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Jürg Jegge
Pawlatschenreport, der X-te

Wiener Theaterbummel

Alles Wurst oder was?

Alle sechs Wochen, ungefähr, kommt Jürg Jegge nach Wien und ins Burgenland, alle sechs Wochen, ungefähr, fährt er zurück nach Rorbas im Bezirk Bülach des Kantons Zürich in der Schweiz. Bei uns in Wien und Umgebung besucht er von Alters her die Theater drinnen und draußen. Zu unserem Nutzen und meiner Freude schreibt er nicht selten einen Pawlatschenreport - ca. 30 erschienen im weiland gedruckten FORVM und einige auch schon online hier. Fünf besuchte Vorstellungen erzählt er uns diesmal und eine, durchaus verlockend, unbesuchte.

Ja, die Zeit so Ende Juni. Da spielen die zünftigen Theater ihre letzten Vorstellungen vor der Sommerpause. Und manche Freilichtproduktion läuft schon an. Ein spannender Mix, den da Besucher (*:­­-_In)nen zu sehen bekommen.

Zauberflöte im Burgtheater

Da heißt es allüberall, die Theater seien seit der Pandemie leer, es seien ohne weiteres am Abend an der Kassa noch Plätze erhältlich. Und ich erwische gerade noch einen Platz am Flohboden. Aber bis hier herauf ist die Spielfreude spürbar, mit der das Ensemble die doch eigentlich recht jugendgefährdene Geschichte, es geht ja die ganze Zeit um Ehre, Tugend und Weisheit, augenzwinkernd serviert, als Musical. Man hat in Sachen Zauberflöte schon manche inszenatorische Verzweiflungstat gesehen. Aber so, wie hier eine Handvoll Leute unter Anleitung des Herrn Niels Strunk respektlos-respektvoll mit diesem Monstrum von einem Stück umgehen – das ist schlicht großartig. Am schönsten ist der Schluss. Da sitzen Sarastro neben der Königin der Nacht und Pamina neben Tamino wie zwei alte Ehepaare auf je einem Foto nebeneinander. Sarastro stimmt das «Contessa, perdono» aus dem «Figaro» an, worauf die Königin ganz verschämt unterbricht, sie verstehe kein Italienisch. Das Publikum lacht, applaudiert zum Schluss ganz begeistert, und dieser Applaus ist weißgott mehr als verdient.

Wie es euch gefällt

Zwei Tage später. Ich möchte mir, ebenfalls in der Burg, die Shakespeare-Komödie anschauen. Gewitzigt in Sachen Kartenkauf rufe ich an. «Haben Sie für die Vorstellung von morgen noch eine Einzelkarte?» «Ich habe noch 488 Einzelkarten. Gehen Sie doch einfach am Abend an die Kassa.»

Soweit kommt es aber gar nicht. Ich falle eine gute Stunde vor Vorstellungsbeginn in den Schanigarten eines schönen alten Würstelstandes, in Nähe des Technischen Museums, und da sind die Würste so gut, der Gespritzte so toll gekühlt, die Gespräche so angenehm spritzig, dass ich den Besuch der Vorstellung auf die nächste Spielzeit verschiebe. Aber anschauen werde ich mir das Stück bestimmt, was ich von der Aufführung gelesen habe, klingt verlockend.

Der Talismann

Das «Theater im Gemeindebau» tingelt durch die Bezirke und spielt heute zwar nicht in einem Gemeindebau, sondern in einem Baulücken-Park. Beginn 17:30 Uhr, da ist es noch hell und die Kinder sind noch im Park am Spielen. Das Jungvolk setzt sich auf die bereitgestellten Stühle und Bänke, ein paar Erwachsene stehen ebenfalls drum herum. Ruhig wird es eigentlich nicht, aber die Schauspielerinnen und Schauspieler, sechs an der Zahl, beginnen halt einfach, unterstützt vom Theaterleiter Peter W. Hochegger, einem alten Kämpfer der Wiener Theaterszene.

Nun ist der «Talismann» nicht unbedingt ein Stück für Kinder. Von der Idee her schon. Die Sache mit den Vorurteilen aufgrund der Haarfarbe vermag sie durchaus zu fesseln, man spricht sie auch immer wieder direkt an und versucht so, sie bei der Stange zu halten. Aber dazwischen sind halt immer wieder die typischen nestroyschen Wortkaskaden und Gedankensprünge, die sprachbegeisterte Erwachsene so zu entzücken vermögen, und mit denen können weder die Kinder noch deren Eltern groß etwas anfangen. Also gehen sie halt im Lauf des Stücks irgendwann nach Hause. Es ist ja Essenszeit. Dabei wird eigentlich gut gespielt. Es handelt sich, wie fast immer bei Nestroy, um ein personenreiches Stück. Einiges aus dem Personal hat man gestrichen, einige Rollen werden zusätzlich übernommen. So spielt die Darstellerin der anrührend reschen Salome Pockerl auch gleich noch das verwöhnte Gör der Frau von Zypressenburg. Ein paar Knirpse, die immer noch begeistert zuschauen, werden von Papa oder Mama zurückbeordert. Zum Schluss sitzen noch ein paar Erwachsene da und mimen zahlreich vorhandenes Publikum. Das Ganze hat etwas sehr Tapferes. Und doch, denke ich, ist das nicht nur tapfer, sondern auch sinnvoll. Direktkontakt ist immer besser als Glotzenkontakt, und wenn der auch nur am Anfang wirklich funktioniert: niederschwelliger lässt sich so ein Einstieg in die Theaterwelt kaum denken.

Bunbury (Oscar Wilde)

Also, ich hab’ mir nachher das Reclam-Büchlein mit dem Stück drin gekauft. Ich wollte wissen, was für ein Stück ich im Akademietheater gesehen habe. Was ich da zu lesen bekam, war eine bitterböse und zugleich hundslustige Abrechnung mit der englischen Oberschicht und ihrer Verlogenheit. Da Parallelen zum Heute zu zeigen, könnte höchst reizvoll sein. Davon spürte man aber in der Aufführung rein gar nichts. Da zappelte ein wunderbares Schauspielensemble auf einer leeren Bühne herum und schrie sich die Seelen aus dem Leib. Irgendwelche Gags wurden bis zum Überdruss und darüber hinaus wiederholt. Dem Stück war damit die Würze genommen. Allotria tut niemandem weh. Dochdoch, ein paar lustige Ideen waren schon auch dabei. Aber insgesamt dehnte sich das Ganze zäh durch den Abend. Der Schlussapplaus war eher verhalten, ein paar Fans jubelten möglichst lautstark und lang. Dann war auch das vorbei. Zum Glück hatte der Würstelstand am Schwarzenbergplatz noch geöffnet.

Ein Sommernachtstraum

Das «Theater im Park» beim Belvedere ist ein wunderschöner Spielort mit weitläufigem, offenem Zuschauerraum. Wer allerdings in den hintersten Reihen einen Platz erwischt, mag diesen Raum etwas gar weitläufig finden. Die Bühne ist überdacht, für die Zuschauenden gibt’s Plastikponchos mit Kapuzen. Hinten drauf steht «Wir lassen Sie nicht im Regen stehen.» Aber im Regen sitzen lassen sie einen schon. Auf der Bühne spielt man ja im Trockenen.

Trotz starker Regengüsse war’s großartig. Der Kabarettist Niavarani und seine Mitstreitenden haben das Shakespeares Stück um die Traumhochzeit im Wald in die Gegenwart geholt. Verheiratet werden sollen neben den beiden Liebenden aus der Oberschicht auch deren Firmen. Die vier jungen Liebenden aus der mittleren Schicht sind Angestellte dieser Firmen, ebenso die Handwerker mit ihrem Theaterstück. Das leuchtet ein und stört auch nicht, Hierarchie ist Hierarchie, es lassen sich so auch manch aktuelle Anspielungen und sonstige Bosheiten unterbringen. Die zahlreichen Elfen sind hier Kobolde, vollbringen tolle Bocksprünge und besorgen zugleich den Bühnenumbau.

Zweieinhalb Stunden, keine Pause – und kein bisschen langweilig! Zum Schluss dann die Festaufführung der Handwerker: «Pyramus und Thisbe». Ich habe bis jetzt fünf oder sechs «Sommernachtsträume» gesehen, aber so gelacht wie bei dieser Aufführung habe ich noch nie. Da wird nichts ausgelassen, und die schüchternen Handwerkerinnen und Handwerker entpuppen sich als veritable Rampensäue. Toll.

Eisenbahnheiraten

Die Nestroy-Spiele in Schwechat? Ursprünglich war das ja eine ambitionierte katholische Laienspielgruppe, die offenbar genug vom «Apostelspiel» hatte und sich an Nestroy wagte. Peter Gruber, ein großer Nestroy-Kenner und Regisseur war von Anfang an mit dabei und formte in unglaublichen fünfzig Jahren aus Laien und Profis ein Nestroy-Ensemble, das seinesgleichen sucht. Voriges Jahr hörte er auf und übergab seinen Stab an Christian Graf, der als Schauspieler im Ensemble groß geworden war. Heuer zeigt dieser seine erste Inszenierung im Hof von Schloss Rothmühle.

Und die geriet prächtig. «Eisenbahnheiraten» ist ja ein selten gespieltes Stück. Was da in Schwechat draus gemacht wird, ist höchst ergötzlich. Graf hat die Geschichte von den älteren Herren auf Freiersfüßen in die Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts verlegt, das bringt wenig, stört aber auch nicht. Ein starkes Ensemble ist hier zugange, und die Figuren stimmen bis in die kleinste Nebenrolle, etwa die Kioskfrau oder die Taxlerin, hinreißend. Nichts vom Text wird verschenkt, was sonst die Krux vieler Nestroy-Aufführungen ist. Alles kommt klar und doch schmissig daher. Der einzige Schwachpunkt: die zwei Lieder im ersten und zweiten Akt. Die sind einfach zu brav. Das dritte Lied ist dann viel besser, weil böser. Ein sehr gelungener Einstand im schönen Ambiente der Rothmühle. Und Würsteln gibt’s auch.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juli
2023
Autor/inn/en:

Jürg Jegge:

Geboren 1943 in Zürich, war Lehrer, Fernseh­moderator, Radio­mitarbeiter, ist Buchautor und Liedermacher. Von 1985 bis 2011 leitete er den „Märtplatz“ in Rorbas, eine berufliche Ein­gliederungs­stätte für junge Menschen mit „Start­schwierigkeiten“; schrieb im FORVM ab 1982 zahlreiche Beiträge, darunter die theaterfreundliche Serie „Pawlatschenreport“. Wird alles (hoffentlich:) bald hier wiederveröffentlicht werden.

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