Context XXI » Print » Jahrgang 2003 » Heft 4-5/2003
Thomas Schmidinger

Frieden oder Appeasement?

Die Friedensbewegung verteidigte alles andere als Frieden

Die Kommentare zur Friedensbewegung und Positionierung der Linken im Irakkrieg, wie sie in der letzten Nummer von Context XXI erschienen sind, sagen vieles zur Situa­tion der österreichi­schen Linken, aber wenig zur Situation im Irak.

Die Friedensbewegung hierzulande verteidigte einen Frieden, den es für die irakische Bevölkerung seit mindestens 12 Jahren nicht gab. Das faschistische Ba’th-Regime Saddam Husseins hatte schon mit seiner Machtübernahme in den Sechzigerjahren einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung begonnen. Bereits nach dem ersten Putsch der Ba’th-Partei 1963 ließ das Regime tausen­de KommunistInnen und an­dere RegimegegnerInnen in Stadien und Gefängnissen zu­sammentreiben und er­schießen. Nicht viel weniger blutig verlief die erneute Machtübernahme der Ba’th-Partei im Juli 1968, aus der schließlich Saddam Hussein als starker Mann hervorgehen sollte. Seither überzog sein Regime den Irak mit einem jahrelangen Krieg gegen kur­dische Peschmergas und Zi­vilistInnen, löste mit dem An­griff auf den Iran den blutig­sten Krieg des Nahen Ostens aus, der über eine Million Menschen das Leben koste­te, und begann mit der Be­satzung Quwaits im Herbst 1990 jenen Krieg, der nun mit dem Sturz des Ba’th-Regimes sein Ende fand.

Entgegen der medialen Wahrnehmung des Iraks in Europa dauerte dieser jüng­ste Krieg des Regimes für die irakische Bevölkerung näm­lich an. Der Niederlage der irakischen Armee gegen eine breite Koalition arabischer und europäischer Staaten un­ter Führung der USA folgte für die Irakis kein Frieden, sondern ein dreifacher Krieg: ein verschärfter Krieg des Re­gimes gegen die eigene Be­völkerung im Inneren des ba’thistischen Herrschafts­bereiches, ein schleichender Krieg durch Sanktionen, die kaum das Regime, sehr wohl aber die einfache Bevölke­rung trafen, und ein Krieg des ba’thistischen Regimes gegen die nach Aufständen kurz- oder längerfristig autonomen Gebiete im Süden und Norden des Landes.

Für die Bevölkerung des Südiraks bedeutete die Tat­sache, dass George Bush sen. sie nach ihrem Aufstand 1991 im Stich ließ und den Mi­litärschlag gegen Saddam Hussein nicht zu Ende führ­te, ein blutiges Massaker durch Ba’th-loyale Truppen­teile. Die kurdische, assyri­sche und turkmenische Be­völkerung des Nordirak konnte vor einem ähnlichen Schicksal lediglich durch die Errichtung einer autonomen Schutzzone bewahrt werden. Aber auch diese umfasste nur einen Teil des Siedlungsge­bietes der dem nationalisti­schen Regime verhassten Minderheiten. Dort, wo dem Regime die Rückeroberung kurdischer Gebiete gelang, fiel diese kaum unblutiger aus als die Niederschlagung des Aufstandes im Südirak. Was folgte, war eine rück­sichtlose Arabisierungspolitik. So wurden aus Kirkuk und der Umgebung dieser wichtigen Erdölstadt tausen­de KurdInnen vertrieben. In deren Häusern wurden PalästinenserInnen und Arabe­rInnen aus dem Zentralirak angesiedelt. Saddam Hussein erklärte offen, dass sich die Araber nun jenes Land von den Kurden zurückholen würden, das sie an die Israelis verloren hätten. Dies hinder­te ihn aber nicht daran, gleichzeitig seine Vernich­tungsphantasien weiterhin ge­gen Israel zu wenden und im Inneren seine antisemitische Politik gegenüber den iraki­schen Jüdinnen und Juden fortzusetzen.

Zudem stellte allein die Existenz des Ba’th-Regimes eine ständige Bedrohung für das kurdische Autonomiege­biet im Nordirak dar, was sich im innerkurdischen Bürgerkrieg Mitte der Neunziger­jahre besonders fatal auswirk­te. Damals rief die KDP ge­gen die PUK das Regime zur Hilfe, und dieses rückte um­gehend mit Truppen in das Autonomiegebiet ein.

Für die irakische Bevöl­kerung stellte der Zustand der letzten 12 Jahre somit al­les andere als „Frieden“ dar. Vielmehr war sie einem Mehrfrontenkrieg ausgesetzt, der erst mit dem Sturz Sad­dam Husseins sein Ende fand. So wundert es auch nicht, dass trotz teilweise be­rechtigter Vorbehalte gegen die USA sich sämtliche Oppositionsparteien an der Vor­bereitung für einen Irak nach dem Sturz des Ba’th-Regimes beteiligten. An den Konfe­renzen in London und Salah ad-Din im Nordirak nahmen neben den kurdischen Par­teien PUK und KDP, dem Irakischen Nationalkongress (INC), dem Hohen Rat des Islamischen Widerstands (SCIRI) und der Assyrischen Demokratischen Bewegung (ZOWAA) auch inoffizielle Vertreter der Irakischen Kommunistischen Partei und der schiitischen Dawa-Partei teil. Lediglich die beiden Letz­teren lehnten das erneute mi­litärische Eingreifen der USA und ihrer Verbündeten ab, erklärten jedoch nach dem Sturz des Regimes ihre Genugtuung über das Ende der ba’thistischen Herrschaft und beteiligen sich nun wie alle anderen relevanten Opposi­tionsparteien an der Über­gangsverwaltung. Alle diese politischen Gruppierungen bekennen sich heute zu einer Mehrparteiendemokratie.
Aus Sicht der irakischen Bevölkerung glich die Posi­tion Deutschlands, Frank­reichs und Russlands — nicht zufällig die Hauptgläubiger­staaten des alten Regimes, de­nen dieses schon manche Öl­konzession versprochen hat­te — eher einer Appeasement-Politik als einer Friedenspo­sition. Dass ausgerechnet Staaten, die (wie Deutsch­land) Giftgas-Technologie oder (wie Frankreich) Nu­kleartechnologie in den Irak geliefert hatten, sich zu Ver­teidigern des irakischen Re­gimes aufschwangen, wird den Opfern deutscher und französischer Rüstungsindus­trie in Erinnerung bleiben. Ähnliches Unverständnis ern­tete eine Friedensbewegung, die einen Frieden, den es im Irak schon längst nicht mehr gab, verteidigen wollte. Schließlich konnten größenwahnsinnige faschistische Diktatoren noch nie mit ei­ner Appeasement-Politik in die Schranken gewiesen wer­den. Auch wenn Saddam Hussein noch nicht an sein Vorbild Adolf Hitler heran­kommt, so stand seine Ideo­logie und Praxis doch in ei­ner faschistischen Tradition, die teilweise direkte ideolo­gische Anleihen am nationalsozialistischen Deutschland nahm. Die Ba’th-Partei konn­te im Irak aus einem Pool arabischer NationalistInnen, die bereits in den Dreißiger- und Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts bewiesen hat­ten, dass sie zum Massen­mord fähig sind, schöpfen und stand fest in der Traditi­on eines völkischen antisemi­tischen Nationalismus.

Bild: Fotosammlung DÖW

Die Geschichte arabisch­-nationalistischer Massen­morde begann im Irak bereits im August 1933 als irakische Truppen unter General Bakr Sidqi über 60 Dörfer der assyrischen Minderheit zer­störten und hunderte Assy­rerInnen ermordeten. 1941 folgte einem NS-freundlichen Putsch der als Farhud be­kannte Pogrom an der jüdischen Bevölkerung Bagdhads, bei dem zahlreiche Häuser und Geschäfte verwüstet und über 170 Jüdin­nen und Juden ermordet wurden. Vor diesem politischen Hintergrund rekru­tierte der in Syrien entstan­dene und bereits in den Vierzigerjahren mit dem deut­schen Nationalsozialismus sympathisierende Ba’thismus seine AnhängerInnen, die er zu einer paranoiden Ge­meinschaft völkischer NationalistInnen, welche sich im­mer gegen neue FeindInnen innerhalb und außerhalb des Landes richten musste, zu­sammenschweißte.

Einmal waren es Juden und Jüdinnen, dann KurdIn­nen, IranerInnen, SchiitIn­nen oder „Sumpfaraber“, die — als „zionistische Agen­ten“ oder „Volksschädlinge“ enttarnt — bis zur Vernich­tung bekämpft werden soll­ten. Um nicht missverstanden zu werden: Im Irak gab es keine industrielle Massen-Vernichtung von Menschen. Dazu fehlte dem Land auch die ökonomische und ver­waltungstechnische Struktur. Auschwitz bleibt weiter eine bislang einzigartige Tat deut­scher und österreichischer AkteurInnen der Vernich­tung. Die Frage, ob es erst ei­nes Auschwitz’ bedarf, um ei­nen militärischen Sturz eines faschistischen Regimes für ge­rechtfertigt zu halten, müs­sen all jene beantworten, die gegen den militärischen Sturz Saddam Husseins auf die Straße gegangen sind.

Selbstverständlich gab es vor dem Angriff der USA und Großbritanniens eine Menge guter Gründe gegen diesen Krieg zu sein. Nie­mand konnte wissen, wie lan­ge dieser Krieg dauern und wie viele Opfer er kosten würde. Wer nun nach dem positiven Ende des Krieges und dem Jubel der irakischen Bevölkerung über die Nieder­lage des Ba’th-Regimes, aus antiamerikanischen, völker­rechtsfundamentalistischen oder pazifistischen Gründen immer noch daran festhält, dass das Eingreifen der „Koa­lition der Willigen“ nicht ge­rechtfertigt werden könne, muss sich die Frage einer mei­ner irakischen Freunde stel­len lassen. Dieser fragte mich angesichts der „Friedensbewegung“ in Österreich: „Hät­ten diese Leute auch gegen die militärische Befreiung Eu­ropas vom Faschismus de­monstriert?“

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Erstveröffentlichung im FORVM:
August
2003
, Seite 24
Autor/inn/en:

Thomas Schmidinger:

Redaktionsmitglied von Context XXI von Juni 2000 bis 2006, koordinierender Redakteur von September 2000 bis April 2001.

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