FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1966 » No. 146
Karl Gruber

In Fischers Netzen

Aus seinem Memoirenwerk „Zwischen Befreiung und Freiheit“, Ullstein-Verlag, Wien 1953, 2. Auflage, S. 164 ff.

Am 5. Mai 1947 organisierte die Kommunistische Partei „Hunger“-Demonstrationen in den Straßen Wiens. Demonstrationen dieser Art begannen in der Regel damit, daß die USIA-Betriebe beschlossen, die Arbeit niederzulegen und zum Ballhausplatz zu marschieren. Das war nichts sonderlich Neues; demgemäß schenkten wir auch diesmal dem Streik keine besondere Beachtung. Ich arbeitete den ganzen Vormittag intensiv an meinem Schreibtisch und hörte wohl gelegentlich das Geschrei einiger vorbeiziehender Gruppen, ohne mich jedoch von meiner Arbeit ablenken zu lassen.

Am frühen Nachmittag begann die Polizei plötzlich die straßenseitigen Zimmer zu räumen. Ich suchte sofort den Bundeskanzler auf und fand das ganze Gebäude in höchster Aufregung. Eine Delegation der Demonstranten war eingelassen worden und hatte sofortige Verhandlungen mit den Oststaaten verlangt, um durch Anbahnung freundschaftlicher Beziehungen mit der Sowjetunion eine ausreichende Nahrungsmittelzufuhr sicherzustellen. Die Antwort des Bundeskanzlers hatte die Demonstranten nicht befriedigt.

Die kommunistischen Wanderprediger bestiegen daraufhin die Sockel der umliegenden Parkgitter und hielten von dort aus Reden an die inzwischen beträchtlich angewachsenen Massen. Wir gingen nun an die Frontseite des Hauses, um die Situation in Augenschein zu nehmen. Sofort wurden wir mit wütendem Geschrei und einzelnen Steinwürfen empfangen. Ein Photoreporter und ein Kriminalbeamter waren von den Massen beinahe umgebracht worden und konnten gerade noch stark verletzt ins Haus gezogen werden. Die Demonstranten machten Miene, das Haus zu stürmen. Zirka achtzig waren bereits in das Haus eingedrungen, und wir konnten sie nur mit Mühe wieder hinauswerfen.

Bei näherer Beobachtung erwies sich, daß unter der aufgehetzten Arbeiterschaft der Vorstadtfabriken ein paar hundert internationale Aufrührer und Agenten waren, die sich an bestimmten Stellen zusammenballten. Später konnten übrigens laut Polizeibericht Albaner, Bulgaren, Rumänen und Polen in größeren Scharen unter den Demonstranten festgestellt werden. Es war also nicht ausgeschlossen, daß der Plan eines gewaltsamen Umsturzes der Regierung bestand. Die Polizei war leider nur ungenügend bewaffnet; ohne unmittelbaren Schußbefehl eines höheren Führers war die ohnehin schon eingeschüchterte Polizei wahrscheinlich überhaupt nicht bereit, von der Waffe Gebrauch zu machen. Aber wer konnte wissen, ob dieser Auftrag zeitgerecht vom Innenministerium eintreffen würde?

Zwischen dem Bundeskanzleramt und dem Innenministerium bestand eine direkte Telephonverbindung, doch waren die Nachrichten, die wir von dort erhielten, alles eher als tröstlich. Das Innere riet uns, auf die bestmögliche Weise zu flüchten, das Haus könne gegen den Ansturm nicht mehr gehalten werden.

Ruf um US-Hilfe

In dieser Lage rief ich auf Wunsch meiner Kollegen das amerikanische Hauptquartier an und bat dieses, angesichts des äußersten Notstandes einzuschreiten. General Hickey, Stabschef der amerikanischen Truppen in Österreich, war es auch gelungen, eine Sitzung der Wiener Kommandantur zustande zu bringen, obwohl die Sowjets turnusgemäß den Vorsitz führten. General Hickey verwies auf die Dringlichkeit der Lage, da das Bundeskanzleramt einem illegalen Ansturm ausgesetzt sei, dem sich die österreichische Polizei nicht gewachsen zeige. Die Russen lehnten jedes Einschreiten ab. Während dieser Vorgänge konnten wir vom Fenster aus sehen, wie sowjetische Verbindungsoffiziere am äußeren Rande der Demonstranten umhergingen und offensichtlich einen Verbindungsdienst aufrechthielten. Zur selben Minute, als die Wogen in der Kommandantura am höchsten gingen, zerstreuten sich die Demonstranten wie durch ein Zauberwort. Die westliche Intervention hatte ihre Wirkung getan. Es bestand wohl kein Zweifel, daß zwischen den beiden Befehlszentralen irgendwelche Verbindungsdrähte bestanden hatten. Eine sofortige Neuordnung des Polizeiapparates versprach für die Zukunft eine bessere Sicherung der Regierungsgebäude.

Es folgte eine Zeitspanne verhältnismäßiger Ruhe. Sollten seltsame politische Gerüchte hiefür die Ursache sein? Da behauptete einer, es fänden Verhandlungen zwischen Wien und Moskau statt, dort wollte einer wissen, daß mit den Kommunisten geheim verhandelt werde. Die Kommunisten würden verstärkt in die Regierung eintreten und als Morgengabe russische Zugeständnisse mitbringen, der Kommunist Fischer werde Außenminister, der Regierungskurs werde um einige neunzig Grad gedreht werden usw. Die Nachrichten ließen sich nicht durch Tatsachen belegen. Ich hielt es für ausgeschlossen, daß ohne mein Wissen die Außenpolitik betreffende Verhandlungen geführt werden könnten.

Von einem Ministerkollegen erfuhr ich indessen Genaueres.

Im Hause des Abgeordneten K. fänden regelmäßig Zusammenkünfte von Kommunisten mit wichtigen Persönlichkeiten statt. [*] Das Ziel dieser Besprechungen sei eine Umbildung der Regierung, aus der alle prowestlich eingestellten Minister entfernt werden sollten. Der nächste Schritt seien direkte Verhandlungen mit der Sowjetunion zur Bereinigung aller bestehenden Probleme. Der Lohn für diese gute Tat würden Zugeständnisse der Sowjetunion bei den Staatsvertragsverhandlungen sein. Allerdings müßte eine maßgebliche Mitwirkung der Kommunisten in der Regierung ins Auge gefaßt werden. Die Sozialisten wären nötigenfalls aus der Regierung auszubooten. Als Hauptkandidat für den Bundeskanzlerposten wurde ein Herr Dobretsberger genannt, Professor der Nationalökonomie in Graz, bekannter „fellow traveller“. Die Ministerliste müßte den Russen genehm sein.

Mein Gewährsmann fügte hinzu, er halte es vor seinem Gewissen für notwendig, mich auf diese Vorgänge aufmerksam zu machen. Meine Antwort war:

Lieber Freund, ein so katastrophaler und verbrecherischer Unsinn muß selbstverständlich verhindert werden. Mit dieser Taktik würden wir das Land direkt dem Kominform in die Hände spielen. Die Folge wäre nicht die Einigung über den Staatsvertrag, sondern die Zerreißung Österreichs. Schließlich haben wir nicht die Sowjets allein im Land, sondern auch die anderen Besatzungsmächte. Wenn die Partei in dieser Sache nicht meiner Stimme folgt, werde ich mein Mandat niederlegen und als Privatmann die Bevölkerung gegen diesen Anschlag mobilisieren. Die Beteiligung an einer Regierung: Volkspartei-Kommunisten gegen die Sozialisten kommt für mich unter keinen Umständen in Frage.

Mein Kollege wußte genug. Er versprach, sich mir sofort anzuschließen. „Wie sollen wir uns taktisch verhalten?“ fragte er. „Da gibt es nur eines: ruhig sitzenbleiben, bis die Sache öffentlich bekannt wird, und dann zuschlagen.“

Merkwürdige Konferenz

Darüber vergingen einige ereignislose Tage; dann war es so weit. Übrigens war der Bundeskanzler über die Ereignisse so wenig informiert wie wir anderen. Er wurde zu einer Aussprache mit dem Kommunisten Fischer eingeladen. Fischer führte das große Wort und gab zu verstehen, daß er sowjetische Konzessionen in der Tasche habe, aber Regierungssystem, Politik und Propaganda müßten vollständig geändert werden. Vor allem habe Herr Außenminister Gruber zu verschwinden. Auf der Abschußliste standen aber auch fast alle meine Kollegen. Ja, Herr Fischer hatte die Frechheit, den Bundeskanzler zum Rücktritt aufzufordern. Dobretsberger, das sei der Mann! Vollständig klar sind die Vorgänge bei dieser merkwürdigen Konferenz freilich nie geworden.

Der Bundeskanzler hörte die Mitteilungen Fischers gelassen an, ohne zu ihnen Stellung zu nehmen. Das war im Augenblick das einzig Mögliche. Wenngleich über das patriotische Verhalten der Kollegen im Lichte der nachfolgenden Ereignisse nicht der geringste Zweifel herrschen konnte, war es nicht eben vorsichtig gewesen, sich der rücksichtslosen Brutalität eines Kommunisten auszusetzen. Freilich muß man heute rückschauend bedenken, daß die Weltmeinung im Jahre 1947 noch eine völlig andere war, als sie später im Lichte der Ereignisse geworden ist. Noch schien Ungarn, die Tschechoslowakei, ja sogar Polen ein freies Land zu sein. Noch gab es nirgends den klaren, eindeutigen Bruch mit der kommunistischen Politik. Daher mag mancher in einer solchen Aussprache nichts so Ungewöhnliches gesehen haben.

Am nächsten Abend trafen wir uns im Hause des Generals Cherrière. Nach dem Diner kam der Bundeskanzler auf mich zu und erzählte mir die ganze Geschichte. Er fügte hinzu, er habe sich inzwischen alles durch den Kopf gehen lassen und sei zur Überzeugung gelangt, daß hier ein kommunistischer Anschlag gegen unsere Unabhängigkeit geplant sei, und daß es nur eines geben könne, nämlich äußersten Widerstand. Ich war von dieser Mitteilung natürlich sehr befriedigt, im übrigen aber nicht in Kenntnis der näheren Umstände, unter denen sich diese Unterredungen abgespielt hatten. Jedenfalls beschloß ich, sofort zu handeln, da ich die Sicherheit hatte, daß auch der Bundeskanzler unbedingt auf meiner Seite stehen würde. Noch in der Nacht versuchte ich einiger befreundeter Journalisten habhaft zu werden, aber merkwürdigerweise war keiner von ihnen aufzutreiben. Schließlich gelang es mir am frühen Vormittag, den Wiener Korrespondenten der Associated Press zu erreichen. Ich bat ihn in mein Büro und informierte ihn kurz und bündig über die Forderungen des Herrn Fischer. Dann machte ich mich wie gewöhnlich an meine Arbeit.

Die Pallawatsch-Bombe

Die Nachricht ging in alle Welt und schlug wie eine politische Atombombe ein. Die Wiener Mittagszeitungen brachten die Geschichte im Fettdruck. In der Wiener Lokalsprache gibt es das Wort „Pallawatsch“. Dieser Pallawatsch beherrschte vorerst das politische Feld. Die Morgenblätter des folgenden Tages fielen noch über mich her, weil ich eine Sensationsnachricht verbreitet hätte. Fischer war Chefredakteur einer der wichtigsten Zeitungen Wiens, des „Neuen Österreich“, das eigentlich das Organ der Koalitionsregierung sein sollte. Dort eröffnete er den Kampf gegen das Außenamt mit einem heftigen Angriff. Dann aber begannen sich die Dinge allmählich zu klären. Noch in der Nacht trat die oberste Leitung der Österreichischen Volkspartei zusammen. Es kam zu scharfen Auseinandersetzungen.

Die Sitzung flog um Mitternacht auf, als ich schließlich — unterstützt von meinem Ministerkollegen — forderte, daß von nun an Garantien gegen derartige Seitensprünge gegeben werden müßten, sonst sei sofort der Bundesparteitag einzuberufen. Man beschuldigte uns, den Bundeskanzler stürzen zu wollen. Das war unsinnig, denn nur unsere Loyalität konnte ihn überhaupt retten. Erst am nächsten Morgen begann man die Dinge nüchterner anzusehen und ging daran, sie zu bereinigen. Obwohl die ganze Angelegenheit die Volkspartei in eine schwere Krise hätte stürzen können, wurde sie doch zu einem heilsamen Mittel, unsere Politik fruchtbarer zu gestalten. Es wurde beschlossen, von nun an jeden Montag alle unsere Minister zu einer Koordinationsbesprechung zusammenzubringen. Damit war endlich ein wirkliches Führungsorgan geschaffen.

Inzwischen begann eine Lawine politischen Durcheinanders abzurollen. Die Sozialisten bemächtigten sich der Angelegenheit natürlich, um schwerste Vorwürfe gegen die Volkspartei zu erheben. Im Parlament kam es zu wütenden Auseinandersetzungen. Herr Fischer hielt eine seiner großen Brandreden, in der sich sein ganzer Zorn vor allem über mein Haupt ergoß. Er brüllte in den Saal:

„Wo ist dieser politische Abenteurer, der die Presse informiert hat und der die Zusammenarbeit der Parteien stören will?“ Ich versuchte zwar, ihn auf mich aufmerksam zu machen, aber in seiner Zornesflut schenkte er mir keine Beachtung. Es wußte aber ohnedies jeder, wer mit seinen wütenden Anklagen gemeint war. Dann aber enthüllte er rücksichtslos Einzelheiten aus den Besprechungen, die man immerhin als nicht ganz erfreulich bezeichnen konnte.

Wenige Tage später ließ er sich übrigens in der kommunistischen Zeitung „Wahrheit“, Graz, in wild überschäumendem Zorn wie folgt vernehmen:

... Ernst Fischer hat außerdem gefordert, daß ein Untersuchungsausschuß den abenteuerlichen Informator der amerikanischen Agentur feststellen soll, der die Amerikaner in einer vollkommen verlogenen Form über diese Unterredung informiert hat. Erst nachdem mit den Fingern auf diesen Mann gewiesen wurde, der in jedem anderen Land aus der Politik hinausgeschmissen werden müßte, hat dieser politische Laufbursche der Amerikaner, der gegenwärtige Außenminister Gruber, ein Geständnis abgelegt.

Was soll man von diesem Außenminister Dr. Gruber halten? Ich möchte nicht wiederholen, was seine eigenen Parteifreunde über ihn nicht nur denken, sondern auch sagen, wenn sie unter sich sind oder wenn man in einem engeren Kreise spricht. Ich glaube, daß Österreich in solchen Situationen nicht einen eitlen, selbstgefälligen Menschen braucht, einen Außenminister, der täglich drei Interviews gibt, um sie nachher wieder dementieren zu müssen. Ich glaube, wir brauchen keinen Außenminister, der zwar mit einem amerikanischen Ehrendoktorat, aber ohne Südtirol und ohne Staatsvertrag nach Österreich zurückgekommen ist. Es wäre sicher zweckmäßiger, wenn der zweifellos ‚begabte‘ Dr. Gruber bei einer amerikanischen Zeitung als Nachtlokal-Reporter wirken würde.

KPÖ und Sowjetunion

Die Parlamentsdebatte hatte die Verwirrung eher vergrößert als verkleinert. Ich sah mich daher veranlaßt, in einer Rundfunkansprache an das ganze Volk eine abschließende politische Aufklärung zu geben. Die Rede wurde auf Schallplatten aufgenommen. Die Sowjets verweigerten aber die Durchgabe. Ich bat darauf Gesandten Kisseljow zu mir, um ihm zu eröffnen: „Meine Rede wird selbstverständlich im vollen Text der Weltpresse übergeben. Ich zweifle nicht daran, daß sie die westlichen Sendergruppen bringen werden. Der Umstand, daß die Ravag sie über sowjetischen Befehl abgelehnt hat, wird das Interesse daran gewaltig steigern.“

Dann machte ich ihn noch darauf aufmerksam, daß sich Herr Fischer immer auf sowjetische Befehle oder Anregungen berufe. Dies sei aber geeignet, das Ansehen der Sowjetunion in Österreich auf das schwerste zu kompromittieren. „Die Sowjetunion und ihre Organe in Österreich sind eine Sache, und die Kommunistische Partei ist eine andere Sache“, antwortete Gesandter Kisseljow in großer Erregung. „Die beiden haben nichts miteinander zu tun. Was Herr Fischer sagt, dafür ist ausschließlich er selbst verantwortlich. Aufträge hat er von der Sowjetunion selbstverständlich nicht erhalten.“

Die ziemlich heftige Aussprache führte zu einer gewissen Klärung der Atmosphäre, insoweit als Gesandter Kisseljow es offensichtlich zum erstenmal empfunden haben mochte, daß diese ungeschickte Taktik der Kommunisten die Sowjetunion in ernste internationale Verwicklungen hineinziehen könnte.

Der unmittelbare Erfolg jedenfalls war, daß die Rede auch von der Ravag vollinhaltlich durchgegeben wurde. Man darf wohl sagen, daß sie in jenen ersten Nachkriegsjahren die erste eindeutige Stellungnahme einer Regierung zur Kommunistischen Partei war.

Hier ihre wichtigsten Stellen:

Im Westen ist man alarmiert über die gewaltsame Ausdehnung politischer Systeme. Man sieht darin einen Bruch der Vereinbarungen von Teheran, Jalta und Moskau ... Wird sich also der Westen mit den neugeschaffenen politischen Tatsachen endgültig abfinden? Das ist möglich, aber sicherlich nur unter der Bedingung, daß jeder Versuch zur Etablierung weiterer Diktaturen unterlassen wird. Es kommt dabei nicht auf die Methode der Verwirklichung an. Ein legaler Schein genügt nicht, um Rückwirkungen in der öffentlichen Meinung des Westens hintanzuhalten ...

... Die Bevölkerung in jenen Staaten fordert stürmisch, daß stärkere Mittel zu einem effektiven Schutz der bedrohten Freiheit eingesetzt werden müssen ... Einer der wichtigsten Grenzpunkte dieser Art, der gewissermaßen die Reizschwelle für das internationale Gewissen darstellt, ist unser Land Österreich. Jeder Versuch, es unter die Dominanz einer Minderheit zu bringen, verursacht den Zusammenbruch des Systems der internationalen Zusammenarbeit. In Wien würde die Türe zur Verständigung zugeschlagen ...

Keine innenpolitischen Konzessionen

... Das Argument, daß ein Teil unserer Absatzgebiete im Osten liege, zwinge uns zu einer größeren Rücksichtnahme auf die Kommunisten, ist wenig durchdacht. Zum Absatz unserer Produkte im Osten sind billige Preise wichtiger als Kommunisten in Österreich, die wir ja schwerlich exportieren können. Hätten wir heute genügend billige Industriewaren, die Aufkäufer aus dem Donauraum würden unsere Märkte überschwemmen ... Die Meinung, die Oststaaten würden eine Art handelspolitischen Krieg gegen Österreich eröffnen, wenn es sich nicht demselben Regime anbequeme, ist unsinnig. Diese Staaten sind nicht reich genug und haben zuviel andere Sorgen, um sich solche Aktionen leisten zu können. Nichts zwingt uns, politische Konzessionen an eine österreichische Partei im Interesse unseres wirtschaftlichen Wohlstandes zu machen ...

... Denn was ist die Kommunistische Partei? Es wäre lächerlich, die kommunistischen Parteien in den verschiedenen Ländern auf einen Nenner zu bringen. In vielen Staaten sind kommunistische Parteien entstanden aus Reaktion gegen eine unfähige feudalistische Diktatur. Aus ihrem revolutionären Schwung heraus haben sie Bedeutendes geschaffen. Aber in unserem schönen Land steht diese Partei der Fanatiker nicht einer volksfremden Diktatur, sondern einer lebendigen Demokratie gegenüber. Sie hat sich ein Ziel gesetzt und unterschätzt, wie alle Fanatiker, die Bedeutung des Weges und der Mittel gegenüber dem Ziel. Die Lebensbahn des Menschen ist aber so wichtig wie die Ziele, denen er zustrebt. Die Methoden ihrer Verwirklichung sind Werte in sich selbst, wie die Stellung zum Mitmenschen und politische Anständigkeit, Werte, auf die keine menschliche Gesellschaft verzichten kann.

An dieser intellektuellen Schwäche leidet unsere Kommunistische Partei. Es wäre unsinnig, dies moralisch zu werten. Sie kämpft für ihre Ideale wie wir für die unseren. Die Kommunistische Partei stellt sich nur auf eine andere Wertebene. Diese Wertebene führt dazu, daß ihr zur Erreichung eines von ihr proklamierten Zieles jedes Mittel recht ist: die Lüge, die Verleumdung, der Terror und die Gewalt.

Sie ist aus diesem Grunde innerpolitisch zuweilen eine sehr bequeme Partei. Denn sie ist bereit, Arbeiterinteressen zu opfern, Lohnbewegungen zu verurteilen oder zu unterdrücken, Forderungen der Arbeiter abzuweisen, wenn sie dadurch ihrem Ziel, der Erringung der Macht zur Durchsetzung der kommunistischen Ideale, näherkommt. Darauf muß Bedacht genommen werden.

Wer ist reaktionär?

Sie huldigt dabei dem politischen Relativismus. Wer heute als Reaktionär bezeichnet wird, kann es morgen leicht zum „fortschrittlichen Element“ bringen. Das „fortschrittliche Element“ kann morgen zum Reaktionär werden, wenn es wagt, sich gegen die Ziele dieser Partei zu stellen. Daraus haben wir die Erkenntnis abzuleiten, daß wir, entsprechend der Gefährlichkeit ihrer politischen Absichten, uns mit angemessenen Mitteln zur Wehr setzen müssen ...

... Der Hauptsprecher der Kommunistischen Partei gefällt sich darin, persönliche Freundschaft zu Amerikanern als eine Art Kriegsverbrechen hinzustellen. Das Land, das Jahre hindurch der Sowjetunion in dem Abwehrkampf wirksame materielle Hilfe geboten, das einen ganz entscheidenden Beitrag zur Zerschlagung der Hitlerischen Kriegsmaschine geleistet hat, ist für die kommunistische Presse das Ziel stärkster Angriffe. Sie wären eher noch bereit, die Zusammenarbeit mit Hitler zu tolerieren als die Freundschaft mit irgendeinem Amerikaner. Unfähig, die demokratischen Reaktionen der großen Völker zu beurteilen, unfähig aber auch, die Realitäten der Machtverteilung in der Welt zu sehen, setzen sie zu einem Amoklauf gegen die bedeutendsten Nationen der Welt an ... Die Demokratien mögen infolge ihrer inneren Konstruktion manchmal von hilfloser Langsamkeit erscheinen. Aber die einmal begonnene Mobilisierung der Öffentlichen Kraft hat ihre langdauernde Folgewirkung ...

... Und nun zur Aktion des Herrn Fischer: Man stelle sich einmal vor, in der benachbarten Schweiz kommt der Sprecher einer vier Mann starken Parlamentsgruppe zum Regierungschef, erklärt diesem, er halte ihn für die weitere Führung der Geschäfte nicht geeignet, er habe sich bereits unter den Köpfen des Landes umgesehen nach ein paar geeigneten Nachfolgern, und bei diesem möglichst rasch zu vollziehenden Wechsel wäre er sogar selbst bereit, in die Regierung einzutreten und die volle Verantwortung zu übernehmen.

Der Regierungschef würde wahrscheinlich dem Amtsdiener einen Wink geben, um das Narrenhaus anzurufen, damit der Petent rasch und unauffällig dorthin gebracht würde. Wieso ist das in Österreich anders? Sehr einfach, weil sich der Petent als ein Parlamentär geriert, der, auf sein mageres Fähnlein weisend, andeutet, daß weiter hinten, dem Auge noch unsichtbar, noch weit stärkere Kräfte mit der schweren Artillerie heranrollen.

Deshalb wird Herr Fischer bei diesem Vorgang ernst genommen. Und darin liegt die eigentliche und hauptsächlichste Bedeutung dieser Aktion. Der Streit, wer was gesagt hat, ist völlig belang- und bedeutungslos. Wer von uns hat in der Hitze der Diskussion nicht schon eine unfundierte, vorschnelle Redewendung gebraucht? Es erweist sich nur, daß jedes mit einem Vertreter dieser Partei gewechselte Wort eines Tages als moralische Mordwaffe auftauchen kann. Entscheidend ist, daß Herr Fischer diese Dinge aufs Tapet gebracht hat. Ob er dabei brutal mit der Faust auf den Tisch gehauen oder augenzwinkernd mit der Zigarette gewinkt hat, ist völlig belanglos. Wie diese Zusammenkunft zustande gekommen ist, ist gleichfalls nebensächlich. Entscheidend ist, daß der Bundeskanzler dieses Ansinnen sofort und entschieden zurückgewiesen hat ...

Die Reaktion in der Bevölkerung war denn auch denkbar günstig. In verhältnismäßig kurzer Zeit trat wieder Ruhe ein. Das Intermezzo führte schließlich ganz gegen die Absicht seiner Urheber zu einer wesentlichen Festigung der politischen Linie der österreichischen Regierung. Man brauchte sich also auch nicht weiter zu wundern, daß die ganze Wut der Kommunisten sich gegen das Außenamt richtete. Als ich an einem der kommenden Abende, um meine Gedanken zu ordnen, zu Fuß nach Hause ging, fand ich zwei bis an die Zähne bewaffnete Polizeiposten in Stahlhelmen vor. Welchem Umstand hatte ich diesen verstärkten Schutz zu verdanken? In jeder kommunistischen Großversammlung wurde bei Nennung meines Namens gebrüllt: „Aufhängen, aufhängen!“

Inzwischen hatten sich die Ereignisse in Ungarn überstürzt. Ministerpräsident Nagy mußte aus dem Land fliehen, die Illusionen der Kleinen Landwirte-Partei waren in Scherben gegangen. Die Kommunisten hatten rücksichtslos die Macht ergriffen. Nun begann allmählich auch dem Einfältigsten aufzudämmern, daß man mit einer Partei, die nach Diktatur und Alleinherrschaft strebt, nicht politische Abmachungen eingehen kann, die diese doch immer nur als taktische Mittel benützen würde, um sich selbst in den Sattel zu setzen und die anderen mit totaler Gewalt zu vernichten.

[*Der Autor bemerkt in einem Vorwort zur 2. Auflage: „Diese Zusamımenkünfte fanden nicht regelmäßig, sondern nur zweimal statt.“

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Februar
1966
, Seite 91
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Karl Gruber:

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