FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1964 » No. 128
Friedrich Torberg

Im memoriam Hans Moser

(† 19. Juni 1964)

Sie hießen „Die Budapester“, weil sie ursprünglich aus lauter Budapestern bestanden und weil das Theater, in dem sie ihre Schwänke und Soli darboten, sich ursprünglich in Budapest befand. Übrigens wurde damals, vor 1914, auch in Budapest jeweils einer der drei Einakter des Programms in deutscher Sprache gespielt, oder, um es vorsichtiger auszudrücken: in jenem ans Deutsche anklingenden Verständigungsmittel, auf das sich der mährisch-ugrische Kulturkreis mit der Wiener Kultusgemeinde geeinigt hatte — und das vom richtigen Jiddisch, wie es im Osten der Monarchie gesprochen wurde, ebenso weit entfernt war wie vom richtigen Deutsch. Es war ein durchaus eigener, auf ganz bestimmte Landschafts- und Gesellschaftsschichten beschränkter Jargon, den man oft schon in Prag nur unter Zuhilfenahme eines Brünner Dolmetschers verstand und den man in Hietzing, ja wohl gar in den besseren israelitischen Kreisen des neunten Bezirks, nicht minder verachtete als in Lemberg oder Czernowitz (wenn auch aus anderen Gründen).

Das also waren die „Budapester“, und die habe ich nicht mehr gekannt. Die kenne ich nur aus schwärmerischen Erzählungen. An ihren Star, den 1925 verstorbenen Heinrich Eisenbach (den Karl Kraus für einen der größten Schauspieler seiner Zeit gehalten hat), kann ich mich zwar aus meiner frühreifen Jugend noch recht genau erinnern, aber ich habe ihn nur auf regulären Bühnen spielen sehen, und selbst als „Budapester“ war er kein ganz echter „Budapester“ mehr, sondern eigentlich der Star eines schon in Wien ansässigen Ensembles, das von der Originaltruppe außer dem Namen und dem Jargon nur die eine oder andre schauspielerische Auffrischung bezog. Dieses Ensemble, nach Eisenbachs Tod hauptsächlich auf Armin Springer, Sándor Rott, Armin Berg und Paula Walden gestützt, hat unter wechselnden Bezeichnungen und in wechselnden Heimstätten noch bis 1938 gespielt. Und diesem Ensemble habe ich die ersten Begegnungen mit Hans Moser zu danken.

Bei den „Budapestern“ — nennen wir sie so, obgleich sie selbst im letzten Jahrzehnt ihres Bestehens sich nicht mehr so genannt haben — gab es zwei Rollenfächer, die nie mit Budapestern im eigentlichen, jargongebundenen Sinn besetzt wurden: das Fach des draufgängerischen Liebhabers und das Fach jedweder manuellen Arbeitsleistung. Jenes wurde irgendeinem zweitklassigen Vorstadt-Beau anvertraut, dieses — mochte sich’s nun um einen Gärtner, einen Feuerwehrmann oder einen Pompfuneberer handeln — war eine Zeitlang die unumstrittene Domäne Hans Mosers. Es wurde überhaupt erst durch ihn zur Domäne. Denn vorher gab’s da nichts zu dominieren. Und wer sich der strengen, fast schon an die Commedia dell’arte gemahnenden Typologie des Jargonlustspiels entsinnt, wird ermessen können, was es heißt, bei den „Budapestern“ in diesem vernachlässigten Rollenfach Karriere zu machen. Er wird auch den vehementen Theaterinstinkt würdigen, der dort obwaltete und der es zuließ, daß Hans Moser seine Handlanger-Figuren vom Rande des Geschehens immer mehr in den Mittelpunkt rückte, bis zur eindeutigen Szenenbeherrschung, bis die Hausdichter des Theaters eigene Moser-Rollen zu schreiben begannen und bis es geschehen konnte, daß der Armenrat Pomeisl, der nur als Aufputz zur Hochzeitstafel des protzigen Parvenus geladen war, sie plötzlich zentral überwuchtete. Unvergeßlich, wie Hans Moser, eben noch intensiv mit dem Essen beschäftigt, auf die lässig hingeworfene Konversationsfrage des Hausherrn: „Na, Herr Armenrat, und was tut sich in Ihrer Branche?“ langsam das Besteck hinlegt, wie er mit zwinkerndem Luchsauge die Chance wahrnimmt, das Gespräch an sich zu reißen, wie er mit immer neuen, immer unerwünschteren Auskünften den vergebens nach Hilfe spähenden Fragesteller umfängt, überwältigt, erdrosselt und völlig lahmlegt — was dann die fürchterlichsten Folgen für die mühsam aufgebaute Sozialstruktur der Tafel und für die ganze Handlung hat. (Es war dieser Sketch, der mich bis heute davon träumen läßt, als Gegenstück zur „Hamburgischen Dramaturgie“ eine Art „Budapester Dramaturgie“ abzufassen und ihren Einfluß auf die später in aller Welt erfolgreiche panmagyarische Schule des Marton-Verlages nachzuweisen. Vielleicht ist mir das noch einmal vergönnt.)

Oder der arme, ehrsame Uhrmacher, dem sein Gehilfe immer wieder beizubringen versucht, daß er’s nie zu etwas bringen würde, wenn er kleine Reparaturen so billig durchführt, statt sie, deren Schwierigkeit doch niemand kontrollieren kann, als möglichst kostspielig hinzustellen. In die Tochter des redlichen Mannes aber — auf die der Gehilfe, in idealer Verknüpfung der Liebesgeschichte mit der Haupt- und Staatsaktion, ein Auge geworfen hat — ist der Sohn eines stinkreichen Fabrikanten verliebt und will sie heiraten. Und natürlich erscheint dieser Fabrikant eines Tages inkognito im Uhrmacherladen, um sich den künftigen Brautvater näher anzusehen. Und reicht ihm die natürlich vollkommen intakte goldene Taschenuhr zur Prüfung. Unvergeßlich, wie Hans Moser, vom teuflischen Gehilfen ermuntert, mit eingeklemmter Lupe zum inneren Kampf antritt und sich ein immer besorgteres Kopfschütteln abringt: „Ts, ts, ts ... so eine schöne Uhr was das is ... und bitte gar nicht in Ordnung!“ Unvergeßlich, wie er als Sarglieferant irrtümlich in eine Hochzeitsgesellschaft gerät statt zur Trauerfeier, und wie seine Fassungslosigkeit über die allseits herrschende Frohlaune sich erst am Anblick der schluchzenden Brautmutter beschwichtigt, der er denn auch mit einem herzlich befriedigten „So g’hört’s es sich!“ auf die Schulter klopft. Unvergeßlich noch vieles, vieles andre aus jener Zeit, die ihm schließlich den unerhörten Triumph einbrachte, daß die Budapester Hausautoren für ihn, den Ganzundgarnicht-Budapester (der freilich eine ergiebige Lehrzeit an östlichen Provinzbühnen hinter sich hatte) sogar eigene Jargonrollen schrieben, darunter den Nachtbankier, den Heiratsvermittler und den Krankenkassenpatienten. Von diesem Ritterschlag war es dann nur noch ein Schritt zur Erhebung in den Reinhardtstand ...

Was Hans Moser nach seinem Abgang von der Jargonbühne alles gespielt und geleistet hat, angefangen von den Komikerrollen in den dritten Akten der Kálmán-Operetten bis zum König Menelaus in Offenbachs „Schöner Helena“, vom „Fürwitz“ in Hofmannsthals „Großem Salzburger Welttheater” bis zum Hausdiener Melchior und zum Schuster Pfrim bei Nestroy, vom Musiker Weyring in Schnitzlers „Liebelei“ und dem „Hohen Alter“ in Raimunds „Bauer als Millionär“ bis zum Himmels-Offizial in Molnárs „Liliom“, dem letzten Bühnenauftritt des damals schon 82jährigen, über dem wahrhaftig ein nicht mehr ganz irdisches Leuchten lag —: das alles muß hier nicht im Detail aufgezählt werden, so wenig wie die Titel der zahllosen Filme, denen er die eigentliche Breitenwirkung seines Ruhms verdankt und von denen er doch keinen einzigen gebraucht hätte, um sich im Gedächtnis seiner Zeitgenossen als der größte und menschlichste Repräsentant jenes Genres zu verankern, welches mit der Bezeichnung „Volkskomiker“ höchst unzulänglich etikettiert ist. Er war neben Max Pallenberg die einzig wirklich unverwechselbare und unersetzliche Erscheinung am komischen Rundhorizont des deutschsprachigen Theaters, und es hat etwas auf sich, daß eine um 1930 in Umlauf gesetzte Anekdote, wenn sie nicht über Pallenberg erzählt wurde, nur über Hans Moser erzählt werden konnte: bei einem Faschingsfest, so hieß es, sei eine Preiskonkurrenz für die drei besten Moser-Imitationen veranstaltet worden, und Hans Moser, maskiert wie alle übrigen Teilnehmer, habe den dritten Preis gewonnen. Tatsächlich gab es um jene Zeit im weiten Bühnenumkreis niemanden, der nicht sofort mit einer Moser-Imitation zur Hand gewesen wäre, und tatsächlich hatte der Begriff Hans Moser so selbstherrliche Gestalt angenommen, daß er die wirkliche beinahe auszustechen drohte. Hans Moser war schon zu Lebzeiten eine Legende.

Sollten Schallplatte, Film und Fernsehen sich einst vor Gottes Thron für all den Unfug verantworten müssen, den sie auf Erden angerichtet haben, dann werden sie geltend machen dürfen, daß uns mit ihrer Hilfe doch etwas Wirklichkeit von der Legende Hans Moser erhalten geblieben ist. Schade nur, jammerschade, daß sie von den Anfängen, vom sozusagen prä-legendären Hans Moser, nichts aufbewahren konnten. Darum ist hier, mit notwendig kargen Mitteln, versucht worden, seine Anfänge wenigstens nicht ganz in Vergessenheit geraten zu lassen. Es wäre ihm nämlich — ich weiß es aus wehmütiger Erinnerung an ein letztes Gespräch mit ihm — gar nicht recht, wenn das geschähe. Er hat nämlich an seine Anfänge gern und getreu und hingebungsvoll zurückgedacht, mit aller Hingabe des echten, großen Komödianten, der er Zeit seines Lebens war.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
August
1964
, Seite 388
Autor/inn/en:

Friedrich Torberg:

1908 in Wien geboren, war Erzähler, Essayist, Kritiker und Übersetzer. Bis 1938 als Publizist und Theaterkritiker in Prag und Wien tätig, flüchtete über die Schweiz nach Frankreich und 1940 in die USA, wo er als Drehbuchautor in Hollywood und New York lebte. 1951 Rückkehr nach Wien; 1954 Mitbegründer und bis 1965 Herausgeber des FORVM, Herausgeber der Werke von F. von Herzmanovsky-Orlando. Torbergs Bekanntheit gründet sich vor allem auf den Roman Der Schüler Gerber hat absolviert und die beiden Erzählbände um die Tante Jolesch. Torberg erhielt 1976 das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst, 1979 den Großen Österreichischen Staatspreis. Friedrich Torberg starb 1979 in Wien.

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