FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1982 - 1995 » Jahrgang 1995 » No. 496-498
Gerhard Oberschlick

Minister Larifari

4 Anschreiben, 1 Aktennotiz
Postscriptum und Notabene mit 3 Fußnoten

Herrn Staatssekretär und
Bundesminister designatus
für Inneres
Caspar Einem persönlich
(1) BKA Fax: 53 55 656 6. 4., ca. 15. 20
(2) BMfI Fax: 53126 2240 7. 4., ca. 14.10

Wien, 6. April 1995

Betrifft: SchubhäftlingInnen, Aufenthaltsverbote — Sanierung

Lieber Freund p. t.!

Wir haben uns nie näher kennengelernt; ich erinnere mich aber gerne an Deine freundliche, ruhige Hilfsbereitschaft in der Arena 76, wo ich die Bestimmtheit Deiner Interventionen mit Sympathie beobachtet habe. Falls Du derselbe geblieben bist, ist mir um die Zukunft Deines neuen Ressorts nicht bange, obwohl es mutmaßlich das schwierigste von allen ist.

Du hast die schöne Aufgabe, Österreichs guten Ruf als Rechtsstaat und sicheres Drittland wiederherzustellen. Das ist möglich, und sogar mit fast allen Beamtinnen, die in den sensiblen Bereichen Deines neuen Ressorts bisher gewütet haben: Sie werden keinem dezidierten politischen Willen ernstlich Widerstand leisten, nicht einmal Deinem.

Es wird aber auch notwendig sein, die anhängigen Fälle von Schubhaft und bereits verhängten, sogar schon rechtskräftigen Aufenthaltsverboten auf ihre Verfassungsgemäßheit zu überprüfen. Verletzungen der Artikel 3, 8 EMRK müssen revidiert werden; auch bei der Frage, ob Abgeschobene in der Türkei und in Serbien überhaupt noch leben und wie lange sie noch gefoltert werden, kann die Republik nicht aus der Verantwortung entlassen werden.

Daher rege ich an, daß Du — gemäß dem Gedanken, der dem Grundrechtegesetz zugrundeliegt — eine Kommission bestellst, deren Aufgabe es sein soll, die genannten Aufräumungsarbeiten durchzuführen oder zu überwachen; sie sollten aus anständigen Personen, Anwälten und Vertretern der Organisationen bestehen, die auf den genannten Gebieten schon einige Kundigkeit haben.

Mit allen guten Wünschen und freundschaftlichen Grüßen, Dein

Gerhard Oberschlick

Herrn Bundesminister persönlich
für Inneres Caspar Einem
BMfI Fx: 53126 2240 7. 4., ca. 14. 10

Wien, 24. April 1995

Betrifft: Menschenrechts-Terrorismus
Reaktion auf mein Schreiben vom 6. /7. April d. J.

Herr Bundesminister!

Gestern, Sonntag, um 8 Uhr in der Früh erschien Polizei in der Wohnung der Familie O████, mit einem rosaroten Zettel und dem Dolus, Frau O████ festzunehmen.

Diese Reaktion auf mein o. a. Schreiben ist absolut ungenügend:

  1. als Reaktion auf konstruktive Anregungen eines Parteifreundes;
  2. im Hinblick auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu Artikel 8 der Konvention, wie inter alia die Urteile Nr. 3/1987/126/177 vom 21. Juni 1988, 34/1990/225/289 vom 23. Jänner 1991, 31/1989/191/291 vom 18. Februar 1991 und 55/1990/246/317 vom 26. März 1992 beispielhaft zeigen.

Ad 1: Damit verwirkst Du jeglichen Anspruch auf jegliche Art einer freundschaftlichen Anrede und ich rede Sie hinfort als fremd an.

Ad 2: Eine Familie, deren weiblicher erwachsene Teil nach den Umständen des Falles eindeutig vom Artikel 8 vor jeglicher Abschiebung geschützt ist, nach ungerechtfertigt längerer Schubhaft und hierdurch bedingtem stationärem Spitalsaufenthalt — während welcher Zeit das knapp 3jährige Kind in Verletzung des Artikels 3 EMRK von der Mutter getrennt gewesen war — weiterhin unter dem Druck polizeilicher Verfolgung zu halten und mit der Familienzerreißung zu bedrohen, nenne ich einen Terrorismus gegen die Menschenrechte auf Budgetkosten.

Woraus sich ergibt: Da die gegenwärtige Regierung in derlei Fragen sich diskussions-unwillig gibt oder als diskussionsunfähig zeigt und offenbar weder gewillt ist, die Menschenrechte einzuhalten oder auf sanfte Formen des Protestes einzugehen — wenn schon nicht angemessen, so nicht einmal irgendwie —, sehe ich mich genötigt, meine Mißbilligung auf eigene Kosten durch eine immer noch sanfte, wenn auch gewaltförmige Weise auszudrücken.

Grußlos, jedoch mit dem Ausdruck heiß empfundener Mißbilligung

Gerhard Oberschlick

Liebe Terezija [Stoisits],

beiliegend: 1. Aktennotiz von heute Früh in Sachen O; 2. darin erwähnten Zettel der Polizei (Kopie); 3. Briefe an Einem vom 6./7. 4. und 24. 4. (2 Blatt [die vorigen]).

Wenn Einem so weitermacht und so weitermachen läßt, muß man seinen Ruf schnellstens zerstören; dann ist er nämlich nur ein halbherziger Löschnak, der ein beherzter Einem war.

Zu fordern ist: Der Minister muß eine Kommission einsetzen, die alle schwebenden Verfahren sowie die bereits abgeschlossenen, soweit sie dubios sind, überprüft. Auch hinsichtlich bereits Abgeschobener — Kurde in die Türkei, bosnischer Deserteur nach Serbien — kann die Republik aus ihrer Verantwortung nicht entlassen werden: ob die Leute noch leben und, wenn ja, wie lange sie noch dort gefoltert werden sollen.

Schönste Grüße, Dein alter Gerhard

Fremdenpolizei gegen O.

Aktennotiz

Felicia O. — das ist die Frau aus Nigeria, die dort den schon länger in Österreich lebenden Josef O. 1990 geheiratet und 1991 das gemeinsame Kind Chimieka O. in Wien zur Welt gebracht hatte; die anläßlich eines Besuches am Magistrat (Schlachthausgasse) festgenommen und in die Schubhaft gesteckt worden war, wobei ihr der noch nicht 3jährige Sohn fortgenommen und ins Zentralkinderheim der Stadt Wien gesteckt worden war, wovon die Behörde den ehelichen Kindesvater, mit dem die beiden in häuslicher Gemeinschaft lebten und leben, nicht informierte.

Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus (Einweisungsgrund: Unterernährung nach Hungerstreik in der Schubhaft, zu Tage getreten beim Versuch der Abschiebung am Flughafen, wo Felicia sich entkleidete, wodurch der Pilot sich veranlaßt sah, ihren Zwangstransport zu verweigern) war Felicia O. im Jänner 1995 wieder zu Hause.

Gleichfalls noch im Jänner bringt der Anwalt Dr. Unterweger Beschwerde in Straßburg wegen Artikel 3, 8 EMRK ein. Über den überraschend raschen Fortgang des Konventionalverfahrens kann gemäß Verfahrensordnung der Europäischen Kommission hier nichts mitgeteilt werden.

Bald erschien Fremdenpolizei am Arbeitsplatz ihres Mannes mit der Frage, ob er sich nun schon entschieden hätte: Bleibe das Kind bei ihm oder gehe es mit der Mutter — gegen die eine rechtskräftige Abschiebung ansteht — ins Ausland. Dann war, vielleicht auch wegen heftiger Interventionen des FORVM sowie Zustellung der Beschwerde durch die Europäische Kommission an die Republik, Ruhe bis zum:

Sonntag, 23. April 1995, 8 Uhr Früh. Drei Kriminalpolizisten erscheinen in der Wohnung der Familie O. und wollen die Ehefrau und Mutter abholen; diese, eine fromme Ibo aus Nigeria, befand sich jedoch in der Kirche; worauf die Polizisten den Ehemann auffordern, sie dorthin zu begleiten. Da Josef O. dies nicht will und die Polizei für dieses Begehren auch keine Rechtsgrundlage besitzt, steht sie davon ab; der Beamte Saler schüchtert Josef O. soweit ein, daß dieser dem Polizisten seine geheime Telephonnummer mitteilt; sodann übergibt Herr Saler noch einen rosaroten Zettel (Anlage 1) mit handgeschriebenem Termin: »08.00 Uhr / Dienstag / Fremdenpolizei / 9. Bezirk / Wasag. 20 / Zimmer 103 / Saler«, der gleichfalls keinerlei rechtliche Relevanz hat. Auftragserteilender Jurist: Dr. Pollak, Wasagasse.

Montag, 24. April 1995, ca. 21. 30 oder 22. 00 Uhr: Josef O. kommt nach Hause; vorm Haus steht der rote Audi W 332 RF, enthaltend einen Computer Screen und zwei Beamte, darunter glaubt Herr O. den Beamten Saler vom Vortag wiederzuerkennen; Herr Saler gibt jedoch an, es wären andere Kollegen gewesen. Der Audi fährt, als Herr O. kommt, fort, jedoch nur um den Häuserblock. Herr O. rief von einer Telephonzelle den Herausgeber des FORVM sowie dessen Tochter an. Nach einiger Zeit verschwindet der Audi, worauf Herr O. sich in seine Wohnung traut.

Ich nenne das Kleine-Negerlein-in-Schrecken-versetzen-Spiel der Polizei einen Terrorismus gegen die Menschenrechte unter der Verantwortung des neuen Innenministers.

Ich fordere für alle schwebenden Fälle im Bereich des Asyl-, Aufenthalts-, Ausländer- und sonstiger MRK-heiklen Bereiche: ein Moratorium und Aussetzen aller faktischen Amtshandlungen, bis der Innenminister sich auskennt und die Beamten auf neue Richtlinien trainiert hat, für die man/frau sich nicht schämen muß. Schonung für die Bedrohten, oder auch keine Schonung für den Minister selbst!

26. April 1995
Gerhard Oberschlick

P. S: Terezija Stoisits, am 10. Mai, war ziemlich verwundert. Sie hatte mit Einem geredet und gemeint, daß er »was tun« würde. Einen Schmarren hat er getan.

N. B: Wie eine Partei von ihrer Leitung ruiniert wird und was dagegen zu tun ist

Die obige Aktennotiz erhielt auch Andrea Hlavac, Pressesprecherin des Innenministers, in ihr Büro gefaxt. Sie versprach, eine Nachricht zu geben, konnte jedoch nicht versprechen, daß es eine positive sein würde. Das hat mich zunächst sehr für sie eingenommen: Sie hält vielleicht mehr, als sie verspricht, das ist viel besser als umgekehrt, dachte ich. — Bis jetzt, zum Redaktionsschluß, ist die Nachricht allerdings immer noch ausgeblieben.

Vranitzky, Löschnak, Einem — sie kennzeichnet alle die selbe Hochmütigkeit: Sie behandeln, wen sie für nicht relevant halten, wie einen Fliegendreck, der beim nächsten Fensterputz von selber verkommt; das war nicht immer so.

Kreisky hat Briefe noch beantwortet und war telephonisch erreichbar, spätestens nächsten Sonntag um neun, wenn er nicht gerade verreist war. Rösch war in seinem Ministerzimmer besuchbar, da gab es dann Kramperltee. Lanc rief immer zurück und bestellte ins Cafe Eiles, wo er pünktlich und ohne Begleitung erschien.

Auch mit Vranitzky konnte man früher — er einer der Sekretäre des Finanzministers Androsch — durchaus zusammenwirken. Ab da entschwindet er meinen Augen, zu fürchten: in wolkichstem Dunst. An den ‚Runden Tischen‘ konnte man sehen, daß er verlernt hat, was Diskutieren sein könnte. Was wunder: von einer Gefolgschaft aus Taschelträgern und Nickern umgeben, die ihn vor allem Widerspruch schirmen und abschirmen sollen. Solche stilistischen Eigenheiten pflanzen sich, durch unvermerkte Osmose, bei Mitarbeiterinnen, Untergebenen und BewunderInnen ein und fort. Was wunder dann auch, daß sie mit vereinten Schwächen im Partei- wie Wahlvolk, vor allem im jungen, nichts mehr erwecken können, als Abscheu, Gähnen und Frustration.

Es werden andere übernehmen müssen, ein paar Namen fallen mir, fallen uns allemal ein. Ich fürchte nur den Effekt der Osmose bei denen, die mit den Gegenwärtigen gestern Zusammenarbeiten mußten. Auch die Jungen werden sich prüfen müssen und vor den bekannten, doch unerkannten Fehlern auch gestisch zu hüten haben.

Der VSStO, dessen Blätter fürs finanziell moribunde FORVM werben — u. a.; allen danke! —, benimmt sich andererseits, als wär’ er Er selber. 10. Mai, Podiumsdiskussion mit Einem; Stojka, Stoisits, Schenk/SOS haben zugesagt; Rauch-Kallat nach Zusage zurückgezogen; F Mitwirkung abgelehnt. Thema: Wie rechts ist Österreich — 2 Jahre nach dem Lichtermeer. Ruf’ ich an, überschütte sie per Fax mit den obigen Briefen samt Aktennotiz und frage, ob sie mich auf dem Podium wollen. Ja, sagt ein Lieber, fein, es sind eh so wenig geworden. — Im Juridicum-Hörsaal sei ein Taferl mit meinem Namen, sagt mir einer, als ich hinkomm’, er habe sich staunend gefreut. Geh’ ich rein. Fehlt das Taferl. Sagt mir der nämliche Liebe vom Telephon: Du kannst nicht aufs Podium, haben die Studenten beschlossen: Du bist nicht am Plakat, und das Podium muß wie am Plakat sein. Ja, sage ich, keine Rauch-Kallat, keineR von der F — da werdet Ihr absagen müssen; auch gibt es niemals und nirgendwo den Überraschungsgast. Weißt, mich erinnert das an die historischen Bilder vom 1. Mai am Roten Platz, wo Bucharin, Trotzkij, Sinjawskij in den Geschichtsbüchern fehlen; die Linksopposition wird stalinistisch wegretuschiert. Dem Einem wird es nichts nützen, [1] versprochen. — Und versprach nicht zuviel, wie der Verlauf dieses Abends dann lustig gezeigt hat, was ein Minister [2] abstinken kann. [3] G. O.

Betrifft: Nutzung eines Werkes von Günther Anders durch Sie; Menschenrechts-Terrorismus einiger Ihrer Polizisten; Ihre (Nicht-) Reaktion auf meine Schreiben vom 6./7. und 24. April.

Herr Bundesminister!

Zuerst meine Legitimation: Günther Anders hat mir am 2. Februar 1992, also noch bei Lebzeiten, seine Autoren- und Herausgeberrechte urkundlich übertragen; somit und seither bin ich Inhaber seiner Werknutzungsrechte sowie eigenberechtigter Verwalter seines gesamten Nachlasses, soweit es sich um sogenannte Werke handelt.

In dieser Eigenschaft untersage ich Ihnen hiermit die Nutzung der Werke von Günther Anders oder von Teilen daraus und fordere Sie auf eine solche, auch zitatweise wie am 7. Mai in Ihrer Rede anläßlich der Befreiungsfeier in Mauthausen, zu unterlassen, solange Sie

  • meine Vorschläge vom 6. /7. April nicht auf- oder wenigstens gleichwertige Maßnahmen ergreifen; mindestens jedoch, solange Sie
  • keine Erlässe vorlegen, mit denen Sie sämtliche Beamten Ihres Ministeriums sowie der nachgeordneten Dienststellen anweisen, die Bestimmungen der Verfassung über die Grund- und Freiheitsrechte und der Europäischen Konvention der Menschenrechte, insbesondere deren Artikel 3 und 8 einzuhalten; und solange Sie
  • keine wirksamen Maßnahmen zur Beendigung des menschenrechts- und also verfassungswidrigen Zustandes anhängiger, schwebender sowie bereits rechtskräftig, wenn auch rechtswidrig abgeschlossener Fälle von Aufenthaltsverboten, Schubhaften und Abschiebungen nachweisen können oder wollen.

»Werke« dürfen jederzeit auch außerhalb der wissenschaftlichen Literatur von wem auch immer verwendet und zitiert werden; ich werde das mir anvertraute Werk jedoch gegen jede staatstragende wie verfassungsuntergrabende oder diese Untergrabung feierlich verschleiernde Verwendung durch Präsidenten, Kanzler, Polizeiminister und andere Personen, die z. B. für Verletzungen der Artikel 3 und 8 EMRK verantwortlich sind, zu schützen wissen, nicht nur durch Klagen. Denn ich werde denjenigen nicht ungestraft lassen, der seinen & Günther Anders’ Namen mißbraucht.

Gerhard Oberschlick
Inhaber des Günther Anders-Archivs
Herausgeber des FORVM
Obmann der VAZ

[1Sowenig wie Euch, außer in der Löwelstraße;

[2und Ihr mit ihm;

[3wie Eure Wahlergebnisse an der Uni Wien zeigen; tut mir fast wieder leid.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juni
1995
, Seite 44
Autor/inn/en:

Gerhard Oberschlick:

Herausgeber der Print-Ausgabe des FORVM 1986-1995 und der Online-Ausgabe hier.

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