FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1982 - 1995 » Jahrgang 1989 » No. 423/424
Alfred J. Noll

Ein katholisches Land

Österreich ist — immer noch und bis auf weiteres! — ein katholisches Land; die „totale geistige Diktatur des Papstes“ [1] bedeutet deshalb direkte Einflußnahme, Beschränkung intellektueller Bewegungsfreiheit und ist ein — politisch-publizistisch zu bekämpfender — gesellschaftlicher Übelstand.

Die katholische Kirche in Österreich findet freilich in der Sozialdemokratie ihren Verbündeten: Dies läßt und ließ die „Kirchenfreundliche Trennung von Staat und Kirche“ [2] unberührt; vergißt und vergaß: daß „die Kirche mit den Christlichsozialen den Weg weg von der Republik hin zur Diktatur des autoritären Ständestaates (ging; daß) von den Bischöfen auch nur ein Nebensatz an Kritik gegenüber dem Bruch der Bundesverfassung, gegenüber den Verboten von Parteien und Gewerkschaften, gegenüber den Standgerichtsurteilen des Februar 1934 zu erwarten, Illusion gewesen (wäre; daß,) kaum war der autoritäre Ständestaat am Ende, der Kardinalerzbischof von Wien zu Adolf Hitler ins Hotel ‚Imperial‘ pilgerte.“ [3]

Mit reaktionären Politikern wie Groër, Krenn, Eder und Küng konfrontiert, bringt der Bundeskanzler noch nicht einmal eine sanfte Demarche vor: Die Regierung verstehe sich nicht „als Korrekturinstrument für die Personalentscheidungen der Kirche“. [4]

Nun ja:

Am 5.Juni 1933 wurde in Rom das „Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich“ (BGBl. II Nr. 2/1934) unterfertigt; es regelt seit 1. Mai 1934 das Verhältnis zwischen Vatikan und Österreich und gilt (mit Unterbrechung von 13. März 1938 bis 27. April 1945 und wenn man der herrschenden Lehre vertraut) bis heute. [5]

Für die Auswahl und Ernennung von Erzbischöfen und Bischöfen sowie des Prälaten Nullius sieht dessen Art. IV § 1 vor, daß sie dem Heiligen Stuhl zustehen. Darüber hinaus ist an dieser Stelle geregelt, daß bei Erledigung des erzbischöflichen Stuhles von Salzburg der Heilige Stuhl dem Metropolitankapitel in Salzburg drei Kandidaten nennt, aus denen es in freier, geheimer Abstimmung den Erzbischof zu wählen hat.

Die entscheidende — und tagespolitisch interessante — Passage enthält aber der Art. IV § 2 des Konkordats:

Bevor an die Ernennung ... geschritten wird, wird der Heilige Stuhl den Namen des in Aussicht Genommenen oder des Erwählten der österreichischen Bundesregierung mitteilen, um zu erfahren, ob sie Gründe allgemeiner politischer Natur gegen die Ernennung geltend zu machen hat. Das bezügliche Verfahren wird ein streng vertrauliches sein, so daß bis zur Ernennung die gewählte Person geheimgehalten wird. Wenn vom Zeitpunkt der oberwähnten Mitteilung an 15 Tage ohne Erteilung einer Antwort verfließen, wird das Stillschweigen in dem Sinne ausgelegt werden, daß die Regierung kein Bedenken zu erheben hat und der Heilige Stuhl die Ernennung ohne weiteres veröffentlichen kann.

Das Konkordat sieht also einen Verständigungsprozeß zwischen Kirche und Staat vor, es geht somit von einer — historisch verständlichen und fast schon „natürlichen“ — Divergenz in der Auffassung über den „in Aussicht Genommenen“ aus. Zwar erklärt das als integrierender Bestandteil des Konkordats geltende Zusatzprotokoll zunächst, „daß im Falle, als die österreichische Bundesregierung einen Einwand allgemein politischen Charakters erheben sollte, der Versuch zu unternehmen ist, zu einem Einvernehmen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Bundesregierung analog der Bestimmung des Artikels XXII Abs. 2 des Konkordates zu gelangen“; aber gleich daran anschließend: „Sollte dieser Versuch erfolglos bleiben, so ist der Heilige Stuhl in der Durchführung der Besetzung frei.“

Der Hinweis auf Art. XXII Abs. 2 ist freilich bedeutungsvoll, denn dort steht:

sollten sich in Zukunft irgendwelche Schwierigkeiten bezüglich der Auslegung der vorstehenden Artikel ergeben ..., so werden der Heilige Stuhl und die Bundesregierung im gemeinsamen Einvernehmen eine freundschaftliche Lösung herbeiführen, beziehungsweise eine einvernehmliche Regelung treffen.

Was lehrt die fast ermüdende Lektüre des Konkordatstextes bzw. des Zusatzprotokolls?

Zunächst: Der Bundesregierung sind rechtliche Mittel an die Hand gegeben, um kirchliche Würdenträger, die beim Stichwort Demokratie zuerst an „fürchterliche Auswüchse“ denken [6] oder in dieser lediglich ein „formales Instrument“ sehen, [7] weiterhin in kleinen Pfarrgemeinden predigen zu lassen. Gegen derartige Geister und die dahinter stehenden Personen „haben“ — wie es im Konkordat präzise heißt — „Gründe allgemein politischer Natur gegen die Ernennung geltend (gemacht zu werden)“. Derartige Einwände brauchen sich gar nicht aus diffus-sozialdemokratischer Moral, sondern lassen sich aus geltendem Völker- und Verfassungsrecht ableiten: So widerspricht die von Eder geforderte „Unterordnung“ der Frauen [8] dem Gestaltungsauftrag des Art. 7 StGG, der zum Abbau der Geschlechtervorrechte des Mannes verpflichtet; [9] oder es fordert eine Person wie Eder, die den „atheistischen Kommunismus als Urfeind des Friedens“ [10] denunziert, den Staat tendenziell dazu auf, gegen das völkerrechtliche Friedensgebot zu handeln etc.

Würde der Heilige Stuhl auf den „in Aussicht Genommenen“ beharren wollen, könnte die Bundesregierung unter Hinweis auf den erwähnten Art. XXII Abs. 2 des Konkordates die einvernehmliche Ernennung verlangen. Die Freiheit des Heiligen Stuhles in der Durchführung der Besetzung fände dort ihre Grenzen, wo der Heilige Stuhl das Konkordat wider „Treu und Glauben“ auslegt [11] und dadurch gemäß Art. 62 der Wiener Vertragsrechtskonvention 1969 eine Aufkündigung des Konkordates ermöglichte: Die Bundesregierung könnte beispielsweise argumentieren, daß durch den „in Aussicht Genommenen“ das Ausmaß der auf Grund des Konkordates noch zu erfüllenden Verpflichtungen tiefgreifend umgestaltet würde (clausula rebus sic stantibus [12]).

Der Blick auf das geltende Recht legt — ganz anders als dies Pelinka meinte [13] und wohl immer noch meint [13a] — tatsächliche Herrschaftsverhältnisse bloß und weist (rechtliche) Handlungsmöglichkeiten aus. Die Sozialdemokratie des Jahres 1989 ist nicht bereit, auch nur dievon den Austrofaschisten zu geltendem Recht erhobenen Bestimmungen im Kampf gegen den reaktionären Flügel der katholischen Kirche zum Einsatz zu bringen. Sie zeigt sich damit unbelehrt von den fatalen Ergebnissen katholisch-kirchlichen Handelns und Unterlassens in der Geschichte Österreichs.

Wilhelm Raimund Bayer [14] hat vor nunmehr fast 40 Jahren geschrieben: „Nur eine Gesellschaft, die eine gewisse Macht zu entfalten vermag und in sich eine gewisse Kraft beinhaltet, kann vor den Spiegel treten. Mit anderen Worten: nur eine autonome oder souveräne Gesellschaft bildet autonom oder souverän ihre Rechts-Ordnung. Nur eine solche Gesellschaft kann ihr Spiegel-Bild — das auf das Ur-Bild zurückwirkt! — ertragen. Denn es gehört Mut und Selbstsicherheit dazu, das eigene Bild zu sehen und zu betrachten. Manches bislang nicht Geschaute wird da geschaut! Was im Urbild als Konvention, als Sitte oder gar nur als Übung sich darstellte, wird im Spiegelbild Recht. Es wird erzwingbar. Es muß eine Verantwortung übernommen werden.“

In diesem Sinne hat die österreichische Sozialdemokratie „Macht“, „Kraft“, „Mut“, „Selbstsicherheit“ und „Verantwortungs“-Fähigkeit verloren — und die phrasenhafte Beteuerung der „Nicht-Einmischung in innerkirchliche (Personal-)Angelegenheiten“ ist nichts anderes denn der Nachweis katholischer Hegemonie in Österreich.

[1So der Salzburger Theologie-Professor Franz Nikolasch im „profil“, Nr. 2. v. 9. Jänner 1989, S. 50

[2Felix Ermacora, Grundriß der Menschenrechte in Österreich, Wien: Manz Verlag 1988, S. 183 (Rz 644)

[3Anton Pelinka, Windstille — Klagen über Österreich, Wien — Berlin (West): Medusa 1985, S. 47 f.

[4STANDARD v. 11. Jänner 1989, S. 4

[5Gem. Art. 2 des Verfassungs-Überleitungsgesetzes, StGBl. Nr. 4/1945, wurden „alle nach dem 5. März 1933 (= Zeitpunkt der sog. ‚Selbstausschaltung‘ des Parlaments, AJN) erlassenen Bundesverfassungsgesetze, in einfachen Bundesgesetzen enthaltenen Verfassungsbesiimmungen und verfassungsrechtliche Vorschriften enthaltenden Verordnungen sowie alle für den Bereich der Republik Österreich von der Deutschen Reichsregierung erlassenen Gesetze, Verordnungen und sonstigen Anordnungen verfassungsrechtlichen Inhaltes aufgehoben.“ — Die gewählte Formulierung zeigt, daß der damalige Gesetzgeber legistisch versuchte, die Republik von allen vormals als Verfassungsrecht geltenden Bestimmungen der österreichischen Rechtsordnung zu befreien — weil gem. Art. 1 der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945, StGBl. Nr. 1/1945, die demokratische Republik Österreich wıederhergestellt und ım Geiste der Verfassung von 1920 einzurichten war. Leider ist dies der damaligen Staatsregierung der herrschenden Verfassungsrechtslehre zufolge nicht ganz gelungen: Weil nämlich durch Art. 30 Abs. 2 der Verfassung 1934, BGBl. II Nr. 1/1934, einige Artikel des Konkordates „die Kraft von Verfassungsbestimmungen“ hatten (auch diese also aufgehoben werden sollten), diese Vorschriften aber weder „Bundesverfassungsgesetz“ noch in „einfachen Bundesgesetzen enthaltene Verfassungsbestimmungen“ oder eine „verfassungsrechtliche Vorschriften enthaltende Verordnung“ waren, sondern ein „Staatsvertrag“ (und das wurde damals einfach übersehen!), wurden diese Bestimmungen lediglich „ihrer Kraft von Verfassungsbestimmungen“ entkleidet (Hans Klectsky/Hans Weiler, Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien: Staatsdruckerei 1958, S. 234). Lediglich Adolf Schärf vertrat nach 1945 die Meinung, daß das gesamte Konkordat nicht mehr gelte, weil Österreich — wie es auch in der Unabhängigkeitserklärung heißt — „annektiert“ worden war; damit sei auch die Wirksamkeit des Konkordats erloschen, abgesehen davon, daß schon sein Zustandekommen rechtlich mangelhaft gewesen sei (vgl. die Aufsätze von Schärf in der „Zukunft“, Jg. 1950, S. 34 ff. und S. 117 ff.).
Die Argumentation der herrschenden Lehre ist freilich verfehlt: Selbst dann, wenn man der Ansicht beitritt, daß das Konkordat ein Staatsvertrag zwischen der Republik Österreich und dem Heiligen Stuhl ist (und dieser Vertrag deshalb nicht von Art. 2 des Verfassungs-Überleitungsgesetzes umfaßt sei), dann ist doch immerhin bemerkenswert, daß dieser Staatsvertrag bis heute nicht rechtsgültig ratifiziert worden ist! Und die Ratifikation des Staatsvertrages stellt völkerrechtlich wie auch innerstaatlich den entscheidenden Akt des Abschlusses des Staatsvertrages dar. Weil aber gem. Art. 50 B-VG 1920 idF 1929 der Bundespräsident zum Abschluß politischer, gesetzesändernder oder gesetzesergänzender Staatsverträge (was das Konkordat jedenfalls war) der vorangehenden Genehmigung durch den Nationalrat bedarf — ein solcher (demokratisch gewählter!) Nationalrat aber seit 5. März 1933 nicht mehr bestand, wurde beim Vertragsabschluß eine innerstaatliche Rechtsvorschrift von grundlegender Bedeutung offenkundig verletzt und Österreich hätte gegenüber dem Heiligen Stuhl die Ungültigkeit des Staatsvertrages geltend machen können — statt dessen hat die Bundesregierung 1957 dem Heiliegen Stuhl gegenüber die Geltung des Konkordates ausdrücklich bestätigt.

[6Eder im „profil“, Nr. 2 v. 9. Jänner 1989, S. 51

[7Krenn im STANDARD v. 11. Jänner 1989, S. 20

[8Vgl. STANDARD v. 9. Jänner 1989, S. 4

[9Ermacora, a.a.O., S. 80 (Rz 308)

[10Vgl. STANDARD v. 2. Jänner 1989, S. 1

[11Vgl. die UN-Prinzipiendeklaration (1970/A 2625/XXV/) und Art. 26 der Wiener Vertragsrechtskonvention (UN-Doc. A/CONF. 39/27 v. 23. Mai 1969)

[12Art. 62 der Wiener Vertragsrechtskonvention lautet: „1. Eine grundsätzliche Veränderung der Umstände gegenüber denen, die zur Zeit des Vertragsabschlusses bestanden, und die von den Partnern nicht vorausgesehen werden konnte, kann nicht als Grund für die Beendigung des Vertrages oder den Austritt aus ihm geltend gemacht werden, es sei denn, a) das Bestehen dieser Umstände stellt eine wesentliche Grundlage für die Zustimmung der Partner, an den Vertrag gebunden zu sein, dar und b) die Auswirkungen der Veränderungen wandeln das Ausmaß der noch zu erfüllenden Vertragspflichten grundlegend um ...“ — Argumentiert werden könnte etwa, daß sich Österreich gem. Art. I § 3 des Konkordates verpflichtet hat, „den Geistlichen in der Erfüllung ihrer geistlichen Amtspflichten“ Schutz zu gewähren (— eine Pflicht, der Österreich etwa durch die §§ 188 f., 126 Abs. 1 Ziffer 1 und 2, 128 Abs. 1 Ziffer 2 StGB recht gut nachzukommen scheint!); die Erfüllung dieser Verpflichtung ist der Republik Österreich angesichts der Herren Groër, Krenn, Eder und Küng nicht mehr zumutbar, wodurch „das Ausmaß der noch zu erfüllenden Vertragspflichten grundlegend um(gewandelt)“ wäre.

[13Blinde Juristen sind besser. Zur Politologiedebatte in Österreich, NEUES FORVM, H. 205/206 (Jän./Feb. 1971), S. 1174 f., hier S. 1175

[13aVgl. Anton Pelinka, Kirche in Österreich: Vorwärts in die Vergangenheit. Die Wahl Georg Eders zum Salzburger Erzbischof konturiert Möglichkeiten und Grenzen neokonservativer Kirchenstrategien, STANDARD v. 5. Jänner 1989, S. 27, wo er das Konkordat überhaupt nicht erwähnt und meint: „Die Groërs, Krenns und Eders mögen zwar die Zukunft der Kirche bestimmen. Aber deshalb werden sie ganz gewiß nicht die Zukunft der Gesellschaft dominieren.“ Des Autors Wort in — Gottes Ohr!

[14Der Spiegelcharakter der Rechts-Ordnung, Meisenheim am Glan: Westkulturverlag Anton Hain 1951, S. 26

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Erstveröffentlichung im FORVM:
März
1989
, Seite 20
Autor/inn/en:

Alfred J. Noll:

Geboren 1960, lebt in Wien als Rechtsanwalt. Vater zweier erwachsener Töchter, von einer derselben zum Großvater geadelt.

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