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Franz Schandl

Kind und Straße

Aus dem Verkehr gezogen

Unser Weg zum Kindergarten ist der ungefährlichste nicht. Wir müssen zwar nur einige Kreuzungen queren, aber eine Straße ist die Margaretenstraße und eine andere nennt sich Schönbrunnerstraße. Bleibt er jetzt stehen oder bleibt er jetzt nicht stehen, das ist die halbbange Frage, die ich mir fast täglich zu stellen habe, wenn ich mit meinen Töchtern über den Zebrastreifen will.

Die Mädls werden in solchen Situationen fest am Arm gepackt, eine rechts, eine links, was ihnen oft ziemlich missfällt, weil sie das einfach nicht mögen und als Einschränkung empfinden. Außerdem wollen beide links gehen, die eine will vorlaufen, die andere nachbrodeln. Da man das einfach nicht tolerieren kann, muss man sich als Kinderdiktator versuchen. Lustig ist was anderes.

Tja, die Autofahrer. Jetzt sind sie erst hinten bei der Ampel losgefahren, jetzt sollen sie schon wieder halten. Das ist eine Zumutung. Fußgänger sind überhaupt das Letzte, vor allem der Nachwuchs und die Alten sind Sorten einer nichtstraßenfähigen Spezies. Gebrechliche sind zu langsam, Kinder zu unberechenbar. Eigentlich sind sie verkehrsuntauglich und müssten von den Straßen ferngehalten werden. Wie heißt es so schön: Aus dem Verkehr gezogen werden.

Es klingt banal, aber es ist nicht so banal: Im Auto wird der Mensch (besser: der Mann!) zum Autofahrer, was meint: zum Dienstmann des Automaten. Jener versetzt sich in ein anderes Kontinuum, wird eins mit der Maschine, als deren Verlängerung, ja Verkörperung er erscheint. Jede Unterbrechung wird als Störung und Bedrohung empfunden. Das Auto kann, aber man darf nicht können, das heißt, man muss sich und sein Gerät einschränken. Damit blamiert man sich freilich vor der Maschine. Man hat zu bremsen, wo sie hätte beschleunigen können. Die Synchronität zwischen Fahrer und Gefährt ist gestört, das ist unleidlich. Freie Fahrt ist nicht, was kann es Schlimmeres geben. So gesehen sind schwächere Verkehrsteilnehmer Hindernisse, die es irgendwie zu überwinden gilt. Nach dem bewusstlosen Motto: Fia wos hob i a Auto, wonn i niamt zomfian derf.

Auffällig ist auch die strenge Hierarchie der mobilen Differenz, die im Verkehr herrscht, die dazu führt, dass noch die Vorletzten (Radfahrer) sich an den Letzten (Fußgängern) vergreifen. Auch auf dem Gehsteig steigt das Risiko. Fahrradfahrer, Skateboarder und Rollerskater sind so manchmal relativ rücksichtslos. Wenn sie etwa kaum hörbar von hinten daherkommen, werden sie vor allem für Kinder, die ja bekannt für etwas unkontrolliertere Bewegungen sind, zur Gefahr. Ganz sicher kann man nie sein, nicht angefahren oder niedergestoßen zu werden. So hat das Trottoir einiges an Gemütlichkeit eingebüßt.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juni
2002
, Seite 6
Autor/inn/en:

Franz Schandl:

Geboren 1960 in Eberweis/Niederösterreich. Studium der Geschichte und Politikwissenschaft in Wien. Lebt dortselbst als Historiker und Publizist und verdient seine Brötchen als Journalist wider Willen. Redakteur der Zeitschrift Streifzüge. Diverse Veröffentlichungen, gem. mit Gerhard Schattauer Verfasser der Studie „Die Grünen in Österreich. Entwicklung und Konsolidierung einer politischen Kraft“, Wien 1996. Aktuell: Nikolaus Dimmel/Karl A. Immervoll/Franz Schandl (Hg.), „Sinnvoll tätig sein, Wirkungen eines Grundeinkommens“, Wien 2019.

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