dagegen geleistet werden. Daraus speist sich auch der Widerstand gegen den Kajbar-Damm
Ja, das ist seht interessant, denn die Nubian Alliance ist keine Organisation, sondern eine Bewegung. Wir sind keine geschlossene Organisation, wo man um Mitgliedschaft ansuchen kann.
Wir haben Leute zurück in ihre Dörfer geschickt und sie haben dort ihr Land, ihre Dattelpalmen und Häuser. Sie können dort leben. Wir haben versucht den Menschen in den Dörfern zu vermitteln, dass sie nicht unter den Bäumen sitzen, sich betrinken und ihr Schicksal beweinen sollen sondern, dass sie dieses Projekt stoppen können. Wir haben in kleinen Gruppen begonnen und nie definiert, welche Aktionsformen die einzelnen Gruppen anwenden würden. Klar war nur, dass wir alle Vorbereitungen den Damm zu bauen, stoppen würden. Wir werden der Regierung auf keinen Fall erlauben, diesen Damm zu errichten!
Wenn irgendwer hört, dass einer von der Regierung in das Gebiet des Dammes kommt, dann lassen die Frauen ihre Hausarbeit stehen und die Männer kommen mit ihren Äxten. Jeder nimmt irgend etwas mit und vertreibt die Personen die hier sind, um den Dammbau vorzubereiten. Die Leute sitzen in Gruppen zusammen und schreiben Flugblätter und vervielfältigen diese von Hand. Und sie schreiben ihre Parolen auf die Wände.
Jedes mal, wenn ein Offizieller der Regierung kommt, bekommt er Schwierigkeiten. Und die Leute haben schöne Protestformen geschaffen. Normalerweise mobilisieren sie die Leute und dann kommen alle als ob sie den Minister, Vizepräsident oder wen auch immer begrüßen würden. Und dann wenn all die Hunderten Menschen dort sind, enthüllen sie ihre Transparente und beginnen Parolen zu rufen. Und die Sicherheitsleute können nichts machen. Die Leute schickten auch immer wieder Delegationen nach Khartoum.
Dieser Damm ist nämlich nur dazu da, unser Land zu zerstören! Während die in Ägypten schon 30 Jahre vor dem Bau des Aswan-Dammes mit Studien über die Folgen begonnen hatten, wurde hier nichts studiert, keinerlei Folgen abgeschätzt, weder ökonomische, soziale noch ökologische Folgen. Und das Land, das hier unter Wasser gesetzt werden soll, ist fruchtbares Ackerland. Wir produzieren in Nubien pro Quadratmeter wesentlich mehr als die Gezira-Sheme, [das große Agrarbewässerungsprojekt südlich von Khartoum].
Das Präsidentendekret, diesen Damm zu errichten wurde als geheimes Dokument produziert, das nicht veröffentlicht werden durfte.
Ahh, wir haben unsere Wege, da dahinter zu kommen. Wir wussten bereits einen knappen Monat später davon und wir stellten sofort ein Flugblatt her: “Ja zu Elektrizität, nein zu einem weiteren Damm!” Das war das erste Flugblatt, das wir dazu gemacht haben und das war dann auch der Grund, weshalb uns die Regierung als oppositionelle politische Organisation angesehen hat. Wir sind aber keine politische Organisation. Die Nubian Alliance ist eine Graswurzelbewegung, die das Leben der Menschen in den Dörfern verbessern und der verbleibenden Bevölkerung ermöglichen will, in der Region zu bleiben in der sie jetzt lebt.
Danke ebenfalls.
Die Radiosendung von Mary Kreutzer und Thomas Schmidinger Äxte gegen Technokraten über den Kajbar-Damm, die vor kurzem den Preis für Erwachsenenbildung erhielt, steht auf der Website von Context XXI zum Anhören und Runterladen bereit.