FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1963 » No. 119
Margaret Hacker

Wie unsere Jugend haust

Eine Befragung von 2500 jung verheirateten Paaren durch den Verein „Gut Haushalten“ zeigte klipp und klar, daß jenes Problem, welches die jungen Menschen von heute bedrückt, ja an den Rand der Verzweiflung treibt, das Wohnungsproblem ist. Die Beschaffung und Einrichtung einer Wohnung ist eine nervenzermürbende Aufgabe, die am Beginn des gemeinsamen Lebens auf fast jedes junge Paar wartet. Dies geht sowohl aus den nüchternen Zahlen dieser Untersuchung hervor, wie auch aus den erschütternden Kommentaren, die auf Hunderten Fragebogen zu finden waren:

Unsere größte Sorge ist die sehr kleine, feuchte, ziemlich dunkle und ebenerdig gelegene Wohnung. Kochen, Wohnen, Essen, Körperreinigung, Baden des Kindes usw. alles muß in einem Raum vorgenommen werden. Mit viel Einteilung und Geduld ist es bis jetzt noch halbwegs gegangen. Anfang Juni erwartet meine Frau aber unser zweites Kind, und wir zerbrechen uns schon heute den Kopf, wo man Platz schaffen könnte, um ein zweites Bettchen aufzustellen ...

Wir wohnen nun seit zwei Jahren in einem Kabinett von 13 Quadratmetern ohne Wasser und Gas. Kochen müssen wir auf einem Spirituskocher. Manchmal sind wir ganz verzweifelt ...

Unsere größte Sorge gilt der Anschaffung der Wohnung, die wir dringend benötigen, da wir in Untermiete leben und in Kürze ein Baby erwarten. Das Mansardenzimmer, in dem mein Mann, ich und bald auch das Neugeborene wohnen und schlafen, ist sehr kalt ...

Die Sorge, die uns drückt, ist die Beschaffung einer Wohnung. Unser Baby liegt zur Zeit noch im Körbchen, das auf der Kohlenkiste steht. Doch was wird in zwei Monaten sein? Das Gitterbett haben wir schon gekauft, doch steht es jetzt auf dem Dachboden. Wohnungskauf ist ausgeschlossen, da meine Frau ab nun kein Einkommen mehr hat.

Unsere Wohnung besteht nur aus einem Raum (Hauptmiete), und das ist ein Gangraum (besser gesagt eine Dunkelkammer) mit 8 Quadratmetern. Unser Ansuchen an das Wohnungsamt wurde abgewiesen. Haben kein Gas und keinen Ofen. Zum Kochen haben wir nur eine Kochplatte mit 500 Watt und einen Heizkörper mit 1000 Watt zur Verfügung. Wenn gekocht werden soll, müssen wir den Heizkörper ausschalten.

Da unsere Wohnung so feucht ist und an den Wänden der Schimmelpilz wächst und der Mörtel von den Wänden fällt, wären wir sehr froh, wenn wir eine neue Wohnung bekämen. Es ist kein Gas und kein elektrisches Licht vorhanden.

Drei Familienhaushalte auf 70 Quadratmetern, zehn Personen.

Die Wohnung! Wir haben ein kleines Kind, und die Portierwohnung ist im Keller und ist sehr feucht.

Setzen wir mit einigen Zahlen fort. Von den befragten jungen Familien waren: Hauptmieter 63 Prozent, Untermieter 9 Prozent, während 28 Prozent bei Eltern oder Verwandten lebten. Das heißt mit anderen Worten: Weit mehr als ein Drittel (genau: 37 Prozent) aller dieser Ehepaare — welche in den letzten beiden Jahren geheiratet haben — besitzen keine eigene Wohnung.

Hier handelt es sich keineswegs nur um kinderlose Ehepaare. Von den jungen Ehepaaren mit einem Kind haben mehr als zwei Fünftel (42 Prozent) und von den Familien mit zwei Kindern mehr als ein Drittel (37 Prozent) keine eigene Wohnung. Meist haben diese Familien nur ein Kabinett (hieher gehören 13 Prozent der Vierpersonenhaushalte!) oder ein Zimmer bei ihren Eltern oder Verwandten zur eigenen Verfügung. Man kann sich leicht vorstellen, welche schwierigen Probleme sich aus solchen Wohnverhältnissen ergeben müssen.

Aber man darf sich auch nicht vorstellen, daß die Ehepaare, die glückliche Besitzer einer eigenen Wohnung geworden sind, ein Heim ergattert haben, das den modernen Anforderungen an Wohnkultur und Hygiene entspricht.

Mehr als 6 Prozent aller alleinwohnenden Ehepaare leben nur in einem Zimmer oder Kabinett mit bescheidener Kochgelegenheit; 23 Prozent in Zimmer und Küche, 7 Prozent in Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnungen mit Wasser und Klosett auf dem Gang. Zählt man die bei Eltern oder Verwandten untergebrachten jungen Familien und die in Kleinwohnungen des unseligen „Bassena-Typs“ in Althäusern der Jahrhundertwende lebenden zusammen, so kommt man zu einem erschütternden Ergebnis: fast zwei Drittel (genau: 64 Prozent) aller jung verheirateten Ehepaare leben unter Umständen, die jede moderne Wohnkultur ausschließen. Sie wohnen in Zinskasernen, in bescheidenen Untermieten. Moderne Wohnhäuser, inmitten von Grünanlagen, mit Spielplätzen für Kinder, mit Einkaufs- und Kulturzentren, automatisierten Waschküchen und Zentralheizung kennen sie nur von Plakatwänden. Und sie haben in den meisten Fällen nicht die geringste Hoffnung, ihren Wunsch nach Licht, Luft und Sonne für sich und ihre Kinder verwirklichen zu können.

Nur 17 Prozent der jungen Paaren waren so glücklich, eine Gemeindewohnung zu ergattern, 8 Prozent konnten sich eine Genossenschaftswohnung und 5 Prozent eine Eigentumswohnung beschaffen.

Selbstverständlich müssen diese Ehepaare höhere Mieten einkalkulieren. Die Miete macht bei ihnen 8 bis 9 Prozent ihres Einkommens aus; Einzelwerte schwanken zwischen 175 Schilling und 837 Schilling im Monat. Die Mieten in Altwohnungen sind weit niedriger, so daß sich bei Berücksichtigung aller Mieten ein Durchschnittswert von 165 Schilling oder 4,7 Prozent des Einkommens ergibt. Was die (in den vorhergegangenen Zahlen bereits berücksichtigten) Untermieten anlangt, so betragen sie im Durchschnitt 210 Schilling oder 6 Prozent des Einkommens. Die bei Eltern oder Verwandten lebenden Ehepaare zahlen verhältnismäßig wenig für ihr Quartier (nämlich 76 Schilling oder 2,4 Prozent des Haushaltseinkommens).

Die Mietausgaben der Angestellten liegen fast durchwegs über jenen der Arbeiterfamilien. Sie steigen auch mit wachsendem Einkommen stärker an. Die Beziehung zwischen Einkommen und Wohnstandard ist erwartungsgemäß sehr eng. Dies geht aus dem Mietaufwand allein nicht klar genug hervor. Denn die bessere, moderne Wohnung muß zuerst einmal gekauft werden (mit Ausnahme der Gemeindewohnung). Und die dazu nötigen, sehr beträchtlichen Summen kann nur aufbringen, wer über ein entsprechendes Einkommen verfügt. Über die Kaufpreise von Wohnungen sagt die Enquête nichts aus; nach ihnen wurde nicht gefragt. Aber sie gehören zu einem der dunkelsten Kapitel in den Fragen der Wohnungsbeschaffung.

Es ist klar, daß auf dem Wohnungsmarkt ganz große Reformen nötig sind. Aber bis jetzt hat sich noch niemand daran gewagt. Die Rechnung bezahlen zwei Drittel der jung verheirateten Ehepaare, die in Wohnverhältnissen leben, die allen modernen Anforderungen widersprechen.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
November
1963
, Seite 514
Autor/inn/en:

Margaret Hacker:

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