MOZ » Jahrgang 1990 » Nummer 57
Franz Schandl

Die Geschlagenen

Eine selektive Nachlese zur Nationalratswahl

Fad war dieser Wahlkampf, nicht jedoch das Ergebnis. Das hatte es zweifellos in sich.

Der ÖVP war es in den letzten Jahren gelungen, die SPÖ wie einen Christbaum abzuräumen. Auf faktisch allen Ebenen konnte sie ihre Konzepte und Vorhaben durchsetzen (Privatisierung, Steuerreform, Abfangjäger etc.). Von den Kreiskyschen Rezepten der siebziger Jahre ist nichts übrig geblieben.

Doch solche Erfolge reichen heute nicht mehr zu einem Wahlsieg. Im Gegenteil: Sie schützten die ÖVP nicht einmal vor dem größten Wahldebakel in ihrer Geschichte.
Nach inhaltlichen Kriterien war die Volkspartei in den letzten Jahren die tonangebende politische Kraft, machte nur wenige Fehler — einer davon war das Liebäugeln mit der FPÖ —, war kaum in Skandale und Affären verwickelt. Ja, und dann das. Die ÖVP wurde tatsächlich unter ihrem realen Wert geschlagen, oder besser: erschlagen.

Die ÖVP ist die traditionalistischste Partei Österreichs. Sie hat nicht begriffen, daß einzelne Merkmale das Wahlverhalten mehr beeinflussen als Programme und Konzepte. Sie hat ganz einfach nicht kapiert, wie wenig heute die Gesamtsicht einer Partei eine Rolle spielt. Das Ensemble der Par­teipolitik interessiert den Wäh­ler nicht, hat ihn nicht mehr zu interessieren und wird auch medial nicht aufbereitet.

Die ÖVP ist ein tüchtiger Protagonist der aktuellen Ent­wicklung, feiert den Sieg ihrer Werte also zu Recht. Nur hat sie — im Gegensatz zu allen an­deren Parteien — daraus keine Konsequenzen für sich selbst gezogen. Sie unterlag dem Irr­glauben, dieser Sieg der Markt­wirtschaft würde sie auch ganz automatisch stärken.

„Die Parteien müssen der Amerikanisierung der Innenpo­litik Rechnung tragen”, meinte erst unlängst ein ÖVP-Vorständler im „profil”. Genau das steht bei der ÖVP noch aus und daher an. Manchmal wird man gerade bei ihr das Gefühl nicht los, daß sie auch noch heute gern als Figl-Raab-Revival- Band auftreten will. Mock wie Riegler sind genau aus diesem Holz geschnitzt. Es wird zunehmend unverkäuflich.
Während der SPÖ die alte Garde im Gewitter der medial inszenierten Affären abhanden gekommen ist, sitzen bei der ÖVP noch allzu viele Unzeitgemäße in Würden und Ämtern. Im nachhinein kann man feststellen, daß diese Skandale für die personelle Erneuerung der SPÖ sogar vorteilhaft waren, da diese Ablösen ohne innerparteiliche Kämpfe über die Bühne gehen konnten.

Eine Niederlage gab es überraschenderweise für die GRÜNEN. Sicher schadete die Polarisierung zwischen der SPÖ einerseits und einer möglichen Kleinen Koalition andererseits, auch die VGÖ kosteten so manche Stimme. Doch sollten diese Fakten nicht zu sehr ablenken von den eigentlichen Schwächen der Parlamentspartei.
Die GRÜNEN haben diese Wahlen verloren, nicht weil sie zu links oder zu rechts waren, sondern weil ihre Politik in sich zu wenig stimmig ist.

Da versucht man monatelang, die BürgerInnen nicht zu verschrecken, stoppelt ein biederes Faserschmeichlerprogramm (eine umfassende Kritik unsererseits ist im letzten FORVM nachzulesen) zusammen, um dann mit einem Benzinpreis von 24 Schilling zu drohen. Da bedient man sich fast ausschließlich der Medien, ersetzt durch Promi-Verlautbarung die innerparteiliche Kommunikation, ist aber trotzdem nicht bereit, den von den hiesigen Gazetten auserkorenen Spitzenkandidaten Peter Pilz zu akzeptieren, sondern macht wie in alten ALÖ-Zeiten auf Spitzenquartett. So wirr kann Politik ausschauen. Wahrlich.

Die GRÜNEN nehmen ihren systemimmanenten Charakter nicht ernst und spielen noch immer, zu ihrer heutigen Politik völlig unpassend, Basisdemokratie. Sie betreiben, von einem emanzipatorischen Standpunkt aus gesehen, nicht nur eine falsche Politik, sie betreiben diese auch noch äußerst inkonsequent.

Umweltpolitik haben sie gänzlich auf die Ebene der Erfahrung heruntergebracht. Ihre Politikvermittlung erfordert daher den dauernden Katastrophen- und Skandaleinsatz. In diesen Angelegenheiten sind sie auch ständig unterwegs, suchen, und werden oft fündig. Das läßt Entsetzen, aber keine Erkenntnis zu. Was dem Menschen auf den Kopf fällt, hinterläßt nur einen dumpfen Schädel. Auf der Ebene der Bewußtseinsbildung hat die Grüne Alternative bisher nichts geleistet.
Selbst die Aufdeckerei hat den GRÜNEN wenig gebracht. Das ist auch gut so. Das Suhlen im Dreck der anderen ist noch keine Politik, geschweige denn eine fortschrittliche Politik. Die Pseudo-Erfolge des Peter Pilz werden schneller vergessen sein als Grüne glauben.

Die allergrößten VerliererInnen dieser und wahrscheinlich auch zukünftiger Wahlen sind allerdings die WählerInnen. Sie werden immer dümmer (gemacht). Sie sind nicht, wie vielfach behauptet, bewußter in ihren Überlegungen und autonomer in ihrem Wahl verhalten geworden, sondern bloß beziehungsloser (und oft auch hemmungsloser).

Sie wissen nicht mehr, woran sie sich halten sollen, weil sie nicht wissen, was sie von dieser oder jener wahlwerbenden Gruppe eigentlich halten können. Wesen und Erscheinung sind für sie nicht zu unterscheiden. Sie sind unfähig geworden, sich von einer Partei ein Gesamturteil zu bilden, statt dessen lechzen sie nach Entscheidungshilfen, die differenziertes Denken ersetzen, z.B. nach dem Persönlichkeitswahlrecht.

Beziehungslosigkeit bedeutet, daß die WählerInnen nicht selbstbewußter und selbstbestimmter geworden, ihren Zwangsgemeinschaften entflohen sind, sondern daß sie politisch herumhängen, weder wissen, wer sie sind und noch weniger, wohin sie gehören (wollen).

Viele entscheiden sich so wirklich erst am Wahltag. Diese Labilität zeigt, wie wenig Substanz in einem solchen Verhalten liegt. Es ist daher nicht verwunderlich, daß gleich ein Fünftel der WählerInnen überhaupt auf ihr Wahlrecht verzichtet. Denn wo dieses zu einer bloßen Stimmabgabe degeneriert, d.h. unter das Niveau einer wirklichen Wahlentscheidung fällt, ist dies nur folgerichtig. Wahlrecht korrespondiert zunehmend mit Wahlunwilligkeit, eben auch deswegen, weil es im Grunde nichts zu wählen gibt.

Diese Nationalratswahl war nur ein Vorgeschmack, was auf uns alles zukommt. Ein vorzugsstimmenkeilender Spitzenkandidat, ein bonzenquälender Schulsprecher, ein solarmobilfahrender Chefredaktorenbub; das werden kleine Fische gewesen sein gegenüber dem amerikanisierten Spektakel, das da in Zukunft Einzug halten wird.
„The democratic circus” heißt eine Nummer auf dem letzten Album der Talking Heads, „Naked” (1988). Es wird zur musikalischen Einstimmung empfohlen.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
November
1990
, Seite 19
Autor/inn/en:

Franz Schandl:

Geboren 1960 in Eberweis/Niederösterreich. Studium der Geschichte und Politikwissenschaft in Wien. Lebt dortselbst als Historiker und Publizist und verdient seine Brötchen als Journalist wider Willen. Redakteur der Zeitschrift Streifzüge. Diverse Veröffentlichungen, gem. mit Gerhard Schattauer Verfasser der Studie „Die Grünen in Österreich. Entwicklung und Konsolidierung einer politischen Kraft“, Wien 1996. Aktuell: Nikolaus Dimmel/Karl A. Immervoll/Franz Schandl (Hg.), „Sinnvoll tätig sein, Wirkungen eines Grundeinkommens“, Wien 2019.

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Themen dieses Beitrags

Politische Parteien