FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1968 - 1981 » Jahrgang 1977 » No. 277/278
Jörn Janssen

Die Wohnungsfresser

Konzentration des Industrie- & Immobilienkapitals im Ruhrgebiet

Biedenkopfs Wahlkampfkampagne gegen gewerkschaftliche Filzokratie lenkte geschickt von einer beispiellosen Konzentrationswelle im Ruhrgebiet ab. VEBA, Thyssen, Krupp regieren über das Leben von Millionen Menschen (vgl. Heidi Pataki, Roter Himmel über der Ruhr, NF November 1973). Jörn Janssen, Professor für Architektur in Dortmund, beschreibt am Beispiel der Werkswohnungen den Feudalkapitalismus der Kohle-‚ Erdöl- und Stahlmonopole.

Diese gemütlichen alten Meisterhäuser
an der Sterkraderstraße in Eisenheim wurden 1964 abgerissen

Klassenkämpfer wohnen am Arbeitsplatz

Das Ruhrgebiet wurde im Schlepptau der Zechen und Hochöfen besiedelt. Der Arbeiter erhielt in der Regel seine Wohnung vom Unternehmen zugeteilt. Daher entwickelte sich die Werkswohnung zur dominierenden Form des Wohnungsbaus im Ruhrgebiet. Eine Tradition, die in den letzten fünfzig Jahren Veränderungen durchgemacht hat und heute offensichtlich in Auflösung begriffen ist. Mit den ökonomischen und technologischen Umschichtungen des Kapitals verwandeln sich die Lebensformen der Industriearbeiter. Die spätkapitalistische Konsumgesellschaft erfaßt auch das Proletariat und scheidet die Einheit von Arbeitssphäre und Konsumsphäre, wie sie zumindest symbolisch in der Werkswohnung angelegt war. Für die großen Klassenkämpfe im Ruhrgebiet waren die Werkssiedlungen eine sozialpsychologische Voraussetzung.

In der Periode vor 1920 bildeten die Werkswohnungen einen direkten Bestandteil der Investitionen. Sie wurden von den Kapitalisten des Bergbaus in eigener Regie und mit ihrem Geld ausschließlich für die Beschäftigten der Zechen gebaut. Die Eisenindustrie allerdings, die ihre Standorte meist in der Nähe schon vorhandener Siedlungskerne errichtete, konnte im Normalfall auf Werkswohnungen verzichten. Ein Riesenbetrieb wie Krupp aber mußte den Werkswohnungsbau in großem Maßstab betreiben.

In der Weimarer Republik löste sich die enge organisatorische Verbindung von Werk und Wohnung auf. Die durch den ersten Weltkrieg von ihren Rohstoffen und Absatzmärkten abgeschnittene Montanindustrie erhielt staatliche Hilfe, darunter auch Subventionen für den Wohnungsbau, die eine rebellische Arbeiterschaft beschwichtigen sollten. Diese Subventionen wurden nur an „gemeinnützige Unternehmen“ bezahlt, die entweder der Staat oder Tochterfirmen der großen Unternehmen installierten. Dann wurden die Wohnungen — durch Belegrechte gesichert — für die Arbeiter der jeweils am Kapital beteiligten Unternehmen gebaut.

Der Staat hilft den Konzernen, die Konzerne „helfen“ Arbeitern

Nach dem zweiten Weltkrieg veränderte sich die Szene gründlich. Die Alliierten erzwangen eine „Entflechtung“ und Aufspaltung des hochkonzentrierten Montankapitals, das in den Nürnberger Prozessen als Kriegstreiber verantwortlich gemacht wurde. Das Immobilienkapital (Häuser, Grundbesitz) machte sich weitgehend selbständig. Zwar immer noch den Unternehmern der Montanindustrie kapitalmäßig untergeordnet, konnte es jetzt doch ein selbständiges Verwertungsinteresse verfolgen — natürlich unter dem Mantel der „Gemeinnützigkeit“, soweit daraus Finanzierungs- und Steuervorteile erwuchsen. Das Immobilienkapital verhält sich aber durchaus eigennützig, sobald die sozialen Aufgaben eine Ausweitung des Geschäfts blockieren. Jedenfalls suchte es Absatzmärkte unabhängig von und konträr zu den Belegschaftsinteressen der beteiligten Montanunternehmen.

Ein Resultat der Entwicklung seit 1920 ist die große Zahl von 158 gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften im Ruhrgebiet, die auch die Träger des staatlichen „sozialen Wohnungsbaus“ nach dem zweiten Weltkrieg sind. In ihnen sammelt sich das gewaltige Immobilienvermögen der Ruhrkonzerne. Der Übergang vom reinen Werkswohnungsbau vor 1920 zum sozialen Wohnungsbau von heute hängt mit der Konzentrationsbewegung des Kapitals in Bergbau und Industrie, mit Konjunkturschwankungen und mit der Mechanisierung und Automation der Produktion zusammen. Das läßt sich im einzelnen demonstrieren.

Konzentrationsbewegung: Mit den großen Zusammenschlüssen (z.B. Vereinigte Stahlwerke AG, 1926) entstanden zusammenhängende Wohnungsbestände, die über das Ruhrgebiet und darüber hinaus verteilt waren. Diese Bestände wurden einheitlich verwaltet. Wohnungen, die zu jenen Werken gehörten, die nach dem Zusammenschluß stillgelegt wurden, hat man in Immobilien-Tochtergesellschaften ausgegliedert.

Arbeitskräfte, marsch!

Konjunkturschwankungen: Mit den raschen Veränderungen auf den Absatzmärkten und den Schwankungen der Produktion (z.B. in der Weltwirtschaftskrise seit 1929) wurde eine stärkere Mobilität der Industriearbeiter nötig. Die fixe Bindung der Wohnung ans Werk stellt sich als unrationell heraus. Man braucht solche Wohnungen im Umkreis der industriellen Produktionsstätten, die je nach Konjunkturlage wechselnd den Belegschaften aller Betriebe zur Verfügung stehen. Zu diesem Zweck ist eine Aktiengesellschaft mit breit gestreuter Beteiligung der Ruhrkonzerne am besten geeignet (z.B. die Ruhrwohnungsbau AG, gegründet 1928).

Mechanisierung und Automation: Mit dem Werkswohnungsbau wollte sich das Unternehmen seine wichtigste Produktivkraft, die qualifizierten Arbeitskräfte, sichern. In der Frühzeit der Schwerindustrie hingen die industrielle Produktivität und die Qualität der Produkte hauptsächlich von der Qualität der Arbeitskräfte ab. Die technische Geschicklichkeit des Facharbeiters ist ebenso unersetzlich wie die Bärenkraft des Hilfsarbeiters. Mechanisierung und Automation aber machen die maschinelle Ausrüstung wichtiger als die handwerkliche Fähigkeit des Arbeiters. Damit entfällt die Notwendigkeit, die Fluktuation der Beschäftigten zu verhindern. Die Werkswohnungen verlieren einen Teil ihrer Funktion.

Konzentration in der Montanindustrie bedeutet natürlich auch Konzentration in der Wohnungswirtschaft. Der Großteil der vielen gemeinnützigen Gesellschaften sitzt heute auf alten Beständen aus früheren Entwicklungsphasen, die Kapitalbasis ist viel zu klein, um große Summen aus den öffentlichen Finanzierungsmitteln des sozialen Wohnungsbaus auf sich zu ziehen. Daher konnten sich nach dem Zweiten Weltkrieg nur sehr wenige Gesellschaften im großen Stil auf dem Baumarkt engagieren. Im Ruhrgebiet dominieren fünf Wohnungsgesellschaften, von denen eine jede jeweils über 15.000 Wohnungseinheiten verfügt. Von diesen fünf Gesellschaften sind überdies drei — nämlich die Unternehmensgruppe Wohnstätten, die VEBA-Gruppe und die Rhein-Lippe-Wohnstätten GmbH — durch übergreifende Kapitalzusammenhänge miteinander verschwistert. Eine bedeutsame Rolle spielt auch die Ruhrkohle AG als Träger von 165.000 Belegrechten (die Ruhrkohle AG ist ihrerseits kapitalmäßig weitgehend dem VEBA-Konzern untergeordnet).

Intakte dörfliche Lebensformen
in der Arbeitersiedlung Eisenheim in Oberhausen sind von Abbruch und Zerstörung (sprich „Sanierung“) bedroht. Eisenheim ist die älteste Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet: Baubeginn 1844! (Bilder aus „Rettet Eisenheim“, VSA-Verlag Berlin)

Elefantenhochzeiten

Die Lage auf dem Immobiliensektor kann man nur vor dem Hintergrund der Konzentrationsbewegungen in der Ruhrindustrie verstehen. Im Zuge der jüngsten Konzentrationswelle übernahm der VEBA-Konzern (Chemie, Energie, Handel) die Mehrheit an dem ähnlich strukturierten Gelsberg-Konzern aus Bundesbesitz und wurde damit vor der August-Thyssen-Hütte zum größten Konzern der BRD. Die Auswirkung: Zur Zeit entsteht im Ruhrgebiet unter dem Dach der VEBA AG ein neuer Haus- und Grundbesitzerkonzern mit 325.000 Mietwohnungen und einem unermeßlichen Grundbesitz. Dieser frisch entstandene Konzern schluckte die — laut Handelsblatt — „größte Gruppe industrieverbundener Wohnungsunternehmen“, nämlich die „Wohnstättengruppe“ mit rund 125.000 Mietwohnungen.

Wie lief diese Fusion ab? VEBA und Gelsenberg, einst die größten Unternehmen des Steinkohlenbergbaus, waren auch die wichtigsten Aktionäre der Ruhrkohle AG, in der 1969 unter der Ägide Karl Schillers die Zechen zusammengeschlossen worden sind. Dank der Fusion mit Gelsenberg und anderen Beteiligungen besitzt die VEBA nunmehr den ausschlaggebenden Einfluß auf die Ruhrkohle AG. Ein gigantisches Monopol, das sich nicht nur über den gesamten westdeutschen Energiesektor (Kohle, Erdöl, Erdgas, Elektrizität) erstreckt: die VEBA fügt überdies zu ihren eigenen Immobilien den riesigen Grundbesitz von Gelsenberg (früher Rhein-Elbe-Union), Ruhrkohle AG sowie die Masse der Werkswohnungen hinzu, die vor allem von den Zechen seit mehr als einem Jahrhundert gebaut wurden.

Die alten Differenzen zwischen dem Thyssen-Konzern und Gelsenberg wurden durch die Entflechtung der ehemaligen Wohnstättengruppe (Rheinische Wohnstätten AG, Rheinisch-Westfälische Wohnstätten AG und Westdeutsche Wohnhäuser AG) bereinigt. Die Rheinische Wohnstätten AG und die Thyssen-Anteile an der Westdeutschen Wohnhäuser AG wurden mit ihren Wohnungs- und Grundstückbeständen von der Wohnstättengruppe abgetrennt. Die Thyssen-Anteile an der Rheinisch-Westfälischen Wohnstätten AG und der Westfälischen Wohnstätten AG wurden von Gelsenberg (VEBA) aufgekauft. Als eine Nachfolgegesellschaft der Wohnstättengruppe wurde die sogenannte Unternehmensgruppe Wohnstätten gegründet: zu ihr gehören neben den von Gelsenberg kontrollierten Regionalgesellschaften die Rheinisch-Westfälische Wohnstätten AG, die Westfälische Wohnstätten AG und ein Teil der Westdeutschen Wohnhäuser AG. Der Unternehmensgruppe Wohnstätten wurde überdies die Ruhrwohnungsbau GmbH angegliedert. Diese gigantische Immobilien-Unternehmensgruppe ist nun — neben kleinen Anteilen von Hoesch und Krupp — als Eigentum der Gelsenberg AG ein Bestandteil des VEBA-Konzerns.

Auch der zweitgrößte Konzern der BRD, die August-Thyssen-Hütte, konzentriert ihr Immobilienkapital. Die Rheinische Wohnstätten AG wurde nach Stahl und Bergbau (Anteile der Hamborner Bergbau AG) geteilt. Die Bergarbeiterwohnungen, in denen jetzt vorwiegend Beschäftigte der Ruhrkohle AG sitzen, repräsentieren den Kapitalanteil, den die Hamborner Bergbau AG an der alten Rheinischen Wohnstätten AG gehalten hatte. Sie wurden im Herbst 1974 in einer neuen Wohnungsgesellschaft organisiert, in der Rhein-Lippe-Wohnstätten GmbH. Der Drittelanteil am Wohnungsbestand der Westdeutschen Wohnhäuser AG, der von Gelsenberg an Thyssen abgegeben wurde, ist jetzt eine eigene Gesellschaft unter dem Titel Thyssen-Wohnbau GmbH. Nach diesen Neuordnungen sind die Rheinische Wohnstätten AG und die Thyssen-Wohnbau GmbH mehrheitlich im Eigentum der Thyssengruppe.

Eisen flieht vor Kohle

Das Resultat dieser komplizierten Kapitalmanöver: die VEBA besitzt eine Immobiliengruppe von 325.000 Mietwohnungen. Sie beherrscht im Ruhrgebiet östlich von Oberhausen und Essen ungefähr ein Viertel des Wohnungsmarktes, in einigen Städten der Kohleregion an der Emscher sogar mehr als die Hälfte. Dabei muß man bedenken, daß die Neue Heimat mit ihrem Anteil von knapp zwei Prozent der Mietwohnungen in der BRD bereits als ein beherrschendes Unternehmen gilt. Im östlichen Ruhrgebiet verfügt die VEBA-Gruppe über dreißigmal so viele Wohnungen wie die Neue Heimat, die in dieser Region nur rund 10.000 Wohnungen vermietet.

Hinter diesen Entflechtungen und Konzentrationsbewegungen auf dem Immobiliensektor stehen regionale und kapitalmäßige Neuordnungen in der Industrie des Ruhrgebiets. Der erste große Schritt im Zuge der Trennung von Kohle und Eisen war mit der Gründung der Steinkohle-Einheitsgesellschaft Ruhrkohle AG getan. Diese Umstrukturierung ermöglichte es der Eisen- und Stahlproduktion, sich von den Standorten der Kohlevorkommen endgültig frei zu machen (während früher die Produktionsstätten der Eisenindustrie an die Zechen gebunden waren).

Die industrielle Trennung von Eisen und Kohle machte sich auch geographisch bemerkbar. Die drei größten Stahlkonzerne der BRD, Thyssen, Mannesmann und Krupp, konzentrieren ihre kapital- und transportintensiven Kapazitäten im Westen des Ruhrgebietes, an der „Rheinschiene“ um Duisburg. Klöckner verlagert die Hütte von Hagen-Haspe nach Bremen. Hoesch verband sich mit dem größten niederländischen Stahlkonzern, Hoogovens Ismuiden, zur „Estel-Gruppe“, während die Eisenhütten der Rheinstahl AG in Hattingen und Gelsenkirchen 1974 mit Thyssen fusioniert wurden.

Terror im Stadion:
„Wenn der Spaß am Spiel so ernste Formen annimmt, liest sich der Einsatzplan wie ein Kriegsbericht: ‚Im Außenbereich des Stadions sind neben den Posten- und Streifendiensten berittene Polizei und im Innenbereich zusätzliche Zivilstreifen und Hundeführer mit Diensthunden eingesetzt. Am Marathontor ist ein Fernsehüberwachungswagen postiert, der Aufzeichnungen macht, die der Erkennung und Beweissicherung dienen. Bereits vor den Spielen werden während des Anmarsches frühzeitig Meldungen über Störtrupps an die Zentrale der Polizei gegeben, von der Rheinbahn über Funk, von der Bahnpolizei über Telefon. Die Gruppen werden durch Uniformierte oder Zivilstreifen begleitet. Rowdies, die ihr Tätigkeitsfeld auf der An- oder Abfahrt in der Rheinbahn suchen, werden zum Teil durch Stopp der Bahn vor der Polizeiwache Nord in der Kaiserswerther Straße sofort in Polizeigewahrsam gebracht. An den Stadioneingängen werden in Verdachtsfällen Kontrollen vorgenommen. In diesem Jahr fand bei 17 Einsätzen die Polizei 141 gefährliche Gegenstände, wurden 20 Personen festgenommen, 107 kamen in Gewahrsam und 57 Strafanzeigen wurden erstattet.‘ Die Polizei registriert im Stadion sogenannte ‚Wanderbewegungen der Störer‘, die in Gruppen ins ‚gegnerische Lager‘ wechseln, um Rabatz zu machen. Fanklubs der Fortuna helfen, ohne ihre Fantasieuniform anzuhaben, die Randalierer für die Polizei zu orten. In Saarbrücken stehen nun Fallschirmjäger der Bundeswehr ‚Gewehr bei Fuß‘ zur Rowdy-Jagd.“ (Frankfurter Allgemeine)

NRW wird Kohlenruine

Eisen und Stahl wandern aus dem Osten des Ruhrgebiets ab, übrig bleibt der Bergbau. Damit ist der vom Land Nordrhein-Westfalen während der sechziger Jahre initiierte Versuch gescheitert, durch gezielte Wirtschaftsförderung die Montan-Monokultur des Ruhrgebiets aufzulockern. Ursprünglich war geplant, den Steinkohlenbergbau in der Einheitsgesellschaft Ruhrkohle AG gesundschrumpfen zu lassen. Er behauptet sich aber weiterhin in der nordöstlichen Zone des Ruhrgebiets. In dieser Region, in der Emscher-Zone zwischen Bottrop und Castrop-Rauxel, liegen auch die Werke des Energie-Multis VEBA.

Das Ruhrgebiet zerfällt also in eine westliche Stahl-Region und eine östliche Kohle-Region. In der Stahl-Region, einem Bestandteil der „Rheinschiene“, herrschen Thyssen, Mannesmann und Krupp, in der Kohle-Region aber der VEBA-Konzern. Das östliche Ruhrgebiet ist vom Konzern doppelt abhängig: sowohl vom Arbeitgeber VEBA als auch vom Haus- und Grundbesitzer VEBA. Die Zahl der VEBA-Wohnungen entspricht ungefähr der Zahl der Arbeitsplätze im Einflußbereich des Konzerns.

Aus der Werkswohnung wird so die Konzernwohnung. Die Sozialdemokratie hat seit ihren Anfängen gegen die zweifache Abhängigkeit des Arbeiters im Produktions- und Privatbereich gekämpft. Heute, auf der höchsten Entwicklungsstufe des Kapitals, stellt sich diese Einheit wieder her — diesmal unter sozialliberaler Regie. Eine ganze Region gerät unter die Fuchtel eines einzigen überdimensionalen Unternehmens, dessen größter Aktionär übrigens der Staat ist. Was unter Mehrheitsbeteiligung des Bundes im östlichen Ruhrgebiet entsteht, ist seiner Art und Größenordnung nach einzigartig: der VEBA-Konzern regiert als regionales Arbeitsplatz-, Grundbesitz- und Wohnungsmonopol über einen Bezirk mit vier Millionen Menschen — ein Staat im Staate!

Ein Wohnungsmarkt — aus dem Beduinenzelt regiert

Allerdings, es fehlt nicht an Widersprüchen und Hindernissen innerhalb dieser Entwicklung. Konflikte tauchen auf zwischen der modernen Konzernpolitik der petrochemischen Industrie (VEBA) und den Traditionen des Ruhrreviers (Ruhrkohle AG), zwischen den nun divergierenden Interessen von Kohle und Stahl, zwischen rohstoff- und weiterverarbeitender Industrie, zwischen den Großkonzernen und mittelständischen Firmen, last not least zwischen Staatskapital und Privatkapital. Wie kontrovers im einzelnen diese Entwicklung verläuft, zeigen die Wohnungsgesellschaften von Gelsenberg und VEBA, die trotz der Fusion der Mutterkonzerne noch immer nicht zusammengefaßt sind. Trotz dieser organisatorischen Reibungsverluste setzen sich aber die Kapitalzusammenhänge schlußendlich durch.

Ähnliche Verhältnisse wie in der Kohle-Region findet man auch in der Stahl-Region um Duisburg. Bezeichnenderweise ist ein Vorstoß der VEBA fehlgeschlagen, mit einem petrochemischen Werk im Orsoybogen in die geographische Domäne der Stahlkonzerne auf dem westlichen Rheinufer einzudringen. Auch hier gibt es eine industrielle Monokultur, mit entsprechenden Konsequenzen auf dem Immobilienmarkt. Die Thyssen-Gruppe baut ihr Wohnungsmonopol aus: neben der Rheinischen Wohnstätten AG und der Thyssen-Wohnbau GmbH gehören die Rheinstahl-Wohnungsbau GmbH und die Rheinstahl-Bau- und Grundstück GmbH dazu. Die Bautätigkeit erfaßt überdies den Bedarf des Mannesmann-Konzerns. Die Mehrheit der Bevölkerung ist am Arbeitsplatz wie in der Wohnung der Macht der Stahlkonzerne unterworfen.

Unter diesen Umständen sind spekulative Manöver bei Mieten und Bodenpreisen wenig sinnvoll: die Konzerne müßten ja höhere Mieten durch Lohnerhöhungen ausgleichen. Umgekehrt können allerdings Lohnsteigerungen durch teurere Mieten kompensiert werden. Im Ruhrgebiet gilt die alte Rechnung der Bergleute: Nettolohn ist, was nach Abzug der Miete übrigbleibt. Millionen Menschen werden auch im Privatbereich in die „globale Fabrik“ integriert. Als multinationaler Erdölkonzern engagiert sich die VEBA mit großen Investitionen in den Öl-Staaten, die ihrerseits bedeutende Kapitalanteile am Energie-Multi der BRD halten. Die Beteiligung des Schahs an Krupp ist bekannt. Wie und für wieviel Geld der Kumpel an der Ruhr, der Stahlarbeiter am Rhein wohnt, das wird jetzt schon am Öl-Golf entschieden.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Januar
1977
, Seite 56
Autor/inn/en:

Jörn Janssen:

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