FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1968 - 1981 » Jahrgang 1975 » No. 261
Alfred Dallinger

Frischluft nur für den Computer?

Wie die Gewerkschaft die Maschinen zähmt

Alfred Dallinger ist Vorsitzender der mitgliederstärksten Gewerkschaft im Österreichischen Gewerkschaftsbund, jener der Privatangestellten. Er hat dort auf eine Weise, die in der internationalen Gewerkschaftsbewegung vielfach zum Vorbild wurde, die Einrichtung einer eigenen Abteilung für Automation veranlaßt, die unter Leitung von Dipl.-lng. Alfred Margulies steht. Der nachfolgende Text beweist, daß bei Dallinger nicht bloß pragmatische, sondern prinzipielle, gesellschaftskritische und gesellschaftsverändernde Erwägungen ins Spiel kommen. Und das ist selten in der oft allzu „realistischen“ Gewerkschaftsorganisation. G. N.

... weicht unsere Ansicht über die Gesellschaft von dem Gesellschaftsideal ab, das von vielen Faschisten, erfolgreichen Geschäftsleuten und Politikern vertreten wird. Menschen dieser Art ziehen eine Organisation vor, in der alle Information von oben kommt und keine zurückgeht. Die ihnen unterstehenden Menschen werden herabgewürdigt zu Werkzeugen für einen vorgeblich höheren Organismus ... Es ist einfacher, eine Galeere oder eine Fabrik in Gang zu setzen, die menschliche Individuen nur mit einem geringen Bruchteil ihres Wertes beansprucht, als eine Welt zu schaffen, in der sie sich voll entfalten können. Die Machtsüchtigen glauben, die Mechanisierung des Menschen sei ein einfacher Weg zur Verwirklichung ihres Machtkomplexes. Ich behaupte, daß dieser bequeme Weg zur Macht in Wirklichkeit nicht nur alle ethischen Werte der Menschen zerstört, sondern auch unsere heute sehr geringen Aussichten für einen längeren Bestand der Menschheit vernichtet.

Norbert Wiener: Human Use of Human Beings, 1949

Die Entwicklung der Kommunikationsmittel hat keine entsprechende Entwicklung gegenseitiger Kommunikationsmöglichkeiten ausgelöst. Insbesondere der Computer ist in noch viel stärkerem Maße als vor 25 Jahren ein Werkzeug der Informationsmonopolisierung geworden, statt zur Demokratisierung von Information zu führen.

Gewerkschaftsauge ist wachsam

Als Gewerkschafter dürfen wir für uns in Anspruch nehmen, schon sehr früh auf diese Probleme hingewiesen zu haben. Bereits 1953 wurde vom Kongreß der amerikanischen Automobilarbeiter-Gewerkschaft eine Resolution angenommen; mehrere amerikanische Gewerkschaften begannen um diese Zeit eingehende Untersuchungen über die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Automation.

Auch in Großbritannien waren es zunächst die Automobilarbeiter, die auf die Gefahren der Automation aufmerksam wurden und die Öffentlichkeit aufmerksam machten. 1954 leitete der TUC mit Hilfe eines „Wissenschaftlichen Beratungsausschusses“ Untersuchungen ein, die zu einer Entschließung des Gewerkschaftskongresses 1955 führten.

Die Gewerkschaften der Bundesrepublik begannen 1956 sich eingehender mit diesen Fragen zu befassen. Insbesondere die IG-Metall hat mit der Schaffung einer eigenen Abteilung „Automation und Kernenergie“ unter der Leitung von Doktor Günter Friedrichs und später durch die von ihm veranstalteten internationalen Arbeitstagungen wichtige Impulse gegeben.

Der Österreichische Gewerkschaftsbund hat sich auf seinem Bundeskongreß im Jahre 1959 sehr eingehend mit den Fragen der Automation beschäftigt. In einer Resolution wurde einerseits das Bekenntnis zur technischen Entwicklung unterstrichen („Die Arbeiter und Angestellten sind nicht Gegner des technischen Fortschritts“), anderseits aber auch die Forderung nach einer Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei allen diesbezüglichen Entscheidungen erhoben; nur so ist es nach unserer Auffassung möglich, die Gefahren abzuwehren und die Vorteile der Automation in materieller, sozialer und humaner Hinsicht für die Arbeitnehmer wirksam zu machen.

Ich glaube, daß eine Differenzierung der Gewerkschaften in „brave“ und „böse“, in solche, die den technischen Fortschritt bejahen und solche, die sich nur für höhere Löhne interessieren, ein wenig ungerecht ist. Keine Gewerkschaft, die ihre Aufgabe, Interessenvertretung der Arbeitnehmer zu sein, ernst nimmt, kann technischen Veränderungen bedingungslos zustimmen. In jedem Fall muß die Frage nach den Konsequenzen dieser Veränderungen gestellt werden, in jedem Fall wird die Antwort auf diese Frage das Verhalten der Gewerkschaften maßgeblich beeinflussen.

Strukturelle Arbeitslosigkeit durch Automaten?

Erinnern wir uns, daß am Beginn der Anwendung von Datenverarbeitungs-Anlagen die Einsparung von Arbeitskräften das erklärte und vordringliche Ziel der Hersteller, Verkäufer und Benutzer von Computern war. Naturgemäß wurde die Sorge um den Arbeitsplatz zum beherrschenden Thema aller Überlegungen und Maßnahmen der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter. War bis etwa 1950 Gleichgültigkeit, genährt vom Unglauben an einen umfassenden und raschen Vormarsch des Computers, kennzeichnend für die allgemeine Stimmung, so änderte sich dies mit der spektakulären qualitativen und quantitativen Entwicklung. Automation wurde zum Synonym für Sorge und Furcht.

Nachrichten aus verschiedenen Ländern erhärteten diese Einstellung. Millionen Dauerarbeitslose in den USA, Massenentlassungen in der englischen Autoindustrie, gigantischer Produktivitätszuwachs, Beispiele von Computeranwendungen, bei denen Dutzende Angestellte eingespart wurden — all das widerlegte die Prognose vieler Beruhigungsapostel, wonach die Automation nur wenige Wirtschaftszweige erfassen, nur langsam vorankommen und nur wenige Arbeitsplätze betreffen werde.

Nur der anhaltenden Konjunktur und der durch die Gewerkschaft unterstützten Vollbeschäftigungspolitik war es zu danken, daß die Automatisierungswelle in den meisten Ländern ohne allzugroße Arbeitslosigkeit aufgefangen werden konnte.

Immerhin ist die Beschäftigtenzahl in der Industrie der BRD zwischen 1962 und 1972 mit rund 8,34 Millionen unverändert geblieben, während die Produktion im gleichen Zeitraum (zu konstanten Preisen gerechnet!) um 64 Prozent gestiegen ist. Wäre die Produktion gleich geblieben, dann gäbe es in der Bundesrepublik drei bis vier Millionen Arbeitslose als Folge der Automation. Diese Zahlen beweisen die Labilität unseres Wirtschaftssystems und die latente Gefahr technologischer Arbeitslosigkeit.

Selbst bei Erhaltung globaler Vollbeschäftigung bleibt die Sorge um den Arbeitsplatz im einzelnen bestehen. Hinter der zitierten Gesamtzahl von 8,34 Millionen Beschäftigten in der bundesdeutschen Industrie verbirgt sich eine Verschiebung von Arbeitskräften zwischen 24 Industriezweigen mit rückläufiger Beschäftigtenzahl (Rückgang 1962 bis 1972 rund 600.000) und elf expandierenden Industriezweigen, die 1972 rund 600.000 Arbeitnehmer mehr beschäftigten als 1962. Aber nicht nur diese 600.000 mußten umsatteln. Auch innerhalb dieser Industriegruppen gehen ständige Verschiebungen vor sich, ebenso innerhalb einzelner Betriebe, ja sogar innerhalb einzelner Abteilungen.

Wer bei der raschen Entwicklung der Technik nicht mitkommt, muß schaun, daß er weiterkommt. Das gilt für den Buchhalter oder Lohnverrechner, dessen Arbeit der Computer übernimmt, das gilt für den Programmierer, dessen Kenntnisse bald veralten, indem Software-Systeme, Betriebssysteme und Computer-Sprachen neu entstehen, das gilt für die einfache Locherin, die durch neue Methoden der Datenerfassung verdrängt wird.

Selbst bei bester Beschäftigungslage bleiben die älteren Arbeitnehmer bei dieser Wanderung auf der Strecke. Wenn man früher sagte „das Leben beginnt mit 40“, dann muß man heute feststellen, daß das Leben mit 40 endet, jedenfalls für den, der in diesem Alter einen neuen Posten suchen muß. Die Altersstruktur einer Österreichischen Computervertretung zeigt eine typische Verteilung (siehe Schaubild).

Fast 80 Prozent der Beschäftigten sind unter 35; nimmt man noch die Altersgruppe 35-45 dazu, dann sind 94,1 Prozent der Angestellten dieser Firma erfaßt. Die restlichen Altersgruppen (hier mit knapp sechs Prozent vertreten) stellen aber ein Viertel der österreichischen Bevölkerung!

Der Saldo einer konstanten Beschäftigtenzahl gibt also nur ein sehr oberflächliches Bild, mit dem sich die Gewerkschaft nicht zufriedengeben darf. Auch die Millionen (oder, auf Österreich umgelegt: Zehntausende) Versetzungen mit ihren weitreichenden sozialen, materiellen und psychologischen Implikationen für den Betroffenen sind unser Problem.

Langfristige Personalplanung unter Mitwirkung der Arbeitnehmervertreter gleichzeitig mit allen anderen Planungsmaßnahmen bei Einführung oder Veränderung eines Computer-Systems sind deshalb eine vordringliche Forderung. Nur so können Nachteile für den Angestellten vermieden und Umstellungsschwierigkeiten überwunden werden, nur so kann anderseits erreicht werden, daß der notwendige Schutz der Angestellten den Betriebsrat nicht zu einer völlig negativen Haltung gegenüber technischen Innovationen zwingt.

Der Traum vom Programmierer-Job

Als die österreichischen Gewerkschaften begannen, sich mit den Problemen der Automation zu befassen, da gab es in Österreich erst eine Handvoll EDV-Anlagen, dafür aber umso mehr Fachleute, die nachzuweisen versuchten, daß es hier nie zu einer nennenswerten Automation kommen würde. Und es gab nicht wenige Leute, die das auch glaubten.

Der bald darauf einsetzende Computer-Boom, jährliche Zuwachsraten von 20, 30 Prozent und mehr brachten ein großes Umdenken sowohl bei den Arbeitnehmern wie bei den Unternehmern. Die Einsparung von Arbeitskräften als Motivation für die Anschaffung eines Computers trat in den Hintergrund gegenüber der Erweiterung von Kapazität und Leistung des Unternehmens, Bewältigung des gestiegenen Arbeitsanfalls, Verbesserung des Informationssystems. Aus dem Elektronenrechner wurde die Datenverarbeitung.

Etwa zur gleichen Zeit wandelte sich die Einstellung der Öffentlichkeit. Zwar wurden Furcht und Unbehagen nie ganz beseitigt (ebenso wie die Einsparung von Arbeitskräften nie von der Wunschliste der Unternehmer verschwunden ist), doch entstand zusätzlich ein starkes Bedürfnis, mehr über diese neue Technik zu erfahren. Damals wuchsen eine große Zahl von — nicht immer seriösen — Institutionen aus dem Boden, die EDV-Ausbildung anboten und Uninformierten sehr viel Geld herauslockten, ohne daß ihre hochgespannten beruflichen und finanziellen Erwartungen erfüllt wurden. Es dauerte geraume Zeit, bis von öffentlichen Stellen (Ministerien, Kammern) und von den Gewerkschaften ein firmenunabhängiges und nicht profitorientiertes Kursangebot erstellt und die Öffentlichkeit vor den Gefahren privater Ausbildungsinstitute genügend gewarnt werden konnte.

Darüber hinaus bot und bietet die Gewerkschaft ihren Funktionären und Betriebsräten Informationskurse, in denen sie mit den Grundbegriffen und der Funktionsweise von Computern vertraut gemacht werden. Auch diese Kurse finden lebhaften Zuspruch, ebenso regelmäßige Vortragsveranstaltungen über „Neues aus der Datenverarbeitung“, die gemeinsam mit der Technischen Hochschule oder in unserem „Automationsklub“ durchgeführt werden.

Gleichzeitig beschäftigt uns das Problem der Arbeitsbedingungen und der Arbeitsplatzgestaltung für das EDV-Personal. Allzuviele Fälle gibt es, in denen beim Bau (oder Umbau) von Räumen für die EDV-Anlage offenbar vergessen wird, daß neben dem Computer auch Menschen arbeiten, die entsprechende Arbeitsräume, Sitze, Beleuchtung, Raumklima, keine Lärmbelästigung und ausreichende Erholungspausen benötigen. Leider gehört es noch immer zur Regel, die Klimaanlage für die Bedürfnisse des Computers auszulegen, während die Menschen Zugluft, Trockenheit und ähnliche Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen sollen. Eine umfangreiche Untersuchung der Arbeitsbedingungen für Locherinnen, die wir vor zwei Jahren durchgeführt haben, hat diesbezüglich erschreckende Ergebnisse gebracht.

Derzeit beschäftigen wir uns, in Zusammenarbeit mit verschiedenen Hochschulinstituten, mit der Untersuchung der Augenbelastung bei Arbeiten an Bildschirmgeräten. Die Verwendung dieser Geräte ist bei uns noch im Anfangsstadium, und wir hoffen aufgrund der Untersuchungsergebnisse Richtlinien und Grenzwerte für diese Arbeiten so zeitgerecht vorschlagen zu können, daß sie gleich bei Einführung des Bildschirms berücksichtigt werden können.

Daß die meisten unserer Kontrahenten auf Unernehmerseite bemüht sind, uns Informationen vorzuenthalten, so lange es geht, und uns von Entscheidungen auszuschalten, so weit sie können, gehört auf ein anderes Blatt.

Taschen-EDV für jedermann

Die Entwicklung des Computers ist bei weitem nicht abgeschlossen, sie geht in unvermindert raschem Tempo weiter. War der Computer ursprünglich als Instrument großer wissenschaftlicher Vorhaben gedacht (1945-1970), ist er jetzt (1955-1980) überwiegend Werkzeug des Managements, so kommt er in der nächsten Periode (1970-1990) immer mehr für gesellschaftliche Aufgaben zur Anwendung, um zwischen 1980 bis 2000 individuelles Werkzeug des einzelnen zu werden.

Der Computer, als verbesserte Rechenmaschine betrachtet, hat zunächst die Durchführung einzelner Aufgabenbereiche übernommen, ohne an der Struktur der Arbeitsorganisation oder am Charakter der Tätigkeiten anderer Abteilungen wesentliches zu ändern. Vielfach blieb die EDV-Abteilung eine Art Fremdkörper im Betrieb, ein wenig elitär, ein wenig geheimnisumwittert, aber das tägliche Geschehen kaum spürbar beeinflussend. Das hat sich seither grundlegend geändert.

In vielen Betrieben gibt es keine wichtige Abteilung mehr, die nicht dem Computer Informationen liefert, verarbeitete Informationen vom Computer erhält, in der einen oder anderen Form den Computer benützt. Damit ist der Personenkreis, der direkt oder indirekt mit dem Computer zutun hat und dessen Tätigkeit durch das EDV-System sowie die damit zusammenhängenden organisatorischen Maßnahmen verändert wurde, wesentlich größer geworden. Umgekehrt ist der Computer viel mehr als früher von Menschen abhängig, die eine pragmatische Beziehung zum Computer haben und über keine gründliche EDV-Ausbildung verfügen, sich daher der Tragweite von Fehlern oder Ungenauigkeiten nicht bewußt sind. Das birgt die Gefahr großer Schwierigkeiten, die sich im Extremfall bis zu einem Versagen des Systems steigern können. Gleichzeitig aber bietet sich hier die große Chance, einer Humanisierung der Arbeit ein entscheidendes Stück näher zu kommen.

Das Industriesystem unserer Zeit, das mit der industriellen Revolution des 18. und 19. Jahrhunderts, mit der Schaffung der materiellen Basis des Kapitalismus begann, war (und ist) gekennzeichnet durch eine gigantische Entwicklung der Arbeitsmittel (Werkzeuge, Maschinen, Arbeitsverfahren und Energiequellen) bei gleichzeitigem Zurückbleiben der Entwicklung des Menschen. In den vorindustriellen Epochen war die schwere physische Arbeit der Hauptfaktor der Produktion. Aber auch damals schon erforderte jeder Produktionsprozeß neben einer physischen auch eine geistige Arbeitsleistung, doch in der Regel war es der Produzent selbst, der seine eigene Arbeit plante, vorbereitete, ausführte und abschloß — geistige und körperliche Arbeit waren eine Einheit, die eine gewisse Entfaltung der Persönlichkeit, eine gewisse schöpferische Tätigkeit verlangten und ermöglichten.

Im Gegensatz dazu führte die fabriksmäßige Massenproduktion der industriellen Epoche zu einer immer weiter gehenden Arbeitsteilung, zu einer Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit. Der zunehmende Anteil schöpferischer Tätigkeit blieb einer relativ kleinen Schicht von höheren Angestellten vorbehalten, während die Masse der Produktionsarbeiter und der Angestellten zum Anhängsel der Maschine wurde, ihre Tätigkeit auf die geistlose und geisttötende Wiederholung immer gleichbleibender Aufgaben beschränkt blieb.

So verlor der arbeitende Mensch seine Persönlichkeit und seine persönliche Beziehung zur Arbeit: im Arbeitsprozeß gibt es für ihn keine Entscheidungen, jeder Handgriff ist vorgeschrieben; die Maschine, der er untergeordnet ist, gehört nicht ihm; über das Produkt, an dessen Herstellung er mitwirkt, verfügen andere; oft ist ihm nicht einmal bekannt, wie dieses Produkt aussieht, wenn es die Fabrik verläßt, oder wofür es verwendet wird.

Mit Marx gegen Seelenlosigkeit

„Selbst die Erleichterung der Arbeit wird zum Mittel der Tortur, indem die Maschine nicht den Arbeiter von der Arbeit befreit, sondern seine Arbeit vom Inhalt“, schreibt Karl Marx im „Kapital“.

In zunehmendem Maße wehren sich die Menschen gegen diese Entmenschlichung. Das elementare Bedürfnis nach Verwirklichung und Entfaltung der eigenen Persönlichkeit, nach sinnvoller, befriedigender, schöpferischer Tätigkeit tritt immer und überall in den Vordergrund, wenn die materielle Not überwunden, die materiellen Lebensnotwendigkeiten gesichert sind. Die Revolten der Fließbandarbeiter in den USA, Schweden, Italien, Frankreich gegen die Monotonie ewig gleicher Handgriffe bringen dies ebenso zum Ausdruck wie die Unruhen an den Hochschulen oder der Streik der Metallarbeiter Nordbadens für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen unter der Losung: „Der Mensch muß wichtiger sein als Produktivität und Profit.“

Die wissenschaftlich-technische Revolution unserer Zeit bietet die große Chance, die Entwicklungstendenz des Industriesystems umzukehren. Die Arbeitsteilung entspricht dieser neuen Technik nicht mehr, auch nicht der Mensch als Anhängsel der Maschine. Wo im Industriesysteem der Mensch zum Automaten wurde, dort können jetzt Automaten diese Arbeit besser, rascher, reibungsloser ausführen. Der Mensch wird vom „Bediener“ der Maschine zu ihrem Überwacher, Betreuer, Partner. Im Dialog zwischen Mensch und Maschine, im Wechselverhältnis des Mensch-Maschine-Systems findet der Mensch die ihm adäquaten Aufgaben.

Damit wird aber die Konstruktion dieses Mensch-Maschine-Systems und die Frage, welche Rolle dem Menschen zugeordnet wird, zum entscheidenden Problem, an dessen Lösung nicht nur Gewerkschafter oder Soziologen interessiert sind, sondern in zunehmendem Maße auch die Vertreter der Computerwissenschaften. Dies wohl vor allem deshalb, weil sich die Erkenntnis allmählich durchsetzt, daß Computersysteme, wenn sie funktionieren sollen, umso mehr den Menschen brauchen, je komplexer sie sind; den Menschen, nicht den gedankenleeren Knopfdrücker, sondern den denkenden, entscheidenden, bewußt handelnden Menschen.

Mitbestimmung, Herr Computer!

Warum sollte es nicht möglich sein, die Vorbereitungen für ein neues Datenverarbeitungssystem damit einzuleiten, daß man die Mitarbeiter der Benutzerabteilungen über die Qualitäten, Möglichkeiten und Grenzen des Systems informiert und sie dann ersucht, in kleinen Arbeitsgruppen Überlegungen darüber anzustellen, welchen Teil ihrer Arbeit sie gerne dem Computer zuweisen würden und welche andere Aufgabe sie statt dessen in ihr Arbeitsgebiet einbeziehen wollen. Ich weiß nicht, wie gut die Lösungsvorschläge sein werden, die von solchen Arbeitsgruppen kommen, ich bin sicher, daß auch nicht alle Angestellten von einer solchen Aufgabe begeistert sein werden, wie man ja überhaupt auch den Wunsch und die Fähigkeit zu schöpferischer Arbeit nicht blind verallgemeinern darf. Die Chance zu schöpferischer Arbeit soll aber allen geboten werden.

Und wenn ich an den Prozentsatz der schlecht arbeitenden und falsch eingesetzten Datenverarbeitungsanlagen denke, dann habe ich das Gefühl, daß eine solche Vorgangsweise eigentlich nur Verbesserungen bringen kann.

Wenn wir von Humanisierung der Arbeit sprechen, sollten wir uns auch gegenüber zwei Mißinterpretationen abgrenzen. Die eine, die darin nur ein Werkzeug zur Erhöhung der Produktivität und letztlich des Profits sieht. Nachdem die herkömmlichen Methoden ihre Wirksamkeit immer mehr verlieren, versucht man nun, „Bedingungen zu schaffen, unter denen der Arbeitnehmer auf Grund seines natürlichen Leistungs- und Identifikationsbedürfnisses die unternehmerischen Zielsetzungen ganz von selbst anstrebt“. So zu lesen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter dem Titel „Die sogenannte Humanisierung“.

Das andere Mißverständnis geht dahin, daß mit der Humanisierung der Arbeit nicht nur die nachteiligen physischen und psychischen Bedingungen, sondern überhaupt alle Herausforderungen, Schwierigkeiten und Probleme der Arbeit beseitigt werden sollen. Eine solche Einebnung menschlicher Tätigkeit, eine solche Trivialisierung menschlicher Zielsetzungen wäre im direkten Gegensatz zu der Erkenntnis, daß der Mensch das Bedürfnis hat, schöpferisch tätig zu sein. In diesem Fall bietet auch die Freizeit keine Kompensation, denn die Gestaltung der Freizeit ist weitgehend Fortsetzung der Arbeitszeit. Wer gezwungen ist, seinen Geist bei der Arbeit auszuschalten, seine schöpferischen Fähigkeiten zu Hause zu lassen, wenn er zur Arbeit geht, der wird nur in den seltensten Fällen Geist und Kreativität in der Freizeit einsetzen können. Nicht die „Befreiung“ des Menschen von der Arbeit, sondern die Befreiung der Arbeit von menschenunwürdigen Bedingungen ist unser Ziel.

So wie die staatliche Organisation immer nur Härten beseitigen und Chancen bieten, niemals aber alle Probleme aus der Welt schaffen kann und will, so kann und will das auch die betriebliche Organisation nicht tun. Wenn eine Arbeit interessant sein soll, dann muß sie Herausforderungen, Spannungen und Probleme beinhalten.

Deshalb steht im Zentrum der Forderungen moderner Gewerkschaften die Mitbestimmung des arbeitenden Menschen auch bei alien technischen und organisatorischen Entscheidungen: Wir wollen die Unternehmer verpflichten, ihre Angestellten (durch deren Vertretung) zeitgerecht, das heißt bereits im Planungsstadium eines Computersystems, oder noch besser, schon bei den ersten Überlegungen vor einer konkreten Planung, voll zu informieren. Wir streben ferner das Recht für die Arbeitnehmer an, in allen betrieblichen Gremien, die sich mit Planung und Entwicklung des Computersystems beschäftigen, vertreten zu sein.

Man hört oft den Einwand, daß die Betriebsräte nicht genügend Sachkenntnis für eine solche Mitbestimmung haben. Es würde genügen, sie erst dann zu informieren, wenn die sozialen Folgen klar sind, die ja erst viel später, wenn überhaupt, zur Behandlung kommen. Dem ist entgegenzuhalten, daß auch im Management Entscheidungsbefugnisse nicht immer von vollem Sachverständnis begleitet sind.

Anderseits haben die Betriebsräte, die sich in Kursen der Gewerkschaft zumindest mit den Grundbegriffen der EDV vertraut machen konnten, auch Experten der Gewerkschaft zu ihrer Verfügung, die Unterstützung und Information geben.

Das Hauptargument aber ist, daß der Betriebsrat weder die Aufgabe noch die Absicht hat, sich in technische oder organisatorische Details einzumengen. Seine Aufgabe besteht in erster Linie darin, dafür zu sorgen, daß vom ersten Augenblick der Planung an auch die Probleme des Menschen auf der Tagesordnung stehen. Seine Aufgabe ist es, die Informationen an die Betroffenen weiterzugeben und sie zu einem selbständigen Überlegen und Formulieren ihrer Forderungen zu bewegen, also dafür zu sorgen, daß die Humanisierung der Arbeit von den Arbeitenden selbst eingeleitet wird.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
September
1975
, Seite 41
Autor/inn/en:

Alfred Dallinger:

Geboren in Wien 1926, gestorben bei einem Flugzeugabsturz am Bodensee 1989. Politiker und Gewerkschafter, ab 1980 Bundesminister für soziale Verwaltung (seit 1987 Bundesminister für Arbeit und Soziales) in den Kabinetten Kreisky IV, Sinowatz, Vranitzky I und Vranitzky II. Galt als Gestalter der aktiven und experimentellen Arbeitsmarktpolitik. Eng verbunden mit dem Namen Dallingers sind die Forderung nach einer Wertschöpfungsabgabe zur Sicherung des Sozialversicherungssystems und nach der 35–Stunden-Woche sowie nach Gleichberechtigung von Frauen in der Arbeitswelt.

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