FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1968 - 1981 » Jahrgang 1973 » No. 234
Friedrich Geyrhofer

Achilles mit Pulver und Blei

Zur Physiognomik des Journalismus, 1. Teil

„Sie legen also Wert auf das, was Sie schreiben?“ fragte ihn Vernou mit spöttischer Miene. „Aber wir treiben mit unseren Sätzen Handel und leben von diesem Geschäft.“

Balzac, Verlorene Illusionen

Die Feinde des Journalismus verquicken gewöhnlich die Klage über seine Exzesse mit dem Tadel der Manipulation. In beiden Beschwerden verrät sich derselbe konservative Reflex. Denn die demokratische Politik aller Spielarten und der journalistische Meinungsdruck stehen in einem intimen Zusammenhang, der durch Slogans wie „Keine gesunde Demokratie ohne verantwortungsbewußte Massenmedien“ allerdings vernebelt wird. Der Haß auf den Journalismus, für den es seit dem 19. Jahrhundert heroische Dokumente gibt, hat immer wieder den Abscheu vor den Massen getarnt, deren ältestes Medium die Zeitung ist. Kritisch wird dieser Haß — der den Ausschweifungen der Redakteure fraglos gebührt — jedoch erst dann, wenn die egalitäre Natur der Presse das Kriterium ihrer Beurteilung bildet.

Der Journalismus kann nur auf seinem eigenen Terrain bekämpft werden. Er stellt seine Kritiker vor die Wahl: entweder die totale Demokratie oder gar keine. Deshalb die Hilflosigkeit des Liberalen vor den „Mißbräuchen“ der Meinungsfreiheit, in denen sich die Widersprüche der parlamentarisch beschränkten Demokratie austoben. Emanzipation in der politischen, Ausbeutung in der wirtschaftlichen Sphäre: dieser fundamentale Widerspruch der demokratischen Ideologie wiederholt sich im Doppelcharakter der Massenmedien, wie er auch heute noch an der Zeitung am klarsten in Erscheinung tritt (im Vergleich mit Radio und Fernsehen, die in Europa meist verstaatlicht sind, wodurch ihre kommerzielle Nutznießung verwischt wird).

Einerseits gilt die Presse als das Medium einer demokratischen Emanzipation. Sie hat der öffentlichen, rationalen und unbegrenzten Diskussion zu dienen, in der das Argument der Gewalt durch die Gewalt der besseren Argumente beseitigt wird; dafür nehmen die ‚„Tendenzbetriebe“, wie im österreichischen Recht die Massenmedien heißen, eine Reihe juristischer und ökonomischer Privilegien in Anspruch. Andererseits sind die Zeitungen rein kommerzielle, am Profit orientierte Unternehmen, wobei der redaktionelle Teil bloßer Träger der Inserate ist — Reklame für die Reklame.

Der Doppelcharakter des Journalismus verschärft den allgemeinen Doppelcharakter der Warenform. Die wirtschaftliche Existenzberechtigung verdankt die Presse allein den Inseraten; das ist ihr Tauschwert. Doch verkaufen lassen sich die Zeitungen nur, insofern sie Meinungen und Nachrichten anbieten; ihr Gebrauchswert. Natürlich wird der Gebrauchswert dem Tauschwert untergeordnet.

In Wahrheit ist der Sachverhalt komplizierter. Zeitungen geben heute schwerlich eine optimale Kapitalanlage ab. Die kleine und vor allem die „seriöse“ Presse existiert in der Regel lediglich deshalb, weil ihre Herausgeber politische Absichten mit ihr verfolgen. Sogar die Inserate können da, als versteckte Subventionen, gelegentlich nicht-kommerzielle Zwecke haben.

Auch in diesen Fällen wird der kommerzielle Aspekt des Journalismus selten seinem emanzipatorischen geopfert. Solche Zeitungen fungieren vielmehr als Werbeträger für politische Klüngel, die auf dem Markt der Demokratie um die Macht im Staate konkurrieren. Die Prozeduren der parlamentarischen Politik sind haargenau den Mechanismen der Tauschwirtschaft angepaßt: die Parteien kaufen das Votum der Wähler um den Preis von Dienstleistungen, der Stimmzettel ist das Geld der Demokratie. (Wahl und Kauf sind miteinander verwandt: die Kurfürsten im spätmittelalterlichen Deutschland verkauften die Krone an den Meistbietenden.) Wenn die Zeitung, nach einer berühmten Forderung des jungen Marx, aufhören soll, ein Gewerbe zu sein, dann müßte zuerst die Politik aufhören, eine Ware zu sein.

Die Klage über Manipulation stützt sich auf diesen Doppelcharakter des Journalismus. Dessen Problematik wird allerdings kaum berührt, solange man der kommerziellen (oder politischen) Manipulation naiv die objektive Information entgegenstellt. Wo der Journalist informieren will, da manipuliert er, und wo er manipuliert, da muß er informieren. Der Warencharakter der Information liegt in ihrem Wesen, nicht erst in ihrer kommerziellen Verwertung. Darum ist es eine Illusion, auf einen von kapitalistischen Zwängen befreiten, streng sachlichen Journalismus zu hoffen.

Die Zeitung ist am Beginn der Neuzeit aus den Bedürfnissen des Weltmarkts entstanden; die kapitalistische Kalkulation braucht einen Fluß kontrollierbarer, regelmäßiger und allgemein zugänglicher Informationen. Darin liegt jedoch — über den ökonomischen Bereich hinaus — ein revolutionäres Prinzip. In traditionalen Gesellschaftsformen wird der Informationsfluß hierarchisch gestaut. Kirche und Universität geben heute noch ein Bild davon, wie das Wissen als ein Mysterium verwaltet und zum Privileg der „Eingeweihten“ gemacht werden kann. Der Ordinarius wird im Habilitationsverfahren ebenso „geweiht“ wie ein katholischer Priester, und die Vorlesung ist — wie Horkheimer sagt — die säkularisierte Form der Predigt.

Das Wissen wird hier allein durch seinen amtlich approbierten Inhaber qualifiziert: Priester und Professor wissen etwas, das den Studenten und Laien prinzipiell unzugänglich ist. Nicht der Inhalt des Wissens, die Autorität des Wissenden entscheidet. Diese magische Überlegenheit des Ordinierten — sein Charisma — wird in der Prüfung wie in der Beichte regelmäßig bestätigt.

Konträr der Journalismus. Sein einziges Ideal ist die Verständlichkeit, und sogar der faschistische Publizist darf sich mit keiner autoritären Geste verraten. Der akademische Lehrer hebt im Vortrag seine angebliche Superiorität hervor: er doziert. Der Journalist gibt dagegen sein Wissen scheinbar restlos preis: er informiert. Er weiß nichts, was seine Konsumenten nicht auch wissen könnten. Das traditionelle Ressentiment gegen die „Niveaulosigkeit“ des Journalismus reibt sich an dieser seiner egalitären Haltung.

Die demokratischen Tendenzen des Journalismus werden — und daraus erklärt sich ihre destruktive Zwiespältigkeit — von seinen kommerziellen Absichten erzeugt und zugleich in Schach gehalten. Nur das Verständliche ist verkäuflich, das Unverständliche wird folglich ignoriert. „Der Nachrichtenverkehr“, schreibt Jürgen Habermas, „entwickelt sich ja nicht nur im Zusammenhang mit den Bedürfnissen des Warenverkehrs, die Nachrichten werden selber zu Waren. Die gewerbsmäßige Berichterstattung unterliegt denselben Gesetzen des Marktes, deren Entstehung sie ihr eigenes Dasein überhaupt verdankt.“ [1] Der moderne Begriff der Information setzt die — keineswegs selbstverständliche — unendliche Austauschbarkeit des Wissens voraus, durch die erst die Nachricht zur Ware wird. Information ist das Wissen in der Form der Ware, denn allein das streng „sachliche“, eben als Sache behandelte und von Sachen handelnde Wissen kann auf den Markt gebracht und dort getauscht werden. [2] Gerade das kommerzialisierte Wissen ist das ursprünglich „objektive“, weil die Subjektivität des Verkäufers den Käufer nichts angeht. Die dem neuzeitlichen Sprachgebrauch so vertraute Rede von den „harten Tatsachen“ — und nur auf solche können sich Informationen beziehen — ist folglich den vorkapitalistischen Zuständen ganz unbekannt.

Das mythologische, das religiöse und das metaphysische Wissen sind nicht informativ. Diese archaischen Wissensformen werden mit dem Aufkommen eines öffentlichen und kommerziell organisierten Nachrichtenwesens sukzessive an die Peripherie der gesellschaftlichen Kommunikation gedrängt.

„Was wird aus der Fama neben Printinghouse Square?“ fragt Marx 1857. „Ist Achilles möglich mit Pulver und Blei? Oder überhaupt die Iliade mit der Druckerpresse, und gar Druckmaschine? Hört das Singen und Sagen und die Muse mit dem Preßbengel nicht notwendig auf, also verschwinden nicht notwendige Bedingungen der epischen Poesie?“ [3]

Die esoterischen Züge, die seit dieser Feststellung die moderne Literatur angenommen hat, sind ein unterschwelliger Reflex auf die universale Herrschaft der Information, wie sie durch den Journalismus dem Alltagsdenken oktroyiert wird. So werden die Massen bei der Zeitungslektüre erstmals für jenes sachliche Denken in Informationen geschult, das ihnen später die progressive Verwissenschaftlichung des Arbeitsprozesses gebieterisch abverlangt.

Volksschule, Presse und industrielle Technologie verstärken sich im 19. Jahrhundert gegenseitig, um die traditionellen Formen der Kommunikation aufzusaugen: das Gerücht, von dem die analphabetischen Massen, das autoritäre Dogma, durch das die klerikalen Eliten belehrt werden. Die demokratische Politik — und mit ihr der Journalismus — verachtet das populäre Gerücht und bekämpft das esoterische Dogma.

Die Information unterscheidet sich genau durch ihren Warencharakter, und nur durch ihn, von dem Gerücht wie von der autoritativen Lehre: Grenzen, die in der journalistischen Theorie lediglich gesetzt werden, damit die redaktionelle Praxis sie desto skrupelloser verletzen kann. Das Gerücht wird als Nachricht, die subjektive Meinung als Information verkauft. An diese Dunkelzone heften sich die Verdächtigen des Manipulierens. Die Forderung der sachlichen Information scheitert immer wieder an ihrer eigenen Dialektik — auch ohne den bösen Willen der Journalisten, der selbst bloß ein Resultat dieser Dialektik ist. „Manipuliert“ wird klarerweise bei jeder Form des Redigierens, im Formulieren, Auswählen und Akzentuieren der Nachrichten. Die Nationalsozialisten haben die deutsche Presse bezeichnenderweise durch „Sprachregelungen“, anstatt durch Zensur, kontrolliert. Kein Zweifel, daß auch die kapitalistische Pressefreiheit vornehmlich dank ihrer — stillschweigend vorausgesetzten — Sprachregelungen funktioniert.

Innerhalb der Sprache gibt es keine Trennung zwischen der objektiven Information und der subjektiven Stellungnahme; noch das sorgfältigste Informieren verändert den Inhalt seiner Sendung. In allen kommunikativen Vorgängen wird mehr — und anderes — vermittelt als das Abbild der Realität. Für die unter Zeit- und Marktdruck stehende Arbeit der Redaktionen gilt das natürlich in gesteigertem Maße. Die Tauschform der Nachricht, der essentielle Warencharakter der Information, kann der Sprache nur gewaltsam und mit Hilfe zweifelhafter Kompromisse aufgezwungen werden; deshalb ist Manipulation unvermeidlich, solange man an den Axiomen des Journalismus festhält, gegen die sich die Sprache sträubt. Wer sie mit dem Geld vergleicht (wie das Talcott Parsons und Wittgenstein mit verschiedenen Absichten getan haben), der will den Warenfetischismus gleichsam in der Natur des Gesellschaftlichen befestigen.

Marx hat diese Analogie mit einem Argument zurückgewiesen, das auf den Warencharakter eines Informationsbegriffs anspielt, der als indifferent gegen den sprachlichen Ausdruck gedacht wird: „Das Geld mit der Sprache zu vergleichen, ist nicht minder falsch. Die Ideen werden nicht in der Sprache verwandelt, so daß ihre Eigentümlichkeit aufgelöst und ihr gesellschaftlicher Charakter neben ihnen in der Sprache existierte, wie die Preise neben den Waren. Die Ideen existieren nicht getrennt von der Sprache.“ [4]

Information ist also eine Schimäre, wenn man sie vom strengen informationstheoretischen Standpunkt aus betrachtet, der im sprachlichen Code lediglich einen Faktor sehen kann, welcher die reine Information verfälscht. Damit erledigt sich die Trennung der Information — der ‚„Idee‘‘, wie Marx hegelianisch sagt — von ihrer sprachlichen Gestalt; damit aber auch die Unterscheidung zwischen der objektiven Nachricht und dem subjektiven Kommentar, auf die der orthodoxe Journalismus stolz ist. Dem Leser, so fordert diese Doktrin, werden die Informationen vorgelegt, er bildet sich sein eigenes Urteil, das er zuletzt gegen die Meinung des Kommentators abwägt. Wer sich als Journalist an diese Norm halte, der könne gar nicht manipulieren.

De facto gibt diese oberflächliche Methode keinen Schutz vor den gefährlichen Formen der Irreführung, denen der Zeitungleser und Fernsehkonsument tagtäglich zum Opfer fällt. Vor allem ist das Informieren, gleichgültig mit welcher Absicht es erfolgt, niemals neutral. Allein die Tatsache, daß über etwas berichtet (oder nicht berichtet) wird, mag eine „manipulative“ Wirkung auslösen; wie man an der strafrechtlichen Ächtung der Erpressung und der üblen Nachrede bemerkt. Auch die sachlich korrekte, die objektive Information gibt den Sachverhalt nicht passiv wieder, sie greift vielmehr verändernd in ihn ein: sie manipuliert ihn.

Die Privatsphäre wird aus diesem Grund vor den Nachstellungen der Massenmedien staatlich geschützt. Ein Schutz, der sich im Ernstfall als wirkungslos erweist. Die Teilung des bürgerlichen Lebens in einen privaten und einen öffentlichen Sektor ruft eben den Klatsch und Tratsch hervor, der im Strafprozeß von den Reportern ebenso begierig aufgegriffen wird wie vom Herrn Staatsanwalt. Jene Informationsbarriere, die das private Dasein des einzelnen von seiner öffentlichen Existenz trennt, wird bereits im Alltag von den plaudernden Nachbarn unterminiert und in der Katastrophe von der aufgeputschten Mordlust hinweggefegt. Bei den Kriminalverfahren, die zu ihrem Unglück die Aufmerksamkeit der Massenmedien auf sich ziehen, diktiert dem Richter der Journalist ein Urteil, indem der Verurteilte den Wechsel auf seinen sozialen Wert präsentiert erhält.

Heimtückische Formen der Kommunikation wie der Tratsch — von ihm leben ganze Sparten des Pressewesens — sind die Rudimente einer verdrängten Humanität, die sich noch für den ungeteilten Charakter des Individuums interessieren möchte. Dieses Interesse wird vom einschlägigen Journalismus im höchsten Grade pervertiert. Zum klassischen Instrumentarium der Manipulation gehört die oft kritisierte Technik des „Personalisierens“; sie verschleiert den gesellschaftlichen Zusammenhang, indem sie die privaten Tatsachen aufdeckt. Es gibt eine gewisse Sorte von journalistischem Talent, die sich durch diese krankhafte Fixierung an private, psychologische oder biographische Einzelheiten auszeichnet. Die Presse hat das Gerücht zwar abgeschafft, sie hat es jedoch durch den Tratsch ersetzt: das Gerücht ist kollektiv, der Tratsch privat.

Solcher Subjektivismus des Personalisierens scheint allerdings der strikten Objektivität zu widersprechen, die das Informieren seinem Warencharakter verdankt. Objektiv ist die Information, weil sie Ware ist! Wie aber ist damit der journalistische Hang zum Tratsch vereinbar?

Im Warentausch wird vollständig von den subjektiven Eigenschaften und den intersubjektiven Beziehungen der Tauschenden abstrahiert: sie stehen sich einzig als Käufer und Verkäufer gegenüber. (Der kapitalistische Welthandel kann deshalb alle religiösen und politischen Schranken durchbrechen.) Der Käufer liquidiert mit der Barzahlung alle Verpflichtungen gegen den Verkäufer und die früheren Eigentümer. Die Vielfalt gesellschaftlicher Interaktionen wird damit auf den einfachsten, den sachlichsten Nenner gebracht.

Juristische Kautelen wie das Verbot des bedenklichen Ankaufs und die alte römisch-rechtliche Formel der „laesio enormis“ lassen jedoch erkennen, daß die abstrakte Warenform keinesfalls der konkreten Natur menschlicher Verhältnisse genügt und folglich von diesen immer wieder eingeschränkt wird. Die Vertragsfreiheit, also die Basis des bürgerlichen Eigentums, wird im organisierten Kapitalismus — im sogenannten Sozialstaat — zunehmend durch gemeinwirtschaftliche Normen ausgehöhlt.

Die Warenform ist nur ein Abschnitt der Geschichte. In den primitiven Gestaltungen des Handels, die älter sind als das Geld und die von den Ethnologen in den polynesischen Gesellschaften vorgefunden wurden, klebt am getauschten oder geschenkten Gut die Spur des Eigentümers: das „taonga“, durch das der Käufer dem Verkäufer, der Beschenkte dem Schenker verpflichtet bleibt. [5] Die Sache löst sich hier niemals ganz von der Person ab, während im Warentausch die Sache spurlos durch die Hände der Kontrahenten geht.

Begreiflich, daß es in den archaischen Zuständen keine sachlichen Informationen geben kann. Märchen, Sage, Mythos, Predigt und Gerücht sind Formen der Kommunikation, in denen auf verschiedene Weise die Botschaft von der Individualität des Sprechers bedingt ist. „So haftet an der Erzählung die Spur des Erzählenden“, schreibt Walter Benjamin, „wie die Spur der Töpferhand an der Tonschale.“ [6] Der epische Bericht ist aufs engste mit seiner sprachlichen Formulierung verknüpft, von der dagegen die Information eine maximale Unabhängigkeit beansprucht: Zeitungsartikel werden nie in Versen verfaßt.

Aber die Sprache rächt sich an ihren Verächtern. Wie Karl Kraus konstatierte, begräbt das Journalistendeutsch die lebendige, individuelle Erfahrung im Klischee; das Denken der Massenmedien wird paradoxerweise von dem sprachlichen Ausdruck abhängig, den es doch möglichst zu neutralisieren versucht. Die unkontrollierten Phrasen sind — auch politisch — schlimmer als die beabsichtigte und daher stets durchschaubare Manipulation.

Die puritanische Sachlichkeit der Information erzeugt ihren Gegensatz: den Subjektivismus, der für den Warencharakter der Nachricht entschädigen soll. Die trockene Information wird als ein zwischenmenschliches Gespräch verkauft. (Ähnlich betonen die Banken ihre Seriosität, um über das Spekulative der Geldgeschäfte hinwegzutäuschen.) Die sinnenfeindliche Information kennt eine Warenästhetik, die gerade vom verdinglichten Charakter der Ware Information abzulenken versucht.

Auf dem populären Niveau wird deshalb ein Star-System gefördert, das die abstrakten und verworrenen Zusammenhänge in Politik, Kunst und Sport durch personalisierten Tratsch scheinbar verständlich macht. Auf einem gehobenen Niveau plaudern die Toreros des Feuilletons ihre intimsten Seelenregungen aus, um sie als persönliche Dokumente kommerziell zu verwerten.

Im Typus des Kolumnisten, der seit Staberls Erfolgen in den Wiener Zeitungen dominiert, verschmelzen beide Ebenen glücklich ineinander. Der Journalismus, der doch auf die längst fällige Standardisierung unseres Wollens, Fühlens und Denkens hinzuzuarbeiten hätte, lobt verschmitzterweise nichts mehr als die eitle „Persönlichkeit“. Er ist eben eine unverbesserliche Klatschbase.

Im Tratsch wird die Öffentlichkeit privatisiert. Darin zeigt sich der kommerzielle Aspekt der Massenmedien. Diese können aber nie ganz auf ihre emanzipatorische Funktion verzichten: sie sind genötigt, das Private öffentlich zu machen. Der Kampf des 18. Jahrhunderts um die freie Berichterstattung aus dem britischen Unterhaus — das sich als einen privaten Herrenklub verstand — gehört zu den heroischen Episoden der Zeitungsgeschichte.

In dieser Rolle wirken die Massenmedien erst recht „manipulativ“. So wie der Tratsch eine suchterzeugende Ersatzbefriedigung, so ist die aufklärende Information ein potentes Machtinstrument. Der Journalismus steht — gerade in seiner kritischen Funktion — immer mit einem Fuß im Tatbestand der Erpressung. Die Information hat stets belastenden oder entlastenden, jedenfalls einen juristischen Charakter. Der Begriff Manipulation, anstatt die Massenmedien zu entlarven, verewigt lediglich ihre Irrtümer. Manipulation ist die Kehrseite der Information, ihre notwendige Begleiterscheinung. Die neue Gattung technologischer Informationen, wie sie in der elektronischen Datenverarbeitung gespeichert wird, darf deshalb nicht die Glorifizierung, sie muß vielmehr die Kritik des Informationsbegriffs zur Folge haben.

(wird fortgesetzt)

[1Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. 2. Auflage, Neuwied am Rhein und Berlin, 1965.

[2Zum Warencharakter der Massenmedien vgl. Dieter Prokop, „Zum Problem von Konsumtion und Fetischcharakter im Bereich der Massenmedien“, in: Prokop (Hrsg.), Massenkommunikationsforschung, 2. Teil (Konsumtion), Frankfurt 1973.

[3Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Frankfurt/Wien, o. J.,pp. 30/31.

[4Karl Marx, Grundrisse, p. 80.

[5Marcel Mauss, Die Gabe, Frankfurt 1968, pp. 31 ff.

[6Walter Benjamin, Der Erzähler, in: Benjamin, Illuminationen, Frankfurt 1961, p. 418.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juni
1973
, Seite 44
Autor/inn/en:

Friedrich Geyrhofer:

Geboren am 03.09.1943 in Wien, gestorben am 16.07.2014 ebenda, studierte Jus an der Wiener Universität, war Schriftsteller und Publizist sowie ständiger Mitarbeiter des FORVM.

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