FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1964 » No. 125
Hans Heinz Stuckenschmidt

Wer will unter die Spezialisten gehen?

Eine Bestandsaufnahme musikalischer Formen in unserer Gesellschaft

So weit unser Blick in die Musikgeschichte reicht, sehen wir keine menschliche Gesellschaft, die auch nur annähernd in solchem Maße von Musik überschüttet worden wäre wie die seit dem zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts. Die Ursachen sind bekannt; sie liegen in dem unmäßig verstärkten Angebot tönender Konsumware seit der Erfindung und zunehmenden Verbreitung von Schallplatte, Rundfunk, Tonfilm und Fernsehen. Die zunehmende Passivierung unseres Sinnenlebens ist eine Erscheinung im Gefolge der technischen Durchorganisation, die unser Dasein erfahren hat, und die in ganz spezifischer Weise dem Phantasiedenken entgegenwirkt, da für das imaginative Wünschen angesichts solchen Angebotes kaum noch Raum bleibt.

Fragwürdige Soziologie

Wir wollen uns einer Betrachtung dieses phantasielähmenden Embarras de richesse enthalten, da sie die Grenzen unseres Themas überschreiten müßte. Außerdem bin ich kein Kultursoziologe und betrachte das meiste, was heute an soziologischer Deutung der Musik und der anderen Künste betrieben wird, als rein subjektive Spekulation; diese ist jedoch für die Untersuchung ästhetischer Tatbestände wertlos. Es geht mir, mit einem Wort, weniger um die Gesellschaft als um die Musik und deren Schicksal.

Ausgangspunkt meiner Betrachtung war das Übermaß an Quantität, das sich dem Menschen heute aufdrängt. Das hat mehrere Wirkungen. Erstens stumpft es den Gehörsinn gegen musikalische Reize überhaupt ab. Zweitens, und das ist der günstigere Fall, führt es zu einer Selektion in Fragen des Stils, d.h. zur Bildung spezialisierter Hörerkreise. Drittens und letztens bewirkt es Selektion in der Aufführungsqualität, an die ganz bestimmte, sich ständig erhöhende Ansprüche gestellt werden.

Die Wissenschaft der Kybernetik ist stolz darauf, Apparate herstellen zu können, die.eine der menschlichen Sinnesempfindungen verkörpern. Sie hat mit der Photozelle ein Organ geschaffen, das auf Lichteindrücke reagiert. Die Reaktion ist völlig einseitig, weil sie nur auf Eindrücke eines isolierten Sinnesorgans antwortet. Es fehlt ihr die Kontrolle durch andere Organe, die alle höheren Lebewesen auszeichnet. Aber diese Einseitigkeit qualifiziert auch. Die Photozelle ließe sich an Roboterwesen anbringen, so daß Pseudo-Organe entstünden, die „ganz Ohr“ oder „ganz Auge“ oder „ganz Tastnerv“ oder „ganz Nase“ wären. Solche Spezialisierung, für die es im Bienenstaat Vorbilder in den Arbeiterinnen und den nur für Fortpflanzungsaufgaben bestimmten Drohnen neben der Königin gibt, könnte zu einem Menschheitsziel werden. Gewisse Erscheinungen in der modernen Produktionstechnik, die den Arbeiter auf nur eine Funktion im Arbeitsprozeß festlegen, sowie das Spezialistentum in Wissenschaften und Künsten sind Beispiele derartiger Spaltung.

Durch den Rundfunk und die Schallplatte ist das Reich des Auditiven isoliert worden. Vor dem Lautsprecher und Plattenspieler werden wir, anders als im Konzertsaal, zu einseitigen Hörmenschen. Alle Probleme des Musikhörens, akustische, psychologische, soziologische und sogar physiologische, treten in ein neues Kraftfeld.

Daraus entsteht das Problem der Abstrahierung passiven Hörens von allem nicht Hörbaren. Die Frage wird akut, ob und wie weit die akzessorischen Eindrücke beim Hören eines Konzerts im Konzertsaal den künstlerischen Genuß beeinträchtigen oder fördern. Kein Zweifel, daß die Bewegungen eines Dirigenten eine ästhetische Wirkung auf den sehenden Hörer ausüben und daß sie zum Verständnis der Musik beitragen können. Der Gesichtsausdruck des mit überirdischer Ruhe Bach geigenden Yehudi Menuhin ist ein integrierender Bestandteil des musikalischen Phänomens Menuhin. Aber es gibt auch störende Beigaben, es gibt Dirigenten, die durch ihr derwisch-ähnliches ekstatisches Gebaren von der Musik ablenken und den Blick auf sich ziehen.

Perfektes Hören

Dem Hörer mechanisch übermittelter Musik ist die Chance gegeben, ohne alles störende Beiwerk zu hören. Er kann, vor seinem Gerät sitzend, die Musik belauschen, wie man ein Bild betrachtet oder ein Buch liest: in absoluter Einsamkeit, nicht abgelenkt durch die Nähe anderer Hörer, die Bewegungen des Musikers, die optischen Eindrücke des Saals. Aber dieses Hören an sich, ohne störende Akzessorien, wird in der Praxis kaum angestrebt. Man stellt den Empfänger an, hört konzentriert die Nachrichten, die Ansage, die Fünfte von Tschaikowsky. Die Übertragung ist makellos. Kein Nebengeräusch, kein optischer Nebeneindruck, keine Unbequemlichkeit stört den Empfang. Ein Ideal der Perfektion im Musikhören ist erreicht.

Aber der Hörer verhält sich anders, als es dieser Perfektion entspräche. Er versucht den Empfang zu beeinflussen, verändert den Frequenzbereich, stellt den Ton lauter und nachher leiser. Er macht sich an der Zentralheizung zu schaffen, zieht den Pullover aus, weil ihm zu heiß ist. Wenn man ihn beobachtet, hat man den Eindruck, daß er instinktiv nach kleinen Ablenkungen sucht. Die Chance der vollkommenen Konzentration auf das Hören bleibt ungenutzt. Ja, der typische Rundfunkhörer arbeitet gegen die Situation, nur mit dem Ohr beschäftigt zu sein. Er geht so weit, beim Musikhören die Zeitung zu lesen. Die Paradoxie nimmt groteske Formen an: in dem Moment, wo die Technik dem Menschen die Möglichkeit des Hörens in sozusagen chemisch reiner Form geschenkt hat, degradiert der Mensch den Hörvorgang zu einem Akzessorium. Der Lautsprecher bleibt auf Dauer angestellt, er gibt Klang von sich wie der Springbrunnen Wasser. Musikhören ist Teil des Tageslaufs und der Existenz wie die Heizung oder der immer sichtbare Uhrzeiger.

Jede mechanische Wiedergabe von Kunst trägt in sich das Streben nach fortwährender Qualitätsverbesserung mit dem Endziel der Perfektion. Ist die Perfektion erreicht, so setzt eine weitere vermeintliche Verbesserung ein, die ich unter das Motto „Schöner als in Wirklichkeit“ stellen möchte. Genau wie die Farbphotographie und der Farbfilm etwa im Technicolorverfahren Farben von übernatürlichem Glanz und nie gesehener Leuchtkraft herausarbeiten, so wird auf Schallplatten der manipulierte Ton einer Klarinette, einer Streichergruppe oder eines Klaviers leuchtender als in der Realität. Die Gewöhnung an solche superlativische Schönheit beeinflußt den Geschmack, ohne daß auf diesem Wege ein Ende abzusehen wäre.

Wer Vieles bringt ...

An und für sich ist der Geschmack der Massengesellschaft — und um eine solche handelt es sich heute — pluralistisch. Man kann also nicht mehr in dem Sinne von Stil und Geschmack unserer Epoche sprechen, wie man das etwa im Hinblick auf Biedermeier oder Fin de siècle noch konnte. Unter den Millionen, die das moderne Musikleben umschlingt (an die weder Schiller noch Beethoven gedacht haben), finden sich Liebhaber — heute sagt man gerne fans — für alle Arten von Musik, sogar für die ultramoderne. Eine Riesenstadt wie das heutige New York hat kein einheitliches Musikpublikum mehr, wie es zum Teil noch unsere kleineren und mittleren Provinzstädte haben, aber wohl nicht mehr lange haben werden. Es gibt da einige tausend Symphoniefreunde, ebenso viele Liebhaber der italienischen oder der deutschen oder der französischen Oper, fast ebenso viele, die sich für Kammermusik, Klavierabende, Liedgesang oder Musik des Mittelalters und der Renaissance begeistern. Und wir wissen, daß selbst der extremistische Nihilismus John Cages oder die experimentelle Schallkunst Karlheinz Stockhausens mit gut gefüllten Sälen rechnen können.

Das hat neben vielen Nachteilen auch einige Vorteile. Denn durch die sogenannten Massenmedien sind auch die zahlreichen und wichtigen außereuropäischen Kulturen der Musik aus der Enge des ethnologischen Seminars in das Bewußtsein vieler westlicher Hörer getragen worden. Was früher noch als exotisch und barbarisch galt, was die Wiener klassische Musik aus Restbeständen der türkischen Belagerung als Janitscharen oder dergleichen zu einem gelegentlichen Wirkungsmittel herbeigezogen hatte, das gehört nun zum täglichen Angebot. Der Klang des japanischen Gagaku, ein indischer Gesang aus dem Mahabharata mit rhythmischer Begleitung der Mridanga-Trommel, balinesische oder javanische Gamelang-Orchester und zentralafrikanische Schlagzeug-Konzerte gehören ebenso zum allgegenwärtigen Konsumgut wie die aus afrikanisch-amerikanischer Kreuzung hervorgegangenen Improvisationen des Jazz.

Eindrücke aus der Begegnung mit außereuropäischen Kulturen zeigen sich schon in der modernen Komposition Europas und Amerikas. Diese Situation ist allerdings nicht ganz neu; ihr Beginn läßt sich mit der Pariser Weltausstellung von 1889 datieren, bei der zum erstenmal asiatische und afrikanische Musik der Aufmerksamkeit junger europäischer Komponisten, wie Claude Debussy, Maurice Ravel und Erik Satie, begegneten und von diesen als Anregungen verarbeitet wurden. Was aber damals noch Ausnahme war, das ist heute jedenfalls als Möglichkeit ein Teil des täglichen Angebots und infolgedessen in seiner Wirkung ungleich breiter als damals.

Zu wenig Tradition im Orient

Leider wirkt die Überschwemmung auch in umgekehrter Richtung, und da oft viel stärker und radikaler. Zahlreiche Kulturen außereuropäischer Musik sind durch den Einfluß der unseren bedroht bis zu ihrer völligen Europäisierung und Vernichtung. Dabei spielt merkwürdigerweise ein Minderwertigkeitskomplex mancher Völker angesichts ihrer eigenen Tradition eine verhängnisvolle Rolle. Er ist unverkennbares Erbe eines kolonialistischen Denkens, das äußerlich im Nationalbewußtsein dieser Völker zwar überwunden ist, dafür aber in ihrem kulturellen Unterbewußtsein um so stärker nachwirkt.

Der Libanon z.B. ist eines der arabischen Länder mit ungemein reicher kultureller Vergangenheit. In der modernen libanesischen Intelligenz ist die Europäisierung so weit fortgeschritten, daß der bedeutende Dramatiker Georges Schehadé nicht arabisch schreibt, sondern seine Stücke ausnahmslos in französischer Sprache verfaßt, ja sogar die arabische Sprache kaum noch beherrscht, weil er die Entwicklung der arabischen Kultur als beendet ansieht. Libanesische Volksmusik existiert nur noch in abgelegenen Dörfern, wo sie von alten Bauern und Bäuerinnen praktiziert, aber wahrscheinlich schon von der nächsten Generation vergessen sein wird. Bei den Festspielen in Baalbek, zwischen den Tempelruinen aus großartiger Vergangenheit, werden einem internationalen Touristenpublikum zwar Reste dieser Volksmusik vorgeführt, aber sie wurden bearbeitet; man hat mehrstimmige Partituren aus ihnen gemacht, hat sie in harmonische Zusammenhänge gezwungen, deren Vorbilder etwa bei Rimsky-Korssakow liegen und dem verwendeten Material mehr Gewalt antun als nützen.

Eine ähnliche Situation besteht in Japan, das seit dem Beginn der Meji-Epoche, also seit 1868, sein Erziehungswesen auf Grund eines kaiserlichen Dekretes völlig okzidentalisiertt hat und dabei allmählich seiner Überlieferungen verlustig geht. Hier ist die Traditionsfeindlichkeit allerdings noch in einzelnen Volksgruppen durch Gegengewichte des Buddhismus aufgehoben, dafür aber in anderen Kreisen, namentlich in Tokio, um so radikaler. In Tokio war es, daß einer der begabtesten jungen, westlich erzogenen Komponisten, der Zwölftöner Makoto Moroi, auf meine Frage, wie er zur traditionellen Hofmusik seines Kaisers, dem Gagaku, stehe, die entwaffnende Antwort gab: „Für uns ist das exotisch.“

Wir Europäer und mit uns die Amerikaner haben es darin besser, da wir zumindest in der Vorstellung leben, unsere heutige Musik sei ein Ergebnis mehr als tausendjähriger Tradition. Wir haben gegenüber unserer Vergangenheit keinen Minderwertigkeitskomplex und meinen, über unser gesamtes Kulturerbe umstandslos verfügen zu können. Global betrachtet, kann aber die Weltsituation dahin führen, daß schon in wenigen Generationen das musikalische Bewußtsein aller Kulturen auch alle anderen Kulturen wird einschließen können. Die Endergebnisse dieser Entwicklung können ein musikalisches Volapük oder Esperanto herbeiführen, möglicherweise aber auch eine Sprachbereicherung innerhalb der konservierten Regionalkulturen. Die Voraussetzung hierfür wäre allerdings, daß eben Kulturen konserviert werden. Und das ist nur möglich, wenn dem Minderwertigkeitskomplex mancher außereuropäischer Völker angesichts unserer europäischen Musik energisch helfend und aufklärend ein Gegengewicht gesetzt wird. Diese Art von Entwicklungshilfe steht zur Zeit nicht sehr hoch im Kurs, weder bei uns noch bei den sogenannten Entwicklungsländern. In Wahrheit ist sie für diese ebenso unentbehrlich wie das, was zu ihrer zivilisatorischen Unterstützung geschieht. Kongresse, wie das Tokioer East-West-Encounter im Frühjahr 1961 oder wie der von Neu-Delhi im Februar 1964, sind dafür von entscheidender Bedeutung. Sie haben nicht nur uns abendländischen Kulturspezialisten mit dem ganzen jahrtausendealten Reichtum bekanntgemacht, den das Musikgut Japans und Indiens verkörpert, sondern sie haben auch bei den japanischen und indischen Wissenschaftlern den Willen verstärkt, ihre eigenen Traditionen zu pflegen. Sozusagen als Nebenprodukte dieser Begegnungen haben sich Gemeinsamkeiten der Tonsprache, der Ästhetik und der Musikpraxis gezeigt, von denen auch unsere Musik Bereicherungen erfahren wird.

Zu viel Tradition in Europa

Die stärkste Mauer zwischen unserer Musikkultur und der fast aller außereuropäischen Völker sehe ich in dem grundsätzlichen Unterschied zwischen Komposition und Improvisation. Während unser abendländisches Musikwesen zunehmend die schriftlich fixierte Prozedur des Tonsetzens zum A und O aller musikalischen Kultur gemacht hat, ist die Improvisation noch immer Hauptquelle z.B. der indischen, persischen und arabischen Musikpraxis. Musik wird dort extemporiert, sie wird unter Befolgung gewisser Regeln, die auf melodischen und rhythmischen Modellen und ihrer Abwandlung beruhen, spontan erfunden und damit den optischen Einflüssen der Schrift entzogen. Die Figur des großen Komponisten fehlt in allen diesen Improvisationskulturen, in denen dafür der große geniale Spieler oder Sänger die Hauptrolle innehat. Dieser Zustand war auch unserer Musik nicht immer so fremd wie heute.

Die Berechtigung unseres Bewußtseins von einer tausendjährigen ununterbrochenen Tradition hat aber ihre Grenzen. Wenn wir den modernen Musikbetrieb ein bißchen unter die Lupe nehmen, müssen wir erkennen, daß er in einer Weise museal begrenzt ist wie sonst kaum ein Bereich unserer Kultur. Unsere Bildermuseen gehen an Weite des Horizonts unvergleichlich über das Repertoire unserer Symphoniekonzerte, Kammermusikprogramme und Opernspielpläne hinaus. Im Museum bewundern wir Kunstwerke, die oft Tausende von Jahren alt sind, und in ihren modernen Abteilungen können wir uns mit Malerei und Plastik der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit mühelos auseinandersetzen. Schon der Spielplan unserer Schauspielhäuser ist begrenzter, schließt aber immerhin die griechische Tragödie des Äschylos, Sophokles und Euripides sowie das experimentelle Theater bis zu Beckett und Ionesco ein. Im Symphoniekonzert beschränkt sich das landläufige Repertoire auf den Zeitraum zwischen 1700 und bestenfalls 1930. Die gesamte Musik des Barock erscheint höchstens ausnahmsweise. Musik der Renaissance und des Mittelalters steht fast außerhalb des Betriebs und ist erst seit wenigen Jahrzehnten überhaupt wieder Klang geworden. Dabei haben seit der Jahrhundertwende einzelne Persönlichkeiten, wie der Engländer Arnold Dolmetsch, die Polin Wanda Landowska, der deutsche Musikwissenschaftler Willibald Gurlitt, folgenreiche Pionierarbeit geleistet. Durch sie sind Instrumente wie das Cembalo, die Gambe und andere Violenarten, das Krummhorn, die Zinken und Blockflöten sowie die Portativorgel erst wieder in ihrer Klangschönheit entdeckt worden. Im positivistisch gesinnten 19. Jahrhundert hatte man geglaubt, durch die Verbesserungen der alten Instrumente und die Erfindungen neuer (z.B. des Hammerklaviers) seien die früher gebräuchlichen Typen überwunden und überflüssig geworden. Für Komponisten wie Chopin und Liszt mußte der moderne Konzertflügel einfach eine höhere Entwicklungsstufe darstellen als das alte Cembalo, das jedoch in Wahrheit einen anderen Typus verkörpert. Wenn wir heute Musik der Renaissance und des Mittelalters, ja selbst solche des Generalbaßzeitalters, in einer Wiedergabe hören, die nach dem heutigen Stande unserer Erkenntnis dem Klangideal ihrer Entstehungszeit nahekommt, so wissen wir, daß damit eine neue Dimension unseres Musikbewußtseins erschlossen wurde. Durch das Erlebnis solcher Aufführungen, das durch Schallplatte und Rundfunk in breite Schichten getragen werden kann und getragen wird, hat sich das Musikerlebnis auch des Normalhörers über alle früheren Begriffe hinaus zur Vergangenheit hin erweitert. Allmählich machen sich die Folgen dieser Horizontweitung in unserem Musikbetrieb bemerkbar. Es gehört zu den bedeutendsten Dirigentenleistungen Paul Hindemiths, daß er in seinen Programmem, z.B. mit den Berliner Philharmonikern, immer wieder diese fernen Vergangenheiten beschworen und in der erstaunlichsten Weise für den Hörer aktuell und lebendig gemacht hat. Seine Aufführungen mehrchöriger Werke von Giovanni Gabrieli oder von Chansons der französischen Ars Nova, insbesondere Guillaume de Machauts, also von Werken des 16. und 14. Jahrhunderts, waren — wenn das auch leider von der Musikkritik nicht so recht erkannt worden ist — ebenso bahnbrechend wie seine Bearbeitung des „Orfeo“ von Monteverdi. Neuerdings haben auch kleinere Ensembles in Amerika und Europa, etwa die Gruppe Safford-Capes in Brüssel (Pro musica antiqua) und das Studio der Frühen Musik in München, zu dieser Aufführungspraxis verschollener Musik sehr bedeutsam beigetragen.

Der Verband Wiener Volksbildung lud Prof. Hans Heinz Stuckenschmidt zu einem Vortrag über die Aussichten der Musik in der modernen Gesellschaft ins Auditorim Maximum der Wiener Universität ein; dabei äußerte Prof. Stuckenschmidt grundsätzliche Einsichten, die wir in kondensierter Form mit freundlicher Genehmigung des Wiener Volksbildungsverbands obenstehend wiedergeben.

FORVM des FORVMs

Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)

Werbung

Erstveröffentlichung im FORVM:
Mai
1964
, Seite 269
Autor/inn/en:

Hans Heinz Stuckenschmidt:

Prof. Dr. H. H. Stuckenschmidt lehrt Musikgeschichte an der Technischen Universität, Berlin-Charlottenburg, und ist einer der führenden Musikkritiker Deutschlands.

Lizenz dieses Beitrags:
Copyright

© Copyright liegt beim Autor / bei der Autorin des Artikels

Diese Seite weiterempfehlen

Themen dieses Beitrags

Begriffsinventar