FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1964 » No. 122
Josef Klaus

Ich kann und will nicht Richter sein

I.

Sie fragen nach der Schuld. Ich will Ihnen mit einigen Gegenfragen antworten:

Gibt es eine menschliche Auseinandersetzung, an der im Anfang und späterhin ein Teil und nur dieser eine Teil und überhaupt nicht der andere Schuld trägt? Und: sollen Ihre Fragen der heutigen politischen Auseinandersetzung oder der Erforschung der Wahrheit dienen? Wenn ich letzteres annehme: glauben Sie der Wahrheit zu dienen, wenn Sie Personen, die aktiv im politischen Leben stehen, nach Schuld und Nichtschuld ihrer Vorgänger und der Vorgänger ihres politischen Gegners fragen? Muten Sie einem sozialistischen Politiker das sacrificium intellectus zu, seine Freunde als nicht demokratisch zu bezeichnen, verlangen Sie von einem christlichen Politiker, daß er seine Freunde Faschisten nennt? Oder ist Ihnen damit gedient, daß jeder die alten Verdammungsurteile über den anderen aus der Schublade zieht?

Die Wahrheit ist ein hohes Gut. Ich bekenne mich zur Wahrheit, sowohl im politischen Tagesstreit als auch bei der Ermittlung historischer Tatsachen. Aber wenn man die Wahrheit feststellen will, dann muß man sich dazu adäquater Methoden bedienen. Die adäquate Methode zur Beantwortung Ihrer Frage ist die der Geschichtsforschung. Ein nüchterner Gelehrter mag, nach intensivem Studium der Quellen, vielleicht zu einem Urteil über das Verschulden an den tragischen Ereignissen des Februar 1934 gelangen. Ich kann und will nicht Richter sein.

Schicken wir uns doch nicht an — ich zitiere den Wiener Kardinal — in unserem österreichischen Kellertheater unsere traurigen Streitstücke von gestern und vorgestern zu wiederholen, während droben auf der Bühne der Welt das Drama der Zukunft in Szene geht! Wollen wir jetzt den Kampf der Väter weiterführen, wollen wir die Toten zu Zeugen anrufen, daß ihr Kampf uns nicht befriedet, ihr Sterben uns nicht versöhnt hat?

II.

Wenn Menschen mit höchstem und letztem Einsatz für ihre Ideale kämpften, ja ihr Leben dafür hergegeben haben, dann ist es an uns Heutigen, uns an den Gräbern, an allen Gräbern, zu verneigen. Wir achten die Überzeugung der Toten, die damals, die einen wie die anderen, die Überzeugung der Lebenden vielleicht nicht immer genug geachtet haben. Anerkennen müssen wir eines: auf beiden Seiten standen einander Männer gegenüber, denen es nicht nur um materielle Interessen und Gruppenvorteile, sondern auch und vor allem um Grundsätze und um ihre weltanschauliche Überzeugung gegangen ist. Daß die, die damals geschichtlich handelten, zwischen ihren Grundsätzen und den Bedürfnissen des Zusammenlebens nicht vermitteln konnten, daß sie die Synthese von Überzeugung und Toleranz nicht gefunden haben, darin liegt die Tragik des Februar 1934.

III.

Ich halte eine Wiederholung der Ereignisse vom Februar 1934 nicht für möglich. Ich bin der Überzeugung, daß die österreichische Bevölkerung die Lehre aus jenen Tagen gezogen hat, und ich habe die feste Hoffnung, daß auch alle Politiker dieser Lehre entsprechen wollen. Als Österreich wiederaufgebaut wurde, da haben Karl Renner und Leopold Figl, Johann Böhm und Leopold Kunschak, Julius Raab und Adolf Schärf und noch viele andere ein Beispiel dafür gegeben, daß auch die schwersten Aufgaben gelöst werden können, wenn man bereit ist, das Trennende zurückzustellen und, bei aller Treue zu den eigenen Grundsätzen, im anderen nicht den Feind, sondern den Partner zu sehen.

Es gibt keine Demokratie ohne Demokraten. Zu einem Demokraten gehört, daß er den Andersgesinnten nicht verteufelt und ihm nicht von vornherein demokratische Gesinnung abspricht. Zu einem Demokraten gehört aber auch, daß er den Willen der Wähler respektiert. In diesem Sinne ist die ÖVP, und nur für sie kann ich sprechen, eine demokratische Partei.

Wenn die politischen Kräfte in diesem Lande sich dazu finden, die Spielregeln der Demokratie zu beachten, die Meinung des Anderen zu respektieren und über dem Gegeneinander der legitimen politischen Konkurrenz nicht die Pflicht zum Miteinander in der gemeinsamen Republik und für das gemeinsame Vaterland vergessen, dann sind die Opfer jener Februartage nicht umsonst gestorben.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Februar
1964
, Seite 83
Autor/inn/en:

Josef Klaus:

Dr. jur., Bundesparteiobmann der Österreichischen Volkspartei, ehemals Landeshauptmann von Salzburg und Bundesminister für Finanzen.

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