FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1961 » No. 90
Jacques Hannak

Die Selbstvernichtung der Presse

Wenn ein Altmeister der sozialistischen Publizistik hier die Schale seines Zorns über Österreichs Presse ausgießt, so liegt es im Wesen eines solchen Vorgangs, daß der Guß Gerechte wie Ungerechte trifft — ferner auch Publikationen der eigenen Partei, was freilich nicht im Wesen des Vorgangs, sondern im Wesen des Autors begründet ist. Hannak hat, trotz der für ihn charakteristischen ideologischen Bestimmtheit, sich jenes Maß von Nonkonformismus bewahrt, welches den Parteijournalisten auch für die von ihm vehement angegriffenen Gegner — innerhalb wie außerhalb seiner Partei — interessant macht. Welche hiemit zur Diskussion gebeten sowie versichert sein mögen, daß FORVM mit dem Autor in so manchem nicht übereinstimmt. Getreu unserer diesbezüglichen Tradition halten wir jedoch daran fest, daß eine provokante Einleitung das richtige Stimulans für die nachfolgende korrigierend-sachliche Diskussion ist. [*]

In diesem Jahr ist eine Institution ins Leben getreten, die geeignet scheint, das moralische Niveau des Journalismus, wo nicht zu heben, so doch zu betonen: der Österreichische Presserat. Er kommt spät, aber vielleicht nicht zu spät. Daß er notwendig wurde, ist ein Beweis für die Dürftigkeit der österreichischen Pressemoral.

Gerade zu dem Zeitpunkt, da der Presserat seine Aktivität begann, haben sich auf dem Zeitungsmarkt Dinge abgespielt, die für sich sprechen — und lauter als die Urteile des Presserats. Die Wiener Blätter „Express“, „Abendzeitung“ und „Wochen-Presse“ haben unter viel Lärm ihre Besitzer — teils tatsächlich, teils bisher bloß angeblich — gewechselt. Doch wer da meint, daß nun der Nachmittag von der Parteipolitik ebenso beherrscht sei wie der Morgen, wird eines Schlechteren belehrt. Die Zeitungen sind geblieben, was sie waren, als sie noch das Kleid der „Unabhängigkeit“ trugen.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit herrschte hüben wie drüben noch die Parteipresse alten Stils. Die Zeiten waren ernst; Hunger und Unterdrückung bedrohten unsere nackte Existenz, und nur von höchster physischer, seelischer und ideologischer Anstrengung durfte das österreichische Volk jene Rettung erhoffen, die ihm dann dank der weltpolitischen Entwicklung tatsächlich zuteil wurde. Doch zur Rettung hat auch die geistige Widerstandskraft Österreichs wesentlich beigetragen, und die Stärkung dieser Widerstandskraft war nicht zuletzt das Werk der verantwortungsbewußten Parteipresse.

Je besser die Zeiten wurden, je mehr die Gefahren zu schwinden schienen und je höher das Lebensniveau stieg, desto deutlicher ließ die moralische Anspannung nach. Die Vision der Freiheit wurde 1955 durch den Staatsvertrag Realität, und seither hat es keine neue Vision gegeben. Wir leben nicht mehr für die Idee der Freiheit, sondern in der relativen Behaglichkeit des Alltags. Der Ernst des Daseins ist geblieben, aber man will ihn nicht mehr spüren. Wenn einem gruselt, so soll’s ein angenehmes Gruseln sein — Nervenkitzel, gemischt aus Existenzangst und Sensationslust. Das sind keine guten Zeiten für charaktervolle und schwerblütige Zeitungen.

Die Keime dieser Entwicklung wurden bereits während der Besatzungszeit gelegt. Die Okkupationsmächte gaben Blätter heraus, die den Nachmittag des Wieners illuminierten. Es waren keine sehr seriösen Produkte, aber gediegenes Gold, verglichen mit der Talmiware von heute. Eine dieser Zeitungen, die französische „Welt am Abend“, ging frühzeitig in den Bereich sozialistischer Publizistik über, dessen damalige Leitung unvorsichtig genug war, sich das Blatt anhängen zu lassen; dort ging es sehr bald ein. Kein besseres Resultat erbrachte der gleichartige Versuch, aus der vormals britischen „Weltpresse“ ein gutes Nachmittagsblatt zu machen. Auch wenn die Engländer ein solideres Unternehmen hinterlassen hätten, muß man bezweifeln, ob das Experiment anders ausgegangen wäre. Boulevardpresse und sozialistische Journalistik alten Stils sind unvereinbar. Wer solche Gegensätze versöhnen will, wird immer scheitern, welchen Namen und welche Gestalt der Wechselbalg auch erhält. Wahrscheinlich gilt Ähnliches für die ÖVP; ihr katholisches Grundkonzept hat durch die publizistische Entartung, von der auch sie nicht verschont geblieben ist, stark gelitten.

Willkommenes Gift

Ich verabscheue die Boulevardpresse. Aber das befreit nicht von der Verpflichtung, dieses Phänomen zu analysieren und ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es wäre zu billig, sich der kommunistischen Methode zu bedienen und, anstatt funktionelle Zusammenhänge zu sehen, einzelne Gruppen oder Personen für den Tatbestand verantwortlich zu machen. Nicht ein paar böse Kapitalisten haben die Boulevardpresse in die Welt gesetzt, um die Seele des Volkes zu vergiften, sondern gewisse Voraussetzungen für die Boulevardpresse sind in der Volksseele vorhanden. Gewiß entspricht es dem Wesen der Profitwirtschaft, jeglichem Produkt des gesellschaftlichen Zusammenlebens Warencharakter zu geben. Daran haben auch die besten Geister der bürgerlichen Gesellschaft nichts ändern können. Man soll darum den Kampf nicht gegen Einzelne führen, sondern gegen ein System, dessen Unsittlichkeit gerade im Wirken der Boulevardpresse offenbar wird. Denn wenn es auch stimmt, daß in der breiten Masse das Bedürfnis vorhanden sein mußte, bevor dessen Kommerzialisierung erfolgen konnte, so ist es doch ebenso gewiß, daß dieses Bedürfnis mißbraucht und verfälscht worden ist. Der Vorwurf, den man sich machen muß, besteht darin, das unterschwellige Verlangen nicht rechtzeitig erkannt und so befriedigt zu haben, daß kein Raum für die Boulevardpresse geblieben wäre. Was wir unterlassen haben, hat die Boulevardpresse auf ihre Weise besorgt. Sie hat das Fieber mit Quacksalbermitteln behandelt und es dadurch noch höher getrieben. Aber sie hat gewußt, wie man den Patienten anfaßt.

Die Boulevardpresse wird durchaus nicht nur von dummen Leuten und schlechten Kerlen gemacht. In ihren Redaktionen arbeiten neben anderen Elementen auch starke journalistische Begabungen. Manche von ihnen glauben ehrlich, daß ihr Werk gut sei und dem Volk diene. Nicht alles in der Boulevardpresse entspricht dem bloßen Sensationsverlangen, nicht alles wird verfälscht und verlogen dargestellt; ein Großteil des Geschriebenen kommt offensichtlich berechtigten Forderungen der Zeit entgegen, ob es nun Sport, Mode, Photographie, Reise, Theater, Film oder selbst den Tratsch darüber betrifft. Man könnte diese Dinge wahrlich in dezenterer und würdigerer Form behandeln; immerhin sind es Wünsche des Lesers von heute, an denen man nicht vorübergehen kann. Der Mangel an Dezenz und Würde wird nicht immer von Ungeschmack oder bösem Willen Einzelner verschuldet. Vielmehr ist es das ökonomische Getriebe, welches seine eigenen Handlanger schlägt. Die Boulevardpresse untersteht dem Konkurrenzprinzip, und das ist der tiefste Grund ihrer Entartung. Aus dem Krieg der Rivalen entspringt jenes Lizitieren der Sensationen, jene zynische Maßlosigkeit, jene Wendigkeit der Gesinnung — jener Abstieg ins Nichts.

Sie können nicht anders, sie dürfen nicht anders als „unpolitisch“ sein und auf Gesinnung verzichten. Der einzelne Redakteur hat seine Gesinnung, noch mehr hat sie der Herausgeber, doch unverhüllt dürfen sie’s im Blatt nicht zeigen, weil sie andernfalls der Konkurrenz jene Lesermassen überließen, welche durch eine klar bestimmte weltanschauliche oder politische Linie abgestoßen werden. Die Nullifizierung der Gesinnung, die Preisgabe jedes geistigen Credos, der Zerfall jeder gesellschaftlichen Bindung ist das Ergebnis.

Im Schafsfell des Boulevard

Um dennoch eine Bindung zu erreichen, gibt es den Blickfang der massiven Titel, die obszönen Mord- und Prozeßberichte mit ihren Photos, den aus der Magentiefe des Spießers aufgestiegenen Rülpser gegen die hohe Obrigkeit, die Herabsetzung aller demokratischen Einrichtungen im Namen der Demokratie und unter Berufung auf sie. Hilflos steht die Boulevardpresse ihrer eigenen Demagogie gegenüber — sie muß fortsetzen und immer weiter treiben, auch wenn dem anständigen Journalisten längst davor graut. Ich kenne tragischere Situationen als diese, aber ein Stück Tragik steckt auch in der Selbstzerstörung einer publizistischen Mission.

Im alten Geist der sozialistischen Doktrin erzogene Journalisten sind dieser Entwicklung nicht gewachsen. Sofern sie eine Nachahmung versuchen, werden sie immer wieder Versager sein — was sie nur ehrt und wobei nicht geleugnet werden soll, daß es auch Ausnahmen gibt. Wenn Sozialisten in einem Boulevardblatt Einfluß gewinnen wollen, so bleibt ihnen keine andere Wahl, als die journalistischen Aufgaben dort von Menschen besorgen zu lassen, die weltanschaulich unbeschwert sind. Sie müssen in der Regel parteifremde Kräfte engagieren, und das kann nur gelingen, wenn die Gesinnung des Blattes verborgen bleibt, ja ihre Äußerung verboten wird. Das ist der Haken. Man muß es sich gewaltige Summen kosten lassen, nicht etwa um eine neue sozialistische Zeitung zu haben (und ähnliches stimmt, wie gesagt, auch für die ÖVP), sondern um den Boulevardmarkt zu neutralisieren, um wenigstens zu erreichen, daß die potentielle Feindschaft des betreffenden Boulevardblattes in Schranken gehalten wird.

Das hat unbestreitbare taktische Vorteile gebracht: indem das „Überparteiliche“ und „Unabhängige“ unterstrichen wurde, waren auch andere Boulevardblätter, die gern offene Gegner sein möchten, solcherart genötigt, ihre Feindseligkeit zu verhüllen. Noch vor wenigen Jahren sah der Nachmittags-Hexentanz der Wiener Presse für die Sozialistische Partei sehr betrüblich aus. „Bild-Telegraf“ und „Kurier“ schossen aus allen Rohren, und obgleich es wahr ist, daß aus dem Leser einer gegnerischen Zeitung kein politischer Gegner werden muß (gerade in dieser Zeit erzielten die Sozialisten einen Wahlerfolg nach dem anderen), so ist es auf die Dauer doch unbehaglich, gegen solches Salvenfeuer fast wehrlos zu sein. Der „Bürgerkrieg“ der Boulevardblätter, dessen Operettenhaftigkeit dennoch nicht ausreichte, Ansehen und Einfluß dieser Art von Presse zu mindern, hat als vorläufiges Ergebnis eine gewisse Stabilisierung gebracht. Der „Kurier“ mußte seine Absicht, Alleinherrscher auf dem Boulevardmarkt zu werden, vertagen und war genötigt, sich reservierter zu benehmen, als es in seinen Plänen gelegen sein mag. Er ist heute etwas seriöser als die anderen.

░░░░░░░░░░ [*] an das Nachfolgeblatt des „Bild-Telegraf“, den „Express“, und ░░░░░░░░░░ [*] sowie die vermutlich kommende Beteiligung von ÖVP-Vertretern, wo nicht an der „Abendzeitung“, so doch wohl an der „Wochen-Presse“ ░░░░░░░░░░ [*] kann auch der von politischen Fonds äußerlich unabhängige „Kurier“ nicht anders handeln. Er muß sich ebenfalls in das Schafsfell der „Neutralität“ und „Objektivität““ hüllen. Dadurch ist die Nachmittags-Statur der Wiener Presse anders, als sie es vor dem „Bürgerkrieg“ war. Aber um welchen Preis? Von den materiellen Opfern, die beide Parteien bringen müssen, sei weiter nicht geredet. Lassen wir auch sentimentale Erwägungen außer Betracht; ein Victor Adler würde sich im Grabe ░░░░░░░░░░ [*]

░░░░░░░░░░ [*] Sprechen wir auch nicht des Näheren davon — was wiederum aufbeide Parteien zutrifft —, daß begünstigte Boulevardblätter spezielle Informationen, Vorausmitteilungen, Tips und Winke erhalten, auf welche die parteieigene Presse vergebens wartet; sie bekommt sie gar nicht oder erst, bis sie ihren Nachrichtenwert verloren haben. Das schädigt die finanziellen Grundlagen der Parteipresse; aber viel schwerer wiegt die Erkenntnis von der Vergeblichkeit allen Bemühens um eine informierte und zugleich charaktervolle Presse in diesem Land.

Es ist ein trauriges Bild: ein schuldhafter und unverschuldeter toller Wirbel von Titeln und Photos, ein Potpourri von Reizmitteln niedrigster Kategorie. Ein Exzeß wie jüngst im Wiener Stadion beim Spiel Rapid—Benfica ist nur eines der Symptome, an dem sich die Wirkung oder Mitwirkung der Boulevardpresse ermessen läßt. Die Lärmorgien, die den Großstädter bedrängen und ohne die er doch nicht existieren kann, werden in Druckerschwärze übertragen. Kofferradio und Motorengeräusch tönen fort im bedruckten Papier. Diese Presse ist Opium des Volkes. Niemand liebt sie, am wenigsten jene, die sie erzeugen. Aber sie ist unentrinnbar, unvermeidlich. Man hört nicht zu, wenn das Kofferradio plärrt — und man wirft nur flüchtige Blicke auf die Riesenüberschriften der Zeitungen. Aber man will beide haben. Sie gehören zur Pathologie des Zeitalters.

Wohl oder übel haben wir Sozialisten uns einer Maxime gefügt, die einst bessere Tage gekannt hat: Wir haben lieber mit den Massen geirrt als gegen sie recht behalten. Eine Tragikomödie, würdig des Aristophanes. In unserer Bedrängnis sind wir noch einen Schritt darüber hinausgegangen, denn solche Kühnheit wäre wohl auch dem Aristophanes nicht eingefallen: Wir haben das Übel homöopathisch behandelt, indem wir es in der eigenen Küche herstellen und vermehren. Das ist der Sinn jener Zeitschrift, die sich mit Recht „Heute“ nennt. So wie es Edel-Wildwester im Film gibt, ist hier der Edel-Boulevard im Zeitungswesen begründet worden. „Heute“ hat die beste Aufmachung aller Wochenzeitungen, den elegantesten Umbruch — eine noble kunstgewerbliche Form. Aber darin verpackt ist das Kannegießertum des politischen Tratsches, das Prophezeien aus dem politischen Kaffeesud, der Mangel einer definierbaren Linie. Gewiß gibt es oft auch gute Aufsätze, aber sie verschwinden in Kraut und Rüben. Der antikommunistische Westler findet sich neben dem Anti-Amerikaner — ein Kunterbunt von Meinungen, durch einen einzigen Grundsatz zusammmengehalten. Hauptsache ist das Neinsagen, auch zur sozialistischen Sache.

Na schön, endlich ein Blatt, in dem man sich kein Blatt vor den Mund zu nehmen braucht, Freiheit der Meinung, rebellisch und unabhängig. Ganz stimmt es nicht. Aber das Tragikomische ist ja gerade, daß es so und so nicht hilft. Die Auflage ist nach drei Jahren Bestand erschreckend niedrig geblieben, und die paradoxe Auslegung sozialistischer Grundsätze und Kulturaufgaben hat nicht nur finanziell sich nicht gelohnt, sondern auch schlagend bewiesen, daß man, wenn es ums Moralische geht, den Erfolg nicht auf einem Umweg erlisten kann. Eine wirkliche Kulturzeitschrift, etwa nach Art der „langweilig“ aufgemachten katholischen „Furche“, wäre auflagenmäßig auch nicht schlechter dagestanden und hätte für die sozialistische Sache besseres Zeugnis abgelegt.

Noch ein paar Worte über den einsamen Kämpfer gegen die Zeit, ein paar Worte über die „Arbeiter-Zeitung“. Ein Blatt mit einer so ehrwürdigen und ruhmreichen Geschichte, ein Blatt, das ein Denkmal dieser Geschichte ist, aus ihr nicht fortzudenken. Ein solches Blatt muß — geradezu naturgesetzlich — konservativ sein und im Ererbten, Überlieferten zu beharren trachten. Das ist die Größe und Ehre der „Arbeiter-Zeitung“, aber in der gegenwärtigen Phase auch ihre Schwäche. An den verwüsteten Lesergeschmack Konzessionen zu machen und doch die geistige Würde zu bewahren, ist heute ungleich schwerer als vor fünfzig und sechzig Jahren, als der Schwung der Idee noch Schwung und Idee war. Was heute tun, im Zeitalter des Opportunismus?

Geboten ist die Erweiterung der Schreibfreiheit und die Betonung der Individualität des Journalisten, in dessen Charakter und Gewissenhaftigkeit man mehr Vertrauen setzen muß als bisher. Die Farbigkeit, die eine ernste Zeitung nicht in der Sensation der Gosse zu suchen braucht, muß sich in der Betonung des persönlichen Einfalls und der persönlichen Darstellungsgabe äußern. Einheit der politischen Überzeugung, aber Vielfalt auf allen Gebieten des Informativen, nicht schematisch eingezwängt, sondern in ständiger Abwechslung und Bereitschaft zu neuen Formen. Was ein Blatt wie „Heute“ gestaltungsmäßig zustandegebracht hat, müßte zum sicheren Erfolg führen, wenn ein geistig und moralisch so hochstehendes Organ wie die „Arbeiter-Zeitung“ sich auch nur teilweise ähnlicher Formungsmittel bediente. In Gottes Tiergarten gibt es viel mehr Tiere, als sie ein Einzelner — und sei er noch so bedeutend — wahrzunehmen vermag.

Dennoch wäre es allzu optimistisch, wollte man erwarten, daß auch die mutigsten Reformen in den heutigen Zeitläufen dem charaktervollen Meinungsorgan rasch die frühere Überlegenheit zurückbringen würden. Wir müssen durch die Niederungen unserer Zeit hindurch und Geduld haben. Vielleicht ist die Geduld vergeblich, vielleicht ist der Verfall des Geistigen von so langer Dauer, daß die westliche Gemeinschaft schließlich unfähig wird, sich der totalitären Anstürme zu erwehren. Dann wäre ohnehin alles verloren. Vielleicht — oder wie ich glaube, sicher — kommt es anders und besser. Vielleicht erwächst uns, wenn die Bedrohung unseres Lebensinhalts, unserer in Jahrhunderten geschaffenen Werte, deutlicher sichtbar wird, eine neue Vision. Dann wird die Stunde der Meinungspresse wieder kommen.

Gedeihen in dieser Stadt nicht am besten jene Zeitungen, die den niedrigsten Instinkten des Lesepöbels zu schmeicheln wissen, die auf die kümmerlichste Fertigkeit ihre Existenz gegründet haben? Gefällt der Menge nicht am besten jener widerliche Brei aus Sensationsmacherei, rohem Klatsch und unwahrer Sentimentalität, mit dem diese Presse ihre Spalten füllt ... Von der grob materiellen Korruption, der gemeinen Käuflichkeit, bis zu der alle sittlichen und ethischen Werte verschüttenden Herrschaft der Cliquen und Konklaven — welche Bilder der Verwüstung! Aber diese Entartung ist nur zu bekämpfen durch die Befreiung der Presse ... die Besserung kann nur von Maßregeln kommen, die den Zeitungen Freiheit, Licht und Luft geben! Das Problem des modernen Journalismus ist eigentlich, die Zeitungen den Zeitungsschreibern zurückzugeben.

Friedrich Austerlitz,
„Preßfreiheit und Preßrecht“,
Wien, 1902

[*Wie wir knapp vor Redaktionsschluß feststellen konnten, ist unsere Einladung zur Diskussion auf die Zustimmung der Betroffenen gestoßen. Lediglich eine kleinformatige Wiener Tageszeitung antwortete auf den unserer brieflichen Einladung beigelegten Bürstenabzug des obigen Artikels mit der Erwirkung einer gerichtlichen Beschlagnahme. Hierauf gehen die weißen Flecken im Text auf Seite 215 zurück.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juni
1961
, Seite 214
Autor/inn/en:

Jacques Hannak:

Dr. Jacques Hannak, geboren 1892 in Wien, ist Redakteur der „Arbeiter-Zeitung" und hat eine Reihe von Büchern geschrieben, von denen die Geschichte der Sozialistischen Partei Österreichs, „Im Sturm eines Jahrhunderts“, das wichtigste ist. Daneben gilt seine literarische Tätigkeit seinem Hobby, dem Schachspiel. Die Standardbiographien der beiden Großmeister Steinitz und Lasker stammen von ihm.

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