FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1968 - 1981 » Jahrgang 1971 » No. 211
Michael Springer

BH-Reform = Söldnerheer + Heimwehr

I. Von Maria Theresia zur Technokratie

Die Krise der Heeresorganisation ist zugleich eine „technische“ und eine politische. Technisch insofern, als das moderne Gerät (Flugzeuge, Radar usw.) andere Organisationsformen und Einstellungen verlangt als die absolutistischen aus der Zeit des Korporalstocks. Technisches Gerät kann von gekränkten Soldaten in Sekunden und spurlos unbrauchbar gemacht werden. Eine „technokratische“ Heeresreform muß den Konsens des Gemeinen herbeiführen, statt der Unterwerfung. Die Industrialisierung der Armee steht auf dem Programm.

Das ist freilich gegen die österreichische Offiziersmentalität. Ihre Ideale entstammen der feudalaristokratischen Welt. Adelige Sportarten wie Reiten und Tennisspielen werden bevorzugt. Man hält sich Tragtierkompanien, um Pferdeställe, und Pferdeställe, um gratis Reitpferde zu haben. Lütgendorf höchstselbst, als oberster Sportwart des Bundesheeres, veranstaltete Militär-Reitmeisterschaften. Wo es irgendwie geht, läßt man im Kasernengelände von Präsenzdienern Tennisplätze planieren.

Immer noch ist das Formalexerzieren die höchste Weisheit der Ausbilder, obwohl der taktische Sinn längst fort ist: die geschlossenen Linien und Kolonnen sind die typischen Formationen der absolutistischen Zeit, der Heere Maria Theresias, als man noch Vorderlader mit Feuersteinschloß hatte, mit denen man nur zweimal in der Minute schießen konnte und günstigstenfalls 100 Meter weit traf; damals mußte man möglichst viele solcher Kugelspritzen auf einem Platz konzentrieren und gleichzeitig abfeuern — das eben war der Sinn der umständlichen Simultangriffe. Wenn heute griffeklopfende Rekruten immer noch das gängige Bild der österreichischen Kasernenhöfe darstellen, so betreiben sie ein Ritual, das mindestens 100 Jahre überholt ist. Seit dem Gebrauch automatischer Waffen, also seit dem Ersten Weltkrieg, zieht man die Truppe auf dem Gefechtsfeld auseinander, und der Gleichschritt ist sinnlos. Freilich weiß man sonst nichts mit den Soldaten anzufangen. Der Offizier denkt: Wenn die Masse in Formation marschiert, habe ich sie in der Hand. Wer „Haltung“ annimmt („Habt acht!“), hält an sich: er spannt die Muskeln, die Körperoberfläche wird starr und hart, staut innere Regungen zurück, und der ganze Mann steht da wie ein Kind, das auf den Schlag des Vaters wartet. Wenn der bekannte Ruck durch die Mannen geht und sie steif werden, begeilt sich der kommandierende Offizier. Das Inhaltliche des absolutistischen Rituals ist verlorengegangen, seine Disziplinierungsfunktion ist geblieben.

Die authentische Interpretation gibt der seinerzeitige Chef der Ausbildungsabteilung des Bundesheeres, der nunmehrige Minister Karl F. Lütgendorf: „Wird der Ruf zur Ordnung, das Kommando zur Ausführung einer bestimmten Wendung oder eines Waffengriffes präzise befolgt, gelangt die hiezu notwendige Selbstbeherrschung, Straffung des Körpers, richtige und genaue Durchführung vorbildlich zum Ausdruck, so bildet dies nicht bloß für den Beobachter ein wohlgefälliges Schauspiel oder zeugt von gutem Ausbildungsstand, sondern ist mit ein Ausdruck des Wehrwillens, der Selbstdisziplin, einer Disziplin, die innere Festigkeit und Reife erfordert.“ [1]

Für das klassische Exerzieren bleibt noch ein Aspekt, unter dem es Sinn hat: im Anwendungsfall „Innere Ordnung“. Im Bürgerkrieg ist der Einsatz des Militärs oft riskant, vor einer demonstrierenden Menge ist es schwer, die Mannschaft „im Zaume“ zu halten. Dem Zivil gegenüber helfen die Gewalthaufen alten Stils.

Organisatorisch war die Schleinzer-Habermannsche Umgliederung des Bundesheeres 1962/63 auf Dimensionen einer Großmacht entworfen (nämlich der USA, von wo man das Schema bezog); die Aufteilung in Ausbildungs- und Einsatzverbände bewirkte nur eine Zersplitterung des Kaders und der Mittel, während die angestrebte erhöhte Einsatzbereitschaft der „Knopfdruckarmee“ nicht erreicht wurde; dort ging es eher gemütlich zu.

Auch finanziell wurde man Opfer der Gigantomanie. Die Vielzahl der Gerätetypen, die unüberlegten Käufe im Luftwaffensektor verzehrten die Mittel für Wartung und Betrieb; im Verhältnis zu den Erhaltungskosten wurde zuviel angeschafft. Außerdem lebte das aktive Heer auf Kosten des Reserveheeres. Die Panzer fraßen sich gegenseitig auf, der Schuldenberg wuchs, und das Material bewegte sich gegen Null. Diese drängenden ökonomischen Umstände haben die Heeresreform auf die Tagesordnung gesetzt, nicht das Volksbegehren. Die pazifistischen Aktivisten des Volksbegehrens leben in dem Glauben, jede Reform des Bundesheeres bedeutet dessen Ende oder zumindest dessen Schwächung bzw. Demokratisierung; hier treffen sie sich mit den fossilen Generälen, die ihr Ende gekommen wähnen. Diesen Illusionen ist entgegenzuhalten: Es gibt eine technokratische Reform des Heeres, welche den Bedürfnissen der inneren und äußeren Herrschaftssicherung entspricht. Das Problem ist technisch lösbar. Der Spannocchi-Plan ist ein solcher Lösungsvorschlag.

Die letzten Monarchisten aus der Ersten Republik sterben aus. Rein altersmäßig ergibt sich, daß jetzt die letzten Jahrgänge der noch in der Wr. Neustädter Akademie erzogenen Offiziere an der Spitze stehen, die im übrigen auch schon von Hitlers „Lebensraum“ geprägt sind (siehe Lütgendorf). Was nachkommt, hat unter Hitler angefangen. Und diese Generation rückt in einem Augenblick auf, wo die Offiziere wieder in der Politik mittun wollen — siehe den Brief der 1700 Offiziere für ein starkes Bundesheer, der sich an ähnlichen Aktionen in der westdeutschen Bundeswehr orientiert.

In diese Richtung geht auch ein Vorschlag der höchsten Offiziere im Rahmen der Bundesheerreformkommission (BHRK) zur Einführung eines aus der administrativen und politischen Kontrolle jederzeit herauslösbaren Generalstabs (Armeeoberkommando) und die Unterstellung der Truppe unter einen Generalstabschef; dadurch würde die Eigenständigkeit der Militärs gegenüber Politik und Administration zweifellos gefördert. Ganz allgemein beginnt im Offizierskader ein Unmut mit „der Politik“ aufzusteigen, der nach Äußerungsmöglichkeiten und Sicherungen sucht sowie nach politischer Betätigung. Die Bundesheerreform und speziell die famose BHRK hat diesem Streben zunächst ein erstes Ventil geboten.

Wie weit die Militärs hinter ihrem eigenen Problemauftrag, der Lösung der technokratischen Reform des Bundesheeres, zurückbleiben, zeigen einige Vorfälle in der BHRK. So beschloß die Kommission beispielsweise in ihrer letzten Sitzung am 19. Oktober 1970, daß die Chargen der Reserve länger waffenzuüben hätten als gewöhnliche Soldaten was dazu führen muß, daß alle den Schwejk spielen und vermeiden werden, sich für den Gefreitenstern zu qualifizieren. Der Unterausschuß für Ausbildung beschloß am 6. Oktober 1970, daß die tägliche Ausbildungszeit der Soldaten verlängert werden soll — über die in der ADV garantierten und sowieso nicht eingehaltenen 45 Wochenstunden hinaus (während die Arbeitszeit des Kaders gleichzeitig verkürzt wird!). Es geschah dies auf Antrag des Obstlt. Ruef hin, der ein ulkiges Buch geschrieben hat, das als Standardwerk in der Ausbildung dient („Der Geschlechtstrieb verführt uns zur brutalen Gier oder kann lebensschöpfende Beherrschung geben“ [2]).

II. Alternativdienst und Revolution

Desgleichen sei an den Beschluß der BHRK vom 1. Oktober 1970 erinnert, wo die Offiziere den Wehrersatzdienst mit einer konservativ-autoritären Begründung ablehnten, welche ihnen ein RFS-Vertreter lieferte. Wehrdienstverweigerung komme aus einer „asozialen Einstellung“, heißt es da, er werde „nur von einer kleinen Minderheit vertreten, welche in Verfolgung einer ideologischen Zielsetzung die Untergrabung der militärischen Verteidigung im allgemeinen zum Ziele hat“. [3] Damals beeilte sich Lütgendorf, mir privatim zu versichern, er sei für den Wehrersatzdienst und gegen den Beschluß, augenscheinlich, weil er geil auf den Ministerposten war und sich bei der SPÖ einhauen wollte (ähnlich verhielt sich Gdl Bach, der geil auf den GTI-Posten ist, er schielte immer auf den SPÖ-Nationalrat Mondl, wenn er sprach). Ja noch mehr, als die Generäle merkten, daß ihre wahre Meinung in der Öffentlichkeit schlecht ankam, revidierten sie opportunistischerweise ihren Beschluß. Lütgendorf brachte es sogar zuwege, sich die Alternativdienstenquête unbewegten Gesichts anzuhören.

Seine wahre Meinung sagte er am 20. Mai vor dem Salzburger Kameradschaftsbund, und siehe, sie deckt sich fast wörtlich mit dem erwähnten RFS-Papier: „Gerade in der gegenwärtigen so hektischen Zeit, die vom Materialismus und von wirren Gedanken über eine Änderung unserer Gesellschaftsordnung erfüllt ist, kommt es darauf an, daß jene unverdorbenen Kräfte im Volk, zu denen wir im Kameradschaftsbund zählen, die die stark angeschlagene Heimat nach 1945 wieder aufbauten, kühlen Kopf bewahren. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie einige, meist verblendete und von Anarchisten im Ausland gesteuerte junge Heißsporne versuchen wollen, den inneren Frieden in unserem gottgesegneten, wirtschaftlich blühenden Land zu stören ... Diesen Frieden können wir uns aber nicht mit hippischen Friedensdiensten erhalten, sondern nur dann, wenn die Jugend ihrer gesetzlichen Wehrpflicht nachkommt“. [4]

Dabei ist ja der Alternativdienst überhaupt kein Problem für eine technokratische Reform, er ist sogar eines ihrer Erfordernisse. Denn die „hippischen“ Ordnungsstörer hemmen 1. die Ausbildung, indem sie den anderen ein aufreizendes Beispiel von Auflehnung geben, und 2. funktionieren sie nicht und sind daher eine ständige Gefahr für das Material, welches sie naturgemäß geringachten. Also müßte es geradezu das Bestreben der Militärs sein, diese aus dem militärischen Verband draußen zu halten. In der Tat ist es ja heute schon so, daß man konsequent Resistente stillschweigend unter irgendeinem Vorwand entläßt, weil ein einziger solcher eine ganze Kompanie aufhalten bzw. auf den Kopf stellen kann (für Leute mit guten Nerven ist das geradezu als „todsicheres“ Rezept zu empfehlen, wenn sie dem Wehrdienst entkommen wollen).

Der Alternativdienst ist also keine heereszerstörende, revolutionäre Maßnahme, sondern notwendiger Bestandteil einer technokratischen Reform. Er erfaßt diejenigen Leute, die im modernen Heer nicht mehr unterzubringen sind, im Rahmen einer militaristisch organisierten Arbeitsdienstpflicht.

Eine ernsthafte linke Alternative zur Heeresreform der Grafen, Freiherren und Generäle hätte von der Feststellung auszugehen, daß Polizei und Armee Instrumente der herrschenden Klassen zur Aufrechterhaltung ihrer Ordnung sind und daß man sie nicht durch einen parlamentarischen Trick (Volksbegehren) wegtransformieren kann. Sie sind Invarianten der Klassengesellschaft. Die historische Erfahrung lehrt, daß der Herrschaftsapparat nur in Zeiten aufsteigender Revolution zerfällt. Wer die Zerstörung des Heeres will, muß auch die Revolution wollen. Das Ziel, den Herrschenden dieses Instrument zu entreißen, kann nur als revolutionärer, nicht als parlamentarischer Akt perzipiert werden. Solange eine Revolution nicht auf der Tagesordnung steht, kann alles nur Damm sein, Stückwerk, Defensivität. Um ein Beispiel zu geben: Eine demokratische Kontrolle über das Heer könnte so aufgebaut werden, daß die sogenannte „staatsbürgerliche Ausbildung“ in die Hände des Zivils übergeht, etwa durch Diskussionen mit Jugendorganisationen, und daß von daher ein Gegengewicht gegen die Offiziersautorität entsteht (Vorbild: Politkommissare der Roten Armee, Konfliktstrategie bis zur Doppelherrschaft).

Die technokratische Reform ist zunächst nicht gelungen, weil die BHRK für diesen Zweck nicht ausreichend programmiert war. Vordergründig mag es so scheinen, als ob Kreisky hier die Generalität auf sein 6-Monate-Minimum festlegen wollte, und dann hätten die Offiziere die Sache umgedreht (flankierende Maßnahmen) und einen Schuh daraus gemacht, mit dem sie ihn jetzt treten. In Wirklichkeit hat Kreisky durch die Zusammensetzung der Kommission, durch den strategischen Ansatz überhaupt (Einbeziehung der Ultrarechten in die Entwicklung eines Reformkonzepts) die Schwierigkeiten und Widerstände bloß sichtbar gemacht, herauspräpariert, statt seine eigene Partei zum Angriff auf diese Hindernisse zu führen. Das resultierte in einer Lizitationspolitik der Militärs (im Gewand „fachmilitärischer“ Urteile), welcher Kreisky die Spitze abzubrechen meinte, indem er einen der härtesten („Vielleicht bin ich etwas stärker als Freihsler“) in die Regierung nahm. Wer folgt da wem, und wohin geht es überhaupt?

III. BH-Reform zwecks Bürgerkrieg

Die Antwort folgt aus einer Analyse des Spannocchi-Plans und der neuen Heeresorganisation, wie sie sich im BHRK-Vorschlag und in den Parteienverhandlungen abzeichnet. Ob mit oder ohne Zwangsrekrutierungen zur Bereitschaftstruppe, ob mit 50 oder 60 Tagen Reserveübungen — die eigentliche Struktur steht bereits außer Streit. Und damit auch die Zerlegung des Heeres nach Bürgerkriegsfronten.

Das reformierte Bundesheer wird aus zwei Teilen bestehen, einer Bereitschaftstruppe und der Landwehr. Die Bereitschaftstruppe wird eine Mobildivision (etwa 10.000 Mann) von hoher Mechanisierung und großer Feuerkraft darstellen, also eine Art doppelter B-Gendarmerie, die den Charakter eines Berufsheeres haben wird (man wird ohne Präsenzdiener nicht ganz auskommen, aber soweit es finanziell irgend möglich ist, will man eine Söldnertruppe daraus machen). Diese Truppe wäre, wenn sie schon gegen äußere Gegner mangels Luftstreitkräften nichts ausrichten kann, zumindest eine ideale innenpolitische Feuerwehr der Regierung, ähnlich dem Bundesheer der Ersten Republik. Hier könnte sich der staatstragende Sinn der Offiziere austoben, wie er sich in dem Brief der 1700 ausdrückt, der am 7. Juni 1971 den Politikern übergeben wurde: „Als Offiziere des Bundesheeres sind wir für die Sicherheit des Staates mitverantwortlich!“ [5] „Aus dieser Mitverantwortung heraus“, fordern sie dann die Kleinigkeit von 7,5 Milliarden Schilling aus dem Budget (jetzt: 4 Milliarden), also praktisch eine Verdoppelung des Heeresbudgets. Der Brief könnte seiner Terminologie nach von Lütgendorf stammen, der denn auch sagte, wenn er bloß Offizier wäre und nicht Minister, hätte er ihn auch unterschrieben. [6]

Der Bürgerkriegsansatz ergibt sich nicht nur aus den Erfahrungen der ersten Republik, sondern auch aus der Entstehungsgeschichte des Bundesheeres der zweiten Republik. Die B-Gendarmerie, die Keimzelle des Bundesheeres, war 1951 von den Amerikanern als Bürgerkriegstruppe, vorgeblich gegen eine „kommunistische Putschgefahr“, geschaffen worden. Erinnern wir an die Worte des Generals der Infanterie Otto Seitz, der im Rückblick schrieb: „Als im Herbst 1950 die Kommunisten in Österreich Unruhen hervorriefen, wurden die Westmächte um die Aufrechterhaltung der inneren Ruhe und Ordnung in ihren Zonen besorgt und beschlossen eine Verstärkung der Exekutive durch mobile, truppenähnliche Verbände.“ [7]

Diese Rolle des Bundesheeres steht im Einklang mit der politischen Einstellung der Offiziere und der Gesetzeslage. Lütgendorf etwa meint, daß jedes Volk „naturrechtlichen Anspruch auf eigenständiges Dasein“ hätte, welches „eigenen Lebensraum, politische Hoheit, eigene Rechtsordnung, Freiheit der Wirtschaft“ einschließe; zu den Hauptaufgaben des Bundesheeres zählt er unter anderem, daß es die „Regierungsform, besonders aber Freiheit und Frieden des Volkes zu schützen“ hätte [8] — so wie er sie eben versteht. Lütgendorf ist der Meinung, daß die Offiziere der Ersten Republik wohlgemerkt einschließlich des Jahres 1934, als sie zusammen mit der Heimwehr gegen Arbeiterheime vorgingen „ihre Pflicht erfüllt“ haben. [9]

Dabei ist festzuhalten, daß die Offiziere sich gar nicht lange bitten lassen, sondern nur zu gern von sich aus ein gesellschaftlicher Ordnungsfaktor sein wollen. Lütgendorf: „Je höher ein Offizier im Rang steht, desto größer ist seine Verantwortlichkeit als militärischer Führer und damit gleichsam als Repräsentant aller Interessen der Geselilschaft“. [10] Daraus muß man folgern, daß das Volk keinen höheren Repräsentanten seiner Interessen finden kann als einen General, der zugleich Verteidigungsminister ist. Nach Lütgendorf haben die Offiziere sogar „entsprechend ihren dem Staat und Volke gegenüber verpflichtenden Aufgaben ein Elitekorps darzustellen, auf welches sich Volk und Volksvertretung in jeder politischen Lage verlassen können.“ [11]

Dazu ergänzen wir aus dem Wehrgesetz 1955, Paragraph 2 („Zweck des Bundesheeres“): das Heer dient „zum Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen sowie zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Innern überhaupt“ (Abs. 1b), und zwar nicht nur, wenn die Behörden ohne BH diesen edlen Zwecken „nicht zu entsprechen vermögen“ und es dieserhalb in Anspruch nehmen (Abs. 2). Nein, das BH kann auch von sich aus tätig werden (Abs. 4): „Selbständiges militärisches Einschreiten“ ist unter anderem dann zulässig, wenn „ein nicht wiedergutzumachender Schaden für die Allgemeinheit eintreten würde“. Das ist der Putschparagraph.

Politisch bedenklicher noch als die Bereitschaftstruppe ist die Konstruktion der Landwehr. Die Landwehr soll Präsenzdiener in 6 Monaten lokal, im Heimatort, zu Territorialverteidigern ausbilden. Diese sollen Erfüllungsgehilfen der Spannocchischen Idee werden, einen äußeren Gegner in den hinterösterreichischen Wäldern partisanenmäßig zu bekämpfen, wobei der Alpenguerillero sich unter Sennerinnen zu bewegen hätte wie der bekannte Fisch im Wasser. Das ist, rein militärisch gesehen, sicherlich vernünftiger als der Schleinzerische Ostwall im Leithagebirge oder die Panzerkeile bei Hollabrunn.

Da wir aber an diesen Fall nicht „glauben“, sondern nur an die „inneren“ Möglichkeiten, interessieren uns die politischen Implikationen. Da sagte ein ungenannter „Experte des Verteidigungsministeriums“: „Der Feuerwehrhauptmann ist wer im Dorf. Warum soll es der Landwehrhauptmann nicht sein?“ [12] Es liegt nahe, daß der Landwehrhauptmann d.Res. zugleich Obmann der Kameradschaftsbund-Ortsgruppe sein wird. Und daß der Ausbildungskader der Landwehr sich noch mehr, als das bisher der Fall ist, dem Kameraden-Treiben zuwendet. Eine Politisierung der Landwehr durch die Kameradschaftsbünde ist unvermeidlich. Die Landwehr wird die neue Heimwehr sein.

Schon jetzt sind die Beziehungen zwischen Bundesheer und Kameradschaftsbünden eng. Der Präsident des Kärntner Kameradschaftsbundes beispielsweise, der Landtagsabgeordnete Walter Fritz, führte als Hauptmann d.Res. ein Grenzschutzbataillon. [13] Sein Nachfolger als Kärntner ÖKB-Chef wurde der vormalige Militärkommandant von Kärnten, General Holzinger, der 1960 als Mitglied des Bundes Sozialistischer Akademiker die berühmte Narvik-Rede gehalten hatte: „Kühnstes Unternehmen der Kriegsgeschichte ...“

Überhaupt ist die politische Stimmung der Grenzlandeinheiten auch bisher schon eine besondere gewesen. Vor allem in den ehemaligen völkischen Kampfgebieten war die Verfilzung mit den Volkstumsvereinen sehr stark (Kärnten, Steiermark, Tirol). Schon bisher waren es gerade diese aus Bauernburschen und deutschvölkischen Kleinbürgern gebildeten Einheiten, die Waffen und Munition mit nach Hause bekamen. Die gleichen Schichten waren in der Ersten Republik die soziale Basis der Heimwehren. In der Heimwehrführung haben, vor allem ab 1930, adelige Grundbesitzer die entscheidende Rolle gespielt.

Sollte durch wirtschaftliche Strukturkrisen der Gegensatz von Industrie und Landwirtschaft, von Stadt und Land neuerlich aufbrechen, dann würden die Landwehren das Personal für einen Marsch auf Wien stellen (samt Bewaffnung). Es spielte dann keine Rolle, daß auch die (sozialdemokratischen) Städte ihre Territorialeinheiten mit Luftschutz usw. hätten — die paar Motorspritzen wären kein echtes Gegengewicht.

IV. Bündnis BH-Kameradschaftsbund

Wie die alten Heimwehren ihren völkisch-nazistischen Flügel hatten, so haben die heutigen Kameradschaftsbünde ihre „Jungkameradschaften“. Wenn auch der radikalste Flügel um Dr. Otto Roszkopf 1967 von den ÖVP-Leuten ausgeschlossen wurde, nachdem er sich seit 1965 um eine Einigung des ÖKB-Niederösterreich mit der „Kameradschaft IV“ (den ehemaligen Waffen-SSlern) bemüht hatte, [14] so blieben dem ÖKB doch noch Jungkameradschaften wie die „Babenberg“ und „Feldmarschall Radetzky“, die sich durch ihre Aktivitäten ganz eindeutig ausweisen. Die Radetzkyaner machten Roszkopf zum Ehrenmitglied, und die Babenberger laden ehemalige NS-Größen wie Stüber und Oberst Rudel ein; auch der mittlerweile bei Burger eingetretene „Leutnant a.D.“ Arthur Maichanitsch tauchte bei den Babenbergern auf. [15]

Ausgerechnet die so beschaffenen Jungkameraden hält Lütgendorf für zukunftsträchtig; er sagte auf der 90. Gründungsfeier des ÖKB-Ortsvereins Ravelsbach: „Die Tatsache, daß hier gleichzeitig ein Jungkameradentreffen des Österreichischen Kameradschaftsbundes stattfindet, bestätigt mir, daß der ÖKB eine lebendige, sich erneuernde Organisation geblieben ist. Ich freue mich, zwei Feststellungen treffen zu dürfen: 1. daß der ÖKB vom Anfang an für die Aufstellung eines österreichischen Bundesheeres und für die allgemeine Wehrpflicht eingetreten ist, und 2. daß er seine Tore den jungen Soldaten des Bundesheeres weit geöffnet hat“. [16]

Das verleiht Lütgendorfs Dementi („von Steirer zu Steirer“), er habe die „NDP, glaube ich, heißt sie“ gmeint, [17] nicht bloß „die sich als Maoisten-Leninisten bezeichnen“ (keine Gruppe in Österreich bezeichnet sich so) erst jene Art von Glaubwürdigkeit, nach der man offenbar das Wort eines österreichischen Generals jetzt messen muß. Heute, dies, morgen das Gegenteil. Kritik? „Die geht mir überhaupt nicht unter die Haut!“ [17] Dicke Haut, feste Haut, alte Haut. Das haut hin, da bleibt kein Auge trocken. „Ich nehme nicht ein Wort zurück von dem, was ich gesagt habe“. [18]

Also: „Sowohl an den Mitgliedern des Kameradschaftsbundes wie an uns allen liegt es, einfach nicht tatenlos zuzusehen, wie eine kleine Gruppe unsere Gesellschaftsform in eine andere Form zu bringen versucht, das heißt, gegen die Autorität, gegen die staatliche Ordnung aufzutreten“. [19] Wenn also der Präsident des ÖKB, der Wiener Bauernbundobmann Dipl.-Ing. Jaus, verkündet, „der Kameradschaftsbund steht zu seinem Minister Brigadier Lütgendorf“, so werden sie einander schon richtig verstehen, und wir tun’s auch. Auf demselben Linzer Hauptplatz definierte Jaus anläßlich des Bundestreffens des ÖKB am 13. Juni 1971 die Rollen des Kameradschaftsbundes als „staatspolitisch verantwortungsbewußtes Wirken im Sinne einer staatsbejahenden, politisch engagierten Kraft der Mitte“.

Wenn das die Mitte ist, bildet natürlich Kreisky die Linke. Und Jonas? Am Tag nach den Anti-Lütgendorf-Demonstrationen, am 9. Juni 1971, empfing Jonas „demonstrativ“ eine BH-Abordnung unter der Führung ihres Chefs, nachdem der Bundespräsident schon bei seiner Angelobung sich auf den Ton eingestimmt hatte („Möge unser Volk seinen guten Kern bewahren!“). Während Lütgendorf im ersten Stock der Präsidentschaftskanzlei Jonas als einen „Fels in der Brandung“ bezeichnete (in einer Zeit, in der die Fragen der Landesverteidigung in besonderem Maße im Gespräch stünden), bringt die Militärkapelle des Gardebataillons vor den Fenstern ein Ständchen.

V. Lü zwingtKreisky nach rechts

General Lü — des großen Vorsitzenden enger Waffengefährte?

Wir müssen uns fragen, warum Kreisky Lütgendorf zum Minister gemacht hat. Was bedeutet es, wenn Kreisky sich in die eigentliche Reform nicht einmischen will? („Die sollen sich ihre Reform selber machen.“) Auf den ersten Blick scheint es nur eine Fortsetzung der alten Gewaltenteilung zu sein, denn das Bundesheer galt von vornherein als die „schwarze“ Exekutive (angesichts des SPÖ-Innenministers unterstellte man die B-Gendarmerie dem ÖVP-Staatssekretär Graf). In Wirklichkeit aber bedeutet die Spannocchi-Reform eine Verschiebung der Exekutive nach rechts, wodurch das bisherige prekäre „Gleichgewicht“ auf diesem Gebiet dem Druck der äußersten Rechten ausgesetzt wird (Kameradschaftsbünde samt völkischem Flügel). Wenn man sich erinnert, welch massivem Widerstand Olahs vergleichsweise bescheidene Umbesetzungsversuche seinerzeit begegneten, kann man über die Geduld der SPÖ in diesem viel gravierenderen Fall nur staunen.

Wenn Kreisky nicht einen Technokraten wie den Ministerialrat Sailler zum Heeresminister gemacht hat (jetzt Leiter der Personalsektion), sondern einen rechtsstehenden General, so optierte er statt für die Variante „Druck auf die Militärs ausüben“ für den Zustand, der jetzt immer klarer zutage tritt: indem er das militärische Element in die Regierung hereinholte, muß er ihm laufend Konzessionen machen, zwingt er auch seine Partei, das zu tun (Disziplinierung der protestierenden Jugendorganisationen). Indem Lütgendorf durch alle Dementis hindurch konstant die These aufrechterhalten darf, das BH sei ein innerer Ordnungsfaktor (anno 1934 bis Kameradschaftsbund), definiert er damit die Regierungspolitik neu in eine Richtung, in die sich bisher kein konservativer Minister der Zweiten Republik vorwagen durfte.

Dieses Pressionsverhältnis von rechts drückt sich auch in Lütgendorfs Haltung zur Kabinettsloyalität aus, wenn er zum Beispiel in dem zitierten Interview mit der „Neuen Zeit“ eine frühere Äußerung wiederholt, daß die beiden Oppositionsparteien (ÖVP und FPÖ) sehr zu Recht besonderen Wert auf flankierende Maßnahmen legten und daß man ihnen da noch entgegenkommen werde. Indem er die SPÖ derart erpressen darf, befindet er dann gönnerhaft: „Es wird der Regierungspartei immer mehr bewußt, welche staatspolitische Verantwortung sie in Fragen der Landesverteidigung zu tragen hat.“ Und seinen Kameraden ruft er zu, er wolle sie beruhigen, „daß ich mich selbstverständlich voll und ganz einsetzen werde, daß wir eine Reform durchführen, die nicht zu einer Schwächung der Abwehrkraft kommt“. [20]

Die Regierungspolitik hat sich schon um einiges früher in diese Gasse begeben, nämlich als Kreisky der FPÖ durch die Wahlrechtsreform die Angst vor dem Verlust der Grundmandate nahm. Jetzt besteht sogar die Möglichkeit, daß ein völkischer Agitator wie der niederösterreichische FPÖ-Obmann Rotter-Lebeau in den Nationalrat einzieht und Staatssekretär im Heeresministerium wird. Die Verhärtung in der Frage der Dienstzeitreduktion von 9 auf 6 Monate hängt unmittelbar mit der Wahlreform zusammen. Während FPÖ-Zeillinger vor der BHRK den Generalen noch kaltschnäuzig sagte, sie sollten sich selber was ’rausholen, er könne aus Wahlgründen nichts für sie tun und müsse bedingungslos für die 6 Monate stimmen, änderte sich das nach der Sicherung der Parteiposition mit einem Schlag. Jetzt ist Lütgendorf dabei, den Zeillingerschen „Stufenplan“ auszuführen, der ihn seinerseits wieder aus Offizierskreisen hat (die Idee taucht in dem bekannte „Generalspapier“ vom 28. August 1970 zum erstenmal auf).

Es zeichnet sich schon halbwegs ab, wie die Geschichte ausgehen könnte. Eine SP-FP-Koalition, für die alles vorbereitet ist, würde auf die Dauer nicht halten. Genauer gesagt: die SPÖ würde diese Spannung nicht längere Zeit durchstehen. Die Demonstration gegen Lütgendorf am 8. Juni war ein erstes Haltesignal auf dem Weg zur kleinen Koalition, und sie war nur der sichtbare Teil des Eisbergs.

Wenn die FPÖ zuerst aufgewertet wird, dann aber mit der SPÖ nicht mehr weiterkann, weil diese selbst nicht mehr weiterkann — dann wird die FPÖ auf dem Weg natürlicher Gravitation zurückfinden in den Seipelschen Bürgerblock der Ersten Republik, in die Koalition mit der ÖVP. Das könnte der fruchtlose Endpunkt des heutigen SPÖ-Kurses sein.

Wenn Kreisky aber die gegenwärtige Politik nach rechts noch längere Zeit fortsetzt (fortsetzen kann), dann wird die wachsende Spannung vielleicht zu einer Spaltung der SPÖ führen. Wie sich dann das Parteiensystem arrangieren wird, ist schwer vorauszusehen. Sicher ist jedenfalls, daß die Aufwertung der Rechten gewisse Herrschaftsansprüche und Praktiken ins Spiel gebracht hat, die nicht mehr rückgängig zu machen sind und die von nun an zum Repertoire der Zweiten Republik gehören werden.

[1Oberst dG Karl F. Lütgendorf: „Die Bedeutung des Ausbildungsdienstes“, aus Truppendienst 1/1962, S. 7.

[2Karl Ruef, Der Dienst im Bundesheer, Wien 1967, S. 83.

[4Der Soldat, 30. Mai 1971, S. 2.

[5Kurier, 8. Juni 1971.

[6Fernsehinterview Lütgendorfs, 7. Juni 1971.

[7Österreichische Militärische Zeitschrift 5/1965.

[8Truppendienst 3/1963, S. 177.

[9Truppendienst 3/1965, S. 211.

[10Ebenda, S. 212.

[11Ebenda, S. 213.

[12Kronen-Zeitung, 30. Mai 1971.

[13Die Kameradschaft, Klagenfurt, Juli/August 1967.

[14Die Kameradschaft, Juli/August 1965.

[15Der Kamerad, Gloggnitz, Mai 1970, S. 5.

[16Der Soldat, 30. Mai 1971, S. 2.

[17Neue Zeit, Graz, 2. Juni 1971.

[18Wochenpresse, 28. Mai 1971.

[19Lütgendorf-Interview im ORF (Hörfunk), 21. Mai 1971.

[20Lütgendorf-Interview im Fernsehen, 7. Juni 1971.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juni
1971
, Seite 60
Autor/inn/en:

Michael Springer:

Jahrgang 1944, aufgewachsen in Henndorf bei Salzburg, studierte Theoretische Physik in Wien und war Redakteur des FORVM. Er lebt heute als freier Schriftsteller, Übersetzer und Redakteur in Aachen. Von ihm sind u.a. die Romane Was morgen geschah (1979) und Leonardos Dilemma (1986) erschienen. Leben Sie wohl? ist 1999 bei Zsolnay erschienen.

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