Markus Kemmerling brachte es auf den Punkt: „In einem Land, in welchem nicht nur vereinzelte Rechtsextreme mit Befreiung den Abzug US-amerikanischer Truppen assoziieren, kann es niemanden ernsthaft überraschen, wenn im Großdeutschen und Antijüdischen fußende Ressentiments durchbrechen, sobald US-amerikanischer Politik Kritik entgegengebracht wird.“
Was mich trotzdem überrascht hat, war die Tatsache, dass bei der großen Friedensdemonstration in Wien am 22. März z.B. Poster zu sehen waren mit einem Hakenkreuz und in dem Sharon, Bush, Blair und Aznar als „Neonazi“ hingestellt wurden oder die Befreiung unter „Hiroshima-Nagasaki“ subsumiert und dann mit Bagdad heute verglichen wurde. Da konnte auch ein bärtiger, mit Palästinensertuch geschmückter Mann auf seinem Kopf unmögliche Vergleiche zwischen Österreich 1938 und 1945 und dem Irak heute propagieren. Die Wiener Friedensbewegten störte das überhaupt nicht, denn die große Begeisterung hatte, so behaupte ich, bei vielen weniger mit dem Frieden, als mit den von Kemmerling erwähnten Ressentiments zu tun und mit dem Wunsch, doch wenigstens diesmal auf der Seite der Gerechten zu stehen.
Wir erlebten in den neunziger Jahren einen blutigen Konflikt in einem Nachbarland und ich kann mich nicht erinnern, dass da die Friedensbewegung Massendemonstrationen für die friedliche Beilegung der Interessenkonflikte der Völker Jugoslawiens durchgeführt hätte. Es passte natürlich zu den weit verbreiteten Vorurteilen der österreichischen Volksgemeinschaft, dass der „künstliche“ Vielvölkerstaat Jugoslawien zerschlagen wurde. Zu dieser Friedensdemonstration kamen viele Katholiken, die nicht zufällig seinerzeit keine Demonstration für die Einheit Jugoslawiens durchgeführt hatten. Gewisse katholische Kreise, zu denen auch Otto Habsburg gehört, hatten im Gegenteil die kroatischen Separatisten mitunter auch Ustaschanazi mit Rat und Tat unterstützt. Und nun waren diese gleichen Leute plötzlich sehr besorgt um die Einheit des „künstlichen“ Iraks, in dem sich einige Völker und Religionsgemeinschaften befinden. Können wir die deutschen Politiker vergessen, die sich auf Auschwitz berufen haben, um die deutsche Teilnahme am Krieg 1999 zu begründen und sich nur vier Jahre später als Friedensengel aufspielten?
Aber zurück zur Diskussion in der letzten Context XXI. Markus Kemmerling unterstellt Heribert Schiedel „Denunziation“, ohne eine Stelle aus seinem Beitrag zu zitieren und denunziert selbst. Es ist eine beliebte Methode, dem Gegner etwas zu unterstellen, was er nicht oder nicht so gesagt hat, um es dann einfach zu widerlegen.
Zum Beispiel:
- „Seine Methode ist Dämonisierung (...) durch sein reflexhaftes ‚Auschwitz‘ als Antwort auf jede Gewaltkritik;“ so Kemmerling. Schiedel aber schrieb: „Bar jedes historischen Bewusstseins, wurde mir entgegengehalten, dass Krieg keine Lösung sei. Ganz so, als ob Auschwitz durch ökumenisches Wettbeten oder pazifistisches Sitzstreiken befreit worden wäre, Vietnam nicht zurecht mit der Intervention in Kambodscha dem Schlachten dort ein Ende bereitet hätte.“ Kemmerling geht auf solche Argumente gar nicht ein, lieber qualifiziert er Schiedels Argumente als „dumm“ und als „Quatsch“ ab.
- Kemmerling wirft dann Schiedel vor, „Rudolf Burger zum Sprecher einer Friedensbewegung“ erhoben zu haben. Doch Schiedel hat nichts dergleichen getan, als er schrieb: „Der Wiener Philosoph Rudolf Burger, dieser organische Intellektuelle der sekundären Volksgemeinschaft ...“
- Kemmerling unterstellt Schiedel, er meine „eine Antikriegsdemonstration könne schon deswegen nicht fortschrittlich sein, weil auch Freiheitliche gegen den Krieg seien.“ Schiedel aber beklagte u.a. auch konkret die Teilnahme rechtsextremistischer oder sogar neonazistischer Gruppen an Friedensdemonstrationen.
- Kemmerling schreibt von „grotesken Unterstellungen, dass wer Fahnen verbrenne, in Gedanken bereits Menschen anzünde.“ Schiedel bemerkte meiner Meinung nach treffend: „Wer US-amerikanische und/oder israelische Fahnen verbrennt, zeigt damit seine/ihre Bereitschaft, am Ende auch US-AmerikanerInnen und jüdische Israelis zu verbrennen.“
Kein geringerer als Heinrich Heine formulierte 1820 im Rückblick auf das Wartburgfest in seinem Trauerspiel „Almansor“ die Prognose „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen“. Heine kannte das Beispiel der Inquisition, die zuerst die Bücher der Juden und Ketzer verbrannte, dann aber auch die Menschen. Die Nazi, die 1933 (in Österreich 1938) Bücher verbrannten, kamen oft genug aus den völkischdeutschnationalen schlagenden Burschenschaften, die sich bis heute stolz zu ihren Mitgliedern bekennen, die sich als Täter des Holocausts einen Namen gemacht haben. Es besteht gerade in Österreich kein Grund zur Toleranz oder Verständnis für Menschen, die glauben ihrer politischen Meinung durch Fahnenverbrennen Ausdruck zu verleihen. Auch und gerade dann nicht, wenn es sich um Linke handelt. Was denkt Kemmerling, wenn er Linke sieht, die das nationale Symbol Israels aber auch des jüdischen Volkes verbrennen? Wollen diese „lediglich“ den jüdischen Staat symbolisch vernichten?
Kemmerling zitiert zustimmend Gaston Kirsche, der meint „die Akteure nehmen ihre bürgerlichen Ideologien mit in die Bewegung“. In Österreich nehmen doch einige die antisemitische und völkische Ideologie mit, in der sie sozialisiert worden sind. Und das sind leider in der Mehrzahl solche Menschen, die nach 1945 geboren worden sind. Ich erlebte mal, bei einer Diskussion in einem linken Klub in Wien, einen jungen Mann der bemerkte: „Das Verhalten der Israelis gegenüber den Palästinensern gibt Adolf Hitler im nachhinein recht.“ Die einzige Antwort eines Diskussionsteilnehmers war: „Das kann man so nicht sagen“.
Schiedels großer Verdienst ist es, konkret aufzuzeigen, dass diese mörderische Ideologie leider auch bei Linken vorhanden ist.